Pariser Bilder und Geschichten/Die Tyrannen von Paris

Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Kalisch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pariser Bilder und Geschichten/Die Tyrannen von Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 762–764
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[762]
Die Tyrannen von Paris.
Von Ludwig Kalisch.


Ich bitte meine Leser, sich durch diesen Titel nicht irre führen zu lassen und nicht etwa zu glauben, daß ich von den Pariser Polizeipräfecten, oder von den Seinepräfecten, oder gar von gekrönten Häuptern sprechen will. Die Tyrannen, von denen hier die Rede sein soll, sind viel furchtbarer, da deren Zahl außerordentlich stark und sie obendrein unentbehrlich sind. Sie überleben alle französischen Regierungen; sie beherrschen die Pariser, von welcher Regierung diese auch beherrscht sein mögen. Ich meine die Pariser Concierges oder Hausmeister. London besitzt diese Menschenclasse nicht; denn die Londoner Häuser sind Festungen im Kleinen, die stets verschlossen sind und von der Dienerschaft des Stockwerkes geöffnet werden, dem ein Besuch gilt. Jedes Stockwerk hat seinen eigenen Schellenzug. Außerdem sind die Häuser fünf bis sechs, nicht selten gar sieben Stockwerke hoch, so daß man sie nicht mit Unrecht perpendiculäre Straßen nennen kann. Auch stehen sie während des Tages offen. Der Concierge also, dessen Zimmer oder „Loge“ sich im Erdgeschosse befindet, ist mit der Ueberwachung des Hauses betraut, und Niemand kann über die Schwelle desselben treten, ohne von ihm gesehen zu werden. Er ist es, der alle Aufträge für die Hausbewohner und zugleich die Postbriefe für sie empfängt, da der Briefträger nie selbst dem Adressaten die Briefe zustellt, es sei denn, daß dieselben recommandirt sind. Der Concierge bildet auch den Vermittler zwischen dem Miethsmann und dem Hauseigenthümer, der sein Haus nicht immer bewohnt, ja häufig gar nicht in Paris lebt. Dieser wie Jener hängt also gewissermaßen von dem Concierge ab. Wir Sterblichen besitzen indessen selten eine Macht, ohne dieselbe zu mißbrauchen, und die Pariser Concierges, die durchaus nicht zu den Unsterblichen gehören, mißbrauchen sie häufig genug und auf die lästigste, unerträglichste Weise.

Der Concierge stellt dem Miethslustigen, besonders dem kleinen, bei der Vermiethung nicht nur die Bedingungen des Hausbesitzers, sondern auch seine eigenen. Handelt es sich um eine Junggesellenwohnung, um ein „Appartement de garçon“, so setzt der Concierge dem unbeweibten Miethsmann die Bedingung, daß sich dieser von ihm die Pflege der Zimmer versehen lasse. Geht der Junggeselle darauf nicht ein, so wird aus dem Handel nichts, zum Nachtheil des Eigentümers, der oft dadurch einen vortrefflichen Miethsmann verliert.

Der Concierge erhält von dem Hausbesitzer neben freier Wohnung und Beleuchtung auch ein Jahrgehalt, das je nach dem Umfange des Hauses bestimmt wird. Indessen ist dieses [763] Gehalt fast eine Nebensache. Die Nebeneinkünfte sind die Hauptsache, und diese bestehen nicht nur im „Denier à Dieu“, im Draufgeld, das ihm beim Miethen einer Wohnung gegeben wird, und in den Neujahrsgeldern, sondern auch in verschiedenen Naturalleistungen. So wird ihm zum Beispiel, wenn ein Mietsmann ein Fuder Holz kommen läßt, ein großes Scheit, „La bûche“, verabreicht. Auch wenn ein Miethsmann eine Weinlieferung empfängt, wird der Concierge in der Regel mit einigen Flaschen bedacht, und bei sonstigen freudigen und traurigen Ereignissen, bei Hochzeits-, Geburts- und Todesfällen, wird er ebenfalls nicht vergessen. Und dennoch bilden diese directen und indirecten Abgaben, die ihm die Miethsleute entrichten, und sein Jahrgehalt noch nicht seine Gesammteinnahmen. Er hat noch gar viele Einkünfte, von denen die Philosophie der Miethsleute sich nichts träumen läßt und die diesen, wie wir bald sehen werden, mehr oder minder theuer zu stehen kommen. Sobald nämlich die Abenddämmerung naht, wird in Paris jede Hausthür geschlossen, die der Concierge, wenn er schellen hört, vermittelst einer in seiner „Loge“ angebrachten Vorrichtung öffnet. Der Eintretende hat die Hausthür sogleich zu schließen. Will Einer Abends das Haus verlassen, so ruft er im Hausgang mit lauter Stimme: „Cordon, s’il vous plaît!“ worauf sich die Hausthür öffnet. Diese französischen Worte lernt jeder Ausländer, der auch sonst kein Wort Französisch versteht, am schnellsten, da sie ihm am nothwendigsten sind.

Nun ist ein Pariser Haus eine Stadt im Kleinen, wo vom ersten bis zum letzten Stockwerte sehr viel Stände, natürlich im umgekehrten Verhältnisse zur Höhe des Hauses, vertreten sind. Die reichern Stände haben Equipagen und zahlreiche Dienerschaft, Kutscher, Lakaien, Bonnen, Kammermädchen und Köchinnen. Dieses Gesinde wird oft, besonders am späten Abend, oder gar in der Nacht, von Freiheitsgelüsten befallen. Es will eine heitere Stunde außerhalb des Hauses verleben, und damit der Concierge, ohne dessen Hülfe man das Haus nicht verlassen kann, der Herrschaft nichts verrathe, wird er durch das allereinfachste Mittel, durch Bestechung, zum Schweigen gebracht. Wie Niemand die Schwelle des Hades betritt, ohne den furchtbaren dreiköpfigen Wächter mit einem Honigfladen zu besänftigen, so kehrt in Paris keine junge Köchin oder Dienstmagd vom Marke heim, ohne im Geheimen aus dem Korbe eine Spende für den verschwiegenen Concierge zu holen. Die Concierges haben daher oft eine bessere Tafel als gar manche der Hausbewohner, ja vielleicht ihr Hausherr selbst, was indessen ihr Gemüth durchaus nicht verstimmt und ihre Verdauung nicht im geringsten stört.

Der Concierge kennt die Hausbewohner genauer, als diese glauben; er kennt besonders eine gewisse Classe derselben. Er beurtheilt sie nach den Besuchen, die sie empfangen, nach den Erkundigungen, die man über sie bei ihm einzieht, nach dem Geschwätz der Dienerschaft, die sämmtlich mit ihm auf gutem Fuße steht und gern über das Familienleben ihrer Herrschaft plaudert, und er hört nicht selten die Klagen der Gläubiger, die über die oft saumselige Zahlung eines oder des andern Miethsmannes laut werden. Zählt er nun unter den Hausbewohnern einen jungen Mann, der wild darauf loslebt und in der süßen Gewohnheit des Daseins und Nichtwirkens die einlaufenden Rechnungen unquittirt in den Winkel wirft, so wartet der schlaue Hüter des Hauses kaltblüthig auf die unausbleibliche Katastrophe: der junge Mann wird genöthigt, einen Theil seiner Habseligkeiten zu veräußern, und der Concierge führt ihm den Käufer zu, der diesem bereits eine Provision bewilligt hat und im Einverständniß mit ihm den verlorenen Sohn abmurkst. Außer solchen verlorenen Söhnen giebt’s auch in vielen Pariser Häusern verlorene Töchter, die sich so schlecht auf das Haushalten verstehen, daß ihnen das Leichtgewonnene ebenso leicht in der Hand zerrinnt und sie sich über kurz oder lang zum Losschlagen ihrer Siebensachen gezwungen sehen. Der Concierge ist auch hier gewöhnlich der Vermittler zwischen dem Käufer und der Verkäuferin und wird von Beiden abgefunden. Uneigennützigkeit ist überhaupt seine Sache nicht, und der Pariser Concierge, der etwas um Gotteswillen thut, soll noch geboren werden.

Gewöhnlich ist die Obhut eines Pariser Hauses einem Ehepaar übergeben. Der Concierge übt nicht selten, zumal in den Häusern der niederen Volksschichten, ein Handwerk, in der Regel des Schneiderhandwerk, aus, und während er in der „Loge“ lebensmüde Hosen oder verwundete Rockärmel schlecht und recht curirt, besorgt seine Hälfte die laufenden Geschäfte, und wenn diese erledigt, sitzt sie im Lehnsessel mit dem schnurrenden Kater im Schooße, oder füttert die Canarienvögel; denn die Concierges lieben die Thiere, und es giebt in Paris kaum eine Conciergeloge, in welcher sich nicht eine kleine Menagerie befände. In den ärmern Häusern entfernter Vorstadtsviertel bildet der Rabe den Lieblingsvogel der Hauswarte. Diese haben aber auch noch andere Zerstreuungen. Sie plaudern mit dem Gesinde der Hausbewohner, das im Conciergezimmer seinen Vereinigungespunkt besitzt, oder sie lesen die Zeitungen, die für die Abonnenten im Hause anlangen. Der Abonnent irrt sehr, wenn er an die Jungfräulichkeit des Kreuzbandes seiner Zeitung glaubt. Dieses ist bereits vom Concierge abgelöst worden, der vor dem rechtmäßigen Besitzer alle Enten benagt, mit denen tagtäglich das neuigkeitshungrige Publicum abgespeist wird.

An den Winterabenden werden vor den zahlreichen Gästen in der Conciergeloge die Romane gelesen, in welchen die blutigsten Gräuelscenen abwechseln, das Laster sich fünf Bände hindurch erbricht und die Tugend sich erst am Ende des sechsten zu Tisch setzt. Zur Zeit, als Ponson du Terrail seine Productionen so schnell und so reichlich aus dem Aermel schüttelte, daß er zugleich fünf Romane in fünf verschiedenen Journalfeuilletons dem Heißhunger seiner Leser darbot, bildeten die Pariser Concierges allabendlich dichte Leserkreise, wo die Aufmerksamkeit durch die Lectüre so sehr gefesselt war, daß nicht selten der Hausbewohner unzählige Male an dem Schellenknopf vor der Hausthür zerren mußte, bis diese ihm geöffnet wurde. Besonders war dies der Fall, als die Reihe der Rocamboles von dem eben genannten Verfasser erschien. Wie mancher hat sich damals vor der Hausthür harrend den Schnupfen geholt! Der eben verstorbene Emile Gaboriau hat mit seinen Romanen ein gleiches Unheil angestiftet.

In den Häusern freilich, die von den Eigenthümern bewohnt werden, müssen die Concierges auf der Hut sein, da sie von denselben überwacht werden; wo aber dies nicht der Fall ist, bleibt der Miethsmann allen Launen und Grillen der Concierges ausgesetzt, über die er sich aus Gründen, die wir bald werden kennen lernen, nicht beklagen darf. Wer also in Paris eine Wohnung miethet, sucht sich vor Allem über diesen Punkt zu vergewissern.

Kein Beruf hat indessen lauter rosenfarbige Seiten; im Amte eines Pariser Concierges ist daher auch nicht Alles rosig. Ein Pariser Hauswart hat nicht nur das Haus zu bewachen und Hausflur und Treppen rein zu erhalten, er hat nicht nur vom frühen Morgen bis spät am Abend hunderterlei Aufträge für die zahlreichen Bewohner entgegenzunehmen, sondern er hat auch Nachts keine Ruhe. Da in Paris die Theatervorstellungen kaum vor Mitternacht enden, so kehren die Besucher derselben erst gegen ein Uhr und während der Wintersaison, wo allabendlich Bälle und Soiréen stattfinden, oft erst gegen drei Uhr Morgens nach Hause. Er hat dann die ganze Nacht hindurch keine Rast. Die meisten Concierges sind daher nach einer Reihe von Dienstjahren mürrisch und verdrossen. Doch giebt es einen Monat im Jahre, wo selbst der mürrischste und sauertöpfischste der Concierges freundlich und liebenswürdig gegen die Hausbewohner wird. Es ist dies nicht der Wonnemonat, wo alle Büsche sich in Blumen- und Blüthenknäufe verwandeln, die Nachtigallen in den Zweigen jubeln und Liebespaare unter duftigem Flieder träumen, sondern in dem Monate, da die Erde im Scheintode liegt, die Raben in der Schneeluft krächzen und der Frost krystallene Zöpfe an die Dachtraufen hängt, kurz im letzten Monate des Jahres, der in Paris gewöhnlich seine unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger an unerträglichen Launen übertrifft. Diese einunddreißigtägige Liebenswürdigkeit der Pariser Concierges ist nichts weniger als uneigennützig; sie soll vielmehr die Großmüthigkeit der Hausbewohner am Neujahrstage hervorrufen, welcher der Erntetag so vieler Tausende von Beamten, Angestellten und Dienerschaften ist.

Man hat berechnet, daß in Paris täglich eine Million Franken an Trinkgeldern verausgabt wird. Man wird dies nicht übertrieben finden, wenn man bedenkt, daß ein Pariser weder in einem Kaffeehause, noch in einer Restauration irgend etwas genießen kann, ohne den Kellner mit einem Trinkgelde zu [764] bedenken. Es giebt in Paris Kaffeehäuser, wo die Trinkgelder täglich zwei- bis dreihundert Franken betragen. Und nicht nur in den Kaffeehäusern und Restaurants, sondern auch in jenen unentbehrlichen, unnennbaren Anstalten, wo man Erleichterung in dringender Noth sucht, ist eine versilberte Urne aufgerichtet, deren weitgeschlitztes Maul nach einem Trinkgelde schnappt. Jeder Droschkenkutscher erhält bei zurückgelegter Fahrt sein Trinkgeld, jede Theaterlogenschließerin ebenfalls. Mit einem Worte: es giebt in Paris wenig Menschen, die von ihrem Nebenmenschen nicht ein Trinkgeld fordern. Am Neujahrstage verzehnfacht sich die Summe der Trinkgelder. Vor Allem hat man sich aber an diesem Tage mit seinem Concierge in’s Reine zu setzen. Hat dieser für seine freundlichen Neujahrswünsche den klingenden Dank der Hausbewohner eingeheimst, so verbannt er das süße Lächeln aus seinen Gesichtszügen, bis der zwölfte Monat die Mutter Erde wieder in’s Schneegewand steckt.

Die Pariser Concierges bilden eine Menschenclasse für sich, und es giebt unter ihnen manches Original; sie werden daher von den Romanschreibern, die das Pariser Leben schildern, stark verwerthet. Eugene Sue hat in seinem „Pipelet“ einen Typus geschaffen, der so populär geworden, daß man jeden Concierge mit diesem Spitznamen nennt. Dennoch giebt es unter den Conciergen, je nach den Häusern, deren Ueberwachung ihnen obliegt, viele Schattirungen, und es versteht sich von selbst, daß ein Concierge eines vornehmen Hôtels im Faubourg St. Germain von seinem Collegen in einem Hause des Faubourg St. Antoine sich gar sehr unterscheidet. Die Pariser Concierges haben auch ihre eigenen politischen Ansichten, die oft denen ihrer Hausherren schnurstracks entgegengesetzt sind. Es giebt unter ihnen Monarchisten, ja, Legitimisten, die sich nach dem Triumphe der weißen Fahne sehnen. Ich habe einen Concierge gekannt, der es Ludwig Philipp niemals verziehen hat, gegen die ältere Bourbonenlinie conspirirt und sich auf den französischen Thron gesetzt zu haben. Bei Weitem die meisten sind jedoch revolutionär. Nicht wenige haben sogar eine hochrote politische Farbe und hängen mit ebenso viel Liebe an ihrem Herrn wie der Spitzbube am Galgenstricke. Diese sind jedoch noch die schlimmsten nicht. Es giebt unter ihnen auch Individuen, die mit der Polizei im besten Vernehmen stehen. Das zweite Kaiserreich, traurigen Andenkens, fand unter ihnen Mouchards in Hülle und Fülle. Sie denuncirten manchen Hausbewohner, welcher sich zwischen den dicken Mauern in Mazas vergebens den Kopf zerbrach, seinen Denuncianten zu errathen. Wer also in stark bewohnten Häusern abgelegener Viertel der Pariser Vorstädte wohnt, thut gut daran, nicht allzu vertraut mit dem Concierge zu werden und seine politischen Gesinnungen für sich zu behalten. Unmittelbar nach dem Napoleonischen Staatsstreiche haben es mehrere unserer in Paris lebenden Landsleute hart büßen müssen, mit ihrem Concierge allzu vertraut gewesen zu sein, oder sich nicht genug vor ihm gehütet zu haben.

Welche Stellung man aber auch einnehme und welches Haus man auch in Paris bewohne, man muß sich immer mit dem Concierge zu verhalten wissen, wenn man sich nicht fortwährend den unangenehmsten Verdrießlichkeiten, sogar den größten Nachtheilen aussetzen will. Wer seinem Concierge auf den Fuß tritt, hat es immer schwer zu bereuen. Die Hauswarte haben nämlich Gelegenheit, sich täglich, ja stündlich an dem Miethsmann zu rächen. Sie richten diesem die mündlichen Aufträge nicht aus, geben die eingelaufenen Visitenkarten zu spät oder gar nicht ab und nennen die Namen Derjenigen nicht, die ihn sprechen gewollt. Die Rache des Concierges gegen den verhaßten Miethsmann ist auch nachwirkend, wenn er nämlich ausgezogen, geben sie seine neue Adresse nicht an, oder nennen absichtlich eine falsche Hausnummer, oder gefallen sich in allerlei räthselhaften, mit einem Achselzucken begleiteten Redensarten, wenn man bei ihnen Erkundigungen über ihn einziehen will.

Die Pariser Concierges beschließen fast sämmtlich ihre Laufbahn auf dieselbe Weise. Sie sterben entweder alt und betagt und mit Rheumatismus und bösen Launen behaftet in der Ausübung ihres Berufs, oder als kleine Rentiers zurückgezogen auf dem Lande. Die Meisten von ihnen haben etwas für die alten Tage gespart, und wenn der Hauseigenthümer nicht ganz ohne Gerechtigkeitsgefühl ist, fügt er zu dem Ersparten eine kleine Pension hinzu. Merkwürdig ist es aber, daß diese Leute nach einem vieljährigen Pförtneramt sich nicht immer in ländlicher sorgenloser Zurückgezogenheit glücklich fühlen. Die Gewohnheit, länger als ein Menschenalter hindurch ein Dutzend Mal in der Nacht geweckt worden zu sein, läßt sie auch jetzt nicht ruhig schlafen. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitsthier: hat man doch Beispiele, daß Gefangene, die einen großen Theil ihres Lebens im Kerker zugebracht, ihn nicht ohne Bedauern verließen, als man ihnen die Freiheit ankündigte! Vor noch nicht langer Zeit hat sich eine alte Concierge, welcher der Hausherr unter den sanftesten Ausdrücken eine Nachfolgerin ankündigte, in einem Anfall von Schwermuth, nicht mehr den Schellenzug in Bewegung setzen zu können, an demselben erhängt.

Gewiß, die Pariser Concierges gehören zu den Plagen, die man nicht entbehren kann, und in ihrer Unentbehrlichkeit liegt der Grund, daß in der Weltstadt Groß und Klein, Hoch und Niedrig sich ihre Tyrannei gefallen läßt.