Noch ein Dichter-Kerker
Ihn schlossen sie in starre Felsen ein,
Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.
Er doch voll Kraft zerbrach den Felsenstein
Und ließ sich abwärts am unsichern Bande.
Da fanden sie im bleichen Mondenschein
Zerschmettert ihn, zerrissen die Gewande.
Weh! Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht auffingst, schützend, voll Erbarmen!
Eines der lieblichsten, vor der Hand noch abseits vom Eisenbahnzug gelegenen Fleckchen schwäbischer Erbe ist das Uracher Thal; in seine Nähe führt jedoch das Dampfroß von Ulm wie von Stuttgart und Reutlingen her, wenn wir bis zur Station Metzingen der Ober-Neckarbahn fahren. Von da erreicht der Fußgänger in dreiviertel Stunden, nach Morgen gewendet, Dettingen und betritt gleich hinter diesem Dorfe das von der lustigen Erms bewässerte und geschmückte Thal, das in der That alle Schönheiten der Albnatur in größter Vollkommenheit und Fülle in sich vereinigt und vier Stunden lang, bis Seeburg, den Wechsel erfrischender und erhebender Bilder bietet.
Ungefähr in der Mitte dieses Thales liegt die alte und noch heute mittelalterthümliche Stadt Urach und dreiviertel Stunden davon, auf hohem Wald- oder Felsberg, die ehemalige Grafen-Veste Hohen-Urach in Trümmern – wie jenes Schloß, das „des Sängers Fluch“ gebrochen hat. Auch diese Trümmer theilen jenes Schlosses Schicksal, und man wird es mir nicht verargen, daß in der Erinnerung an ein schweres Dichterloos diese Burg mir noch heute wie beflort erschien. Ich sah ihre Trauer, denn ich wußte ihr Geheimniß und will es hiermit verrathen. Sie hat wirklich in ihren Jugendjahren den Deutschen einen Dichter gemordet, einen rastlosen Kämpfer für Recht und Freiheit hat sie getödtet, und ebendeshalb ruht auch auf ihr des Sängers Fluch, und nun ist sie geknickt, die blutrothe Rose mit den gewaltigen Dornen, und es that noth, daß ein mitleidiges Oberamt ihr eine Tafel anhing, worauf Dem mit schrecklicher Strafe gedroht wird, der ihr die lose hängenden Blätter muthwillig abzupft und der Zeit in’s Handwerk pfuscht.
Die Geschichte von dem unglücklichen Dichter ist nur wenig bekannt. Ich will sie im Folgenden kurz mittheilen, damit alle Leser der Gartenlaube, die einmal nach Schwaben kommen sollten, Hohen-Urach in seiner dunkel prächtigen Trauer sehen können und das schöne Thal der Erms doppelt genießen.
Clerus und Adel hatten sich zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts in unserem Vaterlande sehr breit gemacht, und im Volke hatte es schon längst angefangen zu wühlen und zu kochen. [679] Da erschien Luther, der große Vorkämpfer in jener halben Revolution, welche die Geschichte Reformation nennt. Halb war die Umwälzung und deshalb doppelt schwer durchzuführen. Denn, während nur die Geistlichkeit von Luther angegriffen wurde, blieb ihr Genosse, die Aristokratie, nicht unthätig; sie warf sich zu ihrem Secundanten auf und fing manchen Hieb auf, der sicher blutig gesessen hätte. Hätte doch unser großer Reformator die weisen, frommen Fürsten aus dem Spiele gelassen! Dein Kampf, Hutten, wäre auf günstigerem Terrain gestritten; hätte er sich gar mit dir verbündet, du hättest durch deinen Sieg den seinigen erst zu einem rechten und ganzen gemacht.
So aber bist du, frommer Hutten, gefallen, ohne dein Lebensziel erreicht zu haben. Doch tröste dich, schlimmer als dir ging es deinem Gesinnungsgenossen, dem Dichter von Hohen-Urach, dem großen Humanisten Nicodemus Frischlin.
Frischlin wurde am 22. September 1547 zu Balingen geboren, wo sein Vater Pfarrer war. Er muß sich sehr schnell entwickelt haben, denn schon 1568 finden wir ihn in Tübingen auf dem Lehrstuhle der freien Künste als ordentlichen Professor. Die frühe Reife war bei ihm, wie bei so vielen großen Männern, ich erinnere nur an Goethe, keine ungesunde, durch künstliche Gewächshauszucht hervorgebrachte; das verbürgt der große Kreis von Zuhörern, der sich bald um den jungen genialen Frischlin schaarte. Burschikos und frei im geselligen Leben war er als Lehrer voll Begeisterung für das Alterthum, seine Helden und Weisen, war er voll bissigen Witzes, wenn er auf die flache Gelehrsamkeit gewisser Tübinger Herren zu sprechen kam, bekämpfte er mit spitzen Waffen des Spottes den anmaßenden, ungebildeten Adel jener Tage.
Es kann uns nicht Wunder nehmen, daß sich Nicodemus Frischlin auf diese Weise viele Feinde erwarb; die hat Derjenige, welcher sich mit Narren jeder Art herumschlägt, immer in großer Anzahl. In unseren Tagen können sie dem Klugen nur nicht in dem Maße schaden wie damals, wo sie überall an der Spitze standen und über Leben und Schicksal vieler Leute bestimmten. Als Beispiel von der Erbitterung und zugleich der Rohheit der Feinde Frischlin’s mag Folgendes dienen. Einst veranstaltete der Vogt Burkard von Anwiel ein großes Gastmahl, wozu viele Edle der Umgegend, der Vogt und die Honoratioren Tübingens und auch unser Dichter eingeladen wurden. Der große Saal im Rathhause zu Tübingen erscholl bald von Becherklang und fröhlichen Reden; letztere verwandelten sich in rohe Ausfälle und Zänkereien, als die Köpfe warm geworden, und Frischlin hielt es für das Beste, heimzugehen. Da ruft ihn der Gastgeber heran und nimmt ihm den schon umgelegten Mantel wieder ab; Frischlin mußte, wollte er sich nicht unnützer Weise einen neuen Feind erwerben, bleiben. So setzt er sich mit an die Tafelrunde der Ritter, die entschlossen schienen, bis zum Morgengrauen ihren Platz zu behaupten. Ihm zur Seite hat der Vogt von Tübingen, Herter von Herteneck, Platz genommen. Frischlin trinkt ihm zu, und der edle Herr antwortet: „’nen Dreck! in vino veritas.“
Auch Frischlin spricht jetzt ganz frei von der Leber weg: „Ich nehme Euer Maul und ess’ den Dreck und noch mehr.“
[680] Hierauf erhebt er sich und trinkt das verschmähte Stück dem Burkard vor. Indem fühlt er, wie ihm der erzürnte Herteneck mit dem Barett in das Gesicht schlägt. Frischlin ist nicht so grob gewesen wie der Vogt, hat ihm den Rücken zugedreht und den Saal verlassen. Es war vorauszusehen, daß die Rohheit dieses würdigen Vertreters der Aristokratie von Frischlin nicht unbenutzt bleiben würde. Die Flugschrift, welche kurz darauf erscheint, ist nicht sowohl Rache für diesen speciellen Fall, als vielmehr ein Herzenserguß, zu dem der Schlag des Vogts ihm willkommene Gelegenheit gewesen war. Der gesammte württembergische Adel war äußerst aufgebracht; man soll Meuchelmörder für Frischlin gedungen haben, und zwei der edlen Junker sind mit Musketen auf sein Haus eingestürmt. Nicodemus mußte wohl oder übel Tübingen verlassen und eine Rectorstelle in Laubach beziehen.
Jetzt nimmt er wieder einmal die Gelehrtenwelt auf’s Korn und läßt den Adel etwas verschnaufen. Ein Streit mit dem Professor Crusius in Tübingen wird wieder aufgenommen. Hierbei ereifert er sich so, daß er stracks nach Tübingen zurückreist, um seinen Gegner besser zur Hand zu haben, und auch dort bleibt, obwohl man ihm hartnäckig jede Anstellung an der Universität verweigert. Um nur das Leben zu fristen, studirt er nebenbei Medicin, bringt es zum Doctor und prakticirt und streitet nach Herzenslust. Aber es soll ihm nicht gelingen, hier wieder festen Fuß zu fassen – die alten Basen in Tübingen erzählten sich böse Geschichten von ihm –, und auf Befehl des Herzogs muß er Stadt und Land verlassen.
So zog nun Frischlin, aus der Heimath ausgestoßen, durch das deutsche Land und hielt, wie die fahrenden Bänkelsänger, seine Schriften auf den Märkten feil. Reich an Entbehrungen, ist es doch ein freies und lustiges Leben gewesen, das er auf seinen Wanderungen genossen hat. Im grünen Walde entstanden seine kunstgerechten lateinischen Gedichte, beim Weine im Wirthshause die Dramen, und Abends im Dachstübchen der Herberge mag manch gelahrtes, bissiges Büchlein geschrieben sein. Bis nach Böhmen ist er über Wittenberg und Leipzig gekommen; er war auch eine Zeitlang in Braunschweig ansässig, hat sich aber dann nach Frankfurt zurückgewandt, wo er eine Druckerei zu errichten gedachte. Dazu war jedoch Geld nöthig, und er that deshalb an den Herzog von Württemberg die unterthänigste Bitte, ihm doch die in der Heimath noch ausstehenden Erbgüter seiner Frau auszuliefern. Das Gesuch ward ihm abgeschlagen, da man es nicht für gut hielt, einem so gefährlichen Unternehmen, wie eine Buchdruckerei in Frischlin’s Hand sei, noch hülfreich zu sein und sich selbst eine ganze Reihe von Gewittern über dem Haupte zusammenzuziehen. Der arg verletzte Frischlin schrieb nun eine Streitschrift nach der anderen, die alle von Gleichgesinnten förmlich verschlungen wurden, seine Gegner aber auf’s Aeußerste erbitterten.
So kam es, daß er einst, als er auf einer Reise in Mainz übernachtete, von einem württembergischen Vogte überfallen, dann erst von einem Kerker zum andern gebracht und endlich mit verbundenen Augen auf die Veste Hohen-Urach transportirt wurde. Ist man durch das erste Thor der Burg auf die vordere Terrasse gelangt, so kommt man in einen ziemlich engen, düsteren Gang, der auf den oberen Schloßhof führt. In diesem Gange links ist eine niedrige Thür, durch die man in das Gemach kommt, in das sie den Dichter einschlossen. Durch ein einziges schmales Fenster gelangte das Tageslicht in den niedrigen dumpfen Raum, jetzt freilich noch durch eine Oeffnung an der Decke, die Todespforte Frischlin’s. Man sieht noch an Spuren, daß dort in der Ecke ein Ofen gestanden hat und die Oeffnung jedenfalls zum Auffangen und Ableiten des Rauches bestimmt war. In der Nacht vor dem St. Andreastage 1590 – so berichten die Chroniken – brach Frischlin eine Platte aus dem Ofen, klomm durch den geräumigen Innenraum desselben zum Rauchfange empor, schlüpfte durch dessen Oeffnung und stand nun oben im Freien auf einem Mauervorsprunge. Es war heller Mondenschein. Unter sich sah er die Felsen weiß und hell am Gemäuer hervorklimmen, sie schienen ihm hinreichend nahe, und nun befestigte er an der Mauer das Seil, welches er aus dem Linnenzeuge seines Bettes geknüpft hatte. Er hatte die Höhe falsch abgeschätzt, das Seil reichte nicht zu und riß noch dazu, ehe er das Ende erreichte. Am Morgen fanden die Burgleute den entseelten Leichnam Frischlin’s an den Felszacken hängend.
Die Leute in der Umgegend wissen noch viel von dem unglücklichen Dichter zu erzählen. Dort, wo er an den Felsen zerschellt ist, keimt in mondheller Winternacht eine große Pflanze hervor, die schnell eine wunderbar bleichleuchtende Blüthe entwickelt, aber noch in derselben Nacht in ihrem eigenen Dufte vergeht. Merkwürdiger Weise verweben sie die Geschichte Frischlin’s mit der des gleichfalls vom Adel arg mißhandelten Schubart; ein alter Mann im Städtchen Urach erzählte uns:
„Der Schubart auf dem Hohen-Aschperg ischt sei Freund g’si und an den hot er viel Briefe g’schriebe.“
Von den edeln Grafen zu Hohen-Urach wußte man nichts zu berichten, auch von den württembergischen Fürsten, die zu Frischlin’s Zeiten die Burg besaßen, weiß Niemand zu sagen – den edeln, volksfreundlichen Eberhard natürlich ausgenommen; gerade hundert Jahre aber nach Frischlin’s Tode sei mit dem Pulverthurme der größte Theil der Gebäude in die Luft gesprengt und seit der Zeit sei Hohen-Urach Ruine.
Im Jahre 1755 ward auf dem Kirchhof zu Urach ein eichener Sarg aufgegraben, in welchem der zerschlagene Leichnam, sonst noch unversehrt, eine Papierrolle in der linken Hand und in ein Gelehrten-Staatskleid eingehüllt, gefunden wurde. Er hatte also doch ein ehrendes Begräbniß erhalten, wenn anders die Zeugen sich in ihrem Funde nicht getäuscht haben. So erzählt Gustav Schwab.