Papst Leo XIII.
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Das höchst wichtige Ereigniß einer Papstwahl war in der Christenheit seit dem Jahre 1846, in welchem Pius IX. den Thron bestieg, nicht vorgekommen. Wie Vieles hat sich seit damals bis zu dem Zeitpunkt, an dem Pius seine Augen schloß, auch für das Papstthum geändert! Nicht mehr wurde der Nachfolger Pius IX. wie früher ein Herr über Land und Leute; dagegen durfte er, wer er auch sein mochte, überzeugt sein, daß viele Millionen gläubiger Katholiken ihm als ihrem „unfehlbaren“ Oberhaupte huldigen würden.
Durch die großen Fortschritte, welche das Verkehrswesen gemacht hat, war es möglich, daß auch fern von Rom wohnende Kardinäle rasch dahin eilen konnten, um gemeinsam mit ihren Amtsgenossen das ihnen allein zustehende Recht der Papstwahl auszuüben. Sie fanden sich denn auch fast ganz vollzählig ein.
Zehn Tage nach dem Tode des Papstes hatten sie sich in Zellen zu begeben, welche im Vatikan eigens für sie hergerichtet worden waren; dieselben besaßen eine ganz einfache Ausstattung; jeder Kardinal hatte seine eigene. Am Abend des 18. Februar verfügten sie sich dahin. Der Kardinal-Kämmerer hielt nun genaue Haussuchung, ob sich kein Unberufener eingeschlichen habe, dann wurden die zum „Conclave“[1] führenden Thore geschlossen, und zwar von außen durch den päpstlichen Marschall, von innen durch den Kardinal-Kämmerer. Diese Maßregel bezweckte, von den Kardinälen jeden äußeren Einfluß abzuhalten und ihnen die Freiheit ihrer Entschließung zu wahren.
Viele meinten, die Wahl würde lange währen; wußte man doch, daß die Kardinäle früher bisweilen lange versammelt waren, ehe sie sich auf einen neuen Papst hatten einigen können, es ist z. B. ein Conclave bekannt, das 131 Tage dauerte; auch war die Rede davon, daß es verschiedene Richtungen unter den Kardinälen gebe, deren jede einen Papst nach ihrem Sinne wählen wolle; die Einen, so hieß es, wollen nichts von einer Versöhnung mit den Regierungen wissen, mit denen Pius IX. in Zwiespalt kam, andere dagegen streben eine solche an, während noch andere zwischen beiden Parteien zu vermitteln suchen. Ehe jedoch zwei Tage verflossen waren, schon im dritten Wahlgange, fielen mehr als die zur Gültigkeit der Wahl erforderlichen zwei Drittel der Stimmen auf den Kardinal-Kämmerer Pecci, welcher sich auch zur Annahme der Papstwürde bereit erklärte und den Namen Leo XIII. annahm.
Die Kardinäle huldigten ihm nunmehr sofort. Noch an demselben Tage ertheilte er der nach vielen Tausenden zählenden Menge des herbeigeeilten Volkes den Segen.
Auch bei dieser Wahl war die Regel beobachtet worden, daß nur ein Kardinal zum Papst gewählt werden soll (Fälle, in denen dies anders gehalten wurde, gehören zu den Ausnahmen). Auch war der Papst wieder, wie gewöhnlich, ein Italiener. (Ueber die Hälfte der Kardinäle, deren Zahl auf höchstens 70 festgesetzt ist, bestand aus Italienern; die 14 Millionen Seelen zählenden Katholiken des Deutschen Reichs waren nur durch zwei Kardinäle – Hohenlohe und Ledochowsky – vertreten.) Dagegen war es nicht üblich, daß der Kardinal-Kämmerer dieser höchsten Würde theilhaftig wurde. Der Kardinal-Kämmerer ist mit der Verwaltung der Geldangelegenheiten des päpstlichen Stuhls betraut und hat die wichtige Aufgabe, nach dem Tode eines Papstes die Anordnungen zum Conclave zu treffen; bis zur Wiederwahl eines Kirchenoberhauptes ist er päpstlicher Verweser. Da die Gefahr nahe liegt, daß er in dieser einflußreichen Stellung für seine eigene Wahl werben könnte, herrschte früher die Gepflogenheit, ihn nicht zu wählen. Dieses Mal beachteten die Kardinäle dieses Herkommen jedoch nicht, was allerdings mit der kurzen Zeit, seit welcher Pecci dieses Amt bekleidete (seit dem September 1877), erklärt werden kann.
Seine Papstkrönung erfolgte am 3. März. Besonderer Erwähnung bei dieser Feier, bei welcher der [98] päpstliche Stuhl großen Glanz entfaltete, verdient die Sitte, daß während man den Papst in der Kirche umherträgt, vor seinen Augen Werg verbrannt und dazu gesagt wird: Sic transit gloria mundi (So vergeht die Herrlichkeit der Welt).
Joachim Pecci, am 2. März 1810 zu Carpineto, im ehemaligen Kirchenstaat, geboren, stammt aus einem altadeligen Geschlechte. Seinen Unterricht genoß er in Rom. Schon frühe zeichnete er sich aus und lenkte die Aufmerksamkeit des Papstes Gregor XVI. auf sich. Derselbe ernannte ihn 1837 zu seinem Hausprälaten. Bald darauf wurde er päpstlicher Unterstatthalter in Benevent, dann in Spoleto und in Perugia. In Benevent hatte er die Ordnung gegen Räuber aufrecht zu halten; er entledigte sich dieser Aufgabe mit vielem Geschick und brachte es sogar dahin, daß sich die Gefängnisse unter seiner Regierung leerten. Schon 1843 wurde er Erzbischof. Der Papst sandte ihn nun nach Brüssel, damit er die Interessen des päpstlichen Stuhles in Belgien vertrete. Es gelang ihm dies zur Zufriedenheit nicht nur des Papstes sondern auch des Königs Leopold von Belgien. Sein Gesundheitszustand machte es jedoch räthlich, daß er diese Stelle wieder aufgab. Darauf wurde er (im Januar 1846) Erzbischof von Perugia. Die Kardinalswürde stellte ihm der Papst bereits damals in Aussicht, thatsächlich erhielt er sie jedoch erst am 19. Dezember 1853. Im September 1877 wurde er Kardinalkämmerer und mußte seinen Wohnsitz nach Rom verlegen.
Seinem Aeußeren nach besitzt er eine hohe, magere Gestalt und feingeschnittene Züge; im Benehmen zeigt er große Gewandtheit. Die päpstliche Würde weiß er auch in seinem Auftreten gut zur Geltung zu bringen. Die päpstliche Hof- und Haushaltung hat er sofort bedeutend vereinfacht und dadurch beträchtliche Ersparungen erzielt.
Von den Entscheidungen, welche er treffen wird, hängt sehr Vieles ab; aufmerksam achtet man daher auf jedes Wort und sieht auf jede That, aus der man einen Schluß auf seine Stellung zu den weltlichen Regierungen und zu den wichtigen Fragen der Gegenwart ziehen kann. Wenn ihm auch seine Handlungen durch die Lehre und die Einrichtungen der katholischen Kirche vielfach genau vorgezeichnet sind, so bietet sich ihm doch noch gar manches Mal die Gelegenheit, den Umständen Rechnung zu tragen und ein friedliches Verhältniß zu den weltlichen Regierungen anzubahnen. Im Deutschen Reiche gibts schon seit mehreren Jahren heftigen Streit in den Fragen, welche die Stellung der Kirche zum Staate betreffen. Jeder, der sein Vaterland liebt, muß wünschen, daß es dem neuen Papste gelinge, einen Weg zu finden, der zu einem guten Einvernehmen zwischen diesen beiden großen Mächten führt. Es wäre ein herrliches Ding, wenn es von den Glocken, welche der Welt das Ereigniß verkündigten: „Die katholische Kirche hat einen Papst“, heißen dürfte: Friede war ihr erst Geläute!
Anmerkungen der Vorlage
- ↑ Conclave, ein lateinisches Wort, heißt: Gemach; dann nennt man auch die Versammlung der Kardinäle, welche in dem „Gemach“ die Papstwahl vornehmen.