Pariser Bilder und Geschichten/Die Fremden in Paris

Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten/Die Fremden in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 280-282
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pariser Bilder und Geschichten.

Die Fremden in Paris.
Von S. Kalisch.

Die Pariser behaupten, daß in ihrer Vaterstadt die fremden Nationalitäten viel zahlreicher vertreten seien, als ihre eigene. Das ist freilich eine gewaltige Uebertreibung, die indessen gerade durch die große Menge der in Paris wohnenden Ausländer veranlaßt worden. Der zehnte Theil der Pariser Bevölkerung – das ist statistisch nachgewiesen – besteht aus Ausländern. Es giebt in der That kaum ein Volk auf Erden, von dem in der Hauptstadt Frankreichs nicht ein Exemplar zu finden wäre. Doch will ich nur von den Ausländern reden, welche sich in Paris angesiedelt haben und hier mehr oder weniger Colonien bilden. Die deutsche Colonie ist bei weitem die größte. Dann kommen die Engländer, Belgier, Italiener, Polen, Russen, Schweizer und Amerikaner. Nichts ist interessanter als das Wesen dieser Nationalitäten zu beobachten. Wir werden von unseren Landsleuten zuletzt und am ausführlichsten, und hier zuerst von den Engländern sprechen.

Unter allen civilisirten Völkern der Erde hat der Engländer das geringste Assimilationstalent. Der Engländer bleibt Engländer, in welchem Lande er auch sein möge. Er opfert keinen Gebrauch, keine Gewohnheit seines Vaterlandes; er nimmt keine Gewohnheit, keinen Gebrauch des Auslandes an. Wie er sich in seiner Heimath individuell in seinem Hause abschließt, so schließt er sich in der Fremde mit seinen Landsleuten streng ab. Man sieht dies so recht in Paris. Die Engländer bewohnen hier einen besondern Stadttheil, das Faubourg St. Honoré, und sie haben dafür gesorgt, daß man ihnen in diesem Viertel die irdische und himmlische Speise auf englisch verabreicht. In dem genannten Stadttheil sind nicht nur englische Kirchen, sondern englische Hôtels, Speisewirthschaften und Eßwaarenhandlungen in Menge vorhanden. Der Engländer hat einen orthodoxen Magen und hält es für eine Sünde, fremde Elemente in seine alleinseligmachende Küche zuzulassen. Yorker Schinken ist ihm der vorzüglichste auf Erden, und er versteht sich nur im äußersten Nothfalle dazu, denselben mit einem Senf zu genießen, der nicht in England das Licht der Welt erblickt hat. Der Engländer ißt stark, trinkt aber noch viel stärker, als er ißt. Er trinkt nicht nur viel, sondern auch vielerlei; er trinkt aber am liebsten die Getränke seiner Heimath. Niemals ändert er den Schnitt seiner Kleidung, und er hat selbst in Paris seine englischen Schneider. Er vertraut sich auch nicht leicht einem Pariser Arzt an. Es haben sich daher im Quartier St. Honoré viele englische Aerzte und Apotheker angesiedelt. Ja, Herr Haußmann hat den Söhnen des „perfiden Albion“ zu Gefallen dicht am Palais Elysées sogar eine lange Reihe Häuser in englischem Stil, d. h. mit Eisengittern und tiefen Gruben versehen, aufführen lassen. Indessen lassen sich doch seit einigen Jahren wenige Engländer hier bleibend nieder. Paris ist ein sehr theurer Platz geworden. Die kleinen englischen Rentiers, die hier früher auf einem großen Fuß leben konnten, müssen sich jetzt zusammennehmen, wenn ihre Jahresrente nicht vor Ende December versiechen soll. Sie suchen daher Deutschland, die Schweiz und Italien auf. Ein großer Theil der in Paris lebenden Engländer besteht übrigens aus Arbeitern, aus Kutschern und Jockeys, kurz aus Leuten, die hier mehr erwerben als verzehren.

Hingegen gehört die russische Colonie, die etwa zweitausend Köpfe zählt, ausschließlich der höhern Gesellschaft an. Die Russen leben in der Nähe der Elysäischen Felder, wo sie vor einigen Jahren eine prachtvolle Kirche unweit des großen Triumphbogens errichten ließen. Der Russe kommt nicht nach Paris, um zu sparen sondern um zu genießen, und zwar mehr sinnlich als geistig. Die Cultur hat ihn beleckt, aber nicht durchdrungen. Er schließt sich leicht an und besitzt einen äußern Schliff, der ihn zum angenehmen Gesellschafter macht. Auch läßt er gern daraufgehen, besonders wenn es mit einer gewissen Ostentation geschehen kann. Die Russen sind daher in Paris, das von Fremden lebt, beliebte Gäste. Früher hat die Halbwelt für die Russen sehr geschwärmt; diese Schwärmerei hat indeß stark nachgelassen, seit die Leibeigenschaft in Rußland abgeschafft und die Einkünfte des russischen Adels beträchtlich zusammengeschmolzen. Sie lassen nicht mehr die Rubel so leicht springen, und das hat die Achtung vor ihnen in der Welt, die jedes Feuer eher als das Feuer der Vesta nährt, bedeutend vermindert. –

Kommen wir jetzt zu den Polen, die eine Colonie von fast fünftausend Individuen bilden. Sie wohnen großenteils in der Vorstadt Batignolles, wo sich auch die von der französischen Regierung unterstützte polnische Schule befindet. In derselben wird neben den verschiedenen Zweigen des Wissens vorzüglich die polnische Sprache gelehrt, so daß die Jugend, in dieser Beziehung wenigstens, mit ihrem unglücklichen Vaterland im Zusammenhang bleibt. Der Enthusiasmus für die Polen, der in den dreißiger Jahren in allen Ländern unsers Welttheils so stark loderte, ist längst erkaltet. Seit jener Zeit sind auf unserm Continente so viele Revolutionen ausgebrochen und in Folge derselben so viele Tausende in die Verbannung getrieben worden, daß das Mitgefühl für polnische Flüchtlinge sich abgestumpft hat. Freilich haben sich viele derselben durch lockeres Betragen gerechten Tadel zugezogen; indessen giebt es in der polnischen Emigration nicht mehr verwerfliche Naturen als in jeder andern. Ich kann dies um so bestimmter behaupten, als ich Gelegenheit hatte, politische Flüchtlinge aus allen Ländern kennen zu lernen. Jede Emigration ist reich an faulen Elementen. Der Mensch wurzelt viel tiefer in seinem Vaterland, als er selbst glaubt. Plötzlich in die Fremde geworfen, wird er dort wie ein Wrack von sturmbewegten Wellen hin- und hergeschleudert. Er hat Noth und Drangsale auszustehen, Demüthigungen aller Art zu ertragen, bevor er sich eine geachtete Stellung erringt. Wer nicht mit einem eisernen Willen, mit einem unerschütterlichen sittlichen Charakter ausgerüstet ist, verkommt sehr schnell. Wie viele Deutsche sind seit 1848 im Exil untergegangen! Ein sehr beträchtlicher Theil der polnischen Colonie ist in Paris geboren, aber auch dieser Nachwuchs hegt die Hoffnung, einst für die Wiederherstellung Polens kämpfen zu können.

Die italienische Colonie war vor dem italienischen Befreiungskriege sehr zahlreich und großenteils aus politischen Flüchtlingen zusammensetzt. Unter diesen befanden sich ausgezeichnete Männer, die sich kümmerlich ernährten. Manin, der Präsident der Republik Venedig, z. B. gab Unterricht in der italienischen Sprache. Seit 1860 hat die Zahl der Italiener hier bedeutend abgenommen, doch leben in Paris noch an achttausend Individuen. Der Gesangunterricht ist fast ausschließlich in den Händen der Italiener. Ein Charakterzug derselben ist ihre bis zum Aeußersten getriebene Sparsamkeit. Man sieht eher zwei weiße Raben als einen verschwenderischen Italiener. Die Anekdoten, die man sich von der Knickerigkeit Rossini’s erzählt, sind durchaus nicht übertrieben. Der Italiener hat den Grundsatz: Nehmen ist seliger, denn Geben. Durch Rossini’s Tod haben die höheren Schichten der italienischen Colonie einen unersetzlichen Verlust erlitten. Der Salon Rossini’s bildete einen Vereinigungspunkt für seine Landsleute, welcher politischen Meinung sie auch angehören mochten. Sie sonnten sich im Glanze seines Ruhmes, und der alte Maestro freute sich ihrer Huldigungen. Gegenwärtig haben sie zur Befriedigung ihres Nationalstolzes blos die italienische Oper, in welcher aber vielleicht kaum die Hälfte der Künstler aus Italienern besteht; ein großer Theil des singenden Personals ist aus Deutschen, Franzosen und anderen Ausländern mit italienisch zugespitzten Namen zusammengesetzt. Wenn ich nicht irre, so ist der jetzige Capellmeister der italienischen Oper ein echter Germane.

Eine sehr zahlreiche und nach der deutschen die bedeutendste Colonie ist die belgische. Es leben in Paris fünfunddreißigtausend Belgier, die in allen Zweigen des Handels und der Gewerbe äußerst thätig und rührig sind. Auch in den Künsten sind sie verhältnißmäßig sehr stark vertreten. Die Compositeurs Grisar und Gevaert sind Belgier, und Adolph Sax, der berühmte Fabrikant und Erfinder musikalischer Instrumente, ist ebenfalls ein Belgier. Die im Paris lebenden belgischen Maler bilden eine ansehnliche Gruppe, deren Werke sich besonders durch vortreffliches Colorit auszeichnen. Gustav Wappers, der Schöpfer der belgischen Malerschule und ehemaliger Director der Antwerpener Akademie der Schönen Künste, lebt seit einer Reihe von Jahren in Paris. Neben [281] diesem Altmeister der Kunst wirken die jüngeren Künstler Alfred Steevens, Verlat, Willems und Hamann. Letzterer ist durch die Reproduction mehrerer seiner Werke, deren Sujets Haydn, Mozart und Beethoven bilden, auch in Deutschland sehr bekannt.

Die neue Welt ist in Paris ebenfalls zahlreich vertreten. Es leben hier an fünftausend Nordamerikaner, und sie leben fast alle von ihren Renten. Die Salons des Gesandten der Vereinigten Staaten von Nordamerika sind der Mittelpunkt ihrer Geselligkeit. Sie feiern jedes Jahr den Tag ihrer Unabhängigkeitserklärung durch ein großes Diner und einen sehr glänzenden Ball, auf welchem man die beste Gelegenheit hat, die Schönheit und Anmuth der nordamerikanischen Damen zu bewundern. Die Zahl der in Paris lebenden Südamerikaner ist zwar bei Weitem nicht so groß; sie sind indessen sehr gern gesehen, da sie einen üppigen Luxus treiben. Sie bewohnen die neuen, eleganten Boulevards Haußmann und Malesherbes, und man erkennt sie leicht an ihren scharf ausgeprägten Zügen und an ihrer schwarzen Dienerschaft; die Creolinnen sind sehr graciös, und vor ihren feurigen Augen haben sich leicht entzündbare Herzen stark in Acht zu nehmen.

Die bedeutendste Colonie in Paris ist die deutsche. Man greift freilich viel zu hoch, wenn man dieselbe auf neunzig- oder gar hunderttausend Köpfe zählt; allein die statistische Angabe von fünfunddreißigtausend Köpfen ist viel, viel zu niedrig, und man kann ohne Uebertreibung ungefähr das Doppelte annehmen. Die deutsche Colonie ist nicht gleichmäßig in der Riesenstadt vertheilt. Es giebt Stadttheile, wo unsere Landsleute massenweise anzutreffen, es giebt andere, wo sie sehr vereinzelt leben. Auf dem Boulevard des Italiens hört man fast ebenso viel deutsch wie französisch sprechen und auf der Börse fast weniger französisch als deutsch. In der Pariser deutschen Colonie sind alle Stände, alle Künste, alle Handwerke, alle Gewerbe vertreten; allein nicht alle in Paris wohnende Deutsche leben mit ihren Landsleuten in innigem Zusammenhang. Im Stadtviertel St. Antoine, wo die meisten deutschen Handwerker wohnen, giebt es viele, die ihre Muttersprache so ziemlich vergessen haben. Ich sah dort mehrere, die sich nur mit großer Schwierigkeit in derselben ausdrückten, und als ich meine Verwunderung darüber äußerte, sagten sie, daß sie mit Französinnen verheirathet seien, daß ihre Kinder nur französisch sprechen, daß sie blos mit Franzosen in Geschäftsverbindung stehen und ihnen daher die Gelegenheit fehle, sich im Deutschen zu üben. Andere sagten mir, daß sie als Handwerksburschen von der Polizei in Deutschland arg drangsalirt worden und, einmal in Frankreich angekommen, wo sie die freundlichste Aufnahme gefunden, dasselbe als zweites Vaterland betrachten. Doch gehören diese Leute einer früheren Generation an. Jetzt ist es anders; und wenn unsere Landsleute französisches Wesen auf sich einwirken lassen, so bleiben sie doch ihrerseits nicht ohne Einfluß auf das materielle und geistige Leben der Hauptstadt. So sind hier in jüngster Zeit sehr viele deutsche Bierbrauereien entstanden, die auch von Franzosen stark besucht werden. Diese Etablissements, die vortrefflich gedeihen, wirken freilich nicht wohlthätig. Es ist viel wünschenswerther, daß die Deutschen mit Franzosen Wein trinken, als daß diese mit jenen beim Bierglase sitzen. Bacchus ist ein begeisternder Gott, Gambrinus blos ein verdummender König.

Auch die Gewohnheit des Tabakrauchens ist in Paris durch die Deutschen sehr befördert worden, und das ist jedenfalls kein großes Verdienst. Hingegen haben unsere Landsleute sehr viel zur Verbreitung der deutschen Musik in der Hauptstadt Frankreichs beigetragen. In den weltberühmten Pariser Conservatoriumconcerten hört man fast ausschließlich die Meisterwerke deutscher Tonkunst, die Werke Haydn’s, Händel’s, Gluck’s, Mozart’s und ganz besonders des gewaltigen Beethoven, dessen Name selten auf einem Programm dieser Concerte fehlt. Der Gründer der Conservatoriumconcerte war Habeneck, zwar kein geborener Deutscher, aber, wie schon sein Name verräth, von deutscher Abkunft. Sein Vater war ein Mannheimer.

Die seit mehreren Jahren bestehenden, von Pasdeloup geleiteten populären Concerte bieten dem Publicum dasselbe Programm und erfreuen sich seit ihrem Bestehen eines außerordentlichen Zudrangs. Ein deutsches Nationalfest hat dieselben in’s Leben gerufen. Meyerbeer hatte nämlich zu dem in Paris mit großem Glanz im Cirque de l’Imperatrice gefeierten Schillertage eigens eine Schillerhymne und den seither so beliebt gewordenen Schillermarsch componirt. Auch ein Theil der neunten Symphonie von Beethoven und Mendelssohn’s Hymne an die Künstler wurden bei dieser Gelegenheit von einem vortrefflichen Orchester aufgeführt, mit dessen Leitung Pasdeloup von Meyerbeer betraut worden. Der Erfolg war ein so außerordentlich günstiger, daß Pasdeloup, ein feuriger Bewunderer deutscher Tonkunst, auf den Gedanken kam, für die gewerbtreibenden Classen, denen die Conservatoriumconcerte sowohl wegen des beschränkten Raumes als auch wegen der hohen Eintrittspreise unzugänglich sind, ein ähnliches Institut zu gründen. Sein Unternehmen wurde, wie gesagt, vom schönsten Erfolg gekrönt.

Die lyrischen Scenen in Paris führen dem Publicum ebenfalls deutsche Tonwerke vor. So hat das Théâtre lyrique im jüngsten Jahrzehent sämmtliche Opern Mozart’s und Weber’s zur Aufführung gebracht, und zwar immer bei überfülltem Hause, ein Beweis, wie empfänglich die Franzosen für unsere Musik sind. Im Reiche der Töne herrscht der Deutsche, und je mehr er diese Herrschaft über fremde Länder ausdehnt, desto besser; denn ebenso viel als Deutschland dadurch an Ruhm gewinnt, ebenso viel gewinnt das Ausland an reinem, edlem Kunstgenuß.

Wenn nun die Muse der Tonkunst das Band der Eintracht zwischen Deutschen und Franzosen knüpft, so hält sie auch einen Theil wenigstens der Deutschen in der Weltstadt zusammen. Es bestehen hier mehrere Gesangvereine, welche die Geselligkeit unter unseren Landsleuten erhält. Die Liedertafel, die Teutonia, die Germania und der Deutsche Schweizergesangverein haben ihre regelmäßigen Zusammenkünfte und begehen ihre Feste, an denen auch die Franzosen lebhaften Antheil nehmen. Die genannten Gesellschaften, sowie der Turnverein, der auch musicirt, bilden zugleich Mittelpunkte, wo deutsche Künstler, die zum ersten Mal die Hauptstadt besuchen, freundliche Aufnahme finden und wo ihnen Gelegenheit geboten wird, ihr Talent zu zeigen und sich dann in weiteren Kreisen geltend zu machen.

Die deutsche Musik wird auch in der Seinestadt durch eine Menge ausübender Künstler verbreitet. Die Zahl deutscher Musiker in Paris ist sehr groß; indessen gelingt es nicht allen, sich eine glänzende Stellung zu erringen. Gar manche, die mit den heitersten Aussichten herkommen, gehen langsam unter. Das Talent allein genügt hier nicht, man muß auch demselben Geltung zu verschaffen wissen. Mit veilchenhafter Bescheidenheit kommt man trotz aller Begabung nirgends fort, am wenigsten in Weltstädten; damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß die unbescheidene Talentlosigkeit zu Reichthum und Ehren gelangt.

Giebt es nun in Paris sehr viele deutsche Musiker, so fehlt es auch nicht an deutschen Malern, die in den jährlichen Gemälde-Ausstellungen sich durch eigenthümliche, treffliche Werke auszeichnen und deren Namen in der Pariser Kunstwelt mit Achtung genannt werden. Ich führe hier nur Adolph Schreyer, Georg Saal, Carl Schloeffer, Otto von Thoren, Otto Weber an und behalte mir vor, denselben, sowie manchen Anderen, eine besondere Besprechung in diesen Blättern zu widmen. In der Kunstindustrie sind die Deutschen in Paris nicht minder thätig. Ich habe eben von den Malern gesprochen und will bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß mehrere unserer Landsleute an der Spitze vortrefflicher photographischer Anstalten stehen. Ch. Reutlinger, ein geborener Baier, hat sogar das Verdienst, in Paris die erste photographische Anstalt gegründet zu haben. Sein Atelier ist jetzt das besuchteste in Paris, und es giebt kaum eine Berühmtheit in der Diplomatie, in der Wissenschaft, in der Kunst- und Literaturwelt, die sich nicht schon vor seiner Camera obscura befunden hätte.

Die deutsche Gelehrsamkeit findet in der deutschen Pariser Colonie eine nicht minder glänzende Vertretung. Mohl, Mitglied des Instituts, ist ein Deutscher, und hier sei noch des berühmten Orientalisten S. Munk gedacht, den der Tod allzu früh der Wissenschaft entrissen, deren Zierde er war und in deren Dienst er erblindete. Munk war Mitglied des Instituts und Professor am Collège de France und hat durch sein reiches Wissen, durch seinen edlen Charakter und sein unbegrenztes Wohlwollen dem deutschen Namen viel Ehre gebracht.

An Millionären fehlt es unter den Deutschen in Paris auch nicht. Ein beträchtlicher Theil des Pariser Bankgeschäfts befindet sich in deutschen Händen. Leider giebt es aber unter unseren in Paris lebenden Landsleuten gar viele, denen zu der ersten Million [282] noch mehr als eine Million fehlt. Es giebt in der Pariser deutschen Colonie sehr viel Nothdürftige, deren Zahl durch ununterbrochene Einwanderungen sich vermehrt. Die Mittel, über welche der Pariser deutsche Hülfsverein gebietet, sind verhältnißmäßig gering und kaum zulänglich, der allerdringendsten Noth abzuhelfen, so daß die individuelle Mildtätigkeit nur allzu oft Gelegenheit hat, die Hand zu öffnen.

Merkwürdig ist es, daß die so zahlreiche deutsche Colonie in Paris, in der, wie wir gesehen, alle Elemente menschlicher Thätigkeit vertreten sind, bisher noch kein deutschs Organ in der Presse besitzt. Alle Versuche, die in den letzten drei Decennien gemacht worden, eine deutsche Zeitung in Paris zu gründen, sind an der kalten Gleichgültigkeit unserer Landsleute gescheitert.

Vor einigen Jahren taten sich mehrere Männer zur Gründung eines großen geselligen Vereins zusammen. Derselbe sollte ein Mittelpunkt für die in Paris lebenden und zugleich für die zum Besuch nach Frankreich kommenden Deutschen bilden. Deutsche Gelehrte, Künstler, Kaufleute und Gewerbtreibende aller Art würden hier beim Besuche der Weltstadt jede mögliche Anleitung und Förderung gefunden haben, und ihr Aufenthalt wäre ihnen in jeder Beziehung angenehm und ersprießlich geworden. Eine bedeutende Summe war bereits unterzeichnet und ein Local für Restauration, Lese- und Concertsaal gefunden. Plötzlich zerfiel das Unternehmen, dem man aus Zersplitterungssucht allerlei Parteizwecke unterschob.

Freilich wird in keiner andern Stadt des Auslandes die Zersplitterungssucht des Deutschen so sehr befördert wie in Paris. Der Franzose mit seinem lebhaften Geselligkeitstrieb schließt sich vor dem Fremden nicht ab, sondern öffnet ihm gern sein Haus. Er hat eine nicht genug zu lobende Nachsicht gegen fremde Sitte und läßt jedem Ausländer seine Eigenart. Nirgendwo fühlt sich dieser leichter heimisch als in Paris. Er wird Pariser, ohne es zu merken. Keine Stadt der Welt hat eine solche Assimilationskraft wie die Hauptstadt Frankreichs. Was nun die Deutschen im Besondern anlangt, so werden sie in allen Kreisen gern gesehen. Tausende unserer Landsleute haben in Paris einen Hausstand gegründet und sind mit Französinnen verheirathet, und wenn sie nun auch ihr deutsches Wesen nicht aufgeben, so erwidern sie doch die Sympathieen, die sie in Frankreich gefunden und hegen keinen heißern Wunsch, als Deutschland und Frankreich, diese zwei großen Culturstaaten des Continents, in Frieden und Eintracht zu sehen. Diesen Wunsch theilt auch mit ihnen das französische Volk. Ein blutiger Conflict zwischen den zwei Nationen wäre der Ruin Europa's. Niemand fühlt dies lebhafter, als der in Frankreich lebende Deutsche. Wenn je eine Allianz vernünftig und naturgemäß war, so ist es die Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. Beide Länder sind wie geschaffen, sich gegenseitig zu ergänzen, durch ein inniges Bündniß zu erstarken und die Freiheit und den Fortschritt in unserm Welttheil zu verbreiten und zu sichern. Der gesunde Menschenverstand sieht dies leicht ein und möchte lieber die Spinngewebe in den Arsenalen als in den Werkstätten sehen. Leider werden aber die Lenker der Nationen nicht immer von diesen Anschauungen geleitet. Daher die beständige Furcht, es könnten die Hinterlader und die gezogenen Kanonen am Ende doch die Stimme der Vernunft übertäuben. In welche Lage würden die in Frankreich lebenden Deutschen durch den Ausbruch eines deutsch-französischen Krieges gerathen! Nur wenige unserer Landsleute würden Frankreich verlassen können, und die Zurückbleibenden würden sich, wie auch die Kriegswürfel fallen mögen, in einem beklagenswerthen Zustande befinden. Die Siege Frankreichs würden ihren Patriotismus verwunden, die Siege Deutschlands ihren Aufenthalt in Frankreich verbittern. Wer eine unabhängige Feder führt, sollte daher Alles aufbieten, was zur Versöhnung, zur Verständigung der zwei großen Nationen beizutragen vermag.