Textdaten
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Autor: Arthur Stahly
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Titel: Ostern in Rom
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 210–211
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vergl. Kleiner Briefkasten (Die Gartenlaube 1880)#Heft 18
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Ostern in Rom.


Was die Ostern für das kirchenstaatliche Rom waren, sind sie heute nicht mehr. Mit den christkatholischen Osterprocessionen und Schauspielen hat es ein Ende; man pilgert nicht mehr singend, schreiend und musicirend durch die Straßen und über die Plätze der ewigen Stadt; jenes Gepränge und sinnenberauschende Festtagstreiben, das gestern dem römischen Volke noch unentbehrlich erschien, bildet heute kaum mehr als eine nebelhaft verschwommene Erinnerung, und all die heiligen Standarten und Siegestrophäen der „Alleinseligmachenden“, die bordenschweren Baldachine, die gold- und blumengestickten Fahnen der Bruderschaften, der Purpur und die edelsteinblitzenden Agraffen der Cardinäle sind in Gefahr, ein Fraß des Staubes und der Motten zu werden.

In den größten Basiliken, Sanct Peter, Santa Maria Maggiore und San Paolo, finden feierliche Pontificalämter nicht mehr statt; kaum daß man in irgend einer entlegenen Seitencapelle während der Passionswoche gegen Abend ein leise gemurmeltes Miserere vernimmt, dessen elegischer Widerhall über den prächtig cassetirten Bogen des dunklen Raumes selbst nicht zu dringen vermag. Mit den vielstimmigen, nach allen Regeln der Kunst ausgeübten Chormessen und symphonischen Gesängen ist es zu Ende, und so mancher musikalische Gourmand sieht sich seit 1870 um seinen liebsten Ohrenschmaus betrogen. Die Peterskirche, in der früher ein so geräuschvolles Osterleben herrschte, nimmt sich jetzt um jene Zeit wie ein Museum aus, in dem man gaffend auf- und niederschlendert. Vornehme und gemeine Müßiggänger, Prälaten und Bettler, Damen der Aristokratie, Grisetten – neben vielen soliden noch viel mehr zweideutige Existenzen spazieren und kokettiren hier auf und nieder und – interessiren sich für die aufgehäuften Kunstwerke. Für acht Tage giebt sich hier die große und kleine Gesellschaft jenes Stelldichein, dem sonst nur die duftigen Schattengänge des Pincio geweiht sind.

Aber wie allenthalben nach dem Goethe’schen Wort „bald allein ist, wer sich der Einsamkeit ergiebt“, so geht der Einfluß des kirchliche Roms immer weiter zurück, je enger der Vatican sich in seine Schmollwinkel drückt und dem Volke seine vielbestaunten geistlichen Ausstattungsfeststücke vorenthält. Das Volk von Rom will seine Festfreuden haben, und was die Kirche ihm nicht mehr bietet, sucht es in unheiliger Neugierde anderswo. Denn Langeweile erträgt der Südländer einmal nicht, auch um der römisch-katholischen Religion willen nicht, ohne die er im Uebrigen nicht gedacht werden kann.

So möge denn der Leser uns hinausbegleiten in die Campagna, um an einem Beispiel zu sehen, wie sich das moderne Rom zu Ostern amüsirt.

Die goldene Frühlingssonne, ein tiefblauer wolkenloser Himmel und die weiche Luft verlockender Lenztage bringen in der ewigen Stadt Alles auf die Beine. Dicke Staubwolken erheben sich über dem ungeheueren Foro. Aus allen Richtungen wälzen sich Menschenmassen auf die weltberühmte Straße, die sich seit mehr als anderthalb Jahrtausend unvergänglich unter den Triumphbögen des Titus und Constantin hindurchzieht. Wir sehen Wagen an Wagen in unabsehbaren Reihe sich drängen. Seit Jahrhunderten ist das Volk nicht mehr hinausgezogen zum Circus des Romulus, wie hier kurzweg der Circus Maxentius genannt wird. Heute erwacht das alte Rom wieder; man findet wieder Freude und Genuß an den uralten Wettkämpfen der Wagenlenker, an dem verwegenen Ringen kühner, todesmuthiger Reiter. Und das ist der moderne Römer; gestern noch als sedario (päpstlicher Sesselträger) mit der Centnerlast des schmeerbäuchigen Pontifex auf dem Rücken oder mit dem Weihwedel und dem Wachslicht im Zug psalmodirender Mönche, und heute lebenskeck und fröhlich in das halsgefährliche Gedränge von Fußgängern, Wagen und Reitern sich stürzend, das die Via Appia hinunterfluthet.

Am Eingange des Circus hält das Riesengrabmal der Cäcilia [210] Metella Wacht. Als Cäcilia Metella, deren Name wohl nur durch ihr Prachtmausoleum auf die Nachwelt gekommen in dem stolzen Rundbau ihre letzte Ruhestätte fand, war der Circus Maxentius noch nicht erbaut. Die einst viel gewaltigere Steinmassen des Circus sind zerfallen und öde; elende Pferde weiden für gewöhnlich auf seinem Plane, während das Denkmal der Metella noch heute in die Lüfte ragt aus dem unvergleichlichen Panorama, in dessen Hintergrunde das Albaner- und Sabinergebirge traumhaft malerisch sich abhebt.

Heute aber pulsirt in dem Circus Maximus das Leben des neuen Rom. Die Bewohner der Tiberstadt sind achtlos an den mystischen Katakomben des Callistus, an den Märtyrerstätten zahlloser Christen bei San Sebastian vorbeigeeilt. Ueber zwanzig Jahrhunderte hinweg versetzt man sich mit einem kühnen Sprunge zurück in die nervenaufrüttelnden Vergnügungen eines weltbezwingenden Volkes, das mehr Sympathien hatte für den in der Verzweiflung des Todes ringenden Gladiator, als für den begeistert um seinen Glauben sterbenden Märtyrer. Nur ist das zu erwartende Schauspiel das zahmste in der Reihe jener antiken Circusvergnügungen.

Ein einfaches Wagenwettrennen in der galanten Manierlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts, und doch ein gewaltiges Schauspiel! Die in die Räume des Circus, welcher wohl 1600 Fuß in die Länge und 300 Fuß in die Breite messen mag, hineingepferchte ungeheure Menschenmenge veranschaulicht erst dessen kolossale Dimensionen. Die Ringmauern stehen noch aufrecht wie einst; die Loggia der Cäsaren hat noch gewaltige Mauerreste aufzuweisen, und an der östlichen Langseite sind in ungewöhnlicher Höhe zerfallene Balken und Fenster wahrnehmbar. Die Signalthürme, welche die Gefängnisse verbinden, ragen nur noch als Skelete über dem Baue empor, und die Triumphpforte, durch welche an der entgegengesetzten Seite die Sieger verschwanden, hat einzig ihren Bogen bewahrt, über welchem sich früher höchst wahrscheinlich eine Tribüne oder ein Altar erhob. Von den zwölf kreisförmig laufenden Stufen der Arena, auf welchen die Theatersitze angebracht waren, ist nichts mehr erhalten, und sogar der Marmor ist verschwunden. Wenige aus der Erde hervorragende Marmorstümpfe und ein langes, knapp erhaltenes Mauerwerk bezeichnen die Stelle, wo der große Obelisk einst aus einer Gruppe herrlicher Götterstatuen und Amazonen emporragte, der heute auf der Piazza Ravona unter dem Brunnen Bernini’s sich erhebt. Auch der kleine Venustempel in der Arena ist nur noch eine Erinnerung, ebenso wie die Palme, die seinen Eingang bewachte und von welcher der Sieger den Siegeszweig pflückte.

Mit den heiteren Gebräuchen der heidnischen Götterverehrung, mit denen jedes Schauspiel eingeleitet wurde, sind auch die malerischen Erscheinungen, die bunten Trachten eines mosaikartig zusammengewürfelten Völkergemisches, das sich in den Zuschauerräumen drängte, verschwunden. Statt der leuchtenden Pracht eines Cäsar’s in der gold- und purpurschwer decorirten Kaisertribüne erscheint ein König in schwarzem Frack und weißem Rochefort-Kragen, einen bürgerlichen Cylinder aus dem Kopfe. Und er besteigt eine ärmliche Bretterbude, mühsam ausgeschlagen mit nationalfarbenem Shirting, so daß man unwillkürlich an die Prater-„Wurstltheater“ Wiens erinnert wird. Neben der Kaisertribüne etliche Reihen bretterner Sitze, vorne wieder mit Brettern verschlagen, ärmlich bewimpelt und besetzt mit Damen und Herren im Costüm unsrer Modejournaltypen. Welch kläglichen Eindruck macht nicht dieser moderne Kram inmitten der kolossalen Reste des antiken Marmortheaters!

Das Volk hatte es sich auf dem Rasen bequem gemacht; die letzte, noch erhaltene Grundmauer der früheren Stufen benutzte es als Sitz, während die Umfassungsmauer einen willkommenen Schatten in den westlichen Halbkreis warf. Die mitgenommenen Proviantkörbe wurden ausgepackt, Hoch und Niedrig, Alt und Jung ließen Gläser mit purpurnem Weine kreisen. Jedes hatte sich herausgeputzt wie zu einem Familientage.

Unten in der Rennbahn tummelten sich übermüthig die Kämpfer auf ihren Sedioli. Sie reizten offenbar ihre Pferde und bereiteten sie auf den Strauß vor, denn diese flogen auf und nieder im Circus, wie der Wind. Vier Batterien, wie man in Italien einen Laufturnus nennt, sollten um den Preis fahren.

In Italien ist das Wettfahren mittelst „Sedioli“ das beliebteste. Die „Biga“ ist weniger häufig, wenngleich in Oberitalien beide Sitten sich von Alters her erhalten haben, hauptsächlich in Padua und Modena, wo alljährlich berühmte Wettfahrten und Wettrennen stattfinden, zu denen das Volk aus nah und fern herbeiströmt. Der Sediolo ist zweifellos eine Nachahmung des Tilbury, der wieder nichts anderes ist, als der in moderne Façon gebrachte altitalienische zweirädrige Viroccino, bei dem Bauer ebenso in Anwendung wie bei dem vornehmen Herrn bei Letzterem natürlich nicht ohne die entsprechenden Verfeinerungen. Das Aussehen dieser Viroccini nicht minder wie ihr Wesen ist von einer solchen Leichtigkeit, daß man geneigt ist, sie als aus Schilfrohr gebaut anzusehen. Auf der Achse zwischen zwei mächtigen Rädern erhebt sich über einer quadratförmigen Unterlage ein luftiger Sitz mit niedriger Seitenlehne. Der Viroccino ist immer einspännig, und die Besitzer fahren meist selbst. Unterschieden werden diese Sedioli von einander entweder durch die Farbe der Räder oder auch durch eine Nummer. Gewöhnlich laufen drei Viroccini auf einmal aus. Die Preise pflegen nicht gerade bedeutend zu sein, höchstens 3000 Franken. Der ganze Circus muß dreimal umfahren werden. Das Schauspiel des Wettfahrens mit den Viroccini ist aufregend, weil die Räder bei den Biegungen leicht in einander gerathen und dazu die Lenker gewöhnlich von ihrem Sitze geschleudert werden.

Um drei Uhr wurde das Signal gegebene; die ersten drei Renner flogen davon wie der Blitz. Bei einer Biegung in der Nähe der Gefängnisse stürzten Roß und Lenker des ersten Viroccino; die nachfolgenden Wagen und Pferde jagten über den Mann hin und hatten Mühe, dem scheu gemachte Roß auszuweichen welches sich rasch aufgerafft hatte. Todtenstille blieb es in der Menge; kein Ausruf des Schreckens oder des Mitleids, höchstens das „Jesu!“ eines alten Mütterchens wurde vernehmbar. Man bändigte das Roß, und der Auriga erhob sich wieder. Was hätte man möglicher Weise vor tausendfünfhundert Jahre für ein Jubelgeschrei erhoben bei diesem Sturze!

Wir sahen mit etwas mehr Gleichmuth, als das erste Mal, auch einen zweiten Viroccino stürzen, worauf dann das Wettspiel durch das Erscheinen mehrerer Büffelhirten auf ihren urwüchsige, mittelalterlich besattelten Gäulen, mit Zäumen aus Strick in den Händen, eine heitere Wendung nahm. Ein lauter Jubelruf begrüßte die wohlbekannten heimathlichen Steppenreiter. Fünf bärtige Kerle mit wettergebräunten Gesichtern, breitkrämpige Spitzhüte auf dem Kopfe, in schäbigen, kurzen Jacken und mit Lederschienen an den Waden, stachen malerisch ab von einem dreizehnjährige Knaben, der in Reih’ und Glied neben ihnen einhergeritten kam. Mit losgelassenen Steigbügeln und schlaffen Zügeln – so flogen jene Naturreiter dahin auf ihren Pferden. Der tapfere Junge sauste vorwärts; leuchtenden Auges und wallenden Haares war er in einem Nu den Blicke der schreienden Menge entschwunden, die Anderen stürzte ihm nach, von dem Beifalle beleidigt, der dem Knaben gespendet wurde; der Zorn übergluthete ihre Wangen; sie drückten die Sporen in die Weichen der Thiere, und diese vervollständigten mit ihren langen flatternden Mähnen und den riesigen Schweifen ein seltsam reizendes Bild.

Während des dritten Rundlaufes fühlte der Jüngling seine Kräfte weichen; der Gaul gehorchte seiner Hand nicht mehr, und er war bald überflügelt. Der bärtige Sieger ergriff mit triumphirender Miene die rothe Fahne, und keck und vornehm, als käme er erst frisch in die Bahn, jagte er, das Banner in der Rechten schwingend, sein Roß noch einmal in die Runde, während die Menge brüllend applaudirte.

Das Schauspiel war nun zu Ende. Die langen Abendschatten dunkelten bereits über die ganze Arena, deren Tribüne sich leerte, während unten der Menschenknäuel sich langsam entwirrte, um den Ausgang zu suchen. Ein Lachen und Plaudern, die ganze Lebendigkeit des Römers schwirrte um uns. Das Volk war sichtlich befriedigt, es hatte ein Ostervergnügen gehabt, und ein neues dazu. Es gab keinen deutlicheren Beweis, daß die pontificale Vergangenheit nicht, wie die Curie gewähnt, eine unausfüllbare Lücke zurückgelassen hat. Nichts in der Welt ist unersetzlich.

„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Arthur Stahly