P. Florian Baucke, ein deutscher Missionär in Paraguay (1749 - 1768)/Erstes Kapitel

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Erstes Kapitel.
Die Reise P. Bauckes nach Paraguay.

Von Olmütz nach Malaga.

Nach elfjährigem Ansuchen kam vom Ordensgenerale zu Rom endlich 1748 die Erlaubnis, daß ich als Missionar in fremde Länder ziehen dürfe. Vorerst wurde mir Paraguay zum Wirkungskreise angewiesen. Mein Herz war voll Freude, süße Tränen entperlten meinem Auge; kein Gedanke an die Beschwerden der Reise, an das Ungewohnte der Meeresfahrt, an die Gefahren des Todes oder an schmachvolle Marter vermochten meine frohe Stimmung zu trüben. Ich hegte nur das eine Verlangen, baldigst abreisen zu können. Mein Wunsch wurde erfüllt. Obwohl ich erst im dritten Jahre Theologie hörte, wurde ich den 8. Jänner von Olmütz abgesandt, um den 16. zu Brünn vom Kardinal v. Troyern zum Priester geweiht zu werden. Noch am Tage meiner ersten heiligen Messe reiste ich um 4 Uhr nachmittag ab und kam den 11. Hornung[WS 1] in Begleitung eines andern Jesuiten zu Livorno an.

Das für uns bestimmte Schiff war bereits abgefahren. Doch fanden wir bald ein Handelsschiff, das Getreide nach Lissabon führte. Dieses nahm uns auf. Der Kapitän mit dreizehn Matrosen machte die Bemannung aus. Wir waren sieben Jesuiten und hatten noch vier Franziskaner und fünf weltliche Herren zu Reisegefährten.

Den 15. Hornung, um 3 Uhr morgens, hoben wir die Anker und gaben uns den Wellen hin. Am 17. sahen wir Sardinien und Korsika; den folgenden Tag ein englisches Schiff, das Jagd auf uns machte, dann aber, als es die schwedische Flagge bemerkt hatte, seine Richtung änderte.

Nun trat ungünstige Witterung ein. Der Regen nötigte uns, das Verdeck zu verlassen, widrige Winde hemmten unsere Fahrt, bewegten stürmisch die See und erzeugten bei den meisten meiner Gefährten Übelbefinden. Unsere Lage verschlimmerte sich, ein Ungewitter erhöhte die Angst. Ich und ein anderer Ordensgenosse wollten die Herzhaften spielen, ergriffen unsere Violinen, legten sie aber bald wieder weg, als Sturmgeheul und Donnerschläge den erzwungenen Scheinmut vertrieben. Das Eindringen der empörten Wellen, das Krachen beschädigter Balken, die kummervolle Miene des Kapitäns, der bekannte, in seinem ganzen Leben noch kein so ungestümes Gewitter erfahren zu haben, waren ebensoviele Szenen des Schreckens. So ging es die ganze Nacht hindurch. Der kommende Morgen beruhigte uns nur insofern, als wir nun sahen, daß kein festes Land in der Nähe sei, an das uns der noch immer ungebändigte Wind hätte werfen können; sonst waren wir noch immer in der kläglichsten Lage und verharrten mehrere Tage in banger Sorge. Endlich kehrte der glatte Meeresspiegel wieder, die Winde legten sich. Aber schon drohte neues Ungemach. Ein holländischer Kaper tauchte in der Nähe auf, entfernte sich jedoch eiligst, als er bemerkte, wir wären ihm überlegen.

Den 5. März wollten wir, Ruhe suchend, in den Hafen von Malaga einlaufen; widriger Wind zerstörte unsere Hoffnung; er warf unser Schiff in die hohe See zurück und trieb sein tückisches Spiel mit uns bis zum 14. dieses Monats, an dem wir, um 5 Uhr abends, im Hafen die Anker in einer Tiefe von sechzehn Klaftern warfen.

Alsogleich nahte sich eine Barke mit sechs Personen, welche im Namen des Statthalters den Grund unserer Ankunft erforschten. Mit Freude vernahmen wir, daß hier ein Kollegium der Jesuiten sei, und baten, unsere Gegenwart dem Vorsteher des Hauses vorläufig zu melden. Es war nämlich keinem Reisenden gestattet, ohne vorhergegangene Untersuchung des Gesundheitszustandes das Schiff zu verlassen. Fünf Ärzte betraten unser Fahrzeug, wir alle mußten einzeln an ihnen vorbeigehen; sie prüften unser Aussehen und erklärten, daß wir gesund seien und die Stadt besuchen dürften. Während sie sich mit Artigkeit entfernten, ruderte eine von den Jesuiten abgeschickte Barke heran, um uns in die Mitte unserer Ordensbrüder zu bringen. Der Kapitän mahnte uns, nicht lange fortzubleiben, weil er, sobald der Wind günstig sei, die Anker lichten wolle.

Mit einem Gefühle, das ich zu beschreiben nicht imstande bin, betraten wir die Stadt. Die Leute versammelten sich um uns, küßten das Kreuz, das jeder von uns an der Seite hängen hatte, und begleiteten uns ins Kolleg, in dem uns die Jesuiten liebevoll aufnahmen. Es war schon 12 Uhr vorbei; weil wir aber so lange keine heilige Messe gelesen hatten, traten wir noch zum Altare und brachten Gott unser Dankopfer für die glückliche Landung dar. Dann gingen wir zu Tische und kehrten erst am Abend aufs Schiff zurück, begleitet von einer Barke, welche die Freigebigkeit unserer Brüder mit Lebensmitteln gefüllt hatte. Wir verehrten einiges davon unserem wackern Kapitän und fuhren täglich des Morgens in die Stadt, bis zum 22. März.

Der Hafen, ein Werk der Kunst, ist klein, nur für zwanzig Handelsschiffe hinreichend; größere, wie das unsere, müssen drei- oder vierhundert Schritte vor dem Hafen ankern. Derselbe wird fleissig vom Schlamme gereinigt und ist von einer Mauer umschlossen, die auf Steinklippen ruht und einen Leuchtturm hat. Gleich am Hafen schaut ein altes maurisches Kastell von einem Felsblock herab ins Meer. Die kleine Stadt zeigt keine hohen Gebäude; ihre Bewohner erscheinen sonnenverbrannt. Der hiesige Bischof waltet als edler Hirte seines Amtes; täglich konnten wir beim Vorübergehen an seiner Wohnung über hundert Arme sehen, denen er Almosen reichen ließ. An der Außenseite der großen und prächtigen Kathedrale wurde noch gearbeitet. Die Kirche der Jesuiten ist rund, ringsum mit Chören versehen.

Es war eben die Fastenzeit. Während dieser Zeit wird in ganz Spanien am Mittwoch und Freitag eine halbstündige Predigt gehalten, die sie exemplo nennen. Am Sonntag wird nachmittags eine Stunde lang gepredigt, und zwar über einen Zug aus der biblischen Geschichte. So hörte ich einen Priester, der die Geschichte des Moses auf die verschiedenen Sonntage verteilte. Am Mittwoch und Freitag verlassen die Frauen nach der Predigt die Kirche; diese wird geschlossen, die Vorhänge vor die Fenster gezogen; der Psalm Miserere wird unter musikalischer Begleitung abgesungen und fordert die Männer auf, sich zu geißeln.

Am 21. März störte uns ein Kanonenschuß beim Mittagsmahle. Unser Schiffsbefehlshaber meldete uns durch dieses verabredete Zeichen, es sei nun Zeit und günstiger Wind, um das Land zu verlassen und den Weg der Fluten nach Lissabon einzuschlagen. Bald spornte uns ein zweiter Schuß zur Eile an. Wir fuhren in einer Barke zum Schiff, und gleich darauf sagte ein dritter Schuß dem gastlichen Malaga Lebewohl. Den folgenden Morgen befanden wir uns bei der Meerenge von Gibraltar. Zwei Weltteile nähern sich hier und werden nur durch eine zwischen Felsenmauern eingezwängte, zwei spanische Meilen breite Wasserfläche geschieden. Rechts gähnten uns die Kanonenschlünde Gibraltars entgegen, links zog Ceuta mit seiner orientalischen Bauart unser Auge ans sich. Jedoch unsere Hoffnung, durch die Meerenge zu gelangen, wurde vereitelt; widriger Wind trieb uns den 28. März nach Malaga zurück.


Von Malaga nach Lissabon.

Zu Livorno hatten wir die Weisung erhalten, dem Pater Prokurator sobald wie möglich nach Lissabon zu folgen. Dieser war nur kurze Zeit vor uns dahin abgefahren. Aber durch die Ungunst des Meeres verloren wir viele Tage. Statt uns aufs neue einer unsichern Meerfahrt anzuvertrauen, entschlossen wir uns, den Landweg einzuschlagen. Schweren Herzens trennte sich der Kapitän von uns; wiewohl nicht Katholik, hatte er uns dennoch große Zuneigung erwiesen.

Den 31. März stiegen wir, ich und vier meiner Mitbrüder, zu Pferde. Zwei fuhren, des Reitens unkundig, in einem Wagen über das flache Land. So eilten wir fünf über die schneebedeckten Gebirge Andalusiens unserer Bestimmung zu, von einem Weltgeistlichen geführt, der uns zugleich als Dolmetsch diente. Zu Malaga hatten wir ihn im geistlichen Kleide gesehen; jetzt zeigte er sich uns in einem kurzen Rock, braunen Mantel und mit einem Degen an der Seite; vermutlich hatte er nur die kleineren Weihen. Er brachte uns nachts in ein Städtchen. Kaum wurde bekannt, daß fremde Geistliche angekommen, als auch die Vornehmeren und die Ordensmänner uns durch freundlichen Besuch ihre Teilnahme zeigten. Hätten wir uns einen Tag hier aufgehalten, so würden wir durch die höfliche Gewohnheit dieses Landes genötigt worden sein, einen Gegenbesuch zu machen. Ihre Aufmerksamkeit hinderte uns am Genusse des frugalen Abendmahles und der Ruhe. Man pflegt sich hier in der Fastenzeit abends nichts anderes zu gestatten als einige gekochte Kräuter oder Bohnen, die mit warmem Essig und Öl begossen werden; am Wein fehlt es aber nicht.

Unsere weitere Reise brachte uns auf hohe Berge, die eine köstliche Aussicht auf das Meer gewährten oder durch den Anblick herrlicher Olivenpflanzungen unser Auge erquickten. Sehr bald kamen wir in die schöne Ebene, in der uns Lavendel und andere Kräuter entgegendufteten und der als hohe Staude prangende Rosmarin Gerten zur Aufmunterung unserer Pferde lieferte. Manchmal mußten wir am Gestade des Meeres über Muscheln reiten, die durch die Pracht ihrer Formen und Farben meine Bewunderung erregten.

In dem ganz einsam gelegenen Landhause eines abwesenden Edelmannes nahmen wir das Mittagsmahl. Die Nähe der See ließ uns Fische hoffen, doch vergebens; wir erhielten um vieles Geld nur eine kärgliche Erfrischung. Gegen Abend erreichten wir die Stadt Bornos. Eine Bußprozession begegnete uns. Einige der Büßer hatten eine Dornenkrone auf dem Haupte, andere einen Strick um den Hals, andern waren die Füße gefesselt, andere ließen sich von ihren Bedienten führen und trugen einen Pferdezaum im Munde. Wir suchten eine Herberge, fanden aber nur eine schlechte und mußten mit ähnlicher Kost wie am Mittag uns begnügen. Nach der heiligen Messe bediente uns ein adeliger Spanier mit einem Frühstück, dann ritten wir in eine kleine Stadt, in der uns ein Wirt gegen hohe Bezahlung einen Fisch gab, dessen Zubereitung mit Wasser, Salz, Zwiebeln, Öl und Pfeffer uns wenig behagte. Noch trauriger fiel die Bewirtung des Nachts aus: der Richter eines Dorfes brachte uns Salat in seine Scheune, in der wir auch schlafen mußten. Frühe lasen wir in der kleinen Kirche, die, wie alle in den Dörfern, sehr finster war, die heilige Messe. Ich bemerkte, daß sich die Spanier in ihren Gotteshäusern sehr ungleich betragen. Einige stehen nur immer mit gekreuzten Händen in stiller Betrachtung, andere nehmen den Rosenkranz, den sie sonst um den Hals tragen, in die Hand. Einige behalten auch hier die mit Spitzen umnähte linnene Haube, die sie unter dem Hute tragen, selbst bei der heiligen Messe auf, indes andere ihr sonst geflochtenes Haar auflösen und fliegen lassen, besonders wenn sie beichten wollen. Solche, die ihr Haar in seidene Netze schlagen, nehmen diese selbst bei der Wandlung nicht ab.

Die folgende Nacht traf uns in der hübsch gebauten Stadt St Lukas (Sanlúcar) am Ufer des Meeres. Diese Stadt besitzt einen Hafen, mehrere Klöster und ein Kolleg der Jesuiten, wie wir leider zu spät erfuhren. Hier fließt der Guadalquivir dem Meere zu. Wir blieben, weil wir den folgenden Tag über ihn setzen mußten, an seinem Ufer, bestiegen morgens mit unsern Pferden ein breites niederes Schiff und ruderten ganz sanft an das jenseitige Ufer. Zu Xeres de la Frontera, einer hübschen Stadt, die von vielen Adeligen bewohnt wird, hielten wir auf einer steinernen Brücke unser Mittagsmahl, genossen Käse, weißes Brot und trefflichen Wein. Sodann eilten wir durch viele Olivengärten nach Puerto de Santa Maria. Ein großes Gebäude, die Herberge der Missionäre[1], nahm uns freundlich auf. Vier Jesuiten unter einem Vorsteher lebten hier. Er war ein alter Mann von spanischer Abkunft, aber zu Quito in Amerika geboren. Noch immer hing er mit Liebe an seinem Vaterlande und freute sich, als Leiter eines Hauses leben zu können, das Männer aufzunehmen hatte, die in seine unvergeßliche Heimat pilgerten. Vier Tage weilten wir hier, Zeit genug, um einige Bemerkungen zu machen.

Puerto de Santa Maria ist eine von den größeren und schöneren Städten Andalusiens; sie liegt dem berühmten Cádiz gegenüber und wird durch den Hafen von diesem Sitze des Handels getrennt. Mitten zwischen diesen beiden Städten werfen oft mehr als dreihundert Schiffe Anker. Von den Fenstern unserer Herberge genoß ich den Ausblick auf das Treiben am Hafen. Täglich sah ich Schiffe aus- und einlaufen. Jedes Schiff, besonders jedes spanische, muß durch einen Kanonenschuß einen Wegweiser oder Lotsen begehren, den man „Praktikus“ heißt. Dieser begibt sich alsogleich zu dem Ankömmling, besteigt das Verdeck, stellt sich an die Magnetnadel, befiehlt den Matrosen, als wäre er Kapitän und steuert das Schiff in den Hafen. Hat er Unglück, so haftet er für den Schaden; ist das Glück ihm günstig, so erwartet ihn guter Lohn. Dies geschieht wegen des unter der Oberfläche des Wassers befindlichen Felsens, Punta de Diamante, der für Unkundige die Einfahrt sehr gefährlich macht. Auch auf der Seite der Stadt Puerto de Santa Maria ist dieser Hafen nicht ohne Vorsicht zu befahren wegen des Sandes, auf dem Schiffe leicht stranden, wie ich selbst gesehen. Auf der Spitze einer Felsenreihe steht bei Cádiz ein hoher Leuchtturm, der durch sein Licht die Segler mahnt, sich des Nachts der Küste nicht zu nahen. Auch außerhalb des Hafens sind Ankerstellen, wie die Arenas gordas und A las puercas. Dort hielten eben einige französische Kriegsschiffe und lauerten, ob kein Engländer oder Holländer aus dem Hafen auslaufe, um ihn dann auf hohem Meere zu verfolgen; diese Seemächte bekämpften sich damals. Nach einigem Warten liefen sie in den Hafen ein und durchschnitten majestätisch mit gespannten Segeln und weißer fliegender Flagge die Wogen; ihre Kanonen donnerten der Stadt ihren Gruß zu, der mit gleicher Sprache der Feuerschlünde erwidert wurde.

Doch es drängte uns, unsere Weiterreise anzutreten; galt es doch, steile Höhen zu übersteigen. Je näher wir Portugal kamen, desto schlechter wurde die Bewirtung. Als wir die Grenze überschritten hatten, zeigten sich die Leute weniger freundlich als die Spanier. Man sah uns Missionäre schon deshalb mit ungünstigem Auge an, weil wir von Spaniern begleitet wurden und für spanische Missionen bestimmt waren. Denn die Portugiesen lieben ihre Nachbarn wie der Habicht die Lerche; treffen sie einen einzelnen Spanier, so muß dieser auf Spott und Mißhandlung gefaßt sein. Nach manchen Beschwerden kamen wir in die Stadt Miranda. Dort suchten wir das Gasthaus, konnten es aber nicht finden, weil ein Schwarm von Portugiesen uns umringte und bald dahin bald dorthin schickte. Des Spottes müde, zeigte man uns endlich das rechte Haus. Der Empfang daselbst war sehr kalt. Wir waren abgemattet und suchten Ruhe. Während unsere beiden Knechte die wenigen Habseligkeiten in die Wohnung trugen, stutzte die vor dem Hause lachende Menge unsern Pferden die Schweife. Die beiden Spanier, denen die Tiere gehörten, durften keinen Einspruch wagen; sie hätten sich nur argen Mißhandlungen ausgesetzt oder gar ihr Leben gefährdet. Bei diesen Nationen gehen die Erzürnten sogleich mit dem Messer gegeneinander an und machen sich wenig daraus, einen Mord zu begehen, besonders die Portugiesen, bei welchen es Sitte ist, mit entblößtem Degen unter dem Mantel spazieren zu gehen.

Nach vielen Mühseligkeiten gelangten wir endlich in die Stadt Almada. Diese liegt Lissabon gegenüber und ist nur durch den Tajo davon geschieden. Eine Freude war es für uns, die Königsstadt Lissabon, die auf sieben Höhen prangt, zu erblicken. Wir hielten eine wahrhaft köstliche Tafel, denn zu zehn Personen mußten wir für eine Suppe, dreißig Eier, eine Schüssel Fische und etwas über zwei Maß Wein dreiundzwanzig harte Taler bezahlen. Wir bestiegen eine Barke und befanden uns in einer halben Stunde am Ziele unserer Bestimmung.


In Lissabon.

Es war gerade Ostersamstag; bereits spielte Musik. Das erste, was wir sahen, war ein einfacher, langweiliger Tanz, begleitet von einer Gitarre, einer kleinen Trommel und einem Dudelsack. Die Tänzer schlugen den Takt mit einer hölzernen, in der Mitte durchschnittenen Feige, die sie am Mittelfinger hängen hatten. Wir fragten in lateinischer Sprache nach dem Kolleg der Jesuiten; niemand verstand uns. Unser Führer erkundigte sich in spanischer Sprache; ein schallendes Gelächter war die Antwort. Endlich fanden wir einen hier lebenden armen Menschen aus Galicien, der uns für Geld und gute Worte den Weg zeigte. Wir hatten weit zu gehen; ein Haufe Portugiesen begleitete uns bis an den Eingang des Kollegs. Unser Pater Prokurator samt allen nach Amerika bestimmten Missionären empfingen uns hier mit lebhafter Freude. Am andern Morgen begrüßten uns auch die portugiesischen Jesuiten; sie hielten sich jedoch sehr ernst. Ich vergaß aber auch unter ihnen meine deutsche Freundlichkeit nicht.

Hier blieben wir vom 12. April bis zum 17. September. Angenehm überrascht wurde ich am vierzehnten Tage unseres Hierseins durch den Kapitän des schwedischen Schiffes, mit dem wir in Livorno unsere Seefahrt begonnen hatten. Er umarmte mich unversehens auf der Straße und erzählte mir sein trauriges Schicksal. Sein mit Korn beladenes Schiff war in die Hände der Engländer gefallen. Unter dem Vorwande, er liefere dem Feinde Lebensmittel, wurde er als Gefangener in den Hafen von Lissabon geführt. Somit befanden sich auch unsere Koffer in den Händen der Engländer. Wir erhielten sie jedoch bald wieder, ebenso wie der Schwede sein Eigentum, und zwar durch Vermittlung der Königin Maria Anna von Portugal, einer Schwester des verstorbenen Kaisers Karl VI., an welche unser Prokurator das Mißgeschick des schwedischen Schiffes berichtet hatte.

Den Hafen bildet der Tajo, der eine Stunde vor der Stadt sich in das Meer ergießt. Den Eingang des Hafens bewachen zwei Kastelle. Gegen Almada zu liegt auf dem Tajo eine Insel, die zumeist von Juden bewohnt wird. Diese müssen als Kennzeichen grüne Hüte tragen. In Lissabon selbst dürfen sie nicht wohnen. Allwöchentlich gibt man gedruckte Zettel aus: sie erstatten Bericht über die Zahl der Schiffe im Hafen, über die Zeit ihrer Ankunft und Abfahrt, über den Ort der Herkunft und der Bestimmung, über ihre Ladung. Kein Schiff darf ohne Erlaubnis ausladen, keines einladen ohne Aufseher, denen es obliegt, dafür zu sorgen, daß nichts Unrechtes an Bord kommt. Jedoch wird dies nicht immer verhindert: selbst Diebe und Mörder wissen manchmal mit Hilfe der Seeleute zu entwischen.

Die Stadt ist offen, ohne Mauern, besitzt zwei große Hauptplätze, den einen in der Mitte, den andern bei der königlichen Burg. Verschiedene Orden sind hier durch Niederlassungen vertreten. Den Jesuiten gehören vier Häuser: das Kolleg St Anton, das Profeßhaus St Rochus, das Noviziat zu Cotovia und ein viertes Haus am Ende der Stadt, von den Portugiesen De los apostolos genannt, weil es für die Missionäre gebaut wurde. In Cotovia sieht man eine besonders kostbare, dem hl. Franz Xaver geweihte Kapelle. Jaspis und Lapislazuli mit seinen Goldadern schmücken die Wände; den Altar hat man auf königliche Kosten aus Italien sich verschafft.

Lissabon ist der Sitz eines Patriarchen. Man war eben mit der Vollendung seines prächtigen Palastes beschäftigt. Einige Zimmer waren mit niederländischen gestickten Tapeten überzogen, welche die Schlacht Konstantins des Großen gegen Maxentius vorstellten. Man glaubte, ein Gemälde von kunstgeübter Hand zu sehen. An dieses Prachtgebäude stößt die königliche Burg, neben welcher sich die Patriarchalkirche befindet, die zugleich als Hofkapelle dient. Sie ist mehr reich als schön. Der König (Johann V.) läßt hier den Gottesdienst so halten, wie man ihn zu Rom in der St Peterskirche feiert. Den Platz der Kardinäle zu Rom nehmen hier Adelige ein, die jenen ähnlich gekleidet sind; andere geistliche Herren, die gleichfalls zur Erhöhung der Feierlichkeit vom Könige angestellt sind, tragen violette Gewänder. Ich wohnte einer feierlichen Vesper bei, die vom Patriarchen, einem ehrwürdigen Herrn, gehalten wurde. Italiener sangen unter Orgelbegleitung. An beiden Seiten der vorderen Kirche saßen die erwähnten höheren Geistlichen in ihrer der römischen nachgebildeten Ordnung. Der König befand sich auf dem Chore, aber hinter Gitterabschluß. Hier hält er sich auch sonst den Vormittag hindurch auf. Von den Regierungsgeschäften hat er sich zurückgezogen: diese läßt er durch die erlauchte Königin Maria Anna leiten, eine Fürstin, die durch Tugend und Frömmigkeit zeigt, welchem Hause sie entsprossen. Sie ist allbeliebt, eine Mutter der Armen. Ich sah sie mehrmals in die Kirche fahren, und an den Seiten ihres Wagens ihre Almosengeber, die reichlich austeilten. Der Mission der Jesuiten ist sie besonders geneigt[2].

Wir deutsche Jesuiten wurden öfters an ihren Hof gerufen. Sie unterhielt sich mit jedem aus uns über seine persönlichen Verhältnisse. Sichtlich war es ihr ein erhöhtes Vergnügen, wenn sie wahrnahm, daß einer oder der andere ein Untertan Österreichs sei. Sie stand oft über eine Stunde mit uns sprechend bei ihrem Sessel und verweigerte uns die Gnade, ihre Hand zu küssen, mit den Worten: „Geehrte und werte Patres! Andere schätzen es als eine besondere Huld, meine Hand küssen zu dürfen; aber einem Priester, glaube ich, wird dadurch keine große Gunst erwiesen.“

Der alte kränkliche König ließ sich nie sehen. Sein Spaziergang ist aus seinem Kabinett in seine Kapelle. Nur am Namenstage der Königin ließ er sich fürstlich ankleiden, steckte seine Finger voll Ringe, ging ins Zimmer der Königin, schüttelte die Ringe auf ihren Tisch, sagte: „Viel Glück!“ und entfernte sich wieder. Seinem Beichtvater, einem Jesuiten aus dem Kolleg St Anton, ließ er ein besonderes Haus bauen.

Die königliche Burg zeigt von außen nichts Außerordentliches. Gegen den großen Hauptplatz hin hat sie drei Stockwerke, sonst nur zwei. Die Zimmerwände sind mit Sammet überzogen und mit den feinsten goldenen und silbernen Borden ringsum geziert. In der Mitte der Burg zeichnet sich ein Rundbau aus, in welchem der König sein Kabinett besitzt.

Sehr merkwürdig ist die Wasserleitung, die fünf spanische Meilen weit über die höchsten Felsen und tiefsten Täler in die Stadt geführt wird: ein wahrhaft königliches Werk. Man geht bis zum Ursprunge des Wassers durch ein fünf Meilen langes Gewölbe, das durch Kuppeln, die in geringen Entfernungen angebracht sind, hinreichendes Licht erhält. Hin und wieder sind Türen angebracht, um, wenn es beliebt, auch im Freien, auf dem zu beiden Seiten des Gewölbes laufenden breiten Weg, wandeln zu können. Im Innern des gigantischen Mauerwerkes sind doppelte aus Stein gehauene Kanäle, durch die das Wasser rauscht. Ich habe die Quelle besucht, deren Wasser auf diese Art in ein großes Wasserbecken aus Quadern gebracht wird, um Lissabon zu erquicken. Hier wird dann das köstliche Naß in halbeimerige Fässer geschöpft, auf Maultiere geladen und in die Stadt gebracht.

Schon waren drei Monate vergangen, und noch immer lichtete die brasilianische Flotte, mit der wir abgehen sollten, die Anker nicht. Wir übten uns indes in der spanischen und portugiesischen Sprache, besuchten den Beichtvater der Königin, einen Jesuiten, der mit noch einem andern Priester dieses Ordens und einem Laienbruder (alle drei aus der österreichischen Provinz) in einer abgesonderten Wohnung außerhalb des Kollegs zu Cotovia lebt. Hier speisten wir oft auf deutsche Art, da uns die portugiesische gar nicht mundete. Manchmal besuchten wir auch die deutschen Karmeliter, die ein kleines Kloster am Meerhafen besitzen. Sie wurden von der noch lebenden Königin Maria Anna hierher gerufen, die ihnen eine niedliche runde Kirche baute und zur Ehre des hl. Johann von Nepomuk weihen ließ. Die geistliche Gemeinde bestand aus nur sechs Personen, alle aus der österreichischen Provinz ihres Ordens. Sie hatten auf der Reise viel zu dulden gehabt. Im Mittelländischen Meere waren sie von Seeräubern gefangen und nach den afrikanischen Raubstaaten gebracht, einige in der Hitze des Streites verwundet worden. In der beständigen Angst, ermordet zu werden, war es für sie noch ein Trost, daß man sie nur der Kleider beraubte und zum Kaufe ausbot. Ihre Herren waren nicht grausam. Man verhandelte sie mehrmals im Verlauf dreier Jahre. Endlich aber erhielt die Königin Maria Anna Kenntnis von ihrem Mißgeschick und kaufte sie los. Ein Engländer erhielt den Auftrag. Dieser brachte die Ordensmänner glücklich nach Lissabon, wo die Königin mit Tränen in den Augen sie empfing: hatten sie doch, der Einladung der Königin folgend, solches Ungemach auf sich gezogen. Nunmehr standen sie unter dem besondern Schutze ihrer Retterin.

In die Zeit unseres Aufenthaltes zu Lissabon fiel das hohe Fronleichnamsfest. Es war für uns eine große Freude, Zeugen zu sein, mit welcher Pracht man den üblichen Umzug hielt. Auch wir begaben uns, mit Chorröcken angetan, in die königliche Kapelle. Eine unübersehbare Menschenmenge erwartete den Anfang des Zuges. Von der königlichen Kapelle aus wurde der Weg durch die vorzüglichsten Straßen genommen. Die Altäre standen nicht, wie in unserem Lande, bei den Häusern, sondern es waren vier Kirchen bestimmt, durch welche man schritt und einen Altar besuchte. Obwohl wir einen bedeutenden Weg machten, waren wir schon wieder zur königlichen Kapelle zurückgekehrt, noch ehe das Hochwürdigste Gut sie verlassen hatte. Ich sah also noch die Geistlichkeit in ihrem kirchlichen Schmucke. Dieser folgten im violetten Talare jene Herren, die vom Könige zur Haltung des Gottesdienstes bestimmt sind, wie vorher erwähnt worden ist. Nach ihnen gingen jene Adeligen, die die Stelle der Kardinäle vertreten. Sie waren rot gekleidet. Auf diese folgten vierundzwanzig Geistliche mit Dalmatiken und zwölf mit Vespermänteln, in der Hand den bischöflichen Hirtenstab; die Inful wurde daneben getragen. Ihnen schloß sich der Patriarch an. Er trug das Hochwürdigste Gut unter einem sehr reichen Baldachin, welchen die zwei Söhne und die zwei Brüder des Königs trugen. Dem Thronhimmel reihten sich die Minister, die Hofleute, die Ritterorden in ihrem Kostüme, der Adel und die Bürger an. Den Schluß machte ein ganzes Regiment Infanterie. Ein Regiment Reiterei war auf dem großen Platze aufgestellt. Bei jedem Altare gab die Infanterie eine Salve, die Reiter antworteten mit ihren Gewehren; dazu erdröhnte der Donner aus den Kanonen der Citadelle und der Schiffe im Hafen. Über die Straßen waren von einem Dache zum andern leinene Tücher gezogen, um vor der Sonne geschützt gehen zu können. Der mit Brettern bedeckte Weg war mit Tapeten überzogen, mit Blumen bestreut, die Häuser mit Tapeten von Gold- und Silberstoff oder Seide so behängt, daß man von den Mauern nichts mehr erblickte. Es war an diesem Tage ein ungeheurer Reichtum zur Schau gestellt.

Am Sonntage nach diesem Feste wurden wir sechsundfünfzig Missionäre zur Prozession in das Kolleg von Cotovia geladen; auch hier trugen die Prinzen den Baldachin. Am Tage der Oktave des Fronleichnamsfestes begleiteten wir den Umgang im Kolleg zu St Rochus und speisten dort. Eine Menge meist süßer Speisen wurde aufgetischt, besonders Zuckergebäck; dazu kamen auserlesene Früchte. Gewöhnlich lebt man, besonders in unsern Kollegien, sehr sparsam und dabei teuer. Unser Pater Prokurator mußte für jeden von uns täglich einen Gulden sechs Kreuzer deutscher Münze geben. Dafür bediente man uns mit einer Suppe, die bloß getrunken wurde; das Rindfleisch und daneben gekochte Wurzeln und Krauseminze waren nicht besonders anziehend, das Gekoch von geriebener Mandiokowurzel wahrhaft abschreckend. Und dies war alles. Kranken gibt man eine gesottene gewürzte Henne um einen Gulden neun Kreuzer. Beim Essen befleißigt sich der Portugiese nicht allzusehr der Reinlichkeit.


Auf dem Ozean.

Endlich kam der Monat September, in welchem unsere Abfahrt nach dem Lande künftiger Arbeit statthaben sollte. Unser Schiff führte den Namen St Anna; sein Befehlshaber war Don Joseph Fereira, ein katzenäugiger Portugiese, der uns durch gräßliches Fluchen sehr übel erbaute. Ich hatte die Empfindungen eines Studenten, dem die letzte Prüfung den Weg zur Heimatreise bahnt, als ich sah, wie man unsere Betten und Lebensmittel auf das Schiff brachte. Wir beurlaubten uns noch bei der freundlichen Königin. Am 17. September war unsere Wohnung im schwimmenden Hause auf dem Rücken des Ozeans. Wir waren zwei Schiffen anvertraut. Sechs Priester wurden auf eine Fregatte beordert; die andern Jesuiten: Priester, Brüder und Novizen, vierundfünfzig an der Zahl, kamen in ein Kauffahrteischiff.

Alle Schiffe, die mitsammen den Hafen verlassen sollten, waren festlich geziert. Freude herrschte bei uns allen; Pauken und Trompeten verkündeten der Stadt die mutigen Gesinnungen der Scheidenden; und als unsere Flotte, dreiundfünfzig Schiffe stark und von vier Kriegsschiffen begleitet, am 18. die Anker hob, donnerte fast ein jedes, während es an den Citadellen vorbeisegelte, diesen den Abschiedsgruß zu. Der frische Wind in der offenen See schaukelte unser Fahrzeug tüchtig, und diese ungewohnte Bewegung wirkte bald sehr nachteilig auf die Gesundheit unserer Novizen, die klagend das Bett aufsuchten, aber bald wieder genasen. Neun Mohren, Sklaven unseres Kapitäns, ergötzten uns täglich durch Musik. Am Abend wurde von allen im Schiffe die Lauretanische Litanei und der Rosenkranz gebetet, und die Andacht mit einem frommen Gesange beschlossen.

Der Anblick der Kanarischen Inseln brachte wieder Leben in das sonst so Öde der Meeresfahrt. Rechts sahen wir Madeira, das den Portugiesen das vielfarbige Sandelholz liefert; nahe zu unserer Linken den Felsen von Teneriffa, der ohne Spitze in eine Plattform endet. Mit frischem Winde ging es bald weiter, doch zu langsam für meine Wünsche. Matrosen, die mit Harpunen nach großen Fischen warfen, hatten den Reiz der Neuheit für mich verloren, und die Wassermasse mit ihrem Einerlei machte die Sehnsucht nach grünen Matten rege. In unsere Andachtsübungen, die wir keinen Tag unterließen, mischten sich viele Seufzer nach dem festen Lande. Nicht wenig Grund zu unserem Mißbehagen hatte das Schiffsvolk gegeben. Die geringe Achtung, die sie uns erwiesen, ihre Roheit, das beständige Fluchen und Gotteslästern verletzte uns um so mehr, als wir durch unsere Handlungsweise zu erbauen suchten. Und leider muß ich bekennen, daß mir und andern meiner Mitbrüder sowohl auf diesem wie in der Folge auch auf andern Schiffen das Betragen der katholischen Bemannung Ärgernis bereitete. Auf dem schwedischen Schiffe dagegen, mit dem ich das Mittelländische Meer durchzogen hatte, konnte man sich am religiösen Sinn der Mannschaft erbauen.

Etwas Merkwürdiges sah ich in der Nacht des 22. Oktobers. Des Himmels finster umwölkter Anblick drohte mit schweren Gewittern, im Meere dagegen zeigten sich Sterne. Die Portugiesen bemerkten unser Staunen und erzählten, diese Erscheinung rühre aus einer Zeit her, in welcher vierzig Jesuiten, die als Missionäre nach Brasilien fuhren, von holländischen Seeleuten teils auf dem Schiffe ermordet teils in die Fluten geworfen wurden. Katholische Seefahrer pflegen hier diesen Blutzeugen Ehrfurcht zu bezeigen; auch unser Kapitän löste zu ihrem Gedenken neun Kanonen[3].

Gegen den hl. Antonius sind unsere portugiesischen Matrosen weniger artig. Zwar verehren sie ihn und führen seine Statue auf ihren Schiffen mit; fehlt ihnen aber lange Zeit hindurch der günstige Wind, dann binden sie einen Strick um den Hals der Statue und hängen sie am Mastbaum auf; oder sie binden die Statue an ein Seil, werfen sie ins Wasser und lassen sie eine Weile schwimmen.

Mehrere unbedeutende und einige bedeutende Stürme beängstigten uns; aber fast unerträglich wurde bei zunehmender Hitze der Mangel an Trinkwasser. Die Matrosen hatten acht Fässer heimlich für sich genommen, und darum wurden wir genötigt, Durst zu leiden, bis ein heftiger Regen uns Vorrat und Erquickung gab. Endlich weckte uns den 16. Dezember das Geschrei der Matrosen: „Land! Land!“ Es war eine Täuschung, d. h. nur eine tausend Schritte entfernte Sandbank, die uns, hätte man sie nicht bemerkt, den sichern Untergang gebracht haben würde.


Ankunft in Amerika.

Endlich liefen wir in den breiten Silberfluß (La Plata) ein; mit ängstlicher Sorgfalt bedacht, den Steinklippen der Küste auszuweichen, fuhren wir stromaufwärts und erblickten den Hafen und die Feste Montevideo. Doch es wurde Nacht. Trotzdem wollten wir den Hafen noch erreichen. Der Mond gab uns Licht, aber der Strom warf uns gegen die Felsen. Nur unter großer Anstrengung entkamen wir gegen die späteren Stunden des Morgens der Gefahr. Man hatte in der Feste schon abends zuvor unsere Ankunft bemerkt und schickte uns, weil wir nicht eintrafen, eine Barke entgegen. Diese brachte uns in den Hafen. Es war gerade das Weihnachtsfest. Wir lasen auf dem Schiffe die heilige Messe, genossen die Früchte, die Speisen und den Wein, Gaben, die man uns von Montevideo gebracht, und fuhren sodann den Fluß weiter hinauf, nach der Kolonie San Sacramento, wo man uns bereits erwartete, weil der Superior der Jesuiten zu Montevideo schon den Ordensbrüdern zu San Sacramento unsere glückliche Ankunft berichtet hatte. Wir fanden jedoch in der Untiefe des Wassers noch ein Hindernis und mußten mitten im Flusse, der hier über vierzig Meilen breit ist, Anker werfen, um zu übernachten. Ein fürchterliches Gewitter bewillkommte uns, und ein heftiger Sturm schien uns hier am Ziele unserer Seefahrt vernichten zu wollen. Unter eifrigem Gebete erwarteten wir einen freundlicheren Morgen und eine Brigantine aus der Kolonie, die uns dahin geleiten sollte. Den 29. Dezember liefen wir in den Hafen San Sacramento glücklich ein. Mit Frohlocken verließen wir das Schiff und zogen paarweise in die große Kirche, wo ein frommes „Herr, Gott, dich loben wir“ mit musikalischer Begleitung gesungen wurde. Hierauf dankten wir dem Statthalter für seine uns bewiesene Sorge und eilten in unsere „Residenz“ (so werden hier die Ordenshäuser der Jesuiten genannt), wo man unsere Ankunft mit einem prächtigen Mittagsmahle feierte, während dessen uns die Vornehmsten der Stadt mit ihrem Besuche beehrten. Die Stadt selbst, einst unter spanischer, jetzt unter portugiesischer Herrschaft, wird meist von Kaufleuten bewohnt. Die niedrigen Häuser sind in guter Ordnung gebaut. Der unbedeutende Hauptplatz hat die Form eines Vierecks. Es zieren ihn die Pfarrkirche, die Hauptwache und die Wohnung des Statthalters. Das Vieh läßt man auf eben diesem Platze die Nacht verbringen und ihn verunreinigen. Die Ursache dieser mich befremdenden Erscheinung liegt in der Gewohnheit dieser Gegend, das Vieh mit Vorliebe im Freien zu halten. Zudem ist das Gebiet von San Sacramento überaus beschränkt, so daß es sich kaum einige hundert Schritte weit erstreckt. Von allen Seiten wird es von den Spaniern umgeben, die alles, was ihre Grenze berührt, als gute Beute wegnehmen. Die Stadtbewohner leben in großer Abhängigkeit von den spanischen Nachbarn, vor deren ungebetenen Besuchen sie nur durch einige Festungswerke geschützt sind. Eine Bastei mit sechs Kanonen bestreicht den Hafen. Das hiesige Zeughaus, so wichtig es die Portugiesen auch machen, nötigte mir ein Lächeln ab, denn die darin enthaltenen Waffen reichten kaum für ein Regiment hin.


Buenos Aires.

Den 31. Dezember erwarteten wir eine Barke, die uns von San Sacramento über den hier bei zehn Meilen breiten Silberfluß nach Buenos Aires bringen sollte. Sie langte aber erst am Neujahrstage 1749 an. Ungesäumt bestiegen sie sechsundzwanzig Priester; ein starker Wind schwellte das einzige Segel; nachmittags um 4 Uhr liefen wir in den Hafen der Stadt Buenos Aires ein. Ein herzlicher Empfang bewillkommte uns. Außer dem P. Provinzial Emanuel Querini und den meisten Jesuiten erwarteten uns mehrere hundert Spanier am Gestade. Mit ungestümer Freude drängten sie sich an unsere Brust, bis der Zug geordnet war und wir paarweise unter dem Geläute aller Glocken und den freudigen Zurufen der teilnehmenden Volksmenge in die Kirche des Kollegs geführt wurden. Hier sang man ein feierliches Te Deum, in das wir aus voller Seele einstimmten. Auch Entzücken ermattet; behaglich aber war die Ruhe, die ich empfand, als man mir meine Wohnung im Ordenshause anwies und ich mich dem Meere meiner Gefühle überlassen konnte.

Den folgenden Tag machten wir Neuangekommenen dem Statthalter, Herrn Andonaigui, unsere Aufwartung. Für uns Deutsche hatte er besondere Vorliebe; er fragte uns nach manchen deutschen Generälen, die er während des Krieges in Neapel kennen gelernt hatte.

Die ersten acht Tage nach unserer Ankunft wurden wir als Gäste bewirtet. Alles erregte meine Verwunderung; ich befand mich wahrhaft in einer neuen Welt. Der Speisesaal war mit Fenchelkraut und mit Blumen bedeckt; auf dem Tische lagen Zuckerwerk, saure und süße Früchte, schwarze Feigen und andere mir fremde Landesprodukte. An die Speisen mußte ich mich erst gewöhnen; das viele Gewürz und besonders der Pfeffer behagten mir nicht; die berühmte olla podrida (ein beliebtes spanisches Nationalgericht) aber gewann ich bald lieb. Bei solchen Festmählern, mit welchen man die neu angelangten Missionäre jederzeit zu erfreuen suchte, mußten Neger, die dem Kolleg gehörten, Musik machen und Tänze aufführen. Beides taten sie bei dieser Gelegenheit mit viel Geschick.

Bis zum 19. April verweilte ich in dieser Stadt und hatte Muße genug, mich mit ihr bekannt zu machen. Sie ist die größte Stadt in Paraguay, größer als Prag in Böhmen, nicht so prächtig, doch regelmäßiger, mit schnurgeraden Straßen, die zwar breit, aber nicht gepflastert sind. Die Häuser, die gewöhnlich einen reinlichen Hof auf drei Seilen umgeben, sind meist nur ein Stockwerk hoch und gemauert. Die mit flachen Ziegeln belegten Dächer dienen an Sommerabenden zu Spaziergängen. Der viereckige Platz ist sehr ausgedehnt. Die Seite gegen den Silberfluß hat hohe Lauben; in der Mitte steht das Rathaus mit blinkendem Turme; links erblickt man die bischöfliche Residenz, weiterhin die Kathedrale mit zwei bis an die Spitze gemauerten Türmen. Dem Rathause gegenüber droht die mit Schanzen umringte Feste, die von dem Statthalter bewohnt werden muß. Dreißig Infanteristen und sechzehn Dragoner bilden ihre Hauptwache. Unter den zehn Kirchen sind die der Jesuiten und Franziskaner mit Kuppeln versehen. Das Kolleg der Jesuiten hat drei Flügel, die mit der Kirche auf der vierten Seite einen schönen Garten umgeben; ein daranstoßender großer Hof wird von Olivenbäumen beschattet. Die Jesuiten besitzen in der Stadt auch noch eine Residenz für sechs Priester; dieses Haus wurde, während ich in Paraguay war, in ein Kolleg umgestaltet. Gleich daran stößt ein freundliches Gebäude mit drei Flügeln und einem Rundbau, der eine Kirche ist. Ein reicher Spanier hat das Gebäude aufgeführt und eingerichtet. Einen Teil seines Vermögens hat er dazu bestimmt, um von den Zinsen allen jenen Kost und Wohnung zu verschaffen, welche hier die geistlichen Übungen des hl. Ignatius halten wollen. Ein Priester unserer Gesellschaft leitet diese fromme Anstalt.

Die Dominikaner, die Mercedarier, die Rekollekten des heiligen Petrus von Alcantara und die Bethlehemiten haben hier Klöster. Die letzteren gleichen den bekannten Barmherzigen Brüdern und pflegen die Kranken. Ihr Ordenskleid ist braun; darüber tragen sie einen Mantel von der nämlichen Farbe; dieser reicht bis über die Knie herab; an der linken Seite des Mantels ist ein ovales Schildchen angeheftet, welches die Geburt des Herrn darstellt. Darum nennt man sie Bethlehemiten; von den langen Bärten aber, die sie tragen, stammt die andere Bezeichnung, Barbadinos. Sie alle sind Laienbrüder und haben einen Weltpriester als geistlichen Vater. Der Orden besitzt keine gestifteten Güter, sondern lebt von Almosen. – Zwei Niederlassungen von Ordensfrauen leiten Unterrichtsanstalten für Mädchen. Die Kirche des hl. Nikolaus ist eine Pfarrkirche.

Der Silberfluß oder Rio de la Plata, an dessen Ufer die Stadt sich enge anschließt, ergießt sich sechzig Meilen von hier in das Meer. Obschon Buenos Aires den einzigen Hafen von Paraguay besitzt, so verschafft er dennoch nur geringen Nutzen: er ist zu seicht. Große Kaufmannsschiffe müssen über zwanzig Meilen vor der Stadt den Anker werfen und ihre Ladungen durch kleine Fahrzeuge hierher befördern. Als ich 1749 hier anlangte, fand sich ein einziges Schiff da, welches schon seit Jahren auf Befrachtung harrte. Der geringe Handel beschränkt sich zumeist auf Häute von Hornvieh. Der Schleichhandel der Portugiesen schadet der Krone Spaniens bedeutend. In den letzten Jahren meines Aufenthaltes in Paraguay sah man jährlich durchschnittlich nur zwei Schiffe hier.

Regierung und Verwaltung seien hier, so sagt man, derart, wie zu erwarten ist, wenn der Herrscher allzuweit entfernt wohnt. Keiner vergißt sich selbst, Beamte und Handelsherrn bereichern sich. Wer Europa verläßt, um hier Güter zu erwerben, ist nicht immer heikel in der Wahl der Mittel. Die drei Provinzen Paraguays werden durch ebensoviele Statthalter verwaltet. Der erste gebietet über Buenos Aires und wohnt in der gleichnamigen Stadt. Der zweite verwaltet Tucuman, hatte seinen Sitz früher in Cordoba, jetzt in der Stadt Salta an der Grenze Perus. Der dritte ist Statthalter von Paraguay (im engeren Sinne) und residiert in der gleichnamigen Stadt, die auch Assuncion oder Mariä Himmelfahrt heißt. Die Provinzen Buenos Aires, Tucuman und Paraguay haben je einen Bischof. Über diese geistlichen und weltlichen Obrigkeiten ist der Vizekönig gesetzt, der zu Lima wohnt. Der Bischof von Buenos Aires, ein anspruchsloser Herr, zeichnet sich mehr durch würdevolles Benehmen als durch Prachtliebe aus. Ein Bedienter, ein Kutscher und zwei Maultiere bieten wenig Bequemlichkeit; ein violetter, langer Talar von geringem Zeuge, ein Chorrock und darüber ein violettes Mäntelchen, ein grünseidener Hut mit zwei gleichen Schnüren und vier Quasten machten seinen ganzen Schmuck aus. Aber sein Eifer ließ ihn mehrere hundert Meilen reisen, um die Firmung auszuspenden, bei welcher Gelegenheit er unermüdet predigte. Ich bedaure, daß er unserer Gesellschaft nicht sehr geneigt ist.


Fahrt durch die Pampas.

Im April kam von Cordoba der Prokurator der Provinz, P. Carlos Gervazoni, an, um unsere Weiterreise zu befördern. Als dieses in der Stadt bekannt wurde, erhielten wir von den Spaniern verschiedene Geschenke an Lebensmitteln und gutgemeinte Abschiedsbesuche. Wir bestiegen die hohen zweirädrigen Wagen, die ganz von Holz, ohne ein Stückchen Eisen, bestehen, vermittelst einer kleinen Leiter und bereiteten unsere Wohnung in dieser fahrenden Hütte, die mit Kuhhäuten bedeckt war. Vier Ochsen zogen sie, von einem Mulatten mit einem langen Stechrohre regiert. Unsere Karawane zählte bei hundert Wagen und wurde in drei Truppen geteilt. Sehr notwendig ist es, sich mit Lebensmitteln zu versehen und hinlänglich Holz mit sich zu führen, damit man die Nahrung kochen kann. Die Küche ist gleich fertig: man gräbt zwei vier Ellen lange Gruben in Form eines Kreuzes, belegt sie mit eisernen Stäben, unter welchen die Feuerung liegt, und stellt die Töpfe darüber. Geht der Vorrat von Holz aus, so muß man sich mit dürren Disteln, Knochen und Mist von Tieren begnügen. Gewöhnlich schlägt man ein Zelt auf, um darunter zu speisen. Nach Tisch sucht jeder Spanier sogleich seinen Wagen auf, um die gewohnte Siesta zu halten. Nach dem Erwachen werden die Wagen gemeinschaftlich untersucht, ob nichts gebrochen und auszubessern sei, damit man beim Fortsetzen der Reise besonders mit der Ladung keine Ungelegenheit habe. Dreißig Zentner machen die allgemein übliche Ladung aus. Fuhrleute, die sich auf den festen Bau ihres Wagens und die Kraft ihrer Ochsen verlassen können, legen wohl auch siebenunddreißig Zentner auf, falls der Raum ausreicht. Führt man Wein aus Chile nach Paraguay, so lädt man nicht mehr als zwanzig irdene Geschirre, von welchen jedes ungefähr einen Eimer faßt. Ebensoviele Geschirre mit Schmalz nehmen sie als Fracht bei der Rückkehr. Ochsenhäute lädt man hundertfünfundzwanzig bis hundertfünfzig auf. Soll eine Haut als gut gelten, so muß sie über vierzig Pfund wiegen.

Bild 1. Bespannter Wagen (Carreta). Das Joch (oben links).

Wird paraguayisches Kraut ausgeführt, so lädt man zwanzig damit angefüllte viereckige häutene Säcke, jeder etwa zwei Zentner schwer.

Für Reisende haben diese Fuhrwerke manche Bequemlichkeit. Denn abgesehen davon, daß man vor Regen geschützt ist, kann man sich auf seinem Bette, das man der Länge nach darin ausbreitet, gütlich tun. Aber wehe dem, der die Stöße und das Rütteln nicht gewohnt ist! Er wird bald die Hoffnung aufgeben, sich die Langeweile in der öden Gegend durch Schlaf zu vertreiben. Hält die Hitze lange an, so werden die Häute, mit welchen der Wagen überdeckt ist, warm, und niemand kann es mehr im Innern aushalten. Tritt feuchte Witterung ein, so flüchten sich alle Mücken dahin, die den Wagenbewohner derart quälen und stechen, daß sein Leib bald mit Beulen, die empfindlich schmerzen, überzogen ist. Kleidung wehrt diese Insektenangriffe nicht ab, denn sie muß der Hitze wegen leicht sein und wird von ihren Stacheln durchdrungen. Man sehnt sich nach dem Genusse der freien Luft und ist herzlich froh, wenn man auf einen Boden kommt, auf dem man nicht zu beschwerlich gehen kann, oder wenn man die abgestumpften Wagenlenker sagen hört, daß sie bald ausruhen, das Mittagsmahl einnehmen oder Nachtstation halten wollen. Nur sieht man sich dann, was mich anfangs befremdete und ängstigte, aus dem Zustande des Friedens in den entgegengesetzten des Krieges versetzt, ohne genau zu wissen, woher denn der Feind eigentlich kommen werde. Es ist aber leider oft notwendig, sich sicherzustellen und Schutzvorkehrungen zu treffen. So oft die Karawane hält, um Speise zu nehmen oder zu übernachten, bildet jede Truppe eine Wagenburg, damit bei einem Überfall der Indianer sich die Menschen dahin flüchten und besser verteidigen können. Außerdem hat diese Aufstellung den Zweck, daß das Vieh sich des Nachts nicht verlaufen kann.

Nach einer Fahrt von zwanzig Meilen gelangten wir endlich nach Luxan, einem größeren Dorfe, das ganz von Spaniern bewohnt ist. Nachdem wir bei einem gnadenreichen Muttergottesbilde unsere Andacht gepflegt, verließen wir die große schöne Kirche und nach eingenommenem Mittagsmahle den Ort. Sieben Tage und Nächte zogen wir nun über ein unübersehbares flaches Feld. Es ist ganz ohne Baum, ohne Quelle und nur zu oft der Tummelplatz umherstreifender wilder Horden. Die Spanier putzten ihre Gewehre; doch unser Zug wurde nicht beunruhigt. Wir kamen endlich zu einem Wachposten, der aus wenig Menschen, aber vielen Pferden bestand. Einer saß auf einem hohen hölzernen Gerüste, um die Gegend zu überblicken, die andern pflegten im hohen Grase der Ruhe; die Waffen und abgerichtete Hunde lagen neben ihnen. Der Vermieter unserer Wagen hatte hier Ochsen, um sie mit den ermüdeten unseres Zuges umzuwechseln, obwohl auch unter den zehn Ochsen, die je ein Gespann ausmachen, bisher immer im Ziehen gewechselt wurde. Im Verfolge unserer Reise fanden wir sieben oder acht Indianerfamilien von dem Völkerstamme der Pampas. Sie waren noch Heiden, aber freundlich. Ihr Kazike führte den Namen Anton, ohne Christ zu sein, und zeigte gegen uns Missionäre Ehrerbietung. Die aus verschieden gefärbten Pferdehäuten bestehenden Zelte gewährten keinen unangenehmen Anblick; sie waren so stark wie eine Trommel gespannt, desgleichen die Tische aus gleichem Materiale, auf welchen sie die Würfel springen ließen, was sie den Spaniern schon abgelernt haben.


In Cordoba.

Wir hatten schon hundertzwanzig Meilen zurückgelegt, ehe uns wieder Hütten zu Gesichte kamen, aus welchen neugierige Spanier uns betrachteten. Wir sind nicht mehr weit von Cordoba entfernt, so dachten wir, und hatten uns nicht getäuscht. Kaum waren wir über einen Fluß gekommen, da sahen wir eine Laubhütte; angenehme Musik drang an unser Ohr; der ehrwürdige Pater Rektor der Jesuiten aus Cordoba trat hervor und führte uns zu einem schon bereiteten Mahle. Wir übernachteten hier und legten dann früh morgens die noch übrigen zwei kleinen Meilen zur Stadt zurück. Unser Einzug und Empfang war dem in Buenos Aires ganz gleich. Der Speisesaal des Kollegs war mit grünen Bäumen geziert. Die jungen Jesuiten hielten während der acht Tage unseres Ehrenfestes täglich eine lateinische oder spanische Rede oder lasen ein Gedicht vor, wobei die Angekommenen zum Gegenstande der sprachlichen Kunstübungen gewählt wurden.

Cordoba ist die Hauptstadt in der Provinz Tucuman, von mittelmäßiger Größe, mit geraden Straßen, geräumigem Hauptplatze, niedern Gebäuden. Der schönen Kathedralkirche steht ein Bischof mit acht Domherren vor. Der Bischof hat, nach deutschem Gelde gerechnet, zwölftausend Gulden jährliche Einkünfte, nicht viel für ein Land, in dem alles, die Lebensmittel ausgenommen, sehr teuer ist. Seine Residenz unterscheidet sich nicht von einem Bürgerhause; nur sein Vorzimmer und Kabinett weisen Tapeten von Tuch auf. Das bischöfliche Alumnat[WS 2] ist nur für sechs Zöglinge gestiftet, über die ein Domherr als Rektor die Aufsicht führt.

Außer der Kathedrale befinden sich hier noch acht andere Kirchen. Die Dominikaner, die Franziskaner, die Mercedarier, die Ordensfrauen der hl. Katharina und jene der hl. Theresia besitzen hier Klöster. Das Kolleg der Jesuiten ist geräumig; es umfaßt außer dem zweistöckigen Hauptgebäude zwei größere Plätze und noch drei Höfe, auf welchen die verschiedenen Gewerbe ihre Werkstätten haben. Auch eine Apotheke ist dort eingerichtet. Früher war das Noviziat vom Kolleg abgesondert; es besaß ein eigenes Gebäude mit einer Kirche am Ende der Stadt. Jetzt aber ist das Noviziat mit dem Kolleg vereinigt. Jenes andere Haus am Ende der Stadt bleibt für solche bestimmt, die acht Tage hindurch die geistlichen Übungen machen wollen. In diesem Noviziate beim Kolleg beginnen auch die Priester nach vollendeten Studien das dritte Probejahr. Der Prokurator der Provinz bewohnt mit seinen Gehilfen ein eigenes Haus. Die Bibliothek des Kollegs ist klein, aber gewählt; die Kirche macht einen prächtigen Eindruck. An hohen Festtagen strahlt Silberglanz von den mit karmesinrotem Damaste behangenen Wänden; unzählige Lichter vervielfältigen sich in kristallenen Hängeleuchtern. Der Altar ist mit Spiegeln und Kristall belegt; ein Antependium besteht aus geschlagenem Silber, ein anderes ist aus Spiegeln und Kristall zusammengesetzt und mit silbernen und vergoldeten Gewinden geziert. Der Tabernakel, zwei und eine halbe Elle hoch, wurde in Italien verfertigt und weist verschiedenfarbigen Kristall auf. Die kirchlichen Gewänder für das Hochamt, auf silbernem Grunde mit Gold gestickt, schätzt man auf viertausend Taler. Diese Kirche gewinnt noch immer mehr an Schmuck; denn jeder Prokurator, der nach Rom reist und eine Mission nach Amerika abholt, will auch für dieses Gotteshaus etwas ausgezeichnet Schönes mitbringen.

Die Jesuiten lehren an der hiesigen Universität. Ferner steht ein Konvikt für mehr als siebzig junge Leute unter ihrer Leitung. Das Gebäude erhebt sich ihrem Kolleg gegenüber, hat einen eigenen Rektor, einen Minister, zwei Korrepetitoren und einen eigenen Prokurator für die geistige und leibliche Wohlfahrt der Zöglinge. Man nennt diese Anstalt das Kolleg von Monserrat; es besitzt eine reiche Stiftung. Die meisten Zöglinge leben zudem auf eigene Kosten. Die Hausordnung wird mit Strenge gehandhabt. Ein Übertreter wird zunächst gewarnt und bestraft. Bessert er sich nicht, so schickt man den Eltern die Anzeige, für das weitere Fortkommen des Jünglings, dem die Pforte bereits offen stehe, Sorge zu tragen. Ändert er sich noch nicht, so erhält er Befehl, sich mit bürgerlicher Kleidung zu versehen. Ist diese bereit, dann wird er von seinen Mitschülern und dem Pater Rektor bis zur Haustüre begleitet und höflich entlassen. Die Kleidung der Zöglinge ist ein Talar; dieser wird ganz zugenäht, so daß nur für Kopf und Arme Öffnungen angebracht sind. Eine rote Binde von der Breite einer viertel Elle schlingt sich von der Brust über die Schultern und reicht auf dem Rücken bis zum Saume des Kleides herab. An der Form dieses Streifens kann man den Grad erkennen, den sich die einzelnen in ihren Studien erworben haben. Als Aufforderung zu rühmlicher Nachahmung prangen die Bildnisse ehemaliger Zöglinge im Speisesaale. Eine Reihe von Bischöfen und Erzbischöfen ging bereits aus dieser Anstalt hervor.

Ich kehre nun zu mir selber zurück. Die acht Tage, während deren man uns zur Erholung von den Mühseligkeiten der Reise festlich behandelte, waren verflossen; nun galt es, an die Arbeit zu gehen. Ich hatte noch nicht das ganze vierte Jahr der Theologie gehört und mußte mich vorbereiten, die letzte Prüfung zu machen und dann das dritte Probejahr zu vollenden. Nebstdem trug man mir auf, die Musik zu verbessern und die Neger, Sklaven des Kollegs, auf verschiedenen Instrumenten zu üben. Ich sah mich durch die Entdeckung traurig überrascht, daß die mir anvertrauten zwanzig schwarzen Musiker keine Noten kannten, sondern nur aus dem Gehöre sangen und spielten, obwohl sie die Musikalien in den Händen hielten. Ich mußte zum Feste des hl. Ignaz eine Vesper und eine Messe komponieren und hatte nur noch vier Monate Frist. Doch gelang es mir, meine Pflegebefohlenen so weit zu bringen, daß sie mein Werk mit seltener Genauigkeit aufführten, obwohl einzig der Organist die Noten lesen konnte, die andern alle aber nur auf ihr Gehör angewiesen waren. Der Bischof, der die Vesper und das Amt in unserer Kirche hielt, sowie die auf meine Komposition begierigen Stadtbewohner bezeigten mir ihre volle Zufriedenheit.

Der mir sehr geneigte Rektor gönnte mir nach glücklich überstandener Prüfung eine Erholung, die neben andern Gefälligkeiten mich an Cordoba fesseln und den Gedanken, in die Mission zu gehen, zurückdrängen sollten. Denn, wie mir gute Freunde zuflüsterten, dachte er daran, mich als Minister im Konvikt anzustellen. Ich verharrte jedoch bei meinem früheren Entschlusse, nahm aber gleichwohl die angebotene Erholung mit Dank an. Dieselbe bestand darin, das; man mich auf einige Estanzen[4] sandte. So nennt man die Wirtschaftsgüter, auf welchen hauptsächlich Viehzucht getrieben wird. Es gehören manchmal kleine Dörfer, aus sechs oder sieben Familien bestehend, dazu. Unser Kolleg hatte drei solche Estanzen; ein Priester und Laienbrüder bewohnten sie. Die Estanze Alta Gracia war die vorzüglichste von ihnen; dazu gehörte ein Dorf Puesto de S. Antonio, welche jedoch nur einige schlechte Hütten für Neger aufwies, die achttausend zur Maultierzucht bestimmte Stuten und dreitausend Maultiere zu besorgen hatten. Das höchste Gebirge um Cordoba, die Chala, gehört mit vierzehntausend Stück Hornvieh zu diesem Gute. Ich bestieg den Gipfel, hatte oben die angenehmste Witterung, während unter mir ein Gewitter das Tal erschütterte. Mutige Pferde trugen mich und noch andere Jesuiten in die Estanze Candelaria, in der wir nicht lange weilten, weil ein Wetterstrahl uns beinahe erschlagen hätte. Wir sahen am Morgen die Verwüstung des Blitzes, dankten Gott für unsere Erhaltung und kehrten zur Stadt zurück.

Mein drittes Probejahr wurde mir durch den Gedanken versüßt, daß ich nachher zur Bekehrung der Heiden verwendet werden würde; manche Unannehmlichkeit schwand durch diese Vorstellung. Was mir in Europa vielleicht sehr lästig geworden wäre, nahm ich hier leichter, wo die Nähe fremder Gegenstände durch den Reiz der Neuheit mich fesselte. Es befremdete mich anfangs, daß man hier im Probejahr ein braunes Kleid von sehr grobem schweren Tuche tragen muß, das wir Priester nur am Sonntag bei geistlichen Verrichtungen mit unserem sonst gewöhnlichen schwarzen vertauschen durften. Als aber viele alte Missionäre zur Provinzialversammlung nach Cordoba kamen, um einen zu wählen, der als Prokurator nach Rom reisen sollte, und ich von dem Vorsteher der Missionen bereits bekehrter Völkerschaften, dem Pater Bernard Nusdorfer[5], einem Bayern, zur Teilnahme an ihrer Arbeit angeworben wurde, vergaß ich leichten Sinnes auf das schwere Kleid. Seinem Andringen konnte ich jedoch nicht willfahren, weil ich vor Begierde brannte, meine Kräfte einem bisher unbekannten Stamme, der noch christlich werden sollte, zu weihen. Gott gab meinem Wunsche das Gedeihen, und ich erhielt die Weisung, mich in eine neugegründete Mission in der Gegend der Stadt Santa Fé zu begeben. Ich besuchte nach dem Rate des wohlwollenden Pater Rektor noch geschwind meine guten Freunde in den Estanzen, die mir acht gute Reitpferde schenkten. Indes ward im Kolleg meine Reise vorbereitet. Man gab mir einen bequemen Wagen, um einen Weg von beinahe hundert Meilen, größtenteils durch unwirtliche Gegenden, zurückzulegen, in welchen die Wilden manchmal zu streifen, und wen sie treffen, zu ermorden pflegen. So erlag kurz vor dieser Zeit auf dem nämlichen Wege Pater Franz Herera mit sieben weltlichen Personen den Mordwaffen der Wilden.


In Santa Fé.

Glücklich, doch nicht ohne Beschwerden erreichte ich Santa Fé, um hier die Ankunft meiner künftigen Zöglinge zu erwarten. Diese Stadt liegt in einer schönen Ebene an der Ostseite des Flusses Paraná, der hier kleinere Flüsse aufnimmt. Acht Meilen entfernt ist der große See Paiva, dreißig Meilen der Weiße See, der schon oftmals beim Zusammentreffen der Spanier und Indianer Blut getrunken. Fischen, Jagen und Holzfällen ist bei Santa Fé jedermann erlaubt. Die Jesuiten haben in der Stadt ein Kolleg mit vierzehn Personen und eine schöne Kirche; ferner befinden sich dort zwei Pfarrkirchen, eine für die Spanier, die andere für die Mulatten; auch die Dominikaner, die Franziskaner und die Brüder de la Mercede besitzen Klöster. Die offene Stadt mit vielen schattigen Bäumen ist den Anfällen der Indianer sehr ausgesetzt. Im kleinen Hafen erblickt man eine Menge von Angestellten, weil alle Schiffe, die nach Buenos Aires fahren, hier anlegen müssen, um zu mauten.




Anmerkungen

  1. Über diese Missionshospize siehe Huonder, Deutsche Jesuitenmissionäre 35 f.
  2. Wie P. Baucke, so sprechen auch andere Missionäre mit hohem Lobe von der portugiesischen Königin Maria Anna aus dem Hause Österreich als einer vorzüglichen Wohltäterin der Missionen und der Missionäre. Siehe Huonder, Deutsche Jesuitenmissionäre 52.
  3. Am 15. Juli 1570 war der selige Ignaz von Azevedo mit 39 Gefährten auf der Fahrt nach Brasilien von calvinischen Seeräubern unter Jakob Soria (Sourie) angegriffen und ermordet worden.
  4. Uber die Estanzen (estancias, Viehweiden, Landgüter) und überhaupt über den wirtschaftlichen Betrieb in der Mission Paraguay vgl. im Kirchenlexikon von Wetzer und Welte. 2. Aufl., den Artikel „Paraguay“, Bd IX, besonders Spalte 1466 ff: „Wirtschaftliches System der Reduktionen“. Uber die Anzahl dieser Estanzen braucht man sich nicht zu verwundern, denn der Bestand der Kollegien, die keine andern Fundationen hatten, hing größtenteils von der günstigen Entwicklung ihrer Estanzen ab.
  5. Geboren 1686 zu Plattling in Bayern; in die Gesellschaft Jesu eingetreten um 1704; ging um 1717 nach Paraguay, wirkte in verschiedenen Reduktionen, war Rektor des Kollegs zu Santa Fé, Oberer der Paraná-Missionen und Provinzial von Paraguay, gab verschiedene Verteidigungsschriften heraus. Siehe Huonder. Deutsche Jesuitenmissionäre 146.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hornung ist ein alter deutscher Name für Februar.
  2. Alumnat: Klosterschule (Internat) der Jesuiten.