Noch einmal die „Rettung Ertrinkender“

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Titel: Noch einmal die „Rettung Ertrinkender“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 563–564
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Noch einmal die „Rettung Ertrinkender“.

Mit der Rettung Ertrinkender hat sich die „Gartenlaube“ vor etwas weniger als Jahresfrist (vergl. Jahrgang 1889, S. 621) befaßt. Wir haben damals das weitverbreitete und treffliche Büchlein, den „Leitfaden für Samariterschulen“ von Prof. Dr. Friedrich von Esmarch unsern Lesern empfohlen und diejenigen Rettungsverfahren erwähnt, die in demselben als die zweckmäßigsten angeführt werden. Die Veröffentlichung unseres Artikels hat einen unerwarteten Erfolg gehabt. Wir haben erfahren, daß diese Verfahren, welche wohl in den meisten Samariterschulen nach dem Leitfaden gelehrt werden, nicht die zweckmäßigsten sind. Der Stellvertreter des Oberkommandeurs vom Hamburger Retter-Corps, Herr Hans Müller, welcher lange Zeit als Schwimmlehrer beim Militär wirkte, eine Reihe von Jahren auf den Hamburgischen Staatsbadeanstalten zur Rettung Ertrinkender angestellt gewesen ist und der ohne jedes Hilfsmittel bereits etwa 200 Personen vom Tode des Ertrinkens gerettet, hat uns eine ganze Reihe beherzigenswerther Angaben gemacht, wie man in zweckmäßigster und sicherster Weise Ertrinkende retten soll. Indem wir im Interesse der Lehrer an den Samariterschulen mittheilen, daß Professor von Esmarch, welchem wir die Ausführungen des Herrn Müller vorgelegt haben, auf Grund derselben in der nächsten Auflage seines Leitfadens Aenderungen anbringen wird, müssen auch wir die Mittheilungen des genannten Sachverständigen dankbar anerkennen und erachten es als unsere Pflicht, dieselben zum allgemeinen Nutzen an dieser Stelle bekannt zu geben.

In dem früheren Artikel der „Gartenlaube“ ist der Rath gegeben worden, den Ertrinkenden beim Haupthaar zu fassen. Auch Herr Müller hat im Anfange seiner Thätigkeit mitunter versucht, diese Rettungsart anzuwenden, ließ aber, nachdem er das Unzweckmäßige derselben eingesehen hatte, sehr bald davon ab. Sie muß schon darum verpönt werden, weil der zu Rettende dabei beide Hände frei behält und den Retter erfassen kann, was ja gerade verhindert werden soll. Man muß den Ertrinkenden derart fassen, daß ihm der Gebrauch der Arme und Hände unmöglich gemacht wird. Auf die Frage: Wie führt man eine Rettung aus, welche für beide Betheiligte die größte Sicherheit bietet? – giebt unser Gewährsmann folgende Antwort:

„Da Schnelligkeit des Retters eine der wichtigsten Forderungen ist, so suche man, wenn es die örtlichen Verhältnisse gestatten, durch flachen Kopfsprung[1] der Unfallstelle möglichst schnell näher zu kommen, achte aber darauf, daß man nicht stromaufwärts zu schwimmen braucht, da dies unnöthig die Kräfte des Retters in Anspruch nimmt. Man laufe lieber erst am Ufer stromaufwärts über die Unfallstelle hinaus, so daß man beim Durchschwimmen des Stromes sich ohne Nachtheil etwas abwärts treiben lassen kann. Dem Ertrinkenden nähere man sich von der Rückseite, fasse mit der eigenen linken Hand unter dessen linkem Arm hindurch nach dem rechten Handgelenk und drücke den Ergriffenen an sich heran. Hierauf schwimme man auf dem Rücken dem Lande zu, wiederum den Fluß schräg durchquerend, damit man nicht gegen den Strom kämpfen muß. Den Geretteten drückt man während dieser ganzen Zeit an sich heran, wodurch vielerlei Vortheile sich ergeben: erstlich behält man die rechte Hand vollständig frei, kann dieselbe also beim Schwimmen mit benutzen; alsdann ragen nur die beiden Gesichtsflächen der Betheiligten aus dem Wasser, nicht aber der ganze Kopf des Geretteten, wie beim Erfassen der Haare. Beide Körper sind demnach beinahe vollständig im Wasser, werden also mehr von diesem getragen, so daß für den Retter lediglich die Arbeit der Fortbewegung bleibt. Ferner kann der Retter beim etwaigen ‚Wildwerden‘ des Geretteten von diesem nicht gefaßt werden, weil derselbe sich nicht umdrehen kann. Versucht er dies nach rechts, so ist ihm dies unmöglich, weil man sein rechtes Handgelenk festhält, will er sich nach links umdrehen, so drückt man einfach seine, des Geretteten, linke Schulter fester an die eigene.“

In unserem vorjährigen Artikel wurde auch der Gefahr gedacht, welche den Retter bedroht, wenn er von dem Ertrinkenden gefaßt wird, und behauptet, daß es Tollkühnheit sei, jemand zu ergreifen, der noch mit den Wellen kämpft, man solle warten, bis er ruhig werde. Hierzu bemerkt uns Herr Müller:

„Wenn dies Tollkühnheit ist, so hätte ich diese bei den meisten meiner Rettungen besessen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß Ertrinkende, sobald sie mit den wilden Bewegungen aufhören, oft ganz plötzlich im Wasser verschwinden, und dann sind sie schwieriger wieder aufzufinden und zu retten. Weshalb soll man also zögern, wenn man sich die Rettung erleichtern kann?

Ein großer Theil der Ertrinkenden sinkt aber während des verzweiflungsvollen Kampfes im Wasser immer tiefer, und je mehr der Ertrinkende in die Tiefe geräth, desto heftiger werden die Bewegungen. Soll man nun hier auch warten, bis er ruhig wird? Es dürfte dann manchmal schon zu spät sein! Also ein Ertrinkender wird erfaßt, sobald man ihn erreicht. Gelingt es nicht sofort, ihn richtig zu fassen, so läßt man ihn los und faßt ihn aufs neue.

Man wird mir wohl erwidern wollen, daß man einen Ertrinkenden doch nicht loslassen könne, wenn man von ihm festgehalten wird. Aber trotzdem kann man dies. Die meisten Menschen sind der Meinung, daß beide verloren sind, wenn der Retter vom Ertrinkenden ‚gefaßt‘ wird. Dies ist jedoch noch lange nicht der Fall, wenn Ruhe und Besonnenheit auf seiten des Retters vorhanden sind. Man benutze einfach die feststehende Thatsache, daß jeder Ertrinkende nach oben strebt und sofort fühlt, wenn es nach unten geht. Also, man schwimme nach unten und – der Ertrinkende läßt ganz bestimmt los. Auf diese Weise habe ich mich schon häufig von einem Ertrinkenden losgemacht, wenn ich so ‚tollkühn‘ gewesen war, ihn zu fassen, ehe er besinnungslos war. Die Versuche, den Ertrinkenden richtig zu fassen, wiederholt man nun so lange, bis es endlich gelingt, und dies geschieht sicher, wenn man Ausdauer besitzt.“

Nach dieser Art zu verfahren ist es auch möglich, zwei Personen zugleich zu retten, vorausgesetzt, daß sie „ruhig“ sind, indem man die zweite Person mit dem freien rechten Arm ergreift, dann allerdings auch ohne Mitbenutzung beider Arme zu schwimmen gezwungen ist. Ueber einen solchen Fall einer Doppelrettung theilt uns unser Gewährsmann folgendes mit:

„Ein Schwimmer wollte einem in Gefahr befindlichen Nichtschwimmer Hilfe leisten, wurde aber von demselben ‚gefaßt‘ und konnte nun nichts ausrichten. Beide kämpften im Wasser, der eine, um sich frei zu machen, der andere, um sich festzuhalten. Ich sprang ins Wasser, schwamm zu ihnen, hob die mittlerweile etwa zwei Fuß gesunkenen Kämpfer an die Oberfläche, vermochte jedoch nicht, sie zu trennen. Hierauf faßte ich den Schwimmer bei den Haaren, zog ihn daran unter Wasser, worauf er von dem Nichtschwimmer und dann auch von mir losgelassen wurde und [564] schleunigst an Land schwamm. Gleichzeitig hatte der Nichtschwimmer aber mich am Bein gefaßt, weshalb ich noch weiter nach unten schwamm, selbstverständlich losgelassen wurde und nunmehr den Nichtschwimmer richtig faßte und schließlich rettete. Trotz der vermeintlichen Schwierigkeit bei dieser umständlichen Rettung war die „Tollkühnheit“ hier in ebendem Maße angebracht, als wenn man nur mit einem Menschen zu thun gehabt hätte. Nur immer besonnen, so wird jede Rettung gelingen! Mir kam in diesem Falle der Glücksumstand zu statten, daß der eine in Gefahr Befindliche nach seiner Befreiung vom andern selbst nach dem Lande schwimmen konnte. Aber selbst, wenn es zwei Nichtschwimmer gewesen wären, würde ich fast genau ebenso gehandelt haben; d.h., da es unmöglich ist, zwei ‚wilde‘ Menschen zu gleicher Zeit zu retten, so müßte man diese erst trennen, den einen nach dem Lande bringen, dann zurückkehren, um zu versuchen, auch noch den andern zu retten. Ist dies ohne Erfolg, nun, dann hat man gethan, soviel man konnte, und besser, nur ein Leben verloren, als zwei oder gar, mit dem des Retters, drei!“

Herr Müller schließt seine Ausführungen:

„Es ist zwar vortheilhaft, sich im Retten nach einer leichten, bestimmten Manier zu üben, aber man mache bei eintretenden Fällen sich darauf gefaßt, die Rettung trotz entgegenstehender Hindernisse auszuführen, selbst wenn diese unüberwindlich scheinen. Hier ist dann Geistesgegenwart und rasche Entschließung am Platz. Ich könnte ausgeführte Rettungen bekannt geben, bei denen mich die Zuschauer für verloren hielten und bei denen alle Theorie von dem Verhalten des Menschen im Wasser – – grau war. Die Erfahrung ist daher auch beim Retten der beste Lehrmeister.

Das Bewußtsein, einen Ertrinkenden retten zu können, und zweckentsprechendes Handeln im Wasser leisten die sicherste Bürgschaft für das Gelingen der Rettung. Es ist einfach unmöglich, daß der Retter ertrinken kann – vorausgesetzt, daß ihm nichts Außergewöhnliches zustoßt, – solange er Geistesgegenwart besitzt und es nur mit einem, selbst einem wild um sich schlagenden Menschen zu thun hat.

Würde das Schwimmen die Verbreitung schon gefunden haben, die ihm eigentlich gebührt, so würden Unglücksfälle im Wasser zu den Seltenheiten gehören; denn einestheils könnten die Betroffenen häufiger selbst sich helfen, anderntheils wären im Nothfalle mehr Schwimmer vorhanden, um die in der Gefahr des Ertrinkens Schwebenden zu retten. Solange aber das Schwimmen nicht Allgemeingut der Menschheit ist, ist es die Aufgabe der Schwimmer, ihren Mitmenschen die Wohlthaten und Vortheile desselben vor Augen zu führen. Recht dankenswerth ist darum das Bestreben der Schwimmvereine, durch jährlich stattfindende Wettschwimmen und Schwimmfeste das größere Publikum für das Schwimmen zu gewinnen, wie auch diese Vereine den Söhnen unbemittelter Eltern unentgeltlichen Schwimmunterricht ertheilen lassen. Die Schwimmvereine haben sich hauptsächlich in den letzten zwanzig Jahren stark vermehrt. –

Was die Thätigkeit der Samariterschulen anbelangt, so erwähne ich, daß in Hamburg ein Verein besteht, – wohl der einzige seiner Art in Deutschland – welcher ähnliche Zwecke verfolgt. Derselbe führt den Namen ‚Sanitäts-Schwimmverein Hamburg‘ und hat sich die Aufgabe gestellt, seine Mitglieder im Schwimmen, Tauchen, Retten etc. soweit auszubilden, daß sie imstande sind, mit Sicherheit, ohne Gefahr für ihre eigene Person, einen in Wassersgefahr befindlichen Menschen selbst in schwierigen Fällen retten zu können. Gleichzeitig erhalten die Mitglieder dieses Vereins monatlich mündliche Belehrungen durch den Vereinsarzt Dr. med. Doering zu Hamburg über die erste Hilfeleistung bei ertrunkenen Scheintodten, wobei die erforderlichen Handgriffe praktisch an Mitgliedern geübt werden. Die Bildung ähnlicher Vereine in anderen Städten wäre wohl zu empfehlen.“



  1. Flach ist derjenige Kopfsprung, bei welchem der Körper schräg ins Wasser hinein nur einige Fuß tief unter die Oberfläche kommt und durch die Kraft des Sprunges selbst wieder an die Oberfläche gelangt und auch noch vorwärts getrieben wird.