Pariser Bilder und Geschichten/Die unbekannten Gewerbe

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Titel: Die unbekannten Gewerbe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 390–391
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Bilder und Geschichten.
Die unbekannten Gewerbe.
Manufaktur angerauchter Pfeifen. – Der Rebus-Auflöser. – Ameisenzucht. – Der Katzen-Vertilger.

Nicht weit von der Rue des Anglais besteht ein Gewerbe, wie Sie es in Deutschland wahrscheinlich vergebens suchen würden. Es ist die Fabrik angerauchter Pfeifen. Zwei Geschäftsmänner, die schon zu den Gelehrten gehören, haben eine geistreiche, geniale Erfindung gemacht; ihre Werkstätte könnte in einigen Stunden die ganze Armee des Orients mit angerauchten Pfeifen versorgen.

Dieses Anrauchen der Pfeifen hat einer Klasse kleiner Gewerbsleute den Todesstoß gegeben, die im Kleinen das Anrauchen betrieben. Wenn man längs der Quais der Seine spazieren ging, sah man sonst eine ganze Legion von Zigeunern (was man in Paris so nennt, Bohémiens), die ernst und behaglich in der Sonne saßen und den Duft ihrer Pfeifen einschnüffelten. Sie würden sich vielleicht gefragt haben, wie diese pariser Lazzaroni es anfingen, mitten in ihrem Schmutz und Lumpenstaat ihre Zeit mit Tabakrauchen zubringen zu können, also eigentlich mit Nichtsthun. Ihre Beschäftigung bestand gerade im Rauchen: Ein Unternehmer gab ihnen eine neue Pfeife, Taback für 40 Centimes (4 Sous) und 20 Centimes Lohn. Dafür mußte er eine gut angerauchte Pfeife geliefert erhalten. Sie konnten also zwei Meisterstücke in Einem Tage ausführen, nämlich sie profitirten für zwei Pfeifen 40 Centimes (8 Sous) und damit bestritten sie die Tagesauslagen auf folgende Weise:

 Ein Harlekin (Fleischbrocken mit Gemüse u. dergl. gemischt)   2 Sous
 Ein Canve (Glas) von etwas Violettem, genannt Wein 4  
 Brot oder Erdäpfel im Hemd (im Schlafrock) ein Pfund 2  
 Nachtlager in einer allgemeinen Schlafstube, auf einem Eiderdun
  von 3 Schuh (auf Stroh)
2  
Summa 8 Sous.

Man kann unmöglich das materielle Leben auf geringere Proportionen reduziren. Aber, mein Gott, das ist nun ein todtes Gewerbe! Die Industrie hat es umgebracht. Man kann heutzutage in Pfeifen rauchen, die mittelst eines chemischen Prozesses angeraucht werden. Dieser besteht darin, daß man die Gypspfeifen in einen Tabacksud taucht, nachdem man sie vorläufig etwas erwärmt hat.

Diese Pfeifen sind eben so parfümirt, als die nach der ursprünglichen Methode hergestellten; sie sind sogar eleganter, regelmäßiger angeraucht und besonders reinlicher. Dieses seltsame Gewerbe beschäftigt zehn Arbeiter, die täglich fünf Francs verdienen und zwanzig Arbeiterinnen mit täglichen drei Francs. Täglich werden davon fünf bis sechs Kisten, jede zu 1000 Stück in die Provinz geschickt und Paris selbst verbraucht ihrer ebensoviel.

Nun aber führe ich Sie zu einem ganz anders kuriosen Specialisten; ich meine einen Menschen, der sich sein Brot damit verdient, Räthsel, Rebusse u. dergl. aufzulösen, die man in gewissen Zeitungen zur sogenannten geistigen Unterhaltung der Abonnenten auftischt. In denjenigen Stadttheilen von Paris, wo die kleinen Rentner wohnen, giebt es Kaffeehäuser, Estaminets und Pensionen, Kosttische, die von einer allgemeinen Aufregung ergriffen werden, sobald in dem Morgenblatte eine solche geistige Aufgabe erschienen ist. Jeder glaubt sie dann gelöst zu haben.

Man spricht, schreit, wettet, erhitzt sich die Köpfe und disputirt sogar; zuletzt wendet man sich an die aufgeklärte Einsicht des Wirthes. Man kann sich nun leicht die Verlegenheit dieses Herrn vorstellen, der durch eine einzige positive Erklärung die Schwierigkeiten schlichten soll. Zum größten Glück für ihn hat sich ein Industrieller gefunden, der die zügellose Leidenschaft der kleinen Rentner für die Rebusse begriff und seine Existenz darauf zu bauen beschloß.

Er hat sich also als allgemeiner Oedip etablirt. An den Tagen der Rebusse läuft er frühzeitig in der Stadt herum, besucht alle solche Anstalten, giebt dem Wirthe eine schriftliche Erklärung des Räthsels und zieht dann mit seinem Honorar ab, das fünf Sous beträgt. Zuerst beschränkte sich seine Kundschaft auf das Stadtviertel aux marais, aber allmälig hat sie sich auf die übrigen Quartiere ausgebreitet. Jetzt ist er genöthigt, einen Mann aufzuwenden, um die Austheilung seiner papierenen Lösungen zu besorgen. Damit verdient er nun bei einem Rebus 50 Francs: nun erscheinen deren aber wöchentlich drei, so daß er monatlich 600 Francs verdient.

Das Seher-Talent dieses Specialisten hätte vor einigen Jahren [391] den Nachbarn eines Hauses sehr nützlich werden können, das in der Bichat-Gasse liegt. Diese Nachbarn wurden buchstäblich aufgefressen; sie hörten nicht auf, sich zu kratzen, die Haut und die Oberhaut ging damit zum Teufel, als wenn der Aussatz in diesem Winkel der Stadt ausgebrochen wäre. Es fand eine Untersuchung statt, und man entdeckte endlich, daß jenes gefährliche Haus einzig und allein von einem Fräulein Rosa bewohnt würde, die sich der lobenswerthen Zucht von Ameisen gewidmet hatte.

Mademoiselle Rosa ist 42 Jahre alt und sieht fürchterlich aus; ihr Gesicht und ihre Hände sind braun gefärbt, als wenn sie ein geschickter Chagringerbergesell hergerichtet hätte; sie trägt eine wahre Rüstung wie der Armbrustschütze in der Ballade, denn sie selbst leidet unter den Bissen ihrer Zöglinge, undankbares Volk! Aber sie ist endlich auf einen solchen Punkt von Unempfindlichkeit angelangt, ihr Leder ist so hart geworden und verschrumpft, daß sie mitten unter ihren Waarensäcken ihr Bett aufgeschlagen hat, und der Stich und Biß der kleinen Bestien keine Gewalt mehr über sie hat. Als daher die Polizei ihre Werkstätte untersuchte, schien sie sehr überrascht zu sein und sagte:

„Wie kann man sich auch über diese Thierchen beklagen! Sehen Sie, ich lebe mitten unter ihnen und befinde mich deswegen nicht übler. Man muß mir in der Nachbarschaft aufsässig sein. Die Leute sind doch sehr böse!“

Nichtsdestoweniger wurde sie genöthigt, ihre Industrie in ein Haus zu verlegen, das ganz isolirt ist und außerhalb der Stadt liegt.

Fräulein Rosa hat Correspondenten in der Provinz, wo es große Wälder giebt; jedem ihrer Angestellten zahlt sie täglich 2 Sous; selbst im Elsaß hat sie ihrer. Täglich bekommt sie wenigstens 10 Säcke zugeschickt, die groß sind wie Mehlsäcke.

Ich habe mit Fräulein Rosa gesprochen; sie ist auf ihren Geschäftszweig ganz stolz.

„Ich bin,“ sagt sie, „die einzige Person, welche diese Industrie gehörig betreibt; denn ich allein habe die Sitten und Gebräuche dieser kleinen Geschöpfe studirt. Wie ich will, müssen sie Eier legen, und zwar zehn Mal mehr, als sie im gewöhnlichen Naturstande zur Welt brächten. Zu diesem Zwecke bringe ich sie in ein Zimmer, wo ich beständig einen eisernen Ofen glühend heize und lasse sie ihre Nester anlegen, wo sie nur wollen. Man muß sie nicht ärgern; sie müssen gut gehalten werden. Je sorgfältiger Ihr sie pflegt, desto mehr tragen sie Euch ein.“

„Aber was zum Teufel machen Sie denn mit all’ den Eiern, die Sie mit so viel Mühe einsammeln?“

„Ich verkaufe sie an die Apotheker, an den botanischen Garten von Paris und an alle Fasanerien der Umgebungen von Paris. Die jungen Fasanen sind sehr lüstern darnach.“

„Und was verdienen Sie dabei?“

„Tausend, meine Herrn, jetzt noch gebe ich meinen Tagesverdienst, reinen Gewinn für 30 Francs. Aber der Handel ist sehr heruntergekommen. Zur Zeit „des Adels,“ als meine Mutter, meine Vorgängerin noch das Geschäft führte, war das ein weit besserer Stand. Aber was kann man heutzutage mit den Bürgerlichen profitiren. Die wissen zwischen einem Fasan und einem Haushahne gar keinen Unterschied zu machen. Ah, reden Sie mir nicht von Revolutionen!“

Der alte Matagatos ist das gerade Gegentheil von Fräulein Rosa. Das ist ein wirklicher Pangloß, dem Alles ganz recht zu sein scheint wie es auf Erden ist. Er ist heiter, gutmüthig, harmlos und lacht gern. Auf den Pyrenäen geboren, kam er aus Neugierde nach Paris und verliebte sich in diese Stadt. Aber in Paris muß man arbeiten um zu leben, gerade so wie anderswo. Der alte Matagatos, der das freie Leben, den langen Schlendrian und Mondschein gern hat, wurde Lumpensammler, aber gerade nur um sich einen Stand zu geben, und um einen Buckelkorb zu tragen, die Lumpen verachtet er ganz ordentlich. Sein eigentliches Geschäft besteht darin, die Katzen zu vertilgen; daher kommt auch sein Zuname, der aus zwei katalanischen Wörtern besteht. Wer auch nur selten Abends in den Gassen von Paris herumschlendert, muß den Mann schon gesehen haben. Er ist groß, stark, trägt einen schwarzen vollen Bart und die Haare wie ein Puritaner geschnitten; immer singt er etwas zwischen den Zähnen und trägt dabei mit einem wahren Stolze seinen Lumpenhaken. Neben ihm trotten beständig zwei englische Windspiele von der schönsten Raçe. Dies sind seine Lieferanten. Er hat sie abgerichtet, alle nachtwandelnden Katzen wegzuschnappen, die ihm in den Weg gerathen. Ralph bringt seine Beute nie lebendig herbei, Sobrono ist viel großmüthiger, bei diesem blutet sein Opfer gar nicht einmal, die Katze lebt noch, wenn er sie seinem Herrn und Meister bringt und Ralph giebt ihr erst den Garaus.

„Die Katzen haben das Sonderbare,“ sagt der Alte, „daß an ihnen Alles gut ist. Das Fell kann man den Kürschnern verkaufen, die Zobelmarder daraus fabriziren und das ist ein Modepelzwerk heut zu Tage, wo eine wahre Muffmanie herrscht und jede Frau, von der großen Dame bis zur kleinen Nähterin einen Muff haben will. Im Punkte des Pelzwerkes kommt der Katze nur das weiße Kaninchen gleich, wenn man schon ernsthaft reden will, das man seit einigen Jahren Hermine getauft hat. Was aber das Katzenfleisch betrifft, so weiß ich es zu placiren; ich kenne die guten Plätze. Aber da muß man behutsam sein, die Theaterschreiber haben die Barrierenkunden in dieser Beziehung sehr vorsichtig gemacht. Das Publikum geht in seinem Argwohn so weit, daß es immer die Köpfe sehen will, ehe es sich seine Portion um 6 Sous kauft.“

„Diese Vornehmthuerei muß Ihrem Geschäfte Eintrag thun, denn Nichts sieht einem Kaninchenkopfe so unähnlich als ein Katzenschädel?“

„Das war ein Uebelstand, ich kann es nicht leugnen, aber man hat demselben abzuhelfen gewußt. Ah! Ihr wollt Köpfe haben um Kaninchen zu essen, die Euch ganz hergerichtet nicht mehr als 2 Franks 50 Centimes (1 Fl. C. Mze.) kosten sollen, wovon ich 1 Franks beziehe, wissen Sie. Ah! wohlan, meine lieben Leute, Ihr sollt ihrer haben und zwar mehr Köpfe als Ihr braucht. Also habe ich, den Handel mit Kaninchenfellen von Haus zu Haus angefangen, habe mich mit allen Köchinnen des Stadttheiles in’s Einvernehmen gesetzt, wo ich zum Schein mein Lumpensammlermetier ausübe und ich kaufe ihnen alle Felle ab, aber unter Einer Bedingung, nämlich daß sie mir das Fell mit dem Kopfe liefern müssen. Sie verstehen nun was ich mit diesen Kaninchenköpfen mache. Jede Katzenlieferung ist von einem Kaninchenkopfe begleitet. Daher kommt nun das absolute Vertrauen, das in einigen Barriererestauranten, die ich versehe, die Kunden in die Kaninchenbraten setzen. Wie viele Leute essen da von dem Wilde, das ich gejagt habe, ohne daß ihnen auch nur der geringste Zweifel kommt. Ich kann nichts dafür, ich bin zum Jäger geboren. Daheim in meinen Bergen habe ich Bären und Füchse gefangen, in Paris giebt es von Allem dem Nichts. Holla, Ralph, da schau Sobrono … Diese Burschen versorgen ihrem Herrn sein elendes Leben und tragen ihm jeden Morgen etliche 15 Francs ein. Aber warten Sie, weil Sie sich gerade um All das interessiren, so will ich Sie zu einem meiner Freunde führen, der in der Cité St. Maur wohnt; kommen Sie, sehen Sie sich seine Werkstatt an.“