Noch ein Feind des Land- und Gartenbaues

Textdaten
<<< >>>
Autor: Theodor Nietner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Noch ein Feind des Land- und Gartenbaues
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 585–586
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[585]

Noch ein Feind des Land- und Gartenbaues.


Zu den in neuerer Zeit unseren Landwirthschafts- und Gartenbau ernstlich bedrohenden Feinden, der Reblaus und dem Coloradokäfer, hat sich in der Wanderheuschrecke (Oedipoda migratoria) ein dritter eingefunden. Schon 1873 zeigten sich Spuren dieses Ungeziefers im Teltower Kreise auf den Gütern Genzhagen und Lövenbruch; in der Jugend, wenn auch fremdartig, so doch unscheinbar, wurden sie damals wenig beachtet, und da auch ihre Anzahl nur gering, ward nicht viel Aufhebens davon gemacht. 1874 erschienen diese Plagegeister schon in größerer Anzahl, verschwanden aber bald wieder und mit ihnen auch die Bedenken, welche bereits hie und da laut geworden waren. In diesem Jahre nun aber traten sie auf den genannten Gütern und dem benachbarten Kerzendorf Anfang Juni in so bedenklicher Menge auf, daß man – leider etwas zu spät – nun an eine ernstliche Vertilgung dieser gefräßigen

Wanderheuschrecken.
Nach der Natur gezeichnet von Th. Nietner.

Thiere dachte. Feldmarken, zwanzig und mehr Morgen groß, auf denen sich die Gesellschaft zeigte, wurden mit Gräben von fünfzig Centimeter Tiefe umgeben und in diesen noch alle vier bis sechs Meter ebenso tiefe Fanggruben gegraben; das Aufwerfen dieser Gräben erforderte viele Arbeitskräfte und ging doch noch zu langsam von Statten; die scheuen Thiere waren schon groß genug, um sich dem Geräusche der Arbeiter durch die Flucht zu entziehen, und ehe der Grabenring geschlossen war, hatte sich wenigstens der Hauptschwarm nach einer andern Feldmark begeben; die ganze Arbeit war somit vergebens. Wirksam ist dieses Mittel nur dann, wenn es gelingt die Thiere in so jugendlichem Zustande zu entdecken, daß sie sich noch nicht durch weitere Sprünge so schnell entziehen können, und wenn man sie dann, vielleicht durch einen Pflug und Untergrundspflug, dessen Fahre noch mit der Schippe regulirt wird, schneller umgehen kann. Ist das Insect erst soweit ausgebildet, daß es wie jetzt fliegt, so dürfte es wohl kein Mittel zu seiner augenblicklichen Vertilgung mehr geben.

Je nach der Witterung, Ende Mai oder Anfang Juni, aus dem Ei geschlüpft, sind diese Heuschrecken großen schwarzen Ameisen nicht unähnlich und leben von jetzt ab, wie in allen späteren Entwickelungsperioden, schwarmweis beisammen; es ist dies der gebräuchliche und richtige Ausdruck, denn in der That gleichen sie in dieser Beziehung einem Bienenschwarm, der aber einige Morgen Landes bedeckt; man findet erst einzelne, dann mehrere, bis man endlich in einen dichten, oft in mehreren Schichten übereinander gehäuften Heuschreckenschwarm hineinkommt. Am Tage, während des heißen Sonnenscheins, verbergen sie sich unten in den Getreidefeldern; gegen Abend steigen sie hinauf und sitzen oft zu vier bis sechs und mehr an einem Halme, so daß sich dieser umbiegt und das ganze Feld wie von einem grauen Tuche niedergedrückt erscheint; sie vollbringen hier ihr Zerstörungswerk in der Art, daß jede den Halm da annagt, wo sie gerade sitzt, die oberste dicht unter der Aehre, welche dann abbricht; ein solcher Halm sieht aus, als sei er von Hagelschloßen angeschlagen, und das ganze Feld macht am anderen Morgen ungefähr den Eindruck eines großen Haufens Krummstrohs.

Man hat nun solche Felder schließlich abgemäht und die Bestien in die Erde hineinpflügen wollen, aber keiner der Schnitter sah mehr eine von ihnen; sie flohen theils hüpfend, theils fliegend vor der Sense her, und gelangten sie, von den Mähern immer weiter und weiter zurück gedrängt, an die Grenze des Schlages, so machten sie sich auf und zogen in die erste beste andere Feldmark, ganz gleich, ob sie Getreide oder Kartoffeln fanden. Von den letzteren nagen sie, wie behauptet wird, die Blumenstiele ab. Also, auch mit diesem Vertilgungsmittel ist es nichts.

In dem jetzigen Stadium seiner Ausbildung, also nach der vierten und fünften Häutung, wo dieses Insect an Stelle der Getreidefelder fast nur noch Stoppeln findet, erhebt es sich oft zu dichten Schwärmen und zieht fliegend, etwa in Manneshöhe, nach den benachbarten Feldern. Die Bahnwärter der von dieser Landplage heimgesuchten Gegend konnten uns z. B. genau sagen: „Da und da finden Sie die Heuschrecken nicht mehr; sie waren gestern dort und dort und sind heute da- und dahin gezogen.“ Wenn dieses Ungeziefer die Wege überfliegt, kommt es häufig vor, daß die Pferde der Landleute scheu werden.

Die Grenzen der genannten Güter sind jetzt schon längst von diesen unheimlichen Gästen überschritten, und man findet sie, wenn auch noch einzeln, doch schon in der ganzen Umgegend verbreitet, so daß in der That eine allgemeinere Landplage zu befürchten ist, thut die Natur ihrer Weiterverbreitung nicht Einhalt. Sehr nachtheilig scheint nasses Wetter, besonders in der Häutungsperiode der Thiere, auf sie einzuwirken. Wir untersuchten an einem trüben regnerischen Tage einige Stoppelfelder, auf denen das Getreide noch in Mandeln stand, und fanden auf demselben keine einzige Heuschrecke, als wir indeß die Mandeln lüfteten, sprangen sie uns zu Tausenden entgegen. Die einzelnen Bunde, bis tief in das Stroh hinein, wimmelten förmlich von diesem Ungeziefer, aber wir fanden hier auch unendlich viel todte, und an jedem Halme hingen mehrere eben verlassene Häute. Regen und kühles Wetter würden ihnen, namentlich in dieser Periode, bald ein Ende machen.

Uebrigens steht dieses Auftreten der Wanderheuschrecke in Deutschland durchaus nicht vereinzelt da, es ist dasselbe vielmehr sporadisch schon öfter beobachtet worden; so erschien sie Anfang der fünfziger Jahre einige Male in der Mark Brandenburg, 1856 bei Breslau und 1859 in Hinterpommern. Die Nordlinie ihrer Verbreitung geht nach Brehm: von Spanien durch Südfrankreich, die Schweiz, Baiern, Thüringen, Sachsen, die Mark, Posen, Polen, Volhynien, Südrußland, Südsibirien bis Nordchina. Vereinzelte Züge wurden auch in Schweden, England und Schottland beobachtet.

Es seien uns zum Schlusse noch ein paar Worte über die Naturgeschichte des Thieres gestattet.

Der Name Heuschrecke kommt her von schrecken, was ursprünglich schreien, schwirren, knarren bedeutet, ein Geräusch, welches diese Insecten durch schnelles Reiben der dicken Springschenkel an den lose gehaltenen, pergamentartigen Flügeldecken hervorbringen. Man unterscheidet Feld-, Laub- und Grabheuschrecken.

[586] Zu den ersteren gehört die eben besprochene Wanderheuschrecke, zur zweiten Art unsere große grüne Buschheuschrecke, zur dritten die Hausgrille oder das Heimchen, der Rietwurm oder die Maulwurfsgrille etc.

Die Feldheuschrecken sind die bedeutendsten Springer der ganzen Familie; sie schnellen sich ungefähr das Zweihundertfache der eigenen Länge fort. Die Färbung dieser größten europäischen Art ist nicht bei allen ausgebildeten Individuen die gleiche und scheint dunkler zu werden, je weiter die Jahreszeit vorrückt. Im Allgemeinen herrscht auf der Oberseite Graugrün vor, es kommt indeß auch häufig Grasgrün und bräunliches Grün, unten dagegen mehr röthliche oder gelbliche Fleischfarbe vor; die Flügeldecken und dunkel gefleckt; eben aus dem Ei geschlüpft, sind die Thiere ganz schwarz; später bis zur vierten Häutung werden sie meist dunkel okergelb und oben schwarz. Die Fühler sind kurz, fadenförmig, nicht zugespitzt. Das größere Weibchen hat keine hervorragende Legröhren, legt im Herbste zwei Eierklümpchen mit je sechszig bis hundert Eiern in lockere Erde und stirbt alsdann. Ein warmer trockener Herbst und ein eben solches Frühjahr sind dem Gedeihen auch dieses Ungeziefers besonders günstig. Das eigentliche Vaterland dieser Thiere soll die Tatarei sein, obgleich sie sich überall fortpflanzen, wo sie vorkommen.

Th. Nietner.