Pariser Geschichte (Die Gartenlaube 1854/4)

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Pariser Geschichte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 45–46
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schilderung eines Mordfalles
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[45] Pariser Geschichte. Eine mysteriöse Neuigkeit trauriger Natur geht beute von Mund zu Mund. Es handelt sich um einen Mord, den ein bekannter Kaufmann im Quartier des Champs Elysées an seiner Frau verübt hat. Nach vollbrachter That hat er sich alsbald nach dem benachbarten Polizei-Commissariat begeben und sich als Gefangener gestellt. Was ich über den Fall habe in Erfahrung bringen können, theile ich Ihnen in Nachstehendem mit.

Gegen Ende des Jahres 1849 machte Herr V. die Bekanntschaft einer jungen Dame, deren Mutter in der Provinz in einer kleinen Stadt ein Hotel garni hielt. Aus der Bekanntschaft ward eine zärtliche Liebschaft, deren Frucht ein Mädchen war.

Es war der lebhafteste Wunsch des jungen Mannen, eine legitime Ehe mit dem Gegenstande seiner Neigung zu schließen, alle seine guten Vorsätze aber scheiterten an der Hartnäckigkeit seiner Familie, welche ihre Einwilligung trotz aller Bitten und Thränen versagte.

Vor ungefähr zwei Jahren verlor die Mutter des jungen Mädchens ihren Sohn, der bei der Armee in Afrika stand, durch den Tod, und fühlte sich durch diesen Verlust bewogen, ihren bisherigen Wohnort mit Paris zu vertauschen, wo sie Zerstreuung zu finden hoffte. Sie kaufte hier ein großes Hotel garni. Ihre Tochter und Herr V. schlossen sich ihr alsbald an und es ist heute gerade ein Jahr, daß die jungen Leute durch eine legitime Ehe ihre begangenen Sünden wieder gut zu machen suchten. Seit jener Zeit machten die V.’schen Ehegatten ein großes Haus; sie sahen viel Gesellschaft bei sich und gaben Diners, Feten und Bälle. Einer dieser V.’schen Bälle war es auch, bei welchem eine junge liebenswürdige Künstlerin vom Theater Odeon ihren Tod durch Erstickung fand, da sie mit einem leichten Gagekleide beim Contretanz dem Kamin zu nahe gekommen und von der Flamme ergriffen worden war.

Vorgestern war bei V., wie gewöhnlich, Empfang, und seine Frau hatte, obgleich sie ein wenig leidend war, bis um ein Uhr Morgens getanzt. Sie hatte sich an einen Tisch gesetzt, an welchem man Lansquenet spielte und über heftiges Kopfweh geklagt. Ihr Mann, der die häufigen Feste ungern sah, hatte sich nur eine Stunde lang sehen lassen, dann aber in sein Zimmer zurückgezogen, in welchem er sich einschloß.

Um fünf Uhr Morgens entfernten sich alle Gäste, und als einer der Eingeladenen sich bei Madame V. entschuldigte, so lange geblieben zu sein, erwiederte sie ihm: „Sie haben mir im Gegentheil einen Dienst geleistet: ich habe schon seit drei Tagen kein Auge geschlossen und werde auch jetzt noch nicht zu Bett gehen.“ „Wollen Sie dann nicht ein wenig mit mir spazieren fahren?“ fragte darauf eine Dame von der Gesellschaft.

„Ich? spazieren fahren?“ erwiederte Madame V. „was würde mein Mann dazu sagen! Wenn ich um eine ähnliche Stunde selbst mit Ihnen, spazieren ginge, würde es bald keine Madame V. mehr geben.“

Sie sprach diese Worte mit vieler Traurigkeit, welche von der Gesellschaft auf Rechnung der Eifersucht des Herrn V. geschrieben wurde.

Im Laufe des folgenden Tages ging Herr V. mehrmals aus, kam aber immer bald wieder zurück. Um 4 Uhr Nachmittags setzte er sich in seinem Zimmer nieder und schrieb. Als die Kammerfrau ihn bleich und erregt sah, frug sie, ob der Brief fortzutragen sein werde. „Nein! ich werde ihn selbst forttragen! Entfernen Sie sich!“ erhielt sie zur Antwort. Sie ging schweigend und hörte, wie Herr V. die Thür hinter ihr verschloß.

Sobald der Brief fertig geschrieben war, trat Herr V. aus seinem Kabinet, schritt durch das Schlafzimmer und den Salon, und trat in’s Boudoir seiner Frau. Diese saß am Fenster, mit einer Stickerei beschäftigt, und hatte ihre kleine sechsjährige Tochter bei sich.

Was sich hier ereignete, weiß kein Mensch, aber nach Verlauf einiger Minuten hörte die Kammerfrau das kleine Mädchen schreien: „Bonne, Bonne! komme doch! ich weiß nicht, was Vater mit Mama macht!“ Die Kammerfrau lief herbei. Sie fand Madame V. am Boden liegend, ihren Mann über sie gebeugt. Sich erhebend, warf dieser einen von Blut rauchenden Dolch in die Mitte des Zimmers und sagte, sich zur Kammerfrau wendend: „Jetzt gebe ich zum Polizeicommissär!“

Die unglückliche junge Frau hatte ihr volles Bewußtsein behalten. „Louise, hilf mir aufstehen,“ sagte sie, „ich will versuchen, ob ich gehen kann.“ Die Kammerfrau wollte ihr in die Höhe helfen, es gelang ihr aber nicht. Ihre Herrin äußerte, dies bemerkend: „Ich bin also verloren!“

Indessen war ein Arzt aufgesucht worden, der sogleich herbeieilte. Beim Anblick zweier Wunden, die sich an der Brust, ein wenig unterhalb [46] des Herzens befanden, glaubte er, daß edle Theile nicht verletzt sein würden, als er aber die Unglückliche noch aufmerksamer untersuchte, fand er noch schwere Wunden in den Nieren, und eine Bewegung, die er sie machen ließ, führte sogleich heftigen Auswurf von Blut und den Tod herbei.

Während das Alles sich im Boudoir der unglücklichen Madame V. zutrug, ließ sich Herr V., der einen Wagen bestiegen hatte, zu dem Polizeicommissär des Reviers fahren. Die Entschlossenheit, Aufregung und Wuth, die ihn bis dahin ohne Zweifel aufrecht erhalten hatten, verließen ihn unterweges, und als der Wagen vor der Thür des Commissariats anlangte, fand der darin Sitzende sich außer Stande, ohne fremde Hülfe auszusteigen; der Kutscher ging zum Commissar hinein und sagte ihm, daß er einen Herrn geladen habe, jetzt aber fürchte, ihm nur noch einen Leichnam zu bringen. Von zwei andern Personen unterstützt, gelang es ihm jedoch, Herrn V. in das Büreau zu führen. – „Ich habe soeben meine Frau getödtet,“ sagte Letzterer mit schwacher Stimme beim Eintreten, „sie betrog mich mit anderen Männern, welche sie empfing; ich habe sie getödtet, meine Ehre gerächt und stelle mich nun als Gefangener.“ Nach diesen Worten verfiel er in eine völlige Abspannung und man hat bis diesen Augenblick noch nicht ein Wort aus ihm herausbringen können.

Ich behalte mir weitere Enthüllungen in Betreff dieses romantisch-schauderhaften Falles vor. –