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Titel: Noch einmal der heilige Herr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 673–674
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[673] Noch einmal der heilige Herr. Nicht wenige unserer Leser werden sich der interessanten Mittheilungen erinnern, welche die Gartenlaube im Jahre 1865 über die geheimnißvolle Person des sogenannten „Polenfürsten“ Frank, dieses angebetete Haupt einer jüdisch-christlichen Schwärmer-Secte gebracht, der in den Jahren 1788–91 mit fast königlichem Aufwande und einem Gefolge von vielen Hunderten in Offenbach gelebt und dort sein Grab gefunden hat. Das Dunkel, welches die jedenfalls imposante Erscheinung Frank’s und die Lehren, Zwecke und Gebräuche jener von ihm zwar nicht gestifteten, aber unstreitig beherrschten und an seine Person gefesselten Secte der Sabbathianer umgab, ist bis heut noch nicht gelichtet worden. Obwohl der Artikel der Gartenlaube neue Forschungen über den merkwürdigen und für die Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts höchst bezeichnenden Vorgang angeregt und eine ganze Broschüren-Literatur hervorgerufen hat, weiß man doch noch immer nicht, ob Frank ein ehrlicher Schwärmer oder ein Betrüger oder Beides zugleich gewesen, ob der Ursprung der ungeheuren Geldmittel, über die er bis zu seinem Ende verfügt, nur in den unablässig ihm zufließenden Steuern und Spenden seines schweigsamen, in Polen, Ungarn, Böhmen und Mähren nach Tausenden zählenden Anhanges oder in der Scandalchronik eines europäischen Hofes zu suchen ist. Eines schließt übrigens das Andere nicht aus.[1]

Nach der Ansicht des Dr. Graez, des neuesten scharfsinnigen Geschichtsschreibers der Juden, der erst kürzlich eine gelehrte Abhandlung über den Gegenstand veröffentlicht hat, unterläge es keinem Zweifel, daß der sogenannte „heilige Herr“ nur ein heuchlerischer Schwindler war, der das in den jüdischen Gemeinden vorhandene Gift des kabbalistisch-mystischen Aberglaubens zu seinem Vortheile und zur Befriedigung seiner Herrschsucht und Sinnenlust auszubeuten wußte. Gegen diese Auffassung aber tritt neuerdings Herr Schenck-Rinck in Frankfurt mit einem Broschürchen auf, dessen Einwendungen sich auf persönliche Erinnerungen oder Familientraditionen stützen. Herr Schenck-Rinck scheint das Geheimniß des „Baron von Frank“ und seines fürstlichen Luxus allein in dem noch unaufgeklärten Zusammenhange desselben mit Geheimnissen des russischen Hofes suchen, dagegen aber Frank’s Stellung als Haupt einer jüdischen Secte, ja sogar seine und seines Gefolges jüdische Abstammung in Frage stellen zu wollen. Diese letzteren Zweifel sind offenbar unbegründet, es widersprechen ihnen u. A. schon die Traditionen, welche noch vor dreißig Jahren in den jüdischen Gemeinden lebten. Die deutsche Judenheit war im Ganzen, trotz ihrer Gedrücktheit, von jener abenteuerlichen Mißgeburt des Erlösungsbedürfnisses nur wenig berührt, aber man wußte auch in unsern Gegenden davon, und der Schreiber dieser Zeilen hat selbst in seiner Jugend betagte Israeliten von dem einstmaligen Treiben dieses Frank und der ihm anhängenden Sabbathianer (eigentlich Schabatianer oder kurz Schabsi’s) als von einer auf orientalisch-slavischem Boden erzeugten scandalösen Ausartung innerhalb der jüdischen Welt erzählen hören.

Daß diese Frankisten oder ehemaligen Sabbathianer nicht blos theilweise äußerlich zum Christenthum übergegangen, sondern hie und da ungetauft in den jüdischen Gemeinden lebten, stand gleichfalls außer Zweifel, ja es wurde sogar diese und jene hervorragende Familie bezeichnet, auf welcher der Verdacht dieses heimlichen Zusammenhanges ruhete. Wie es damit gegenwärtig in außerdeutschen Ländern steht, können wir nicht sagen. Daß die Sache aber eine wirkliche Erscheinung und kein Märchen gewesen und daß ihre Erforschung für manche heut noch lebende Zeitgenossen ein sehr nahe liegendes Interesse haben mag, ist uns erst kürzlich aus einem dem Redacteur der Gartenlaube zugegangenen Briefe ersichtlich geworden, dessen mehrseitig überaus interessanten Inhalt wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wollen. Der Brief ist aus Glasgow 24. Februar d. J. datirt und lautet:

„Nach vieljähriger Abwesenheit aus Europa bin ich vor kurzem hier eingetroffen und habe, um mich einigermaßen wieder in deutschen Verhältnissen zu orientiren, einige Jahrgänge Ihrer Gartenlaube durchblättert. Ich finde darin unter Anderem in den Jahrgängen 1865 und 1867 einige Aufsätze, welche den ‚heiligen Herrn‘ oder ‚die Bewegung der Frankisten‘ zum Vorwurf haben. Ich erachte es als eine Pflicht im Dienste der historischen Wissenschaft, auf diejenigen lebendigen Quellen hinzuweisen, die möglicherweise über die Frage Aufschluß geben könnten.

Ich selbst stamme aus einer in Mähren seßhaften Judenfamilie, die zur Zeit des Uebertrittes Frank’s gleichfalls theilweise zum Katholicismus übertrat. Mein Vater war damals noch ein junger Bursche, heirathete dann später eine Fleischerstochter aus einer slavisch-katholischen Familie, die ihm zu Zeiten seine jüdische Abkunft hart entgelten ließ. Ich selbst wurde, natürlich als kleines Kind, wenige Tage nach meiner Geburt getauft und principiell von Allem fern gehalten, was mit Juden zusammenhing. Meine Mutter erzog mich geradezu zur Judenfresserei. Natürlich that ich mit, wo auf Juden losgegangen wurde, bis ich eines Tages merkte, wie jedes Lästerwort meinen armen Vater schmerzte. Dieses edle blasse Duldergesicht zuckte schmerzlich und – schwieg. Ich hing, im Gegensatz zu anderen Kindern, mehr am sanfteren Vater als an der heftigen Mutter, und als ich unsere Dorfschule verließ und auf’s Gymnasium in Olmütz geschickt wurde, merkten meine Mitbuben, daß meine Züge das Gepräge orientalischer Abkunft trugen, und plötzlich verbreitete sich durch einen Judenknaben, der aus demselben Ghetto kam, aus welchem mein Vater abstammte, und der also meinen Namen vom Hörensagen kannte, das Gerücht, ich sei ein ‚Jud‘.

Ich hatte keine Ahnung davon, was an der Sache Wahres sei, und hieb anfänglich um mich; als jedoch am nächsten Samstag mein Vater nach Olmütz zu Markte kam, erzählte ich ihm weinend, welche grundlose Unbill mir widerfahren. Mein Vater seufzte tief und erzählte mir, daß [674] mein Großvater allerdings ein ‚Schöps‘ (Schabsi oder Schabbathianer) gewesen und daß wir wirklich von Juden stammen.

Erst wollt’ ich das durchaus nicht anerkennen und fiel in meine alte Judenfresserei zurück; allein das half nichts; ich wurde wie früher geneckt und fand es am gerathensten, mitzulachen und mich selbst einen Juden zu nennen. Das half! Als ich nun in den Ferien nach Hause kam, drangsalte ich meinen Vater, so oft ich mit ihm allein war, mir von den ‚Schöpsen‘ zu erzählen. Allein mein Vater wich aus, bat mich, der Mutter nichts davon zu sagen, daß ich meine Abstammung kenne, vertröstete mich, bis ich größer sein werde, dann wolle er mir Alles erzählen etc.

Es war zur Zeit der Kartoffelernte im Herbst, als ich einst nach Hause kam; meine Mutter war mit Knechten und Mägden auf dem Felde, und mein Vater befand sich allein in der an unsere Branntweinschenke grenzenden Stube. In diesem Zimmer hatte mein Vater ein Schränkchen, das nie geöffnet wurde, zu dem nur er den Schlüssel hatte, den er, trotz mannigfacher Neckereien meiner Mutter, niemals hergab. Die Thüren dieses Schränkchens waren mit einem in Nußbaumholz roh geschnitzten Kreuze versehen, das jedoch, ähnlich wie das russische Kreuz, unten einen diagonalen Querbalken hatte. Oft sah ich meinen Vater vor diesem Kreuze andächtig beten. Als ich jedoch damals unversehens in die Stube trat, fand ich das Schränkchen offen, meinen Vater platt auf dem Boden liegend und weinend.

Erschrocken trat ich hinzu, in der Meinung, er sei krank. Er winkte mir, ihn nicht zu stören, und ich wartete ängstlich schweigend, bis er geendet. Dann rief er mich zu sich, beschwor mich, zu schweigen, zog eine pergamentene Gesetzesrolle hervor, die mit hebräischen Charakteren beschrieben war, und erklärte mir, diese ‚Thorah‘ enthalte in der eigenthümlichen Gruppirung des hebräischen Bibeltextes die Mysterien seines Glaubens, der nur äußerlich der Katholicismus sein müsse, der jedoch noch immer der des ‚heiligen Herrn‘ sei. Ich solle Hebräisch lernen und er wolle mich dann in Alles einweihen. Ich ging wenige Tage darauf nach Olmütz zurück, suchte dort einen Theologen aus unserem Dorfe auf und bat ihn, mich Hebräisch zu lehren. Er lachte darüber, lehrte mich die Buchstaben kennen, und das ist so ziemlich alles, was ich von jener Sprache kennen gelernt.

Zur Zeit der Kirchweih aber brannte mein Elternhaus ab, mein Vater erkrankte vor Schreck und starb, ohne mich in die Mysterien seines Glaubens eingeweiht zu haben, ein Glück für mich, denn ich bin dadurch einer Schwärmerei und Phantastik fern gehalten worden, die jedenfalls nicht ohne Anziehungskraft gewesen ist und die ich vielleicht später nur mit Mühe abgeschüttelt hätte. Ein gewisses Interesse aber habe ich, gewiß mit vielen Anderen, denen es an ähnlichen Jugend- und Familienerinnerungen nicht fehlen wird, für jene geheimnißvolle Bewegung immer behalten und weise Sie auf Folgendes hin. Von einstmaligen Frankisten stammen zum Beispiel ab: der gegenwärtig hochstehende Dr. B…r, der Olmützer Advocat Dr. M…h, der Warschauer Advocat D…k Z…i, die Familie P…s-P……m in Prag, W…e in Prag u. v. A. Sollte nicht Einer oder der Andere im Interesse der geschichtlichen Forschung Näheres mitzutheilen wissen?

Lieb wird mir’s sein, wenn Sie meinen Namen und meine Veranlassung noch nicht nennen. Ich habe seit dreiundzwanzig Jahren mit meinen österreichischen Beziehungen vollends gebrochen, und nur einen Freund und Landsmann im fernen Lande unter gegenseitiger Wahrung unseres Incognito gehabt: Charles Sealsfield!“



  1. Ganz neuerdings ist sogar in einem aus Moskau uns zugegangenen Briefe die seltsame Vermuthung ausgesprochen worden, daß Frank vielleicht mit jener im Januar dieses Jahres in Rußland entdeckten, ihre Mitglieder bekanntlich verstümmelnden Secte der Scopzen zusammengehangen habe, die ihre Begründung bis in die Zeit des Kaisers Peter des Dritten zurückführt, ihr Thun und Treiben gleichfalls in tiefes Geheimniß hüllt, aber notorisch über große Reichthümer verfügte. Wir erwähnen dies, weil es beweist, wie vielseitig die Mysterien des Offenbacher Hofhalts noch immer die Aufmerksamkeit beschäftigen. Der Annahme selber widersprechen alle Thatsachen, vor Allem der Umstand, daß Frank und seine Anhänger zahlreiche Nachkommenschaft besaßen.