Ostermorgen (Lavant)
[1433]
Ostermorgen.
(Siehe das Bild auf der Titelseite.)
Wie sie dahin in Feierkleidern wallen,
Von frommen Betern ein gewalt‘ger Strom!
Die Orgel braust, die Osterglocken hallen
Und Haupt an Haupt erfüllt den weiten Dom.
Und dessen Gruft mit Wachen sie umstellt ―
Er stand vom Tode auf nach dreien Tagen
In Herrlichkeit ― der Heiland dieser Welt!
Ein Wunder war’s. Und dennoch kann in Schweigen
Sich auch der Sohn der neuen Zeit verneigen,
Der allem Glauben längst schon abgesagt.
Muß doch auch er in gläubigem Vertrauen,
Von Hohn und Spott der Feinde unbewegt,
In die den Leib der Freiheit sie gelegt.
Sie kam, den Frieden in die Welt zu bringen
Und ihre Rechte war von Blute rein;
Man schritt entgegen ihr mit Psalmensingen
Doch nur zu bald ist sie dem Haß erlegen,
Den ihre milde Größe nicht gerührt
Und der auf krummen, vielgewundnen Wegen
Mit arger List der Armen nachgespürt.
Verleugnend hat der Freund sich abgewandt;
Sie ward verhöhnt mit giftig-kaltem Spotte,
Sie ward gekreuzigt von des Henkers Hand,
Und als die letzten Worte sie gestammelt
Da war am Fuß des blut’gen Stamms versammelt
Ein Häuflein nur, das treue Liebe band.
Man schloß ins Grab die dorngekrönte Leiche,
Die speerversehrte, wundenreiche, ein,
Wälzt vor die Gruft man einen schweren Stein.
In Helm und Harnisch ziehn die ruhelosen,
Die finstern Wächter um das Grab ihr Rund
Und ihre schweren Hellebarden stoßen
Und dennoch wird der Ostermorgen kommen!
Da blendet sie ein wundersamer Schein
Und in die Kniee sinken sie beklommen
Und fortgewälzt ist von der Gruft der Stein,
Und jeder Brust, die Leid in Treuen trug:
„Es ist die Freiheit glorreich auferstanden,
Die man ans Kreuz mit blut‘gen Händen schlug!“
R.L.