Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Originale aus Alt-Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 297-300
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[297]

Erinnerungen.

Von Franz Wallner.
Nr. 3. Originale aus Alt-Wien
Saphir – Bäuerle - Castelli – Graf Schandor – Raimund und sein „Thal der guten Leute“.

Wer jetzt die Kaiserstadt besucht, wird es kaum für denkbar halten, wenn man ihm erzählt, daß Wien vor kaum zwanzig Jahren die billigste Hauptstadt Europas gewesen. Die fröhlichste, die vergnügungssüchtigste und gastfreundlichste ist sie noch immer, nur übersteigen die Preise, welche der Wiener jetzt für seine Vergnügen zu zahlen hat, die der Pariser und Berliner Amüsements um das Doppelte. Die Volksfeste in der Brigittenau, im Augarten sind verschwunden, der „Wurstlprater“ hat seine originelle Physiognomie verloren, und mit diesen Herrlichkeiten ist einer der pikantesten Reize der Hauptstadt für den Fremden verschwunden, nämlich die Beobachtung des Volkes in seiner ungebundensten Fröhlichkeit. Der Wiener Pöbel ist von einer Gemüthlichkeit, von einer Harmlosigkeit, die man nie im Norden, am allerwenigsten aber in Berlin findet. Das sogenannte „Volk“ in Wien verhält sich zu dem in Berlin, wie Milch zu Blausäure. Bei dem tollsten Uebermuth wird man beim Oesterreicher selten eine Rohheit, ein Ausarten gegen den Gebildeteren treffen, während der „richtige“ Berliner ohne „Keilerei“ kein Zusammensein der Massen denken kann. Die neueste Zeit hat traurige Beispiele für meine Behauptung geliefert, und zwar bei Gelegenheiten, welche ihrer Natur nach zu nichts weniger als zu Ausbrüchen der Gemeinheit Veranlassung gaben. Ich erinnere an die Säcularfeier der Universität, an das Leichenbegängniß Humboldt’s, an das Schillerfest, an die Einzugsfeierlichkeiten bei der Krönung etc.

[298] Ob Wien seinem früheren strengen Polizei-Regime die gute Mannszucht der unteren Volksclassen dankt, ob dies allein in der Gutmüthigkeit derselben liegt, vermag ich nicht zu beurtheilen, wenn ich gleich Grund habe, das Letztere anzunehmen. Allein nicht nur der „gemeine Mann“, wie er in Wien genannt wird, vermag sich dem tollsten und doch liebenswürdigsten Uebermuth hinzugeben, auch die gebildetsten und geistreichsten Menschen sind dessen fähig. Welch’ eine Unzahl von drastischen Anekdoten haben in dieser Beziehung Bäuerle, Castelli, Saphir, Korntheuer, Deinhardstein und die übrigen Humoristen des alten Wiens hinterlassen! Freilich waren es eben nur Späße, denen eine gewisse kecke Derbheit und Rücksichtslosigkeit anklebte, eigentlichen Witz hatte unter den genannten wohl nur Saphir, dessen Calembours sich mit den besten französischen messen konnten. Z. B. sagte er nach dem Tode eines unbeliebten Feldmarschalls, der aber mit großem Gepränge begraben wurde, dem Befehlshaber der österreichischen Truppen sei nach seinem Tode etwas gelungen, was er während seines Lebens nie zu Stande gebracht, „er habe die Armee in Flor gebracht.“ Einst begegnete er dem Regisseur des k. Hoftheaters, der ihm in größter Eile mittheilte, daß wegen Erkrankung des Herrn Anschütz die größte Repertoirverlegenheit herrsche, und man noch nicht wisse, was Abends gegeben würde. „Da ist leicht abzuhelfen,“ sagte Saphir, „gebt zwei Pausen von Costenoble und ein kleines Stück dazu, so seid Ihr fertig.“ Costenoble war ein sehr beliebter, aber seiner unendlichen Kunstpausen wegen bekannter Schauspieler. Einst fuhr Saphir mit Pokorny von Wien nach Preßburg. An der Grenze bat ihn Pokorny, ihm zu erlauben, seinen Namen anzunehmen, da er seinen Paß vergessen habe und als Theaterdirector sich keinen Unannehmlichkeiten aussetzen wolle. „Sie können ja,“ meinte er zu Saphir, „den Namen des nächstbesten Bekannten als den Ihrigen nennen, wir drücken den Beamten einen Gulden in die Hand, und die Sache ist in Ordnung.“ Er setzte hinzu, er wünsche überhaupt nicht, daß man in Wien erführe, er sei ohne Paß über die Grenze gegangen, was damals von der Polizei sehr unangenehm bemerkt wurde. Saphir gab Pokorny seinen Passirschein, und der Letztere antwortete an der Grenze auf die Frage um Stand und Namen:

„Ich bin der Schriftsteller Saphir aus Wien.“

„Und ich,“ fiel Saphir dem erstarrten Pokorny in’s Wort, indem er dem Aufseher den bekannten Gulden in die Hand drückte, „ich bin der Theaterdirector Pokorny aus Wien, habe aber keinen Paß bei mir.“

„Aber was treiben Sie denn?“ rief ärgerlich Pokorny, „ich will ja incognito bleiben.“

„Ich auch,“ entgegnete ganz trocken Saphir.

So gerne aber Saphir rechts und links Hiebe austheilte, so unangenehm war es ihm, wenn er selbst einmal solche einstecken mußte. Während seines Aufenthaltes in Pesth war ein Schauspieler Namens Melchior das stete Stichblatt seines Witzes. In der Posse „Die falsche Catalani“ rächte sich der gekränkte Histrione dadurch, daß er in der Rolle des Zeitungsschreibers Pfiffspitz in sprechend ähnlicher Maske Saphir copirte, der in einer Loge des ersten Ranges unter den Zuschauern sich befand. Das Haus erdröhnte vor Jubel, als der Doppelgänger des bekannten scharfen Kritikers auf der Bühne erschien. Der Beifall wurde immer lebhafter, je sichtlicher sich Saphir darüber ärgerte. Nach dem Schlusse des ersten Actes begab er sich zum Polizeidirector in die Loge und bat dringend, es möge dem Schauspieler Melchior verboten werden, ihn ferner auf der Bühne zu persifliren. Der Chef der öffentlichen Sicherheit machte ihm begreiflich, daß dies heute nicht mehr anginge, versprach ihm durch Bestrafung des Künstlers volle Genugthuung und gab Saphir den Rath, da die Aehnlichkeit hauptsächlich durch einen hellen gelblichen Rock hervorgerufen würde, in dem er allgemein bekannt sei, während des Zwischenakts nach Hause zu fahren, diesen abzulegen und in einem dunklen Kleide zu erscheinen. Während Saphir diesen Rath befolgte und sich in einen blauen Frack stürzte, das einzige Kleidungsstück, welches er damals außer dem hellen Rock sein eigen nannte, ließ der Polizeidirector dem Melchior untersagen, im zweiten Act wieder in dem auffallend gelblichen Rock auf der Bühne zu erscheinen. Allein man denke sich das vor Beifallsjubel erdröhnende Haus, als durch einen tückischen Zufall oder berechnete Malice Saphir in seinem blauen Frack recht ostensible in den Vordergrund der Loge trat und einige Minuten darauf Saphir-Melchior auf der Bühne ebenfalls im blauen Frack erschien!

Eine ganz entgegengesetzte Natur als der verbissene Saphir war der alte Bäuerle. Von unbegrenzter Gutmüthigkeit und ebenfalls mit der Cardinaltugend der Wiener, einer wahrhaft orientalischen Gastfreundschaft behaftet, war Bäuerle, trotz seines enormen Einkommens, ebenfalls stets in chronischer Geldverlegenheit. Die Theaterzeitung, die er 25 Jahre lang mit großem Geschick und im Geschmack des leichtbeweglichen Wiener Völkchens redigirte, war damals, so unglaublich dies heutzutage von einem Theaterblatt klingen mag, eine Macht, wurde von aller Welt, im Palast wie in der Hütte gelesen, und brachte per fas dem Eigenthümer eine ganz ansehnliche Summe ein, ohne des nefas zu gedenken, welches die Sehnsucht aller dramatischen Künstler, in der Theaterzeitung recht von Herzen gelobt zu werden, in den Säckel des in diesem Punkte sehr zugänglichen Bäuerle zauberte. Derselbe war eine der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten von Wien, nicht nur als Herausgeber der vielgelesensten Zeitung, als Vater der eigentlichen Localposse und Schöpfer des Staberl, sondern hauptsächlich als prächtiger Gesellschafter, als Erfinder und Verbreiter einer zahllosen Menge von Schwanken, als lebendiges Lexikon von Anekdoten, die er mit hinreißender Laune zu erzählen wußte. Und doch starb der Mann, der mit allen Fasern seines Ich’s in seinem theueren Wien wurzelte, fern von seinem Vaterlande, in Basel, wohin ihn seine Gläubiger zur Flucht gezwungen hatten. Allein und von aller Welt verlassen, überfiel den alten Mann im fernen Land Noth, Entbehrung und Siechthum; das Jahr 1848, welches in Oesterreich das alte verrottete Zeitungsmonopol aus den Händen der paar Personen riß, die mit demselben beglückt waren, und neue Concurrenzjournale in Unmassen auftauchen ließ, hatte auch den guten Bäuerle vom Throne der österreichischen Bühnenherrschaft gestoßen und in’s Exil getrieben. Friede seiner Asche! –

Glücklicher als sein Humorverwandter College starb jüngst in hohem Alter der wackere Dichter I. F. Castelli, geehrt, geachtet, wohlhabend und beliebt bei Alt und Jung, in den günstigsten Verhältnissen. Castelli war der eigentliche Erfinder vom „Wiener Jux“, eine Species von Scherz, die recht eigentlich der Metropole an der Donau angehört. Was die keckste Laune eben eingab, das wurde sofort in Scene gesetzt und ausgeführt, selbst auf die Gefahr hin, eines zu tollen Spaßes wegen mit der Behörde in Conflict zu kommen. Als Adjutant des Jux-Generals Castelli fungirte damals Deinhardstein, der aber seine Laune nicht, wie sein Vorbild, bis in’s höchste Greisenalter bewahrte. Castelli war bis an sein Ende Vorsteher einer Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern etc. „die grüne Insel“, die berühmt wegen ihrer tollen Streiche war. Aber folgen wir heute den lustigen Brüdern in den k. Redoutensaal und belauschen wir deren Treiben während eines Maskenballes.

Dort steht ein junger, schüchterner Mensch, ängstlich in einen Winkel gedrückt und sich offenbar in dem rauschenden bunten Gewühle nicht heimisch fühlend. Castelli geht rasch auf ihn zu und fragt entschieden:

„Sie haben ein Freibillet auf diesen Ball?“

Der fremde Jüngling sieht ihn erstaunt an und murmelt ein leises „Ja.“

„Nun also, warum tanzen Sie nicht?“

„Ich kann nicht tanzen.“

„Das fehlte noch! wenn man ein Freibillet hat, so muß man tanzen, und zwar die ganze Nacht. Das ist eine heilige Verpflichtung! Ich bin Ballcommissär und habe das Recht darauf zu sehen, daß die Ordnung aufrecht erhalten wird. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“

„Ich bin Kürschnergeselle und heiße Weiß.“

„Also, Herr Weiß, fordern Sie eine Dame auf und tanzen Sie.“

„Sehr wohl, Herr Commissär.“

Er tritt mit einer Dame, die er um einen Tanz bittet, in die Reihen, bleibt aber auch sofort stecken. Die Tänzerin blickt ihn erstaunt an und ruft: „Ja, was ist denn das, Sie können ja nicht tanzen?“

„Ich muß tanzen, ich habe ein Freibillet.“

„Was kümmert denn das mich?“

Und mit einer hingemurmelten, eben nicht sehr schmeichelhaften Bezeichnung läßt die Maske den verblüfften Kürschnergesellen stehen, der sich leise in die entgegengesetzte Ecke des Saales verkrümelt, doch sofort von seinem Freibilletcontroleur aufgefunden wird.

[299] „Was ist denn das, Sie obstinater Mensch, Sie tanzen ja schon wieder nicht? Wenn Sie nicht tanzen, so lasse ich Sie augenblicklich verhaften.“

„Herr Commissär,“ ruft verzweiflungsvoll unser Weiß, indem er sich den Todesschweiß von der Stirne wischt, „ich kann nicht tanzen. Wenn Sie mich nicht dispensiren, so will ich lieber nach Hause gehen.“

„Nun gut, so will ich diesmal Nachsicht haben. Sie brauchen nicht mehr zu tanzen. Bleiben Sie hier und amüsiren Sie sich gut.“

Unter den lautesten Dankesversicherungen entfernte sich der junge Mann mit freudestrahlendem Gesichte.

„Siehst Du den Domino mit der großen Nase?“ frug Castelli nach einer Weile. „Gieb acht, mit dem giebt’s einen Hauptjux.“

Er geht auf sein Opfer los, schlägt es kräftig auf die Achsel, indem er ihm zürnend zuruft:

„Du bist denn doch ein nichtswürdiger Kerl, Du läßt mir da Deine Frau auf dem Halse, weißt wie eifersüchtig sie ist, und gehst mir nichts Dir nichts auf den Maskenball. Sie ist wüthend und wartet unten beim Thore auf Dich. Geh sogleich hinunter, Du schlechter Mensch!“

„Sie verkennen mich, ich bin nicht der, welchen Sie meinen.“

„Ah,“ poltert Castelli, indem er den Schlag auf die Schultern des Dominos noch viel kräftiger wiederholt, „da hört denn doch Alles auf. Mir mache keine Wippchens vor, geh hinunter zu Deiner Frau, sonst bring ich sie wahrhaftig in den Saal herauf, und dann sollst Du Deinen Spectakel erleben.“

„Aber,“ ruft der Mann aus, indem er die Larve vom Gesicht reißt, „überzeugen Sie sich doch, daß Sie sich irren.“

Wie erwartet, starrt ein erbostes, aber sehr dummes Antlitz dem Dichter entgegen.

„Entschuldigen Sie,“ erwidert der Letztere, „ich habe Sie wirklich verkannt, ich muß nur gleich meinen Freund aufsuchen, seine arme Frau vergeht vor Ungeduld.“

Deinhardstein, der die Scene beobachtet hat, meint, der Spaß wäre doch etwas zu derb, und sie würden einmal Unannehmlichkeiten davon haben, während ihn Castelli versichert, daß die Geschichte noch nicht zu Ende sei, sondern „der Jux“ erst los ginge.

Während sich die Menschenmenge im dichtgedrängten Saale herum treibt, hat Castelli seinen Domino nicht aus den Augen gelassen, und nachdem er ungefähr eine Viertelstunde verstreichen ließ, segelt er auf ihn los, haut ihn mit einem furchtbaren Handschlag auf den Rücken und ruft, scheinbar mit äußerster Entrüstung:

„Du Sacrementskerl, so eben habe ich einen äußerst honetten und liebenswürdigen Herrn Deinetwegen gehauen, augenblicklich geh hinunter, Deine Frau wartet auf Dich.“

„Himmel-Donnerwetter, Herr,“ ruft der Gefoppte, die Larve herab reißend, „ich bin ja wieder der Nämliche!“

„Merkwürdig,“ sagt Castelli, indem er denselben ganz verdutzt stehen läßt, „Sie sind wirklich wieder der Nämliche! Gehen Sie lieber nach Hause, sonst schlage ich Sie heute Nacht noch einige Male.“

Ehe sich der Domino von seinem Erstaunen erholen kann, hat sich Castelli an den Arm Deinhardstein’s gehängt, und sie promeniren ruhig in dem Saale herum.

Alle diese Scherze waren weder zart noch sinnig; wir theilen sie auch nur hier mit, weil sie Hauptzüge im Bilde des alten, läppischen, vermetternichten Wiens sind. Man glaubt es heute kaum, daß solche Kindereien damals von Mund zu Mund gingen, und der ganzen Residenz Stoff zum Gelächter gaben.

Zu den damaligen Tagesfiguren Wiens gehörte auch der Schwiegersohn des Fürsten Metternich, der ungarische Graf Schandor, einer der tollsten Wagehälse seiner Zeit. Der kühnste Reiter, machte er sich kein Gewissen daraus, mit seinem Gaul über den offenen Kram einer erschrockenen Obstfrau und diese selbst weg zu setzen, vor den Maßregeln der Polizei war der Schwiegersohn des allmächtigen Premiers ja sicher.

Einst schlug er einem andern Cavalier eine sehr namhafte Wette vor, daß er, Graf Schandor, es dahin bringen wolle, an einem öffentlichen Orte arretirt zu werden, ohne sich die geringste ungesetzliche Handlung zu Schulden kommen zu lassen. Die Wette wurde angenommen, und der nächste Tag zur Ausführung bestimmt.

Graf Schandor begab sich, in ärmlichen, aber reinlichen Kleidern, in eine entfernte Vorstadt und ließ sich im Kaffeehause eine Tasse schwarzen Kaffees geben. Als der Marqueur die Bezahlung verlangte, sah sich der Graf ängstlich um und zog endlich aus dem Stiefel eine Banknote von tausend Gulden, mit der Bitte, ihm heraus zu geben. Der Kellner brachte sofort seinem Herrn Nachricht von dem Vorfall, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als dem nebenan wohnenden Polizei-Bezirks-Commissar davon Kunde zu geben. Dieser seinerseits ließ schleunigst den „verdächtigen“ Fremden durch einen Polizeimann verhaften und vor sein Antlitz sistiren.

„Wie kommt Er,“ frug barsch der Beamte, „zu den tausend Gulden, die Er im Kaffeehaus wechseln lassen wollte?“

„Das geht Sie nichts an, warum lassen Sie mich arretiren?“

„Das wird sich finden! Warum hatte Er das Geld in dem Stiefel stecken?“

„Ist das gesetzlich verboten? Kann nicht Jedermann sein Geld aufbewahren, wo er will?“

„Das wird sich finden! Wie heißt Er?“

„Graf Schandor!“

„Ist Er verrückt?“

„Ich nicht, aber Er scheint mir verrückt, daß Er einen Menschen verhaften läßt, der nicht das Geringste verschuldet hat, blos weil er sich im Besitz von tausend Gulden befindet. Begleiten Sie mich in das Palais meines Schwiegervaters, dort wird sich das Weitere finden.“

Natürlich kehrte sich die Scene um, der zum Tod erschrockene Beamte legte sich auf’s Bitten, erhielt natürlich volle Verzeihung, und – Graf Schandor hatte seine Wette gewonnen. –

Am 30. Aug. 1836 erscholl in Wien die Trauerkunde, Ferdinand Raimund, der Liebling des Publicums, der Dichter des „Verschwenders“, des „Rappelkönigs und der Menschenfeind“ etc., der geniale Schauspieler, habe sich in einem Anfall von Trübsinn erschossen.

Kaum hat je eine durch und durch gemüthvollere poetische Natur als Raimund die deutsche Bühne geziert. Derselbe hatte sich in dem reizend gelegenen und damals noch nicht von der Eisenbahncultur beleckten Guttensteinerthal eine kleine Besitzung gekauft, die ihm unbeschreibliche Freude gewährte. Die tiefe ländliche Abgeschiedenheit, die romantische Gegend und der prächtige, frische Menschenschlag, welcher den fremden, stillen Mann sehr bald bei hundert Gelegenheiten als Wohlthäter verehren lernte und ihm mit Achtung und Herzlichkeit entgegen kam, waren eben so viele Anziehungspunkte für die zart besaitete Künstlerseele. Er lud seinen Freund, den Schauspieler Landner, dringend ein, ihn zu besuchen. „In mein Thal,“ pflegte er zu sagen, „ist noch keine böse Leidenschaft eingedrungen, die Menschen, die es bewohnen, sind alle noch so unverdorben und schuldlos, wie sie aus der Hand des Schöpfers kamen; ich nenne es daher nur das Thal der guten Leute.

Als Landner endlich, der vielfachen Aufforderung des wackeren Raimund Folge leistend, ihn auf dessen Landsitz heimsuchte, fand er die Behauptung des Freundes bei dem ersten Ausflug bestätigt. Es war ein Sonntagsmorgen, stiller Gottesfriede schien über der prachtvollen Landschaft zu schweben, ehrbar und sittig ging Jung und Alt, die Gebetbücher in den gefalteten Händen haltend, dem entfernten Kirchlein zu. Der Ton des Glöckchens, welches zum Gottesdienst ries, gab der Scene ein ungemein feierliches Colorit. Bei dem Anblick Raimund’s zogen die Männer freundlich grüßend die Hüte vor dem verehrten Manne, die Weiber knixten achtungsvoll und bescheiden. Raimund kannte alle Namen, alle Verhältnisse der Einzelnen, knüpfte über die letzteren, wo es am Platze schien, ein kurzes Gespräch an, kurz sein ganzes Wesen schien gehoben und freudig verklärt. „Habe ich nicht Recht?“ rief er dem Freunde in seliger Stimmung zu, „kannst Du Dir ein größeres Glück denken, als hier auszuruhen von den Qualen meines Berufes, im Schooße dieser himmlischen! Natur, hier unter diesen prächtigen Menschen? Habe ich nicht Recht, diesen paradiesischen Fleck „das Thal der guten Leute“ zu nennen?“

Horch, ein Mißton schallt durch die Luft!

Dort vom Kruge her ertönt ein widerliches Gejohle, ein junger Bursche, den Hut schief auf dem Kopfe, taumelt, offenbar betrunken, mit erhitztem, wuthentbranntem Antlitz dem Dichter entgegen.

„Hansl,“ ruft dieser entsetzt, „Hansl, Du bist b’soffen!“

„Ja,“ schrie dieser, „ich war auf dem Amt, um mir mein Recht zusprechen zu lassen. Mein Vater, der Lump, will mir die Hütte nicht abtreten, ich will ihm aber schon zeigen, wer der Herr ist! Hinaus werfen laß ich den alten Spitzbub’n!“ –

[300]Das Thal der guten Leute!“ murmelt Landner leise vor sich hin.

Raimund schlägt beide Hände vor das schmerzbewegte Antlitz und stürzt lautlos, wie vom bösen Gewissen gejagt, seinem Hause zu. Als Landner zurückkam, hatte sich Raimund in seine Stube eingeschlossen, und alle Versuche, ihm eine Antwort zu entlocken oder zu ihm zu dringen, waren fruchtlos. Erst nach vierundzwanzig Stunden kam er zum Vorschein, machte Anstalten nach Wien zurück zu reisen, ohne des Vorfalls auch nur mit einer Sylbe zu gedenken. Still und verschlossen, wie er stets war, wenn nicht Außergewöhnliches die scheinbare Eisrinde um das warme Künstlergemüth schmolz, erwähnte er auch später nie mehr „das Thal der guten Leute“.