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Titel: Noch einmal Karl Schurz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 287–288
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[287] Noch einmal Karl Schurz. Die „Gartenlaube“ brachte neulich einen längeren Artikel über den braven Deutschen Karl Schurz. Gestatten Sie, daß ich aus seinem reichen Leben Ihren Lesern noch einen Zug erwähle, der von der kühnen Unerschrockenheit und Geistesgegenwart des Mannes das glänzendste Zeugnis, ablegt.

Es war zur Zeit der wilden Wahlbewegung, die über die letzte Besetzung des Präsidentenstuhls der Vereinigten Staaten entscheiden sollte. Die erste Amtsperiode Lincoln’s lief zu Ende. Mit jenem unerschütterlichen Humor, der den großen Märtyrer der amerikanischen Staatsidee keinen Augenblick verließ, hat er damals die Lage seines Vaterlandes, die Bedeutung des wogenden Wahlkampfes selbst gezeichnet. Als ihn ein Senator fragte, ob er sich denn die Kraft zutraue, den Staat in so schwerer Zeit zu lenken, erwiderte er: „Ob mir Gott diese Kraft verliehen hat, weiß ich nicht; ich habe aber einmal von einem deutschen Bauer gehört, daß, wenn man durch einen reißenden Strom reitet, es bedenklich sei, in der Mitte des Stromes das Pferd zu wechseln.“ In der That bedeutete schon der bloße Wechsel in der Person des Präsidenten in diesem Augenblick den muthwilligen Selbstmord der Union. Denn bis der neue Präsident sich in sein Amt eingelebt hatte, konnten die verzweifelten Offensivstöße des Südens den Staat Washington’s zertrümmern. Und die Wahl des Gegencandidaten [288] Lincoln’s vollends bedeutete schlechthin den Niedergang amerikanischer Freiheit, die Zerreißung des Staates, den bequemen Triumph der Sclavenhalterpartei. Denn schon an der Spitze des Heeres hatte Mac Clellan, jetzt Lincoln’s Gegencandidat, mit mehr als zweifelhaftem Zaudern dem Vordringen der südlichen Heere eine fortwährende Concentration nach rückwärts entgegengesetzt.

In diesem großen Wahlkampf, der sicherlich in demselben Grade, wie der kühne Zug Sherman’s nach Savannah, auf Jahrzehnte über das Schicksal der nordamerikanischen Union entschied, stand die große Mehrzahl der Deutschen in Amerika mit aller Kraft ein für die Wiederwahl Lincoln’s. Indessen gab es eine Anzahl Städte, wo nur wenige muthige Deutsche dem Terrorismus der „Demokraten“ gegenüber für ihre Ueberzeugung und ihren Candidaten einzutreten wagten. An diesen Orten galt es vorzugsweise, in die theils träge, theils wenig muthige Masse unserer Landsleute Leben und Energie zu bringen. Und diese Aufgabe hatte sich Schurz gestellt. Er reiste von Stadt zu Stadt. Ueberall, wo er aufgetreten war, hinterließ er mindestens unter seinen Landsleuten begeisterte Wiederwähler Lincoln’s. Jetzt nahte er sich seiner schwersten Aufgabe, seinem Auftreten in Chicago. Chicago galt bis dahin als das Bollwerk der „Demokraten“ oder „Copperheads“,[1] wie ihre Gegner sie nannten. Hier waren wiederholt jene „demokratischen“ Monstreversammlungen abgehalten worden, zu denen ganz Amerika Vertreter sandte und die stets mit der Ausstellung jener famosen „demokratischen“ Parteiprogramme („Plattform“) endigten, die in ihrer perfiden Vieldeutigkeit einem Talleyrand Ehre gemacht hätten. Der irische und amerikanische Pöbel der Stadt konnte in Hinsicht der Ungenirtheit und Rohheit seines Auftretens gegen politische Gegner durchaus als Muster „demokratischer“ Wahlagitation gelten. Und in diese Höhle des Löwen wollte Schurz sich wagen! Wenige muthige Deutsche hatten eine Volksversammlung ausgeschrieben. Durch Placate war den erstaunten Demokraten kundgethan, daß Karl Schurz heute Abend für die Wiederwahl Lincoln’s auftreten werde. Karl Schurz kam an und stieg in dem ihm von seinen Freunden bezeichneten Gasthofe ab. Er fand sie versammelt. Nach einem herzlichen Empfange konnten sie ihre Niedergeschlagenheit nicht mehr bemeistern „Sie dürfen heute nicht auftreten,“ riefen sie Alle.

„Warum nicht?“

„Die Copperheads werden in Massen erscheinen und haben alle Taschen voll Steine. Sobald Sie reden, Schurz, sind Sie ein Mann des Todes.“

„Ah bah,“ sagte Schurz, „das ist nicht zu fürchten. Ich werde sprechen.“

Er blieb fest, trotz aller Mahnung. Pünktlich zur bestimmten Stunde betrat er die Rednerbühne. Eine gewaltige Kriegserklärung gegen die Copperheads bildete den Anfang seiner Rede. Stürmische Unterbrechung, Beifall der Freunde, Johlen, Brüllen, Gelächter auf Seiten der Gegner. Einige derselben steigen auf die Bänke.

„Meine Herren Copperheads!“ fährt Schurz fort, „daß Sie johlen, lachen und brüllen können, weiß ich, daß Sie mich unterbrechen wollen, auch, ja ich weiß sogar noch ganz andere Dinge. Sie wollen auch Steine werfen! Sie haben alle Taschen voll. Aber ich weiß auch sicher, daß Sie das nicht thun werden, und zwar einfach deswegen, weil Sie Copperheads, d. h. zwar giftig, aber feige sind und sich der Ueberzahl meiner Freunde gegenüber niemals zum Kampf stellen werden. Der erste Stein, der geworfen wird, bedeutet den Tod des Werfers; beim Hinausgehen werden wir genau erfahren, wer mit mörderischer Absicht hier erschienen war mit Steinen in den Taschen. Der Lohn dafür wird draußen ausgetheilt werden. Denn heute haben wir die Macht.“

Lautlos hörte die Versammlung die große politische Rede, die dann folgte; unendlicher Beifall lohnte den Redner. Als aber die Versammlung sich verlaufen hatte, fand man Unter und auf jeder Bank ansehnliche Steinhaufen, genug, um die vierfache Anzahl der Freunde von Karl Schurz zu steinigen. Sie bezeichneten die Stätten, wo „demokratische Gesinnungstüchtigkeit“ gesessen hatte.



  1. Eine kleine, aber sehr giftige Schlange der nordamerikanischen Fauna. Sie hat einen kupferfarbigen Kopf. Daher der Name.