P. Florian Baucke, ein deutscher Missionär in Paraguay (1749 - 1768)/Drittes Kapitel

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Drittes Kapitel.
Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay.


Das Verbannungsedikt.

Bereits waren die Jesuiten aus Frankreich und Portugal verwiesen. Wir in Paraguay hatten aber das feste Vertrauen, der König von Spanien werde niemals zulassen, daß man über uns das Gleiche verfüge[1]. Aber das Unglaubliche geschah.

Am 16. Juli 1767 um 4 Uhr morgens wurde das Jesuitenkolleg in Santa Fé von Soldaten umringt[2]. Abgesandte Beamte kamen zur Pforte, verlangten, der Pater Rektor solle eilends zu einem Kranken gehen. Als er kam, nahmen sie ihn und den öffnenden Pförtner gefangen, drangen ins Haus, in jedes Zimmer, trafen einige betend, andere mit dem Ankleiden beschäftigt, jagten alle in den Speisesaal und hielten sie hier so lange eingesperrt, bis alle Zimmer ausgeräumt waren. Nachmittags mußten die Väter ihr Ordenshaus und die Stadt verlassen, das Bild des Gekreuzigten am Halse, das Brevier unter dem Arme, ohne ihren Freunden auch nur ein letztes Lebewohl sagen zu dürfen. Jeder durfte einen Koffer mit Wäsche, der aber öffentlich auf dem Platze durchsucht wurde, auf die Wagen mitnehmen, auf denen sie nach Buenos Aires abgeführt wurden.

Die ganze Stadt war in Aufregung, als dieses unerwartete und harte Verfahren bekannt wurde. Die Tränen der Bewohner sagten es, wie sehr diese Priester geliebt und nun bedauert wurden. Diese aber mußten in ihrem Wagen auf dem Felde übernachten. Schildwachen verhinderten, daß irgend ein teilnehmender Mensch mit ihnen reden konnte. Die Sklaven des Kollegs durchrannten wie unsinnig die Stadt und schrien: „Ach, unsere Väter! wo gehen wir nun hin?“

Den 21. Juli saßen ich und mein Mitbruder eben beim Mittagsmahle, als ein spanischer Knabe kam und uns vom Schicksale unserer Brüder in der Stadt die erste Kunde brachte. Mir fiel das Messer aus der Hand, und ohne mir einen beruhigenden Grund angeben zu können, schüttelte ich ungläubig das Haupt, bis mein Freund, der Offizier Don Franz de Andino mit vier Soldaten ankam und mir einen Brief des Kommandanten überbrachte. Seine Miene, seine Zähren[WS 1], die die Wangen herabliefen, sprachen laut genug unser Unglück aus. Das Schreiben des Kommandanten besagte, daß die Jesuiten des Kollegs auf höchsten Befehl nach Buenos Aires abgeführt worden seien, daß aber rücksichtlich der Missionäre noch nichts bestimmt sei. Er beauftragte mich, mein Amt wie vorher zu verrichten und den Indianern von dem Vorgefallenen vorläufig ja nichts zu sagen. Der Offizier entfernte sich schon nach einer Viertelstunde.

Er hatte mich kaum verlassen, als das Wehklagen meiner Indianer in mein Zimmer drang. Gleich darauf hörte ich, daß sie mit Weib und Kind rüsteten, um in die Wildnis zu ziehen. Ich lief zu ihnen; den einen tröstete ich, den andern mußte ich mit Gewalt vom Pferde reißen, alle lärmten, keiner beantwortete mir meine Fragen. Der spanische Knabe hatte seine traurige Nachricht der Gemeinde mitgeteilt. Die Kaziken waren im höchsten Grade bestürzt; ich ließ sie rufen und bat sie, die Ruhe herzustellen. Cithaalin wollte sich gar nicht sehen lassen; er konnte vor Schluchzen kein Wort mit mir reden. Ich stellte ihnen vor, sie möchten nur noch ein wenig Geduld haben, denn es sei ja noch nichts entschieden. Aber sie hatten bereits einige Männer nach Santa Fé geschickt, um die Wahrheit zu erforschen; und diese brachten die Gewißheit zurück, daß in der Stadt kein Pater mehr zu finden sei. Nun packten sie neuerdings zusammen. Ich trat unter sie und sprach: „Meine Kinder! Sollte es auch so kommen, daß ich euch verlassen müßte, was noch gar nicht ausgemacht ist, was nötigt euch denn, schon vor der Zeit von mir euch zu entfernen? Warum wartet ihr nicht? Gesetzt auch, ich müßte euch wirklich verlassen, so versichere ich euch, ihr werdet einen andern Vater erhalten der für euch sorgt. Bleibet noch bei mir und laßt mir den Abschied nicht allzu bitter werden!“

Meine lieben, getreuen Kinder folgten meiner Mahnung, Cithaalin ausgenommen. Dieser erklärte: wenn man es wagen sollte, auch mich wegzuführen, wie die Väter in Santa Fé, würde er sich entweder an den Spaniern vergreifen, oder er müßte vor Weh und Jammer sterben. Um beidem auszuweichen, wolle er inzwischen in die Reduktion des hl. Hieronymus ziehen. Er ging auch wirklich mit vierhundert Leuten seines Stammes fort.

Tags darauf erhielt ich aus der Reduktion St Peter, die sechzehn Meilen von uns entfernt war, die Nachricht, die ganze Gemeinde sei in die Wälder entwichen, nur die zwei Priester befänden sich noch dort. Rasch entschlossen eilte ich mit Domingo und fünf Indianern von S. Xavier den Flüchtigen nach, ritt die ganze Nacht hindurch und hörte in der Frühe von ihren Missionären, daß die Flüchtigen die Richtung gegen Norden hin eingeschlagen hätten. Ich las rasch die heilige Messe und setzte den Entflohenen mit so gutem Glücke nach, daß ich sie am Abende in einem Walde antraf. Mein Flehen, von Domingos Zureden unterstützt, bewog sie, wieder in ihr Dorf zurückzukehren. Ohne länger bei ihnen zu verweilen, beeilte ich mich, nach S. Xavier zu kommen, um auch hier etwaigen Unordnungen vorzubeugen. Ich veränderte in der Hausordnung nichts und hielt den Gottesdienst wie vorher. Dem Kommandanten gab ich von allen Vorgängen Kunde. Er und die ganze Stadt waren über Cithaalins Entweichung nicht wenig erschrocken, denn sie fürchteten ihn sehr. Indessen hatte ein unbesonnener Spanier in St Peter geäußert, man würde nun bald kommen, um „die Patres zu holen“; nun zog die ganze Gemeinde zum zweitenmal weg. Ich fand sie wieder und brachte sie abermals zurück.

In der folgenden Woche schickte mir der Kommandant die Anzeige, daß auch wir Missionäre fort müßten, und ersuchte mich, ihm an einem bestimmten Tage gut bewaffnete und treue Indianer in die Stadt zu senden, sie sollten den königlichen Kommissären das Geleite in meine Reduktion geben. Ich ließ ihm durch den Überbringer des Briefes melden, er möchte sorgen, daß die Kommissäre jedenfalls ohne Soldaten zu mir kämen, denn sonst wäre zu befürchten, sie würden auf dem Wege von den Indianern, die in ihrer Erbitterung gegen die Spanier keine Grenze mehr kännten, ermordet werden.

Die Gemeinde von St Peter entwich abermals; ich brachte sie jedoch ein drittes Mal in ihr Dorf zurück. Während meiner Abwesenheit hatte man aber in S. Xavier den Plan entworfen, sich in die tieferen Waldungen zu begeben und uns Missionäre mitzunehmen. Als ich meine Leute wiedersah, hatten sie bereits unsere Herden weiter getrieben. Mein Mitmissionär, ein junger Mann, war dem Unternehmen so wenig abgeneigt, daß auch er schon seine Bücher und Gerätschaften eingepackt hatte. Ich sollte nun die Kirchengeräte zusammenrichten und dann sogleich mit ihnen aufbrechen. Ich widersetzte mich jedoch diesem Ansinnen. „Kinder“, rief ich aus, „ihr werdet durch solches Beginnen die Verfolgung der Spanier auf euch laden.“ „Wir fürchten sie nicht“, entgegneten sie, „sie reden nur immer mutig und halten stand gegen die Wilden, solang wir bei ihnen sind; sind sie aber allein, so zittern sie und laufen davon. Schießen sie auf uns, so springen wir seitwärts und ducken uns auf die Erde, so werden sie wenig treffen; und haben sie abgefeuert, dann gehen wir mit unsern Wurfspießen auf sie los, lassen sie nicht mehr laden und streiten mit unsern Lanzen, die ihnen von alter Zeit her bekannt sind. Würden sie uns dann doch noch weiter verfolgen, so haben wir Winkel genug in unserem Lande, die sie nicht finden werden, sollten sie auch, wie du zuweilen getan hast, mit langen Augen (so nannten sie mein Fernrohr) nach uns ausschauen.“

„Überlegt wohl, was ihr vorhabt“, fuhr ich fort. „Würde ich mit euch ziehen, so würde ich mir und allen meinen Mitbrüdern einen üblen Namen machen. Man würde in allen Ländern sagen, diese Väter seien wirklich Aufrührer gegen ihren König gewesen und hätten dieses Land für sich behalten wollen. Was würdet ihr auch mit mir gewinnen? Ich werde alt; die vielen neuen Mühseligkeiten werden mich krank machen, ich werde sterben. Wer wird dann eure Kinder taufen, euch predigen, euren Kindern Unterricht erteilen? Von den Spaniern, die ihr so empfindlich beleidigt, dürft ihr nicht hoffen, daß sie euch einen andern Priester zukommen lassen werden. Dann würdet ihr wieder in eure alten bösen Gewohnheiten zurückfallen und Heiden werden. Bleibet also lieber ruhig hier und erwartet andere Geistliche, die durch ihren Eifer und ihre Sorgfalt für euch ebenfalls eure Liebe verdienen werden.“

Diese Rede wirkte. Meine Indianer brachten mir noch die Einwendung vor, daß sie bei andern Priestern nicht sicher sein würden. „Du wirst es ja ebenfalls gehört haben“, sagten sie, „wie man mit unsern Vorfahren an einem Orte bei der Stadt Santiago (de Tucuman) umgegangen ist. Täglich kamen zwei Priester aus der Stadt zu ihnen; aber eines Tages wurden sie unvermutet von den Spaniern umringt, gefangen genommen und als Sklaven weggeführt. Doch wenn du uns versicherst, daß wir einen neuen Priester erhalten werden, der dein Freund ist und es aufrichtig und väterlich mit uns meint, so wollen wir ein Jahr lang ruhig hier bleiben. Nach dieser Zeit, so hoffen wir, werden wir dich wiedersehen. Erscheinst du nicht, so können wir heute noch nicht sagen, was wir tun werden.“

Gott hatte meine Worte gesegnet. Die Ruhe war wieder hergestellt und für die nächste Zukunft gesichert. Ich ließ nun meinen Domingo mit fünfundzwanzig gut bewaffneten Indianern nach Santa Fé reiten, um die Kommissäre und den neuen Missionär abzuholen; nach einigen Tagen langten diese an. Der Oberkommissär war der ehemalige Stadtrichter von Santa Fé, Don Pedro de Miura, der Missionär Don Michael de Zibureu, ein Weltpriester, Doktor der Theologie, ein sittsamer, gelehrter, wackerer Mann, Sohn eines verstorbenen Kommandanten zu Santa Fé, und sehr vermöglich. Einige Spanier waren als Zeugen mitgekommen. Zum Unglück hatte man zur Bedienung einige freche Burschen mitgebracht, die meine Vorratskammer ausraubten und meinen Garten plünderten. Die Gemeinde wurde über deren Treiben in hohem Grade unwillig. Die Entrüstung äußerte sich so laut, daß ich Gewalttätigkeiten befürchtete. Denn weil sie sahen, wie die Bedienten über meine Habe herfielen, so glaubten sie, die Reihe werde auch bald an die ihrige kommen. Den Kommissären, die ohnehin den widrigen Eindruck, den ihre Gegenwart auf meine Indianer machte, bemerkt hatten und sich gewaltig fürchteten, stellte ich nachdrücklich vor, es sei hohe Zeit, dem Unfug ihrer Diener ein Ende zu machen, wenn sie selbst nicht Hunger leiden oder Mordtaten veranlassen wollten. Die Kommissäre gerieten in Sorge und baten, ich solle den Dorfbewohnern melden, sie dürften jeden Angekommenen, der sich ein Unrecht erlaube, nach ihrem Gutdünken bestrafen. Ich verlangte, die Kommissäre selbst sollten dies den Indianern erklären und einen Beweis geben, daß die Sicherheit meiner Gemeinde ihnen am Herzen liege. Sie taten es, und das Ungewitter verzog sich.

Das erste Geschäft war die Inventaraufnahme meiner kleinen Habseligkeiten. Sogar der mindeste Hausrat wurde aufgeschrieben: wie lang, wie breit die Tische, von welchem Holze, ob die Füße gedrechselt oder glatt seien. Ich hatte ein Tischchen mit kreuzweise verschränkten Füßen, wie man sie in Deutschland häufig antrifft. Don Pedro, der seine Beschreibung genau machen mußte, fragte mich, wie er diese Füße in spanischer Sprache nennen solle. Ich antwortete: „preußische“, und er schrieb es hin. Nachdem alle Kisten und Kästen schon durchsucht waren, fragte man nach dem Geld. Ich erklärte ihnen, daß die Reduktion kein Geld besitze, weil wir unsern ganzen Bedarf durch Umtausch gedeckt hätten. Ich zeigte ihnen meine Barschaft: nach deutscher Münze drei Gulden und einige Kreuzer. Ich sollte einen Eid darüber ablegen, daß ich nicht mehr besitze. Ich beteuerte die Wahrheit meiner Aussage auf meine priesterliche Ehre. Da wurde den Spaniern das Herz weich, und Don Pedro rief mit Tränen im Auge aus: „Sind das die großen Reichtümer, die man bei den armen Missionären sucht? Behalten Sie dieses Geld für sich; Sie dürften es vielleicht nötig haben, um sich auf Ihrer Reise Brot zu kaufen. Wir haben nur Befehl, das Geld der Reduktionen abzufordern, nicht aber jenes, was Ihnen zu eigen gehört.“ – Wollte Gott, sie hätten es mit meinem andern Eigentum ebenso gemacht! Ich besaß viele Bücher, die ich teils aus Europa mitgebracht teils hier eingehandelt oder von guten Freunden zum Geschenk erhalten hatte; ferner drei schöne Feuerrohre, musikalische und mathematische Instrumente und verschiedene Werkzeuge. Alle diese Sachen nahmen die Herren vor meinen Augen für sich, mir ließen sie nichts als das Bild des Gekreuzigten, ein altes Brevier und zwei kleine geistliche Bücher.

Aus meiner Wohnung ging man, die Kirchensachen aufzuschreiben und sodann das Vieh, soweit möglich, zu zählen. Ich übergab gegen vierundzwanzigtausend Stück Hornvieh, zwölfhundert Stuten zur Zucht der Maultiere, vierhundert junge Maultiere, fünfzehnhundert Pferde, siebzehnhundert Schafe und fünfhundert Zugochsen. Meine Indianer sahen betrübt zu. Damit sie aber nicht allzu traurig würden, zeigte ich eine fröhliche Miene, so schwer es mich ankam.

Herzlichen Trost fühlte ich zugleich mit unendlicher Wehmut, als meine Pfarrkinder mich baten, noch einmal ihre Beichte zu hören und sie mit Gott zu versöhnen. Ich brachte die ganze Zeit in der Kirche zu, während die Kommissäre noch überall Nachsuchungen anstellten und mich nur rufen ließen, wenn sie eine Schwierigkeit fanden.

Von hier reiste die Kommission nach der Kolonie von St Peter. Ich gab ihnen fünfundzwanzig Mann als schützende Begleitung mit. Sie drangen aber in mich, persönlich mitzugehen. Da ich merkte, daß sie nur unter meinem Schutze sich für sicher hielten, überließ ich meine Leute indes dem neuen Pfarrer und meinem betrübten Mitbruder Raymund Wittermayr, der beständig weinte. Den für St Peter bestimmten Weltpriester Don Franz de Reyes nahmen wir sogleich mit. Hier dauerte die Aufzeichnung des Besitzstandes vier Tage. Dann ging die Reise nach St Hieronymus, wohin ich sie aus triftigen Gründen nicht begleitete; nur sandte ich auf ihr Verlangen vierzig Mann als Bedeckung mit.


Abschied von den Indianern.

Nachdem auch in St Hieronymus alles erledigt war, kehrten die Kommissäre mit den vier Missionären der beiden Reduktionen nach S. Xavier zurück, um auch mich und meinen Gefährten wegzuführen. Sie wollten dies sogleich ohne Aufschub tun; aber weil man die Vorspannochsen nicht finden konnte, mußten sie noch verweilen. Ich brachte in Erfahrung, daß meine Leute die Ochsen weggetrieben und versteckt hatten; auf mein Zureden wurden die Tiere jedoch gesucht und herbeigebracht. Mein Herz wollte mir zerspringen, da die Trennung nun unvermeidlich war. Um den Schmerz des immer fortgesetzten Abschiednehmens zu verringern, gab ich meinen Wunsch zu erkennen, niemand solle mir das Geleite geben, und besonders solle mein teurer Domingo zurückbleiben, um den neuen Pfarrer zu schützen und ihm mit Rat und Tat an die Hand zu gehen. Aber vergebens. Als wir aufbrachen, saß Domingo mit fünfundzwanzig Indianern zu Pferde und ritt mit uns. Die ganze Gemeinde rang die Hände und wehklagte, so daß sogar die Kommissäre tief erschüttert wurden. Von allen Zungen erschallte der Ruf: „Gehet und reiset, Väter, aber kehret in kurzer Zeit zurück!“

Auf der Reise nach Santa Fé kamen wir an der Wohnung meines Freundes vorbei, jenes Offiziers, der zu St Peter bei mir gewesen war und mir die Nachricht unserer Vertreibung nach S. Xavier gebracht hatte. Er und seine ganze Familie zerflossen in Tränen. Wir durften nicht stillhalten; und als er nachritt und um Erlaubnis bat, mich sprechen zu dürfen, wurde sie ihm abgeschlagen und ihm bedeutet, dies wäre wider den ausdrücklichen Befehl des Königs. Seine Frau sandte uns Lebensmittel nach, die man uns anzunehmen gestattete.

Vor der Stadt mußten wir Halt machen. Sechs Soldaten kamen, um uns sechs Missionäre zu bewachen und zu verhindern, daß wir uns mit jemand besprächen. Da die Kommissäre dem Kommandanten berichteten, es seien Indianer mit uns gekommen, ließ er dem Domingo befehlen abzuziehen. Dieser aber, seines Zornes nicht Meister, redete derart, daß ich erstaunte und mir dachte, ich würde wohl in Ketten nach Spanien gebracht worden sein, wenn ich mir seine Ausdrücke erlaubt hätte. „Es kann nicht wahr sein“, donnerte er sie an, „daß euer König[3] befohlen, uns unsere Väter zu rauben, noch viel weniger, daß wir mit ihnen gar nicht reden sollen. Ihr habt dies vielleicht unter euch ausgesonnen. Eure Tücke, die ihr gegen uns und gegen unsere Väter schon bewiesen habt und jetzt wieder beweisen wollt, ist die Ursache, daß uns dieses Unglück getrosten hat. Meint ihr, daß ihr durch die Vertreibung unserer Väter glücklicher sein werdet? Ihr habt keinen Grund, dieses zu glauben. Ihr wisset gar wohl, wie wir mit euch verfahren sind, ehe wir mit diesen Vätern lebten. Was könnt ihr jetzt Gutes von uns hoffen, da ihr uns unsere Väter wegführt, die uns zum christlichen Leben und zum Gehorsam gegen den König angeleitet haben? Seid ihr nur Afterchristen? Sind eure Wunden schon geheilt, die wir euch einst geschlagen? Gebt acht, wir können sie erneuern! Ich kenne wohl die Beweise der Freundschaft, die ihr uns gegeben, nachdem wir uns dem Kreuze unterworfen haben. Nicht ihr habt uns mit euren Schwertern und eurer Feuerwaffe untertänig gemacht; unsere Väter haben uns durch die Lehre Jesu bezwungen. Wir sind dadurch nicht eure Sklaven geworden. Es kann nicht sein, daß unser König euch solche Befehle gegeben hat, denn unsere Väter haben uns seine christliche Milde immer gerühmt. Wäret ihr gute und getreue Christen wie wir, so würdet ihr gleich uns die Abreise dieser Väter empfinden. Saget eurem Kommandanten, daß er den Stab, den er trägt, erst unlängst erhalten hat. Ich trage den meinen schon länger; der Statthalter hat ihn mir aus freiem Willen überreichen lassen. Er soll uns einen Beweis seines Mutes geben und nicht in der Stadt sitzen bleiben. Will er uns bekriegen, so darf er nicht glauben, daß wir davonlaufen werden. Er soll in seiner Stadt, aber nicht uns befehlen. Ich werde nicht eher zurückreisen, als bis es mir selbst gefällig sein wird; und wenn er will, so soll er ausrücken und uns mit Gewalt von hier wegtreiben. Auf seinen Befehl weiche ich nicht; und ich werde unsere Väter so weit begleiten, als es die Kräfte unserer Pferde zulassen.“

Diese Rede machte auf den Kommandanten keinen geringen Eindruck. Er schickte sogleich die Antwort, Domingo könne uns das Geleite ganz nach seinem Belieben geben. Es sei nie sein Befehl gewesen, ihn zu entfernen. Ein Soldat müsse diese Lüge ersonnen haben; er werde den Schuldigen abstrafen lassen, sobald er ihm angezeigt würde. Obwohl die Wache zugegen war, schickten uns die Spanier Zuckerwerk, eingelegte Früchte und andere Lebensmittel. Der Oberkommissär sandte mir baumwollene Strümpfe und Taschentücher.[WS 2]

Den folgenden Tag mußten wir nahe bei der Stadt über zwei Flüsse setzen und dort noch zwei Tage bis zum 6. September bleiben. Der Kommandant hatte uns sogleich bei unserer Ankunft vor Santa Fé fragen lassen, ob wir Wäsche und andere Kleidungsstücke nötig hätten. Wir mußten ihm unsere Wünsche schriftlich anzeigen. Schon den folgenden Tag erhielt ich sechs neue Hemden, fünf weiße Taschentücher, ein paar schwarze Strümpfe, ein Hauskleid, Schuhe und ein großes Brevier; das meinige war mir ins Wasser gefallen, und als ich es an der Sonne trocknen lassen wollte, von einem Hunde zerrissen worden. Auch an unserem neuen Standorte besuchten uns die Spanier trotz des Verbotes. Der Kommandant tat, als sähe er es nicht, denn Domingos Rede tat noch immer ihre Wirkung. Freunde brachten uns aus der Stadt Eßwaren und Weine und speisten mit uns. Den letzten Tag kamen auch einige Frauen, küßten uns die Hand und gaben uns dabei Geld, das sie in Papier gewickelt hatten, in die Hand. Mein Freund Don Narziß de Echague, der die meiste Zeit bei mir verweilte, gab mir drei Goldmünzen und sprach: „Eher Märtyrer als Bekenner“, und er meinte damit, wenn ich durchsucht werden sollte, möchte ich mich lieber martern lassen als den Wohltäter verraten.

Wir Jesuiten bekamen ein jeder einen Wagen. Ferner wurden zwei Wagen herbeigeschafft, um das Küchen- und Tischgeschirr mitzuführen, das man uns bis nach Buenos Aires lieh. Es war das Geschirr, das noch vor kurzer Zeit unserem Kolleg in Santa Fé gehört hatte.


Die Fahrt nach Buenos Aires.

Am 6. September mußten wir die Reise nach dem über hundert Meilen entfernten Buenos Aires antreten, von einem Offizier mit sechs Soldaten bewacht. In der Nacht des 7. September kamen wir in ein spanisches Dörfchen, das eine Kapelle hatte. Wir glaubten, den 8., am Feste Mariä Geburt, hier eine heilige Messe hören zu dürfen. Die Soldaten und die Fuhrleute gingen in die Kirche; wir aber durften unsere Wagen nicht verlassen. Da sie wieder zu uns kamen, baten wir, daß einer aus uns eine heilige Messe lesen und die andern die heilige Kommunion empfangen dürften. Es wurde uns abgeschlagen, worüber sich Domingo sehr ärgerte. Den 10. gelangten wir zu der einst uns gehörigen Meierei St Michael. Die Sklaven kamen, um sich von uns zu verabschieden; sie wurden aber von den Soldaten zurückgewiesen. Sie weinten bitterlich und schickten uns durch die Soldaten ein Lamm, Hühner und vier große Käse. Obwohl wir langsam reisten, konnten wir das Stoßen unserer Wagen nicht mehr ertragen, sondern bestiegen Reitpferde.

Am 14. waren wir in dem kleinen Marktflecken Capella del Rosario, dreiundvierzig Meilen von Santa Fé. Am folgenden Tag beredete ich meinen treuen Domingo, nach Hause zurückzukehren. Er wäre gern nach Buenos Aires gezogen, um den Statthalter zu bewegen, mich in die Reduktion zurückkehren zu lassen. Ich machte ihm aber klar, daß solches nicht in der Macht des Statthalters liege. Und nun erst entschloß er sich zur Rückkehr. Er und seine Leute bestiegen die Pferde. Sie ritten zu meinem Wagen, stiegen ab, küßten mir unzählige Male die Hände und weinten. Nur Domingos Auge blieb trocken; sprachlos stand er vor mir. Plötzlich wurde er leichenblaß, Hände und Füße zitterten ihm. Die Spanier eilten herbei, weil sie glaubten, der Schlag habe ihn gerührt. Nach langer Weile kam er zu sich. „Sieh, Vater“, sprach er, „alle deine Söhne weinen um dich; ich allein weine nicht und kann auch nicht weinen. Es ist nicht darum, daß ich kein Leid in meinem Innersten empfinde, sondern es geschieht wegen der Heftigkeit des Schmerzes, weil du von uns scheidest. Es ist mir, als könnte ich nicht genug atmen. Vater! Gott vergelte dir, was du uns gelehrt, was du bei uns ausgestanden hast; vergiß niemals, daß wir dich als Vater geliebt haben. Du hast es ja verdient, von uns geliebt zu werden. Ich habe noch immer Hoffnung, daß wir dich wieder sehen werden; denn ich glaube nicht, daß dich der König uns für immer entreißen wird. Mußt du auch nach Spanien reisen, so wollen wir doch ein Jahr warten. Kommst du wieder nach Buenos Aires, so gib uns Nachricht; ich werde nicht versäumen, dich abzuholen.“ – Ich gab ihnen meinen Segen, und sie ritten davon.

Wir setzten bald über den Fluß Montiel und sahen wieder einige Häuser. Ein Spanier erzählte hier, daß die Indianer vom Stamme der Pampas schon in ein Dorf eingebrochen wären und Feuer angelegt hätten, durch das dreiundvierzig Spanier das Leben eingebüßt hätten. – Wir mußten oft über Flüsse setzen und auf freiem Felde unser Nachtlager halten. Den 29. September blieben wir am Flusse Areco, an dem das Jesuitenkolleg von Buenos Aires seine größte Meierei besaß. Wir durften nicht hineingehen.

Am 4. Oktober sahen wir Buenos Aires und fuhren nach 9 Uhr in die Stadt zum Kolleg Belen Bethlehem. Zwei Kompagnien Grenadiere erwarteten uns mit aufgepflanztem Gewehre. Der Zulauf der Städter war so groß, als wenn die Hinrichtung vieler Missetäter anzusehen gewesen wäre. Wir Missionäre wurden in dem Hause neben dem Kolleg untergebracht, in welchem man sonst die geistlichen Übungen abzuhalten pflegte. Beim Eingang standen achtundvierzig Grenadiere mit ihren Offizieren. Unsere Koffer und Lebensmittel wurden von den Wagen genommen und die Schlüssel abgefordert. Nach drei Tagen erhielten wir die durchsuchten Koffer wieder, aus welchen man alles, was nicht Wäsche oder Kleidung war, herausgenommen hatte. Die Lebensmittel, Wein u. dgl., beliebten der Herr Major und die andern Offiziere unserer Wache für sich zu behalten.


Gefangenschaft in Buenos Aires.

Der Major und die Offiziere besuchten uns alsogleich und nahmen uns alle Papiere, die wir in der Tasche hatten, Federn und Tinte und sogar die Bildchen, die wir im Breviere liegen hatten, weg, wenn etwas darauf geschrieben war. Zwei Missionäre wurden besonders eingeschlossen. Vor der Zimmertüre eines jeden dieser beiden stand eine Schildwache. Was sie nötig hatten, wurde ihnen in diese Zimmer gebracht; nicht einmal zu dem mit einem Gitter verwahrten Fenster, das in den Garten ging, durften sie gehen, damit sie ja mit keinem Menschen sprechen könnten. Es läßt sich kein anderer Grund dieses Verfahrens denken, als daß man die Stadt glauben machen wollte, diese zwei seien besonders große Verbrecher. Die beiden Patres drangen darauf, man möge ihnen doch die Gründe bekannt geben, warum man sie so hart halte, und möge die Gründe prüfen. Aber erst nach zwei Monaten wurde im Auftrag des Statthalters ein Verhör vorgenommen; man stellte jedoch keine andern Fragen an sie als diese: aus welchem Lande sie gebürtig, wann sie in den Orden eingetreten seien, ob sie bei ihrem Abzuge aus dem Kolleg kein Geld mitgenommen hätten, und dergleichen Fragen. Dennoch wurden sie aus ihrer engen Haft nicht entlassen.

Ich war so glücklich, nach einigen Wochen die besondere Gunst des Majors, der uns bewachte, zu gewinnen. Er und seine Offiziere besuchten mich und meine fünf Zimmergenossen. Er führte mich auch manchmal in seine Wohnung im nahen Kolleg. Dasselbe war mit unserem Wohngebäude durch einen bewachten Gang verbunden, den sonst keiner aus uns betreten durfte. Auch in unsern Garten durften wir nicht gehen. Der P. Anton Guttierez[WS 3], Rektor von Asuncion, ersuchte mich, die Gefälligkeit des Majors gegen mich zu benützen, um die Erlaubnis zu erhalten, unsere Mitbrüder im Kolleg besuchen zu dürfen. Ich trug dem Major diese Bitte vor; er hörte sie lächelnd an und begleitete sie mit der Bemerkung: „In der Tat, Ihre Mitbrüder haben einen guten Fürsprecher gewählt. Ich habe Sie, mein Freund, schon lange zu mir in das Kolleg versetzen wollen, dachte aber. Sie würden sich nicht gern von Ihren Schicksalsgefährten trennen. Doch wissen Sie was? Schreiben Sie mir fünfzehn Ihrer Mitmissionäre aus; ich werde sehen, was sich machen läßt.“ Nach einigen Tagen kam ein Unteroffizier mit zwanzig Grenadieren und holte mich und die fünfzehn von mir bezeichneten Jesuiten ab. Wir fanden im Kolleg, wohin man uns brachte, große Zimmer. Ich durfte mir einen Mitbruder auswählen, der mit mir ein Zimmer bewohnen sollte. Etwas später erlangte ich auch die Gunst, daß wir alle im Garten spazieren gehen durften. Wie wohl war uns, wenn wir vom Balkon des Gartenhauses die herrlichste Aussicht auf den Silberfluß genossen! Erblickten wir in weiter Ferne ein Schiff, so schmeichelten wir uns mit der Hoffnung, es bringe den Widerruf unserer Verbannung.

Wir baten, man möchte uns doch gestatten, die heilige Messe zu lesen. Der Statthalter[4] schickte uns die rohe Antwort zu: „Wozu diente dies? höchstens dazu, daß die Jesuiten noch mehr Entheiligungen begingen! Man kann auch ohne Messelesen leben.“ Der Bischof erlaubte uns, daß anfangs täglich einer, später aber alle das unblutige Opfer des Neuen Bundes darbringen durften, aber nur bei geschlossenen Türen.

Zwei Missionäre starben. Kein Glockengeläute durfte ertönen; wir mußten unsere Brüder ganz in der Stille dem Grabe übergeben. – Unsere Kost wurde uns spärlich und elend zubereitet gereicht, obwohl der König den Gastgeber gut dafür bezahlte. Dieser trug jedoch keine Scheu, Gedrückte noch mehr zu drücken. All unsere Freunde, sie mochten sein, wer sie wollten, wurden in unser trauriges Schicksal verwickelt; mehrere wurden aus ihrer Wohnung entfernt und nach Montevideo oder nach benachbarten Inseln verwiesen. Ilson, gewesener Statthalter von Paraguay, schickte unserem P. Anton Miranda, seinem alten Freunde, eine goldene Dose mit Goldmünzen gefüllt, um dessen Elend zu erleichtern; – er wurde in der Nacht verhaftet, auf ein Schiff gebracht und auf eine achtzig Meilen von Buenos Aires entfernte Insel verbannt.

Täglich wurde die Wache gewechselt und auf ein gegebenes Zeichen die Musterung über uns vorgenommen. Wie Soldaten mußten wir uns aufstellen, um gezählt zu werden; und fehlte einer, so wurden alle Winkel durchstöbert, bis man ihn gefunden hatte.

Während wir auf solche Weise von außen gequält wurden, mehrten sich unsere Leiden durch inneren Verrat. Die Jesuiten, welche im Hause der geistlichen Übungen wohnten, waren meistens Amerikaner (d. h. wohl Kreolen), die den Gedanken, ihr Vaterland verlassen zu müssen, nicht ertragen konnten. Es fehlte daher nicht an Äußerungen des Unwillens, die den Statthalter, falls sie ihm bekannt wurden, erzürnen mußten. Zwei Priester, unserem Orden noch nicht durch die Gelübde verbunden, verlangten vom Statthalter, aus unserer Gesellschaft entlassen zu werden und in ihrem Vaterlande als Weltpriester leben zu dürfen. Um ihn ihren Wünschen geneigt zu machen, wußten sie Mittel zu finden, an ihn zu schreiben und über alles, was sie sahen und hörten, Bericht zu erstatten. Ich entdeckte diese unedle Handlungsweise durch einen ihrer Briefe, den ich in der Wohnung eines Offiziers fand. Es gelang mir auch, sie durch den Major, der mein Freund und uns sehr geneigt war, aus dem Hause in einen andern Gewahrsam, nämlich zu den Bethlehemiten, zu versetzen.

Durch diesen Major erfuhren wir auch, wie es nach unserem Abzug in unsern vormaligen Gemeinden zuging. Die Quelle seines Berichtes war der Statthalter selbst. Acht Tage nach unserer Entfernung kehrten die Bewohner der Kolonie St Peter in ihre Wildnis zurück. Meine Mokobier zu S. Xavier verhielten sich aber ruhig und gehorchten ihrem Pfarrer. Die Wilden trieben ihr Unwesen wieder überall; sie brachen aus ihren Waldungen hervor und verlegten die Wege nach Peru. Die Pampasindianer fielen in das Dorf Magdalena, etwa eine spanische Meile von Buenos Aires entfernt, ein, raubten die Kinder und mordeten die Erwachsenen. Sie wurden von der Reiterei verfolgt und, als sie sich schon sicher glaubten, überfallen. Zwölf Indianer wurden getötet, sechs gefangen, die übrigen fanden ihr Heil in der Flucht. Die Spanier, durch diesen Sieg ermutigt, drangen noch tiefer in die Waldungen, sahen sich aber am dritten Tage umringt und mit Wut angegriffen und fielen unter den Streichen der Indianer. Vergebens erwartete man ihre Rückkunft. Keiner kam. Der Statthalter schickte Dragoner aus, um Nachricht zu erhalten. Nach vier Wochen rückten diese wieder mit der Kunde ein, das Schlachtfeld gefunden und die von den Tigern abgenagten Knochen ihrer Waffenbrüder gesehen zu haben. Durch Gefangene erfuhren sie die näheren Umstände der Niederlage. Nun wurden zweitausend Mann abgesandt mit dem Befehle, so tief als möglich in die Wildnis einzudringen und die Erschlagenen zu rächen. Ob und wie es diesen gelungen, erfuhren wir nicht, denn wir mußten Buenos Aires verlassen, noch ehe über diese kriegerische Unternehmung Nachricht eintraf.

Während unseres Aufenthaltes in Buenos Aires erschütterte uns das herzzerreißende Schicksal unserer jungen Ordensbrüder. Sie hatten sich in Europa mit heiligem Eifer eingeschifft, um in unsern Missionen im Weinberge des Herrn zu arbeiten. Der Gedanke, daß sie bei ihrer Ankunft den Wirkungskreis ihrer sehnlichsten Wünsche verschlossen sehen würden, kam ihnen nicht in den Sinn. Zehn Monate lang waren sie durch Stürme auf dem Meere umhergetrieben worden. Ohne die traurige Zukunft auch nur zu ahnen, freuten sie sich beim Anblicke Montevideos, endlich wieder Land betreten zu dürfen. Sie warfen die Anker und verließen hoffnungsfroh das Schiff – da kam der niederschmetternde Befehl, kein Jesuit dürfe von Bord gehen, das Schiff müsse wieder nach Spanien zurück, denn der Orden sei vernichtet.

Mehrere Jesuiten lagen auf dem Schiffe gefährlich krank. Man bat, doch wenigstens diese ans Land bringen zu dürfen; aber man erhielt die höhnende, unmenschliche Antwort, es sei einerlei, ob sie zu Wasser oder zu Lande stürben; auf dem Schiffe würden sie nicht einmal einen Totengräber nötig haben. Als aber der Schiffskapitän Vorstellungen machte, die kranken Jesuiten könnten ihm seine ganze Mannschaft anstecken, wurden neun Jesuiten in einer Barke ausgeschifft, um nach Buenos Aires zu den Bethlehemiten gebracht zu werden. In der ersten Nacht ihrer Fahrt schleuderte sie der Sturm an die Felsen, und die Flut nahm jene gastlich auf, welchen man auf dem Lande keinen Ruheplatz gegönnt hatte. Der Leichnam eines Novizen wurde an der Küste von San Sacramento gefunden und dort auf Befehl des portugiesischen Statthalters prächtig begraben.

Der spanische Statthalter in Buenos Aires dagegen ließ einige ans Gestade geworfene Leichen der Jesuiten ohne Sang und Klang einscharren. Solches Verfahren erfüllte alle Bewohner mit Abscheu. Ihr Gefühl wurde noch mehr empört, als man die Kirche des großen Jesuitenkollegs vermauerte und die Kirchengeräte von Gold und Silber in die Wohnung des Statthalters brachte. Der Unwille gegen dessen Betragen äußerte sich laut. Er schrieb ihn der Aufregung zu, welche wir im Volke verursacht haben sollten. Daher verdoppelte er unsere Wachen und ließ uns melden, er werde uns, falls wir mit den Bewohnern der Stadt auf was immer für eine Art in Verbindung träten, auf öffentlichem Platze aufhängen lassen. Diese übertriebene Drohung erschreckte uns zwar nicht, jedoch ließen wir ihm durch unsern Major antworten, wir seien in seinen Händen und müßten uns die Strafe gefallen lassen, falls uns bewiesen würde, daß wir sie verdient hätten und es der Befehl des Königs sei. Verbindungen mit den Spaniern hätten wir seit unserer Gefangennahme überhaupt nicht gepflogen und würden sie aus Gehorsam gegen seinen Willen auch künftig nicht pflegen; das Zeugnis der uns bewachenden Offiziere werde uns rechtfertigen[5].


Abfahrt nach Spanien.

Ende März 1768 hörten wir, zu Montevideo sei eine Kriegsfregatte des Königs von Spanien gelandet. Wir vermuteten, der Zeitpunkt unserer Abführung nach Spanien sei gekommen. Hierin hatten wir uns nicht geirrt. Wir wurden aufgefordert, unsere Bedürfnisse schriftlich anzuzeigen, und erhielten nach einigen Tagen ganze Kisten voll Kleidung und Wäsche, Hüte, Schuhe und jeder ein Pfund spanischen Tabak. Es wurde uns bedeutet, uns reisefertig zu machen; die Offiziere der Fregatte kamen nach Buenos Aires, um uns kennen zu lernen. Ich hatte das Glück, ihnen von unserem Major gut empfohlen zu werden. In Buenos Aires wurde die Verproviantierung des Schiffes besorgt und in Barken nach Montevideo geliefert. Wein, gesalzenes Fleisch, Schinken, geräucherte Zungen, Zwieback, Zucker, Früchte aller Art und von der besten Gattung wurden für die Fregatte angeschafft. Die Kosten beliefen sich auf viele tausend Pesos; denn der König hatte befohlen, für unsere Nahrung und Kleidung reichlich zu sorgen. Hätten wir auch alles das wirklich erhalten, was des Königs Güte uns zugedacht, so hätten wir in der Folge nie Ursache gehabt, über Mangel und Not zu klagen.

Den 1. April 1768 verließen wir Buenos Aires wie Verbrecher. Des Morgens zog doppelte Wache vor unser Haus; nach dem Mittagsmahle wurden wir abgezählt. Wir baten, daß ein sehr schwer kranker Missionär und ein anderer Jesuit aus dem Kolleg zu Cordoba, den unser hartes Geschick um den Verstand gebracht hatte, bei den Bethlehemiten untergebracht würden. Der erstere kam dahin, der andere mußte mit uns. Bei der Hauspforte stand eine Kompagnie Grenadiere, die uns in die Mitte nahm und abführte. Die Soldaten hatten die Gewehre scharf geladen und den Befehl erhalten, auf jeden, der zu entfliehen suchen würde, Feuer zu geben. Obwohl man uns zur Zeit der gewöhnlichen Mittagsruhe aus der Stadt brachte, so waren doch sehr viele Menschen auf den Straßen und bemitleideten uns herzlich. Wir wanderten über eine halbe Stunde weit bis an den Ort, an dem die Barken zu landen pflegen. Dort fanden wir ein großes Zelt aufgeschlagen, in welchem wir auf durchnäßter Erde (denn es regnete, und der Regen drang in das Zelt) ohne Betten schlafen sollten. Wir waren froh, als man uns am andern Tage gebot, in zwei Schiffen zur Fregatte zu fahren. Ein heftiger Sturm machte diese Reise gefährlich und die endliche Ankunft bei der Fregatte „Esmaralda“ erwünscht. Der Kapitän Don Pedro Billano, ein kurzer, dicker, rascher Mann, empfing uns ziemlich frostig, versorgte uns hinlänglich mit Speise, aber alle gleichmäßig, eine Maßregel, mit welcher unsere siebzig- und achtzigjährigen Greise natürlich nicht zufrieden sein konnten, weil der Genuß harter, für sie unverdaulicher Speisen ihre Gesundheit untergrub. Sie klagten untereinander darüber, wurden aber beim Kapitän angezeigt. Derselbe drohte, er werde die Unzufriedenen in Eisen schlagen lassen.

Am 15. Mai wurden Ochsen, Schafe, Hühner und grünes Gemüse auf unsere Fregatte gebracht, und den folgenden Tag lichtete sie die Anker zur Reise nach Spanien. Ein Sturm hätte uns beinahe die weitere Reise erspart; die Geschicklichkeit unseres Kapitäns rettete uns. Wir im unteren Schiffsraume hatten täglich mit Ungemach zu kämpfen. Hunderteinundsiebzig Jesuiten lagen hier im engen Raume beisammen. Unsere Betten waren viel zu kurz und zu schmal, und wir fanden keine Nachtruhe. Zudem quälte uns Ungeziefer jeder Art. Unsere gefährlich Kranken erfüllten uns mit banger Sorge, weil wir ihnen nicht helfen konnten und befürchten mußten, von ihnen angesteckt zu werden. Dieser Gefahr half aber der Kapitän bald mit Menschenfreundlichkeit ab, indem er die Kranken von uns absonderte. Ich für meine Person muß es ihm dankbar nachrühmen, daß er mich, als ich selbst erkrankte, väterlich pflegen ließ. Ich hatte dieses ausgezeichnete Betragen der Empfehlung meines guten Majors in Buenos Aires zu danken. Zwei Jesuiten starben auf unserer Fregatte; man versenkte ihre Leichen ins Meer[6]. Die Nahrung, die man uns reichte, war karg; wenn ich allein aus besonderer Vorliebe des Kapitäns bessere Nahrung erhielt, so blutete mein Herz, da ich sah, wie meine Brüder am Hungertuche nagten. Das Mittagsmahl machte ein kleines Stückchen gesalzenes oder frisches sehr mageres Rindfleisch und ein Löffel voll Linsen und Bohnen aus, die untereinander gekocht waren; dazu gab man uns ein Gläschen Wein. Am Abend brachte man uns Schinken, in kleine Stückchen geschnitten, einen Löffel gesalzener Suppe und ein Gläschen Wein. Für den ganzen Tag erhielt jeder zwei Gläser Wasser.


In Puerto de Santa Maria.

Wir waren so glücklich, nach einer Fahrt von vier Monaten in Cádiz einzulaufen. Kommissäre erschienen, besichtigten unsere Koffer und fragten, ob und wieviel Geld wir bei uns hätten, mit dem Beifügen, die Frage geschehe keineswegs, um es uns abzunehmen. Selbst unsern Tabak, den wir in bleiernen Büchsen mit uns führten, mußten wir gegen die Vertröstung, ihn wieder zu bekommen, abliefern.

Die Fregatte durften wir nur verlassen, um in eine Barke zu steigen, die uns nach Puerto de Santa Maria brachte. Dort ward uns vergönnt, das feste Land wieder zu betreten und unter Begleitung von mehreren tausend Menschen in das Haus der Missionäre zu wanken. Unsere ausgemergelten Gestalten erregten das Mitleid aller Spanier, obwohl sie uns, den ausgestreuten Gerüchten und Verdächtigungen[7] zufolge, für Rebellen und arge Ketzer hielten. Die Fenster unserer Wohnung waren groß wie Türen; jedes hatte einen mit Gitterwerk eingefangenen Balkon, so daß wir außerhalb der Fenster stehen oder sitzen konnten. Die Armen waren den ganzen Tag unter denselben und nahmen die kleinen Gaben, die wir ihnen hinabwarfen, in Empfang. Wir hörten sie oft ausrufen: „Schade, daß diese mitleidigen Priester Ketzer sind!“ So hatte man den gemeinen Mann betört!

Die spanischen Jesuiten waren bereits nach Italien abgeführt. Nur wir amerikanischen warteten hier noch auf einige Fehlende, die durch Stürme oder andere Ursachen verhindert worden waren, zeitig in Europa zu landen. Die Aufsicht über unsere Verpflegung hatte der König dem Marquis Ferry, einem Irländer, einem freundlichen, mitleidigen Herrn, anvertraut, der uns oft besuchte und sich erkundigte, ob wir an irgend etwas Mangel litten; „denn“, sagte er, „es ist der ernstliche Wille unseres Königs, euch anständig zu behandeln“. Er verlangte von uns zu hören, wie wir auf der Fregatte gehalten worden seien. Schon wollten einige die unwürdige Behandlung von seiten des Kapitäns schildern, als ich noch zum Glücke für ihn dazwischen trat; denn ich wußte aus dem Munde des Marquis, daß eine begründete Klage von uns ihn um seine Stelle bringen würde.

Die Zeit wurde uns nicht lange. Wir erhielten tröstliche Besuche, weil jedermann, der vom Marquis einen Erlaubnisschein hatte, mit uns ungehindert sprechen durfte. Nur eine einzige Schildwache stand vor dem Eingänge unseres Hauses.

Unser edler Pflegevater suchte auch noch anderswo Wohnungen für uns aus, weil unser Missionshaus übermäßig angefüllt war und aus diesem Grunde keine Bequemlichkeit gestattete. Die Marquise Borgia nahm zweiundsiebzig Jesuiten samt den Novizen in ihren Palast und pflegte einige Kranke aus ihnen mit wahrer Mutterliebe. Der Guardian der Franziskaner hielt gleichfalls um die Jesuiten an, die aus Deutschland wären, und neunundzwanzig zogen mit mir zu den würdigen Söhnen des hl. Franz, die ihr Kloster am Ende der Stadt auf einem hohen Berge hatten. Wir wohnten hier in einem geräumigen Saale, der eine Ecke des Gebäudes bildete. Von einer Seite überblickten wir Cádiz und jedes Schiff im Hafen, von der andern sahen wir gegen Xerez de la Frontera und die herrlichen Olivenwälder. Die meisten aus uns waren musikalisch. Wir durften uns in Konzerten ergötzen, und bald nahm die ganze Stadt teil an unserer Unterhaltung; und da wir zu bestimmten Stunden Musik machten, lustwandelte der Adel unter unsern Fenstern. Wo nur irgend ein Kirchenfest feierlich begangen wurde, da lud man auch uns dazu. Der Marquis gestattete uns diese Aufheiterungen gern; ihn freute es, wenn wir ihm erzählten, wie herrlich man uns bewirtete. Am Feste des hl. Franz von Assisi beleuchteten seine Ordenssöhne des Nachts ihren Turm, und wir spielten auf selbem Symphonien.

Wir würden hier ganz zufrieden gewesen sein, wenn uns nicht bange Sorge für die Zukunft den Genuß der Gegenwart getrübt hätte. Doch trösteten uns die Berichte über die Art, wie der König die Jesuiten in Spanien behandelt hatte: sie war dem Benehmen Portugals in eben dieser Sache gerade entgegengesetzt. In Spanien wurden zwar auch die Kollegien umstellt, aber die Ordensbrüder doch anständig behandelt. Was sie an Geld oder andern Sachen besaßen, wurde ihnen gelassen; sie durften annehmen, was ihnen gute Freunde schickten, und ihre Verpflegung war sehr gut. Man muß bekennen, daß der König nichts unterließ, was seine Milde ihm eingab. Wie hat er aber doch so hart gegen den Orden sein können? Man sagt, die Ursache davon sei noch in der königlichen Brust verschlossen. Der König ist ein frommer, gewissenhafter Herr. Ob es seine Minister gleichfalls sind, wird Gott mit der Zeit an den Tag geben.

Nach und nach fing man an, strenger gegen die Jesuiten zu verfahren. Es kam der Befehl, daß kein Jesuit aus Italien nach Spanien zurückkehren dürfe. Falls ein Priester des Ordens es wage, dieses Land wieder zu betreten, so werde er für immer eingekerkert; versuche dies ein Laienbruder, so solle er am Galgen sterben. Ich werde nie glauben, daß solche Verordnungen aus dem gütig gesinnten Herzen des Königs hervorgegangen seien.

Ein bejahrter Mann und ein junges Herrchen kamen zu uns und legten uns die Fragen vor: Wie lautet Tauf- und Zuname? woher sind Sie? wie lange sind Sie Jesuit? was für Ämter haben Sie bekleidet? wie kamen Sie nach Indien? wie lange waren Sie dort? wie lange waren Sie in der Mission? und in welcher? waren ihre Eltern alte Christen[8] und Katholiken? – Nur diese und keine andern Fragen wurden an uns gestellt. Von dem Verbrechen der Rebellion und der Ketzerei, die man uns allgemein vorwarf, war gar keine Rede. Dessenungeachtet wurden zwei Deutsche, die Missionäre in Chile gewesen, von uns getrennt und zu den Kapuzinern gebracht. Man behandelte sie dort gut, gab ihnen aber keine Ursache ihrer Versetzung an. Es scheint, man habe diese Übersiedelung nur darum veranlaßt, um die Leute glauben zu machen, die Kommission habe doch etwas entdeckt, was strengere Untersuchung fordere; eine solche aber erfolgte nie. Aus eben diesem Grunde mag ein Arrest für zwölf Gefangene in einem andern Hause angeordnet worden sein; man sprach schon von Jesuiten, die dort in Banden gelegt werden sollten; aber – dieser Kerker erhielt keine Bewohner.


In die Heimat zurück.

Die tausendzüngigen Gerüchte, die uns bald Angenehmes bald Unangenehmes vorgaukelten, machten allein den hiesigen Aufenthalt uns schwer. Daher war uns der Befehl sehr willkommen, daß wir uns reisefertig machen sollten. Wir Deutschen hatten schon früher die Bitte eingereicht, man möchte uns nicht nach Italien, sondern in die Niederlande schicken. Der König genehmigte unser Gesuch und befahl, daß jeder deutsche Jesuit nochmals befragt werden solle, ob er nach Italien oder den Niederlanden gebracht zu werden wünsche. Achtzehn aus uns unterzeichneten sich zur Fahrt ins nordische Meer; die andern Deutschen waren durch die Beschreibung der gefährlichen Seereise in der Nordsee bewogen worden, die Reise nach Italien vorzuziehen.

Den 19. März 1769 fuhren wir auf einer holländischen Fregatte ab. Unser Kapitän Andreas Cornelis von Rotterdam sorgte für uns, obwohl er lutherisch war, sehr gut und unterschlug das Geld nicht, das ihm der König von Spanien für unsere Verpflegung reichen ließ. Der Marquis Ferry übergab uns, jedem einzeln, fünfundsiebzig Doppien[9] als königliches Geschenk. Die Fahrt war angenehm, denn der Kapitän achtete uns und ließ uns gut bewirten. In der Frühe hatten wir die Wahl zwischen warmem Getränke und Butter und Käse samt einem Gläschen Aquavit; bei den gewöhnlichen Mahlzeiten wartete er uns mit spanischen Weinen auf. Ein Liebhaber der Musik, war er gern in meiner Gesellschaft; er lud mich oft in seine Kabine ein zu einem vertraulichen Gespräche bei einem Glase Punsch. Ich verehrte ihm für seine Güte einen Pelz von Otterfellen, von dem ich wußte, daß er ihn gern gekauft hätte, und gewann dadurch seine Zuneigung noch mehr.

Lieber als jede neue Freundschaft war mir die glückliche Ankunft in Ostende. Von hier reiste ich nach Brügge, verweilte acht Tage in dieser Stadt, setzte meinen Weg weiter fort, bis ich den 13. Mai in Eger ankam. Dort erwartete ich den Befehl des Pater Provinzials, in welches Kolleg ich mich begeben sollte.

Ob wir Jesuiten dann Ruhe hatten, ist unnötig zu beschreiben; unser Schicksal ist der ganzen Welt bekannt.




Karte: Die ehemaligen Jesuitenmissionen in Paraguay.[WS 4]

Anmerkungen

  1. Siehe Wetzer und Weltes Kirchenlexikon IX 1475 f: Der Untergang der Reduktionen.
  2. Vgl. den Aufsatz „Die Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay, ein denkwürdiges Blatt der Missionsgeschichte.“ Nach den Tagebuchblättern des P. Joseph Peramas S. J. in der Monatsschrift „Die Kathol. Missionen“ (28. Jahrg., 1899/1900). Dort werden einige Einzelbilder aus diesem herzzerbrechenden Trauerspiele mit ergreifender Anschaulichkeit vor Augen geführt. Das Verbannungsdekret, das der arme verblendete Karl III. am 2. April 1767 unterschrieben hatte, war, wie die „Kathol. Missionen“ mit Recht sich ausdrücken, „die Todeswunde der Indianermissionen Südamerikas, aber auch das Todesurteil der spanischen Herrschaft in der Neuen Welt“.
  3. Der arme schwache König Karl III. von Spanien war das Opfer der rücksichtslos mit allen Mitteln tückischer Verleumdung betriebenen Hetze gegen die Jesuiten, das willenlose Werkzeug in der Hand des Ministers Aranda geworden, der wie Pombal in Portugal und Choiseul in Frankreich ein Todfeind des Jesuitenordens war. Vgl. Weld, History of the Suppression of the Society of Jesus, London 1877.
  4. Es war der Marquis von Bucarelli, „seit lange einer der Hauptwidersacher der Jesuiten in Paraguay, der sich beeilte, das königliche Dekret mit der größten Rücksichtslosigkeit zur Ausführung zu bringen“. Vgl. das scharfe Urteil über diese Gewaltmaßregeln, das der Protestant Wappäus fällt (Handbuch der Geographie und Statistik I 3, 1013 f).
  5. Hören wir, was der Protestant Wappäus über diese Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay sagt. „Es gehört jetzt nicht mehr viel Mut zu der Behauptung, daß diese Maßregel ebenso ungerecht gegen die Missionäre als verderblich für die Indianer und damit für jene Länder überhaupt ein Unglück gewesen; denn neuere Schriftsteller, welche die Geschichte der Missionen an Ort und Stelle gründlich studiert haben, wie u. a. Funes, Demersay und Martin de Moussy, haben die Ungerechtigkeit der Vertreibung der Jesuiten aus ihren Missionen auf das klarste nachgewiesen, und daß ihre Missionstätigkeit unter den Indianern Süd-Amerikas eine bewunderungswürdige gewesen, ist fast ohne Ausnahme von allen europäischen Reisenden anerkannt, welche mit deren Schöpfungen in Süd-Amerika bekannt zu werden Gelegenheit gehabt haben… Die Feinde des Ordens triumphierten, die Mehrheit der Bewohner des spanischen Süd-Amerika aber wurde, wie ein neuerer argentinischer Publizist sich ausdrückt, mit Schrecken erfüllt über diese harten Maßregeln gegen die Jesuiten-Patres, welche sich als die treuesten Untertanen Spaniens, als eifrige und unermüdliche Stützen des Katholizismus, als die Verbreiter der Zivilisation unter den Indianern und als Förderer des Unterrichts unter den Kreolen zu betrachten gewohnt waren. Ein Jahrhundert (Wappäus schrieb um 1865) ist seitdem verflossen; sie sind dort nicht ersetzt, aber heutzutage noch lebt ihr Andenken in Segen unter den Indianern fort, welche von der Regierung der Patres mit Begeisterung wie von einem goldenen Zeitalter reden“ (Handbuch der Geogr. und Statistik I 3. 1013). Vgl, die Zeugnisse des deutschen Amerikaforschers Dr Karl v. Steinen in den „Kathol. Missionen“, Jahrg, 1893, S. 136, und des deutschen Kapitäns Jerrmann ebd. Jahrg. 1904/05, S. 191.
  6. „Wir waren übrigens noch die glücklichsten; denn die vor uns die Überfahrt gemacht, hatten viele Genossen auf der Reise eingebüßt. Von 32 derselben, welche das Schiff führte, das unmittelbar vor der Esmaralda abgefahren war, war die Hälfte gestorben und ins Meer gesenkt worden. Wie wir später, als wir in Puerto de Santa Maria, wo fast alle Missionäre aus Amerika zusammentrafen, fanden, sind bei dieser Überfahrt gegen 500 Jesuiten auf dem Meere gestorben.“ Kobler 686.
  7. „Eine Flut von Schmähschriften, gefälschten Aktenstücken und lächerlichen Fabeln, wie derjenigen von Kaiser Nikolaus I. von Paraguay, ging damals hauptsächlich von Portugal aus und wurde durch die antijesuitische Partei durch ganz Europa kolportiert“ (Wetzer und Weltes Kirchenlexikon IX 1476).
  8. Christianos viejos (alte Christen) im Gegensatz zu den aus bekehrten Juden- oder Maurenfamilien stammenden, denen die Spanier nie recht trauten und die sie stets als Spanier zweiter Klasse behandelten.
  9. Eine Doppia, italienische Goldmünze, betrug damals 28–30 Mark.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zähren ist eine veraltete Bezeichnung für Tränen.
  2. Vorlage: Punkt am Satzende fehlt.
  3. José Antonio Gutiérrez (1742-1791)
  4. Beschreibung der Abbildung gemäß Abbildungsverzeichnis ergänzt.