Pallas Athene
[772] Pallas Athene. (Zu unsrer Kunstbeilage.) Die Lieblingstochter des Zeus, die nach der Sage aus dessen Haupte gewappnet und mit hochgeschwungenem Speere entsprang, hat von allen Göttinnen Griechenlands die höchste Verehrung genossen. Sie galt den Hellenen als Lenkerin der Schlachten, die denen Sieg verleiht, welche nicht bloß mit Tapferkeit, sondern auch mit Klugheit und Besonnenheit die Waffen führen. In ihr verkörperte sich die geistige Kraft, welche die Griechen befähigte, sich sowohl in den Künsten des Kriegs wie in denen des Friedens den Barbaren überlegen zu zeigen. Die Athener verehrten in ihr in jeder Beziehung die Schutzgöttin ihrer Stadt, die nach ihr den Namen trug: die Weisheit ihrer Staatsmänner und Kriegshelden stand unter dem Einfluß der Göttin, auch Handel und Gewerbe, auf denen Athens Wohlstand beruhte, erfreuten sich ihres Schutzes. Sie persönlich sollte den ersten Oelbaum auf Attikas Boden gepflanzt haben. Kein Wunder, daß die griechische Kunst, deren Pflege in Athen zur höchsten Blüte gelangte, unerschöpflich war in Gestalten der Pallas Athene. Für den auf der Akropolis Athens ihr geweihten Tempel, das Parthenon, schuf Phidias das berühmte Standbild aus Gold und Elfenbein, das sie als „Verleiherin des Sieges“ (Athene Nikephoros) darstellte. Sie trug in der vorgestreckten Rechten eine Figur der Göttin des Siegs, der Nike, in der Linken den gesenkten Schild. Andere große Bildhauer haben sie mit geschwungenem Speer, andere wieder ganz ohne Waffen gestaltet. Immer aber hatte ihr Antlitz den Charakter ernster Nachdenklichkeit, und ihre feingeschnittenen Züge zeigten mehr Würde als Anmut. Die „Verleiherin des Siegs“ stellt auch der Münchner Maler Franz Stuck in dem Bilde der Göttin dar, das unsre Kunstbeilage wiedergiebt. Als Brustharnisch trägt die Gewaltige das schlangenumsäumte Fell der Aegis mit dem Haupte der Gorgo; beide Ungetüme hatte sie selbst erlegt.