Textdaten
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Autor: August Lienhardt
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Titel: Künstler und Fürstenkind
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36–43, S. 575–578, 591–594, 607–610, 623–627, 653–657, 659–662, 675–678, 702–704
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[575]

Künstler und Fürstenkind.[1]

Von August Lienhardt.


1.

Als wir zusammen, mein lieber Gottfried, Italien durchzogen, vom Schnee der Alpen bis zu den Gluthen des Vesuv, von den gletschergenährten Fluthen des Po bis zu jenem Gestade Hesperiens, wo wirklich „die Citronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn“, da lachtest Du oft über Deinen scheuen Walter, und nanntest ihn – Weiberfeind! Denn nicht die feurigen Blicke der Venetianerin, nicht der schleierumwobene Alabasternacken der Tochter Mailands, nicht das stolze Profil der Römerin vermochte den Spröden zu rühren! Und während Du unter den Blumen des blüthenreichen Landes wie ein Schmetterling umherflattertest, fandest Du kaum ein mitleidiges Achselzucken für Deinen Freund, der nur Augen hatte für die Ebenbilder längst vermoderter Schönheiten.

Ach, mein Herzensfreund, wie ist das anders geworden! Wohin ist all mein Weiberhaß?

Doch höre Alles vom Anfang an. Ich hatte bereits eine Woche in den Räumen des Glaspalastes zu München der Besichtigung der Kunstausstellung gewidmet. Meine Seele hatte geschwelgt in den erhabensten Geistesproducten eines halben Jahrhunderts. Ich warf noch einen letzten Scheideblick auf Schwind’s „Sieben Raben“, als ich in meinem Sinnen plötzlich vom Wohlklang einer weiblichen Stimme aufgescheucht wurde, welche ihre Bewunderung über das seltene Kunstwerk aussprach. Ich sah auf und sah eine junge Dame neben einem im kräftigen Mannesalter befindlichen Herrn vor dem Bilde stehen. Ihre Stimme hatte mich so sympathisch berührt, daß ich an der Stelle, dem Anscheine nach in ein Bild vertieft, wartete, bis sie mir das volle Gesicht zuwendete. Gottfried, ich kann Dir nicht schildern, wie mich dieses Antlitz bis in die innersten Fibern meines Herzens ergriff. Diese seelenvollen Augen, in welchen man unterzugehen wünscht wie in einem tiefen See voll Seligkeit, diese reine, durchgeistigte Stirn, dieser edle Mund, diese feinen Züge, welch’ reiches Geistes- und Gemüthsleben verrathen sie! Diese Gestalt voll Ebenmaß – jede Geberde eine Venus von Milo! O Freund, ich kenne mich nicht mehr!

Nenne mich einen Schwärmer – aber ich konnte mich von dem Gedanken nicht trennen, daß es mein Tod sein würde, wenn ich mein Schicksal nicht mit diesem erhabenen Wesen verknüpfen dürfe. Und doch wußte ich gar nicht, wer ihr Begleiter war, ob Vater, Bruder oder Gatte. Vergeblich bot ich alle meine Bekannten auf, um mich nach der Fremden zu erkundigen.

In der Angst, daß sie sich zu früh entfernen möge, kehrte ich mich weder an die Vorschriften des Reglements, noch der guten Lebensart. Ich zog mein Taschenbuch hervor und entwarf eine Skizze der Fremden, mir Alles in’s Gedächtniß prägend, was nöthig, um sie mir wieder vorzuzaubern. Ach, wie schwach wird mein Pinsel sich erweisen gegenüber solchem Liebreiz!

Wie ich gefürchtet, so kam es. Während ich von einem Freunde aufgehalten worden, hatten die Fremden sich entfernt, und als ich nacheilend mich durch ein an der Ausgangspforte entstandenes Gedränge wie ein Aal gewunden hatte waren sie davongefahren. Ich verbrachte die erste Woche mit Postenstehen in der Ausstellung, aber sie kam nicht wieder. Ich ging jeden Abend in die Theater, aber ich fand sie nicht. Ich durchmusterte den Adreßkalender, erkundigte mich in Privathäusern, erforschte alle Gasthöfe, war häufig in den Galerien und in den Ateliers von Kaulbach und Piloty – aber vergebens. Ich sah sie nicht wieder. Ihr Bild ist jedoch unauslöschlich in mein Herz gegraben. Danach war mein Entschluß gefaßt. Ich muß ein Werk ersten Ranges malen, wozu mir mein Gedächtniß und meine Skizze dienen sollen, und mit Hülfe dessen muß ich sie wiederfinden, und wenn ich’s in allen Hauptstädten Europas ausstellen müßte. Lebe wohl, mein lieber Gottfried, und denke in der ewigen Stadt ein wenig der Qualen Deines
Walter.


2.

Victoria! Der Wurf ist gelungen! Ich habe sie wieder gefunden, frei von allen Banden! Dennoch bin ich der Unglückseligste aller Sterblichen!

Höre, theuerster Gottfried, und beklage mich, denn zu rathen, zu helfen ist mir nicht! Es sind jetzt Monate verflossen, seitdem ich sie zum ersten Male sah, und keinen Tag ist ihr Bild in meinem Herzen geschwächt gewesen. Ich habe während des Winters das entworfene Bild vollendet. Ich habe mit der ganzen Gluth meiner Seele, mit allem Flug meiner Phantasie, mit voller Leidenschaft meines Gemüths, mit der vollkommenen Sorgfalt eine Liebenden gemalt und, ich darf es sagen, ich habe mein bestes Kunstwerk vollendet. Ich habe sie als Schneewittchen dargestellt. Seit Ostern ist das Bild ausgestellt, zuerst in München, dann in Dresden, Berlin, Frankfurt. Es ist, wie ich glaube, ziemlich ähnlich geworden. Ich hoffte, daß entweder der Gegenstand meines Sehnens selbst, oder ein Verwandter, oder ein Freund das Urbild [576] erkennen und mich zur Rede stellen würde. Ich wachte wie ein Argus vom Morgen bis in die Nacht, mir die Zeit oft mit Copiren, oft mit Skizziren vertreibend. Schon über dreißig Kaufliebhaber hatte ich abgewiesen – hoffte ich doch, daß die Kritik, welche mein Bild sehr hervorhob, in den betreffenden Kreisen bemerkt werden würde. Vergebens!

Ich übergab mein Gemälde endlich der Rheinischen Kunstausstellung und wanderte mit bis Köln. Schon war ich der Gegenstand der Bemerkungen der Aufseher geworden, – da eines Tages saß ich unweit von meinem Bilde, zum Zeitvertreib Skizzen in mein Taschenbuch zeichnend, als ich aus dem andern Saale her eine volle Männerstimme einen der Aufseher nach dem Inspector fragen hörte.

„Er ist ausgegangen.“

„Können Sie mir dann nicht sagen, wo das Bild ist, das kürzlich der Königin so aufgefallen?“

„Ah, vielleicht meinen Sie das ‚Schneewittchen‘? Es ist gleich hier neben.“

„Führen Sie uns hin, mein guter Mann!“

Ich hörte Schritte und ein Damenkeid rauschen; nach einer Weile ließ sich wieder die volltönende Männerstimme vernehmen:

„Merkwürdig! Die Königin hat Recht! Allerdings eine auffallende Aehnlichkeit. Höchst sonderbar! – Hören Sie, mein lieber Mann, das Bild scheint noch nicht verkauft zu sein?“

„Nein; aber der Künstler will es gar nicht verkaufen; er scheint ein Sonderling zu sein, denn er hat schon viele glänzende Gebote abgewiesen.“

„Können Sie mir seine Adresse angeben?“

„Er ist gewöhnlich in der Ausstellung. Da ist er!“

Dieser Ausruf scheuchte mich auf. Im nächsten Augenblicke stand ich sprachlos da. Vor mir befand sich das Ziel aller meiner Wünsche, am Arme desselben Herrn, mit dem ich die Dame im vorigen Jahre in der Münchener Ausstellung gesehen. Petrus, als ihm der Engel in himmlischer Glorie in der Finsterniß des Kerkers erschien, mochte es gewesen sein wie mir. Es schien mir, als ob die Seele durch meine Augen entweichen wollte; ich kam mir wie verklärt vor.

„Ich freue mich, den Schöpfer dieses herrlichen Kunstwerkes kennen zu lernen,“ begann der Herr; „ich hätte den Wunsch, es zu kaufen.“

„Ich bedaure,“ raffte ich nach einer Pause zusammen, „allein ich beabsichtige nicht, es zu verkaufen.“

„Wissen Sie, mein Herr, daß ich Sie nicht so leicht loslasse! Ich finde eine Aehnlichkeit, die mir kaum auf bloßem Zufall zu beruhen scheint, und wenn Sie uns nicht näheren Aufschluß geben, so werden Sie meiner Schwester kaum die Bitte abschlagen können, es uns abzulassen. Bestimmen Sie den Preis !“

„Ich bitte, ja!“ ließ sich jene melodische Stimme vernehmen, die mir so zu Herzen drang. Und doch blieb ich standhaft.

„Vielleicht wäre Ihnen mit einer Copie gedient?“

„Nein! Dann habe ich noch einen andern Vorschlag. Wie Sie auch zu diesem Kopfe gekommen sein mögen, wir wollen uns zur Herstellung des neuen Kunstwerkes gleich des Urbildes bedienen. Wählen Sie einen ähnlichen Vorwurf wie diesen, und meine Schwester sitzt Ihnen dazu. Wir werden den Winter in Berlin zubringen, und es wird uns am besten passen, wenn Sie das Bild dort anfertigen. Die Bedingungen überlasse ich Ihnen zu bestimmen.“

„Es wird mir eine Ehre sein.“

„Ich werde erfreut sein, Sie vom Herbst an in Berlin zu empfangen. Hier meine Karte!“

Während der Herr seine Karte aus der Brieftasche zog, versuchte ich die Dame anzureden; allein ein Zug weiblicher Hoheit schüchterte mich so ein, daß ich nicht den richtigen Gedanken fand und nur etwas stotterte, bis der Herr, schon wieder seine Schwester am Arme, sich empfahl, mich offenen Mundes mit der Karte in der Hand zurücklassend. Ich las die letztere und ließ sie vor Bestürzung fallen. Es stand darauf.

Herzog Ernst von Waldemberg.

Lebewohl, Du schöner Liebestraum! Lebe wohl, mein Freund! Entweder Du hörst lange nichts mehr von mir, oder Du schließest mich selbst in die Arme.

Ob ich mein Versprechen halte?

Dein Walter.


3.

          Liebe Amalie!

Litt ich schon Schiffbruch in Deinem Herzen, oder komme ich noch zeitig genug, um an einem Strohhalme mich zu retten? Ach, wüßtest Du, welcher Abstand besteht zwischen dem Versprechen auf einsamem Schlosse, wo die Vergehen des Schafbuben eine Woche lang den Text zum Gespräche bilden, und dem Worthalten in der Residenz, wo jede Stunde des Tages ihre Bestimmung eine Woche im Voraus erhält, wo an ein Weltereigniß in der nächstfolgenden Stunde kaum mehr gedacht wird, – Du würdest mildernde Umstände zugeben, Amalie, und verzeihen. Was dachte ich auch nur, als ich Dir versprach, jeden Abend zu schreiben! Der Bericht eines einzigen Tages wird genügen, Dich zu überzeugen, daß hier Wortbrechen keine Sünde ist.

Wenn ich um neun Uhr mit Ernst das Frühstück eingenommen und er in’s Abgeordnetenhaus sich begeben hat, mache ich mich für meine Professoren bereit. Gesang, Musik, Sprachübungen und Literatur füllen den Morgen aus. Nach dem Gabelfrühstück folgen in bunter Reihe Besuche in den Ateliers und Galerien, auf denen allen mein Bruder mich begleitet; kaum komme ich nach Hause, um für Tisch Toilette machen zu können. Nach Tische ist entweder Empfang bei uns, oder wir besuchen das Theater, ein Concert, eine Soirée. Bälle gab es bis jetzt noch nicht. Sind wir endlich wieder daheim, so muß ich Ernst etwas vorspielen, denn das nennt er seine Erholung, und so wird es sehr spät, bis ich auf mein Zimmer komme. Schriebe ich hier noch Briefe, so entständen gewiß traurige, verdrießliche Episteln, an denen Du ebensowenig Freude hättest wie die Verfasserin selbst. Dir Alles zu erzählen, habe ich ja noch lange Muße, wenn ich nächsten Sommer wieder in Heiligenstein bin, wonach ich mich, offen gestanden, wäre Ernst nicht, der meiner bedarf, stets zurücksehnte.

Die Hauptneuigkeiten, gute Amalie, bekommst Du aber dennoch schriftlich, und wenn ich auch heute nichts besonders Wichtiges mitzuteilen habe, so wird es an Stoff zu Briefen künftig nicht fehlen. Eins darf ich nicht vergessen, Dir mitzuteilen. Dein Wunsch, mich gemalt zu sehen, ist erfüllt. Höre, auf welch’ wunderliche Weise! In der Rheinischen Ausstellung befand sich vor Kurzem ein Bild, das als Meisterwerk moderner Kunst gepriesen wurde, und dem schließlich auch noch viele Personen, worunter sogar die Königin, eine Aehnlichkeit mit Deiner Freundin entdeckt haben wollten.

Ernst ging mit mir hin, obgleich er dem Gerüchte wenig Glauben schenke, da er mit Dir irrig meint: gleich Eurer Hedwig gäb’s keine Zweite. Da hatten wir’s! Hedwig, Prinzessin von Waldemberg, blickte uns, wie sie leibt und lebt, aus dem Rahmen an, nur in’s bescheidene Kleidchen eines Schneewittchens gehüllt und etwas idealisiert!

Ernst war, ich weiß nicht ob wütend, ob entzückt. Er hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich nach dem Künstler zu erkundigen, um sich das Bild anzueignen. Als solcher wurde uns ein junger Mann, der sich zum Glück gerade in der Galerie befand, gezeigt. Ein hochgewachsener, blonder, blauäugiger Jüngling, mit schwärmerischem echt künstlerartigem Gesichtsausdruck, dessen feste Weigerung, das Bild zu veräußern, indessen von sehr entschlossenem Charakter zeugte. Sogar meinen Bitten widerstand er, Amalie! Zu einer Aufklärung der Aehnlichkeit kam es gar nicht – entweder der junge Mann wich geschickt aus, oder er verstand gar nicht, auf was Ernst’s Fragen anspielten. Er hatte etwas eigenthümlich Scheues, Befangenes.

Unverrichteter Sache weiter zu gehen, ist indessen meines Bruders Art nicht. Er schlug daher dem Maler vor, wenn er durchaus sich nicht vom Bilde trennen wollte, ein zweites zu malen, als dessen Modell ich bereitwilligst selbst sitzen würde. Hierauf ging der junge Mann ein, und so gaben wir ihm Rendezvous auf den nächsten Monat in der Hauptstadt. Vielleicht hätte ich die Geschichte vergessen, wenn nicht Ernst oft darauf zurückgekommen, ja sogar darauf gedrungen hätte, daß ich mir ein Kleid anfertigen lasse, ähnlich wie das, welches Schneewittchen im Bilde trägt.

Gestern kam der Künstler zum ersten Male, und ich erfuhr, daß sein Name Walter Impach sei. Er muß wenig in Gesellschaft gewesen sein, denn sein befangenes Wesen erinnert mich immer an die empfindsame Pflanze in Deinem Blumentisch, die zusammenfährt, sobald man sich ihr nähert. Nach kurzem Gespräche [577] führte Ernst Herrn Impach im Hause umher, damit er ein passendes Zimmer zur Aufnahme wähle. So kamen wir auch in die Galerie, wo der Musensohn in Ekstase gerieth über unsere Sammlung von alten Meisterwerken. Unsere Rembrandts nannte er „unschätzbar“. Du weißt, wie Ernst an seinen Bildern hängt, kannst Dir also denken, daß sich der junge Mann, ohne es zu wissen, durch die Freude, die er bewies, überaus bei ihm in Gunst stellte.

Ich mußte nun noch das Kleid zeigen, auf das der Künstler einen Blick warf und es gnädig gut hieß, worauf er sich mit dem Versprechen entfernte, den nächsten Tag zur Stunde, die ihm Ernst feststellte, wiederzukehren. Als wir allein waren, mein Bruder und ich, sprachen wir noch eine kleine Weile von ihm. Ernst meinte, der junge Mann sei viel zu bescheiden für einen Künstler, der sich sonst als Jedermanns Gleichen betrachtet, und hätte er nicht sein Bild gesehen, so müßte er glauben, einen Anfänger vor sich zu haben. Ich konnte meinen Bruder hierin nicht verstehen; denn daß der Maler zum ersten Mal ein Haus, wie unseres, betrat, war offenbar. Mußte ihm das nicht ein wenig imponiren, zudem die Haltung Ernst’s niemals ihre Wirkung verfehlt? –

Heute Morgen war nun die erste Sitzung. Als ich das Atelier betrat – so tauften wir das Erkerzimmerchen, welches sich Herr Impach zum Felde seiner Thätigkeit auserwählt – war Alles bereit; es roch auch schon bedeutend nach Terpentin, worüber ich mich kaum enthalten konnte, die Nase zu rümpfen. Wie mich Herr Impach eintreten sah, im weißen Schneewittchenkleide, fuhr er von seinem Sitze auf, und blieb, mich anstarrend, eine Weile stehen. Kein Gruß, keine Verbeugung – das Alles kam hinterher. Ich setzte mich; doch jetzt begann erst recht die Verlegenheit. Schon nach einigen Strichen erklärte er mir, daß meine Coiffure zum Anzuge unpassend sei. Wie das? – Ich ließ einen Spiegel bringen und zerstörte Fanny’s schönes Werk. Doch es diesem Sohn der Kunst recht zu machen, wäre unmöglich gewesen. Schließlich rief ich ungeduldig aus: „Ei, so ordnen Sie das Haar selbst!“

Als ich jedoch der fremden Finger gedachte, die mich zum ersten Male berühren sollten, reute mich mein Ausruf. Geschehen war er indessen und Hedwig mußte dabei beharren. Ich fühlte, wie zwei stark zitternde Hände mein Haupt kaum berührten; dann, indem er wieder zu seiner Staffelei ging, erklärte Herr Impach, daß es ihm unmöglich sei, bei mir die gewünschte Anordnung zu treffen. Das klang sehr unhöflich, und doch lag etwas im Tone, das mich davon abhielt, böse zu werden. Lachend rief ich Fanny, und mit dieser verständigte er sich alsbald, indem er ihr am Ende der Leinwand flüchtig eine Skizze hinzeichnete, nach der sie mein Haar ordnete. Noch ehe sie entlassen, war der Künstler an seinem Werke.

Ich hatte mich gefreut, daß ich beim Malen nicht durch langweilige Gespräche unangenehm berührt werden sollte, und doch war ich es, die zuerst das Wort ergriff und den Stillschweigenden zum Sprechen herausforderte. Ich wußte nicht, was ich eigentlich sagen wollte, ich fühlte nur, daß mein Stillschweigen hochmüthig war einem so bescheidenen Menschen gegenüber, daß ich es unterbrechen mußte. Ich frag ihn, welches Bild ihn in unserer Galerie am meisten frappirt hätte.

„Das kann ich erst bei einer zweiten Betrachtung entscheiden; um die Erlaubniß hierzu wollte ich ohnehin noch heute bitten.“

„Die Galerie steht Ihnen natürlich offen, wann Sie wollen. Sehen Sie sich auch das Bild an, welches mein Liebling ist: das weinende Mädchen in der Ecke des Hauptsaales. Es ist ein Meisterstück.“

„Ich habe es gestern bemerkt; es ist schön, aber doch nicht aus einer Zeit, wo gute Sachen gemalt wurden – ein geziertes französisches Bild.“

Natürlich war mir diese sehr zweideutige Antwort nicht recht. Wieder trat Schweigen ein, bis er mich bat, die Augen, welche ich beim Nachdenken halb geschlossen hatte, wieder zu öffnen. Für diese Unaufmerksamkeit war ich ihm etwas Höfliches schuldig. Ich frug ihn, ob er stets nur Portraits male.

„Im Gegentheil – dies ist mein erstes Portrait.“

„Und jenes andere Schneewittchen?“

„Ein Phantasiebild!“

Sonderbar, bei der Höflichkeit meines Bruders, bei meiner eigenen Liebenswürdigkeit wird dieser Mensch zaghaft, befangen. Spricht man zu ihm, wie sich gehört, so sagt er ganz kühl seine Meinung, auf eine Art, als sei auch kein Titelchen mehr daran zu ändern, auch nicht wenn ich mir die Mühe geben wollte, ihn zu anderer Ueberzeugung zu bringen. Ich hatte schon so etwas bei der ersten entschiedenen Weigerung in der Kunstausstellung an ihm bemerkt.

Als er mir jetzt auszuruhen empfahl, forderte ich ihn auf, mit mir in unsere Galerie zu gehen, um uns dort am Anblicke alter Kunstwerke zu erholen. Unsere Schritte lenkten bald in den Rembrandt-Saal ein; Herr Impach wurde nicht müde, ihn zu preisen. Er bat mich, eines der Bilder ganz in der Nähe anzusehen, machte mich auf die schrecklich grobe, hingeworfene Arbeit aufmerksam, die dem Farbenspiel einer benutzten Palette glich. Ich mußte nun in die richtige Entfernung treten, und siehe da! jeder grobe Pinselstrich, jeder Farbenfleck nahm Leben und Bedeutung an. Kein Farbenkörnchen zu viel, Alles Harmonie, Alles Schönheit; ich hatte das nie so bemerkt und glaube auch jetzt noch, daß nur Herrn Impach’s enthusiastische Erläuterungen mich so viel Schönes im Bilde sehen ließen. Meine eigenen Augen hätten mir das niemals gezeigt. Wäre nur Ernst dabei gewesen, der hätte sich noch ganz anders gefreut.

Ich trat jetzt in die Mitte des Saales, wo, wie Du weißt, eine sehr schöne Copie des vom Delphin getragenen Kindes, der vermeintlichen einzigen Bildhauerarbeit Raphael Sanzio’s, steht. Meine Hand auf die marmorne Stirn des Knaben legend, sprach ich, zu Herrn Impach aufschauend:

„Ich habe mit Ihnen Rembrandt bewundert, doch hier zolle ich meine Verehrung. Ach, Ihre Kunst ist doch nur Stümperei gegen das Leben, welches hier athmet!“ – Ich hatte geglaubt, einen recht weisen Satz gesprochen zu haben, trug ihn auch mit großem Selbstbewußtsein vor. Du hättest des jungen Künstlers erstaunten Blick sehen sollen!

Erst nach einer Pause, und durch mein fragendes Gesicht zum Antworten gezwungen, sprach er: „Soll ich verstehen, daß Sie Malerei und Bildhauerei mit einander vergleichen wollen, ja diese auf eine höhere Stufe stellen als jene? Das kann unmöglich Ihr Ernst sein. Ihr natürlicher Geschmack, Ihr Kunstgefühl kann Sie nicht so in die Irre führen. Vielleicht, daß irgend ein Liebling Sie zur Verallgemeinerung verleitete, wie denn dieser Knabe ein sehr schönes Kunstwerk ist, obgleich ich nicht glaube, daß Raphael jemals Hand an ihn gelegt.“ – Eine kurze Pause entstand, in der er sich zu sammeln schien, dann begann er wieder: „Ich fühle mich nicht dazu berufen, Sie von Ihrer Meinung abzubringen, glaube jedoch, Ihnen eines großen Künstlers Worte nicht vorenthalten zu dürfen, der wohl competent sein dürfte, da er beide Künste mit gleicher Vollkommenheit betrieb. Michel Angelo hat einem Schüler, der ihn befrug, welche Kunst die würdigere, Malerei oder Bildhauerei, geantwortet: Nimm Lehm und bilde daraus eine Kugel, und Du hast den ersten Schritt zum Bildhauer gethan; bringe nun dieselbe Kugel auf Leinwand mit Farben hervor, und Du bist noch lange kein Maler!“

Ich stand ein wenig erstaunt da; das schien so unwiderleglich, und dennoch wollte ich mich nicht sogleich fügen. „Aber in der Statue haben Sie das Leben, im Bilde kaum einen Schein davon,“ wagte ich zu sagen. – „Wenn der Schein das darstellt, was die runde Wirklichkeit nicht hervorbringt, und noch die Farbe dazu, so muß doch hier größere Kunst liegen, als im einfachen Nachbilden der Formen aus einem Stoff, der schon an sich dem Fleische gleicht. Man darf nicht vergessen, daß unsre modernen Bildhauer nicht mehr das Bild in den Stein hauen, sondern so lange den Lehm bearbeiten, bis er die gewünschte Gestalt annimmt, und der Lehm ist geduldig.“ Noch immer wollte ich antworten; mich so von einem Fremden, der noch dazu als Interessirter sprach, überzeugen zu lassen, war hart. „Ich kann eine Leinwand nicht so lieb haben wie ein Steinbild. Diesem Knaben die Stirn zu berühren, die runden Arme zu umfassen, das läßt mich das Kunstwerk erst recht genießen – die Bildhauerei ist vierseitiger.“

„Das Heiligste ist nicht für die Berührung,“ sprach der Maler mit sonderbar bewegter Stimme, „zum Schönsten sehen wir nur empor. – Was aber die Vielseitigkeit betrifft, so haben Sie nicht bedacht, daß dem Pinsel die ganze Welt zu Gebot [578] steht, vom Glühen der Sonne auf den Gipfeln der Alpen bis zum Glanz in einem seelenvollen Auge. Der Meißel kann einen Körper, Mensch und Thier, hervorbringen, weiter nichts – das Auge darf er nicht berühren, und was ist ein Antlitz ohne Auge? – es kann nur den Sinnen gefallen, niemals dem Geiste. Es ist, wie Sie treffend andeuteten, zur Berührung gemacht.“ War das nicht zu arg, meine eigenen Worte gegen mich zu gebrauchen? ich war aber doch schon – überzeugt.

Gerade während ich nach Worten suchte, dieses Geständniß zögernd abzulegen, wurde die Thür geöffnet und der alte Thomas trat meldend ein. Der Name, den er nannte, hat in unserem Hause stets einen guten Klang, dennoch war mir Graf von Werdau – ich wußte nicht warum, in diesem Augenblicke kaum willkommen. Er ist ein intimer Freund meines Bruders, ein geistreicher, lebhafter junger Mann, und für mich die Güte und Aufmerksamkeit selbst. Ein Strauß duftender Veilchen war in meiner Hand, ein „Heil, Schneewittchen im Walde!“ erklang in meinem Ohr. „Ich komme soeben von Ihrem Bruder,“ fuhr Graf von Werdau fort, „der mir die Erlaubniß ertheilte, hierher zu eilen, um die ersten Schritte zu beobachten, die das projectirte Kunstwerk macht.“

„Da werden Sie sich wohl in Geduld fassen müssen,“ sprach ich, „denn in’s Atelier darf außer meinem Bruder und der guten Cousine Dorothea mit ihrer Stickerei kein Mensch – auch Sie nicht, bis das Bild vollendet ist. Ich mache mir jedoch die Freude, Ihnen den Schöpfer desselben vorzustellen.“ Ich nannte nun den Namen des Malers und hielt inne, weil ich wähnte, genug gethan zu haben. Was war es nur, das mir mit unwiderstehlicher Gewalt wieder die Lippen öffnete und mich zwang, auch den Grafen dem Künstler vorzustellen? Waren es Ernst’s Worte: „Ein Künstler hält sich für Jedermanns Gleichen!“ oder war es gar ein wenig Respect, den mir das Gespräch mit dem jungen Mann eingeflößt hatte? Werdau war liebenswürdig genug, den Maler mit Complimenten für sein früheres Bild zu überhäufen, die dieser jedoch sehr kühl entgegen nahm. In Werdau’s Worten lag sonderbarer Weise auch mehr Schmeichelei für mich, das vermeintliche Urbild des Schneewittchens, als für das Kunstwerk selbst. Der Graf hatte mir nun viel zu erzählen über eine Soirée, die ich gestern Abend „verdorben“, indem ich ihr nicht beiwohnte.

„Mit Ausnahme dieses Unglücks“ (meiner Abwesenheit) „ein reizendes kleines Fest. Die Baronin A. sang zum Entzücken; Fräulein Ordorf war schön, wie immer“ (hier küßte er seine fünf Fingerspitzen und warf sie verzückt in die Luft), „läge mein Herz nicht schon in Ketten, wer weiß! Wissen Sie auch schon, daß mich Ihr Bruder für übermorgen zum Diner eingeladen?“

„Ich weiß es – auch daß Sie nach Tische seinen Ali reiten sollen, der zu lange in Arkadien gewesen und sich nun dem Zügel nicht fügen will. Wenn mich nichts abhält, werde ich mitreiten und Ihre Bravour bewundern, obgleich ich deswegen meine Toilette für unsern kleinen Ball in aller Eile werde zu Stande bringen müssen. Sie sehen, welche Ehre man Ihren Reitkünsten erweist.“

„Ich werde reiten wie ein zweiter Renz, muß aber dann auch von diesen Rosenlippen ein Bravo zu hören bekommen!“

„Verdienen Sie’s erst. Dann wird’s nicht fehlen.“

Der Maler hatte abseits gestanden, ganz im Anblick eines Bildes vertieft. Was sollte ihn auch unser Gespräch interessiren, nahm er doch nicht an unseren Vergnügungen Theil. Ich frug ihn, ob wir noch am Bilde fortarbeiten würden, und als er diese Frage bejahte, entließ ich den Grafen, um in’s Atelier zurückzukehren, wo die Cousine bei ihrer Stickerei sanft eingeschlummert war.

Ihr monotones Gespräch anzuhören, ist kein Vergnügen; ich dämpfte also meine Stimme, um der guten Seele Schlaf nicht zu stören, und der Maler antwortete in demselben Tone. Er hat mir nämlich erklärt, daß ich weit besser zu malen sei, wenn ich spreche; weil mir dann der natürlichste Ausdruck von selbst im Antlitze stehe, und da Ernst so viel am Bilde gelegen ist, gab ich mir Mühe, jeden Wunsch des Malers zu erfüllen. Er frug mich, ob ich auch schon gezeichnet.

„Ein wenig,“ war meine Antwort; „aber Lehrer und Vorlagen sind so pedantisch. Ich konnte den Landschaften Hubert’s keinen Geschmack abgewinnen.“

„Haben Sie niemals versucht, etwas, das Ihnen gerade auffiel, zu zeichnen? Eine Blume, einen Gegenstand, der vor Ihnen lag, irgend etwas?“

„Niemals! Glauben Sie, dazu sei ich im Stande? Ich bin nicht gern Stümperin, doch würde mich ein Versuch nicht unglücklich machen – ich werde noch heute Abend – nun, was denn? – meine linke Hand zeichnen.“

Dabei legte ich sie auf den Schooß und versuchte ihr eine Stellung zu geben, die mir leicht schien. Der Maler betrachtete mich stillschweigend, endlich sprach er leise:

„Zeichnen Sie Ihre Hand lieber nicht!“

„Warum? Ist die Aufgabe zu schwierig?“

„Nicht schwieriger als eine andere; aber was schadet’s, wenn Sie ein Tintenfaß, das rund sein soll, eckig, eine Blume, die zart ist, schwerfällig darstellen, während – Ihre Hand –“

Er kam nicht weiter, was will er nur? Meine eigene Hand gegen die schreckliche Darstellung, die ich von ihr geben könnte, schützen? Ist das nicht drollig?

Bald hierauf schlossen wir die Sitzung, nachdem Herr Impach gefragt, ob er morgen wiederkommen dürfe.

„Natürlich! – Soll ich meinem Bruder das angefangene Bild zeigen?“ frug ich, indem ich auf die Staffelei zuging.

„Ich bitte Sie, es selbst nicht anzusehen – bis morgen Nachmittag nicht, es auch nicht zu zeigen,“ antwortete er zögernd.

„Auch gut – doch warum?“

„Weil ich Dies und Jenes erklären müßte, warum das Eine so, das Andere anders, und doch nicht verstanden werden würde. Sie werden das Bild nicht zeigen noch ansehen?“

„Ich habe schon versprochen,“ konnte ich nicht umhin in gereiztem Tone zu antworten, so daß Dorothea erwachte. Als ich mit entlassender Kopfbewegung auf die Zimmerthür zuging, sah ich, wie der junge Mann mir mit dem wehmüthigsten Gesichte von der Welt nachblickte. Was betrübte ihn nur so? Es ging mich eigentlich nichts an, ich rief im aber doch ein freundliches „Auf morgen also!“ zu, ehe ich das Zimmer verließ.

Ist das ein langweiliger Brief geworden!

Adieu, meine Amalie! Giebt es wieder etwas Interessantes, so erfährst Du es sogleich. – Ich sitze im Schneewittchenkleide, die Haare noch so wie am Morgen geordnet. Vielleicht trage ich sie, so lange das Malen dauert, aus Bequemlichkeit nicht anders.

Gute Nacht, süße Traute, die alle meine Geheimnisse weiß – gute Nacht!
Deine Hedwig.

Nachschrift. Wie, wenn ich die Kunst mir dienstbar und nützlich machte, den Maler zu Rathe zöge, wie ich mich übermorgen zum Balle kleiden soll?

[591]
4.

Kaum vier Tage sind vergangen, liebe Amalie, daß ich Dir meinen letzten Brief sandte; noch habe ich nicht Antwort, und doch bin ich genötigt, Dir schon wieder zu schreiben. Wem als Dir sagte ich, was sich in diesen Tagen ereignete?

Der kleine Ball, den Ernst meinem Geburtstag zu Ehren gab, ist herrlich von Statten gegangen; es war sozusagen die Eröffnung der Saison, denn noch war in der Residenz nicht getanzt worden. Ich spielte die Hausfrau, natürlich mit der guten Cousine zur Seite, und scheine mich meines Auftrags sehr gut entledigt zu haben, denn sobald unsere Gäste fort waren, küßte mich Ernst freudig auf die Stirn. Doch kaum hatte er es gethan, so trat er einige Schritte zurück und sagte. „Laß Dich nur erst noch einmal mit Ruhe betrachten! Ich glaube, Du sahst im Leben nie so gut aus. Wie kamst Du nur auf diesen Anzug?“

Das mußt Du hören, Amalie! Wie ich mir’s vorgenommen, frag ich meinen Maler in der Sitzung um Rath. Er hatte versprochen, darüber nachzudenken; eine Consultation mit Fanny, und das Werk war vollendet. Was es eigentlich ist, weiß ich selbst kaum, hier etwas unterdrückt, dort etwas zugesetzt, ein Band, ein paar Blumen im Haare, aber das Alles nicht wie bei uns nach eitler Laune des Augenblicks, sondern systematisch, künstlerisch, sage ich Dir. Nur Eines hätte Herr Impach auch noch übernehmen sollen, nämlich alle die Liebeserklärungen anzuhören, die mir sein guter Geschmack einbrachte; die hätte ich ihm von Herzen gegönnt.

Ich habe bei meiner Erzählung leider vorausgegriffen und wollte doch Alles hübsch der Reihe nach erzählen. Höre also!

Als ich vorgestern in’s Atelier ging, begleitete mich Ernst dahin, um zum ersten Male Herrn Impach’s Werk in Augenschein zu nehmen. Auch ich hatte bisher noch nicht auf die Leinwand gesehen. Denke Dir unser Erstaunen, als wir auch keine Spur des ersten Bildes erblickten! Auffassung, Manier, Alles war verschieden, und zwar gefiel mir das angefangene Bild noch viel besser als das vollendete in der Rheinischen Kunstausstellung. Gespannt harrte ich auf Ernst’s Ausspruch. Nach langer Betrachtung blickte er auf, ging auf den Maler, der bescheiden bei Seite getreten war und seine Palette mit Farben bedeckte, zu, und ihm die Hand drückend, sprach er:

„Sie sind ein echter Künstler. Ihr zweites Werk muß, wird es so ausgeführt, wie es angelegt ist, das erste noch weit übertreffen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch!“

Ernst erklärte mir nun die Schönheiten der Arbeit, und der Maler lauschte mit vergnügtem Gesicht. Es mußte ihm Freude machen, daß mein Bruder so gut verstand, was er wollte. Ehe Ernst ging, lud er Herrn Impach für den nächsten Tag zum Diner ein, dem ein keiner Ball folgen sollte.

Ich hatte erwartet, daß der Maler, der, wie er mir erzählte, ein sehr zurückgezogenes Leben führt, ängstlich ausweichen würde. Zu meinem größten Erstaunen nahm er freudig an.

Als ich nun gestern in den Salon trat, wo mein Bruder mit den eingeladenen Herren auf mich wartete, hatte ich den jungen Maler ganz vergessen. Graf von Werdau bat um Entschuldigung, daß er im Sammtrocke erschiene, schützte jedoch Ernst vor, der sich ausdrücklich Promenadentoilette erbeten hatte, da es sich ja um einen Ritt nach Tische handelte. Er schoß jetzt schon triumphirende Blicke, der Dinge gewärtig, die ihn auf dem Rücken Ali’s erwarteten. Nun kam eine sehr hohe Gestalt auf mich zu, in der ich zu meinem Erstaunen den Maler erkannte. So distinguirt sah er aus, daß Einem die Wahl zwischen ihm und Werdau schwer wurde.

Das Diner ging ruhig vorüber. Bei Tafel wurde meist der erwartete Ball besprochen, wobei sich der Maler natürlich nicht beteiligen konnte, da er die Personen, welche daran teilnehmen sollten, ja nicht im Geringsten kannte.

Als ich auf dem Hofe im Reitkleide erschien, waren die Herren schon versammelt, und eben wurden die Pferde vorgeführt. Die Cousine näherte sich dem Wagen, den sie heute allein innehaben sollte, als mein Bruder ihr in Herrn Impach einen Gesellschafter erlas, indem er diesen frug, ob er auch fahren wolle. Der Maler lehnte höflich ab, half aber der Cousine galant beim Einsteigen. Alles stand nun im Kreise um die Pferde herum, bei denen sich auch Ali befand, durch Scharren mit den Füßen und freudiges Wiehern sich kundgebend.

Als ich, mein Bruder und einige der Herren zu Pferde waren, ging Graf voll Werdau mit nachlässiger Miene, die Reitgerte unterm Arme, seinen Handschuh zuknöpfend, auf Ali zu. Sein Kunstgriff schien zu sein, mit Blitzesschnelle ihn zu besteigen. Dies gelang ihm jedoch nicht, da Ali bei der leisesten Berührung des Steigbügels auf die andere Seite flog. [592] Jetzt versuchte Werdau aus freiem Stande auf den Renner zu springen. Es gelang zu unserm freudigen Erstaunen; allein in demselben Augenblicke, als der Reiter nach dem Zügel haschte, fing unser Ali an zu bocken, und ehe es dem Grafen gelungen war, die Bügel zu finden, schlug das Thier hinten aus und stieg so rasch darauf bolzengerade in die Höhe, daß Werdau in der nächsten Secunde am Boden lag.

Ich glaubte schon, Ali sei zum Hofe hinaus, denn die Stallknechte eilten herbei, um ihn heimzulocken, als ich hinter mir sein Gewieher hörte, während eine Hand ihm besänftigend den Hals streichelte. Es war Herr Impach, der das Pferd, als es an ihm vorbei wollte, beim Zügel ergriffen und dem es nun gelang, es zu beruhigen. Mein Bruder ritt zu ihm, und nach ein paar Worten, die sie wechselten, sah ich, wie der Maler mit einem Satze sich auf Ali geschwungen hatte, der sich zwar bäumte, dem es aber nicht gelang, seinen Reiter abzuwerfen. Werdau, den die Reitknechte des Staubes entledigten, murmelte etwas in den Bart, bequemte sich aber schließlich doch, ein anderes Pferd zu besteigen.

Wer hätte gedacht, daß dieser Musensohn ein besserer Reiter als Graf von Werdau! Selbstverständlich ritt er nun mit und zwar bat ihn Ernst, mit dem jungen Fürsten Arsent den Zug anzuführen, damit er das Pferd in Augenschein nehmen könne. Ich hatte geglaubt, ein Maler könne sich nur, die Palette in der Hand, gut ausnehmen, mußte jedoch zugeben, daß die kräftige, biegsame Gestalt Herrn Impach’s den Stutzer an seiner Seite bedeutend in den Schatten stellte. Dieser ist ein Grundherr, den sein Vater in die Residenz geschickt hat, um seinem Schlosse eine Herrin zu suchen. Zu dieser Würde scheint er mich auserlesen zu haben, wenn ich die mannigfachen in seinen Gesprächen enthaltenen Anspielungen so deuten darf. Er ist stets am glücklichsten, wenn Herr von Werdau nicht zugegen, da er sich diesem nicht gewachsen fühlt, was bei den anderen jungen Leuten, die unser Haus frequentiren, nicht der Fall ist.

Wir suchten sobald als möglich zur Stadt hinaus in den Park zu kommen, die beiden Obengenannten voran, mein Bruder und Werdau zu meinen Seiten, die Anderen hinterdrein. Ich bekam das Schrittreiten bald satt und schlug den Herren vor, den Park im Galopp zu durchmessen. Darauf schien unser Ali gewartet zu haben, denn er gab durch kühne Lançaden seine Freude kund. Da mein Pferd von dieser Lebhaftigkeit angesteckt zu werden drohte, blieb Herr Impach mit meinem Bruder zurück. Ich ritt allein mit Herrn von Werdau voraus und freute mich so recht von Herzen des schönen Abends, der gesunden Bewegung. Vielleicht trug das Vorgefühl des kommenden Balles auch das Seinige dazu bei. Destoweniger konnte ich das lange Gesicht an meiner Seite vertragen.

„Noch immer betrübt, daß Ihnen Ali einen Korb gegeben?“ rief ich Werdau zu.

„Ja!“ war die Erwiderung, welche er mir in ärgerlicher Stimme gab. „Denn aus einer Anzahl solch kleiner Körbe könnte leicht ein großer Korb werden, der mich dann in Verzweiflung stürzen würde.“

„Wenn Sie auch nicht der Reiter sind, für den man Sie gehalten, so bleiben Ihnen noch andere Eigenschaften genug, um sich vor einem so häßlichen Dinge sicher zu stellen. Sehen Sie nur die Scheu, die Sie dem armen Arsent einflößen!“

„Ein schönes Verdienst! Doch haben Sie Recht, wenn Sie nicht erlauben, daß in Ihrer den ganzen Tag über heißersehnten Nähe üble Laune bestehen könne. Wenn ich Sie so leicht dahinfliegen sehe, die weiße Straußenfeder im Winde, werde ich an meine Knabenträume von Armida und Chlorinde gemahnt.“

„Dies ist das erste directe Compliment, das Sie mir machen, Graf. Sie wissen, daß ich auf solche nichts erwidere; muß ich glauben, daß Sie mit Ihrer guten Laune auch Ihr guter Geschmack in solchen Dingen verließ?“

„Ich fühle mich so eigenthümlich bewegt – der Wald, Ihre ungestörte Nähe, der goldige Abendhimmel, welcher durch die Baumlücken strahlt, vielleicht auch die Reaction meiner Anwandelung von vorhin. Sie wissen, wie wenig ich Schwärmer bin, und dennoch schämte ich mich jetzt der Sprache eines Dichters nicht, um Ihnen darzuthun, wie wild bewegt es in mir aussieht. Ach, könnte ich jetzt eine That für Sie vollbringen, Gefahren überstehen, Sie sicher durch eine Welt von Flammen bringen –“

„Bitte, sparen Sie das, bis sich die Gelegenheit dazu bietet!“ unterbrach ich den Redestrom, indem ich mein Pferd anhielt. „Sehen Sie einstweilen lieber, wie wir gut durch diese Stelle kommen; die jungen Buchen drängen sich auch gar zu unbescheiden auf unseren Weg.“

Der Graf gab sich nun Mühe, die Aeste, ohne abzusteigen, zu entfernen. Es gelang ihm auch, bis auf ein junges Bäumchen, das sich eigensinnig in den Weg bog und ihn gänzlich versperrte. Jetzt waren auch die Anderen nachgekommen, und Werdau, der fürchten mußte, Jemand wolle ihm zuvorkommen, ergriff die junge Buche mit starker Hand und lud mich mit höflicher Handbewegung ein, nun durchzureiten.

War das Bäumchen doch zu stark für seine Muskelkraft, oder machte ihn ein Rest übler Laune ungeschickt – kurz, das elastische Stämmchen entglitt seiner Hand, mein Pferd bäumte auf und schnellte sich mit einem Male vorwärts, so daß ich im Nu zehn Schritte weit voraus war. Um bei Ernst jeder Angst vorzubeugen, lachte ich laut auf, sobald mein Pferd zum Stehen kam, und griff dann an mein Haupt, um zu sehen, ob ich unverletzt durchgekommen. Alles war glücklich abgegangen; nur meinen Hut hatte ich in der Affaire verloren. Die weiße Feder derselben wehte richtig von einer Fichte herab, deren unterer Ast wahrscheinlich, vom Buchenstämmchen niedergehalten, mit diesem in die Luft geschnellt war.

Mit ängstlichen Fragen versammelte sich Alles um mich, Ernst ganz bleich vor Schrecken. Der Graf machte Miene, sein Pferd vor mir zum Knieen zu bringen, gab jedoch den abenteuerlichen Plan auf, als ihm Ernst zurief:

„Er thut’s nicht. Ist stolz wie ein Spanier.“

Nutzlose Versuche wurden nun zur Wiedererlangung des Hutes gemacht, die mich zu dem Entschlusse führten, mein Taschentuch unter das Kinn zu binden. Wäre es nur nicht gar so klein gewesen! Aber ich konnte doch keinem der Herren zumuthen, den glatten Stamm der Fichte zu erklettern, und mit der Reitpeitsche war das flatternde Ding nicht zu erreichen. Wir kehrten nun unsere Pferde, um auf dem nächsten Wege heimzureiten, als mich etwas trieb, den Kopf zu wenden; es war wohl kaum die Sehnsucht nach meiner untreuen Kopfbedeckung! Da stand am Fuße der Fichte Ali mit seinem Reiter und funkelte unheimlich mit den Augen, während er die Ohren zurückschlug. Was war dem Thiere nur? Bald sollten wir es erfahren. Der verwegene junge Mann, dem sein Leben sehr feil zu sein scheint, drückte dem wilden Pferde die Sporen in die Weichen, daß dieses, nachdem es verschiedene Male sich gewehrt, einen Satz in die Luft that. In demselben Moment stand der Reiter aufrecht in den Bügeln und ergriff mit sicherer Hand den unglücklichen Hut, während Ali auch schon im Galopp davonsprengte. Alles das geschah viel schneller, als ich es erzählen kann; wir standen nicht wenig Angst aus, bis der junge Mann nach wenigen Momenten auf dem schäumenden Ali zurückkehrte und mit um Vergebung flehenden Augen mir meinen Hut überreichte. Ich senkte Haupt und Reitpeitsche und wußte nicht, wie ich danken sollte. Ernst ergriff das Wort:

„Nur Ihre große Jugend kann entschuldigen, daß Sie auf so wildem Pferde diese tollen Streiche ausführen,“ sprach er mit väterlichem Tone. Dann auf ihn zureitend, drückte er ihm die Hand. „Ich kann, was Sie gethan, bewundern, aber nicht billigen. Meine etwas scharfen Worte mag die Angst entschuldigen, die ich um Sie ausstehen mußte. Meiner Schwester muß es unangenehm sein, die unschuldige Ursache dieses gefährlichen, zum Glücke gut abgelaufenen Wagestücks gegeben zu haben. Entschuldigen Sie sich nur bei mir!“ schloß er lachend. Herr Impach saß da, wie ein ausgescholtener Schuljunge. Ich winke ihn an meine Seite, und stillschweigend schlugen wir den Heimweg ein. Es war nicht so leicht, Amalie, das rechte Wort zu finden einem Manne gegenüber, der gerade sein Leben für meinen Hut gewagt hatte.

Zum Glück begann er: „Ihr Herr Bruder hat Recht. Ich führte mich auf wie ein Lateinschüler, dessen Renommée von Muth und Unverzagtheit noch nicht so feststeht, daß er nicht jede Gelegenheit ergreifen müßte, um diese zu beweisen. Werden Sie mir Glauben schenken, wenn ich Sie versichere, daß nichts von Alledem mir in den Sinn kam, als ich die Feder im Winde flattern sah? Ich bemerkte, wie Ihr Tuch nicht ausreichend war, [593] um das goldene Haar vor der Abendluft zu schützen, und da trieb es mich, auf diese, übrigens nicht so sehr gefährliche Weise das Hütchen zu holen. Ich war ja meiner Sache gewiß, da ich mit Pferden von Kindheit auf umgegangen bin und gerade auf dem wildesten am liebsten durch Wiesen und Felder jagte.“

„Sie sind auf dem Lande geboren?“ frug ich den jungen Mann.

Ein wenig zögernd antwortete er: „Mein Vater war Oekonom.“

„Gutsbesitzer? In welcher Gegend?“

„Nicht Gutsbesitzer, nur Pächter eines großen Rittergutes. Leider starb er früh, ebenso wie meine Mutter. Nur ganz unbestimmte Erinnerungen habe ich von meinen Eltern. Doch was mache ich da? Sie mit der Geschichte meiner Kindheit belästigen! Vergebung!“

„Ich habe Sie ja gefragt, Herr Impach. Ich will sogar noch weiter hören; wie kamen Sie, eines Landwirths Sohn, dazu, Künstler zu werden?“

„Ich blieb bis zum vierzehnten Jahre auf dem Gute, das nach dem Ableben meines Vaters dessen Bruder innehatte. Als einst ein Freund ein paar Tage bei uns verweilte, fand er in Skizzen von meiner Hand, die ich zufällig vorzeigte, die Anzeichen eines Talentes. Er bewog meinen Onkel, mich ihm allzuvertrauen, und nahm mich mit in die Stadt, brachte mich zu einem der hervorragendsten Meister unserer Residenz, bei dem ich dann blieb, bis ich selbstständig auftreten konnte, was nun gerade seit fünf Jahren der Fall ist. Das meine Geschichte; ohne Ihren ausdrücklichen Befehl hätte ich niemals gewagt, Ihre Ohren damit zu belästigen.“

„Und war das Schicksal auch ein gütiges, Sie aus Ihrer Natureinsamkeit in die Hauptstadt zu verpflanzen, Sie gleichsam in Ketten der Kunst zu legen? denn in jenem Alter konnte von Berufung doch nicht die Rede sein. Sind Sie glücklich in Ihrer Kunst?“

„Was wäre mir das Leben, wäre sie nicht? Sie ist Alles, was ich besitze, der alle meine Pulsschläge gelten, denn wenn ich male, so thue ich’s mit dem Herzen, mit der Seele, nicht mit Kopf und Hand allein. Dürft’ ich Ihnen sagen, was ein armer Künstler empfindet, wenn er, die Palette in der Hand, einen würdigen Gegenstand vor sich, an seiner Staffelei steht!“

Es war dunkel geworden; wir trieben unsere Pferde zu größerer Eile an und hatten doch die schmalen Pfade des Parks noch nicht hinter uns. Ist es nicht eigenthümlich, wenn plötzlich so ganz neue Anschauungen sich uns darbieten, wenn Horizonte auftauchen, von denen wir keine Ahnung hatten? Wie dachte ich mir sonst das Leben eines Künstlers? Ich weiß es nicht mehr, oder muß gar glauben, ich dachte bei dem Worte Künstler wenig oder gar nichts. Jetzt lauschte ich Worten, die, obgleich mir unbekannt bis dahin, dennoch mit sonderbarem Wohllaut an mein Ohr klangen.

Nachdem ich den Maler aufgefordert, in dem einmal berührten Thema fortzufahren, hub er wieder an: „Einem Columbus, der die unschätzbaren Gefilde eines neuen Welttheils seinen Mitmenschen für alle Zeiten zum Geschenk macht, ist nicht so wohl, so stolz zu Muthe, wie dem wahren Künstler, der sein Meisterwerk vollbracht. Mögen auch die Gefühle des Weltentdeckers, wenn er die Blicke heißer Sehnsucht in weite Fernen sendet, denen gleichen, die den Maler bewegen, wenn er vor seiner blanken Leinwand steht, auf deren Fläche er nur die Zukunft ahnt, mögen gleiche Furcht und Hoffnung sie bestürmen, beim entscheidenden Moment hat es der Künstler weit voraus. Der Weltentdecker sieht beim Landen kaum ein Fleckchen Erde. Er hat gefunden, was er als vorhanden vermuthet – er ist befriedigt. Der Künstler aber durchmißt mit einem Blick sein ganzes Werk; er hat die Welt wahrhaft bereichert, denn nicht was ihr ist, giebt er ihr wieder – nein, Neues, Nichtdagewesenes bietet er dar. Er darf sagen: Wäre ich nicht, so müßte die Welt um dies ärmer sein. Wäre es nicht so dunkel,“ fuhr der Maler in leiserem Tone fort, „so sähe ich auf Ihren Lippen, in Ihren Augen vielleicht Erstaunen, denn zum Spott sind Sie zu edel. Sie haben Recht, wenn Sie fragen, was ich bisher gethan, das mich berechtigt, solche Gefühle zu hegen, und wo die Meisterwerke sind, die zu diesem Stolze Anlaß geben. – Noch habe ich nichts geleistet. Es ist wahr, doch fühle ich fest und sicher, daß mir gegeben ward, Großes zu vollbringen; auch ich werde einst sprechen dürfen: dies hier ist mein Werk, und keines Andern!“

Der junge Mann schwieg, und an seinem kurzen Athem konnte ich hören, daß er auf Erwiderung lauschte. Sieh’ Amalie! Wenn ich jetzt seine Worte überdenke, so kommen sie mir auch hochmüthig, ja fad vor. In dieses Licht treten sie aber nur durch meine vielleicht ungeschickte Wiedergabe. Hättest Du den Ton inniger Ueberzeugung gehört, mit dem der junge Mann sprach, Du hättest mit mir ihm zugerufen: „Das glaube auch ich! Glück auf!“

Zu Hause angekommen, fanden wir zu meinem größten Erstaunen das Haus in vollkommener Dunkelheit. Doch traf die uns empfangenen Diener kein Vorwurf Ernst’s, der sonst diese Dinge sehr genau besorgt wissen will. Im Dunkeln führte mich der Bruder auf mein Zimmer, nachdem er unsern Gefährten, die hineineilten, um Abendtoilette zu machen, ein kurzes „Wiedersehen“ zugerufen.

Fanny hatte sich die Anordnungen des Malers so zu Herzen genommen, daß sie mich gar nicht mehr aus den Händen ließ. Endlich, als Ernst erschien, um mich abzuholen, erklärte sie mich für „vollendet schön“. Denke Dir mein Erstaunen, als ich, am Arme des Bruders die Treppen betretend, diese in einen Wintergarten umgewandelt fand. Alles, was Treibhäuser nur beherbergen, fand sich da vereinigt, Palmen, Farren, Camelien, eine schöner als die andere! Jetzt wurde ich von Ernst in mein kleines Boudoir geführt, das ich seit einigen Tagen nicht betreten; welche Verwandlung! Alles, was der gute Geschmack nur hervorbringt, war hier vereinigt, nur an einer Wand, wo die seltensten Blumen und Blattpflanzen einen Kranz bildeten, ein leerer Raum. Hierher sollte das Schneewittchen kommen, wenn es beendet, war die Erklärung. Als ich Ernst einen dankbaren Blick zusandte, sagte er mir, wie der Gedanke des Ganzen zwar der seine gewesen, die Ausführung jedoch, zu der er keine Zeit gehabt, einzig Graf von Werdau zu danken sei.

„Sieh, hier kommt er eben!“ fuhr Ernst fort, als ein Diener meldend eintrat. „Du kannst Dich bei ihm selbst bedanken.“

Ich ließ mich behaglich in das nächste Polsterstühlchen nieder und streckte ihm freudig lachend die Hände entgegen. Mit einer tiefen Verbeugung nahm er sie beide, und sagte fast feierlich:

„Möge Ihnen jede Blüthe, jedes Blatt in diesem kleinen Tempel eine Freude, ein Glück bedeuten! Möchten sie mir eben so viele Tage in Ihrer Nähe wahrsagen!“

Noch einige Augenblicke des trauten Zusammenseins mit den Beiden, dann kamen die Gäste an, welche im großen Saale willkommen geheißen werden mußten.

Bald nach Beginn des Festes trat der alte Baron Gerhardt ein, den Du wohl noch im Andenken hast; er war ja Dein Cavalier bei der Landpartie, die so schön anfing und mit Hagel und Donner endete. Es ist Werdau’s mütterlicher Onkel und sehr für den jungen Mann eingenommen, dessen große Herzensgüte er mir anpries. Der alte Herr ist wirklich ein liebenswürdiges Original, so daß ich, wenn ich gut abkommen konnte, mich zu ihm setzte, oder an seinem Arme durch die Säle spazierte. So oft Letzteres der Fall war, konnte ich sicher sein, daß er die Schritte nach der Galerie lenkte, wo er jedesmal wie ein darauf eingerichteter Automat vor dem Bilde stehen blieb, das als der Juwel unserer Sammlung gepriesen wird, einem unvergleichlichen Rembrandt. Als ich ihn das erste Mal dahin begleitete, sprach er mit jener übertriebenen Galanterie, die einem andern Zeitalter angehört:

„Obgleich es eine Sünde ist, neben Ihnen noch etwas Anderes anzusehen, da ja Alles vor Ihnen erbleicht, so ist und bleibt dieses Bild das Ziel meiner heißesten Wünsche. Hätte ich es, so wäre meine Rembrandtsammlung eine complete. Jeden Fortschritt, jede Veränderung in des großen Meisters Manier besitze ich, nur die Krone, der Schluß fehlt mir. Es ist himmelschreiend.“

Du kannst Dir denken, Amalie, daß ich mich nicht dazu hergab, dieses alten Monomanen Jammergeschichte oft anzuhören. Ich bin noch nicht so blasirt, daß der Ballsaal mit seinem Lichtglanze, seinem Blumendufte, dem fröhlichen Rauschen der Musik und den durcheinander wirbelnden Paaren, die mit solchem Feuer tanzten, als hätten sie hier endlich den lange vergebens gesuchten Lebenszweck entdeckt, nicht elektrisch auf mich wirkte. Als Herrin [594] des Hauses, mit der Alle tanzen wollten, mußte ich russischer Manier huldigen und stets nur eine Tour bewilligen, wollte ich nicht die Hälfte der Herren unbefriedigt nach Hause senden. Dir etwas erzählen vom Hergang des Festes wäre schwer, denn man kam ja nicht recht zu Sinnen. Hier ein flüchtig hingeworfenes Wort, dort der mit einem Lächeln aufgenommene Glückwunsch, jetzt ein Tanz, dann ein mit der Schnelligkeit eines Feuerwerks geführtes Gespräch. So ging es wenigstens bis zum Souper fort. Als wir um die große Tafel in der Halle saßen, sah man erst, welch auserwählter Kranz von schönen Mädchen und Frauen sich heute Abend versammelt hatte. Und Alles war fröhlich, des Lachens und Plauderns kein Ende.

Als zum Cotillon gerufen wurde, den ich eröffnen sollte, kam mir erst in den Sinn, daß ich ja bis jetzt aufgeschoben hatte, mir einen Tänzer zu wählen. Ich blickte einen Augenblick umher – dort, im Boudoir, unter meinen Blumen stand der Künstler, das große blaue Auge prüfend auf mich gerichtet – war nun nicht er ebenso gut wie ein Anderer? Gestehe, Amalie, war das nicht ein närrischer Gedanke? Ich, die Besonnene, wie kam ich nur darauf? Ich sah das auch gleich ein, und ging zu Ernst, um ihn leise zu fragen, ob es ihm recht, wenn ich mit Werdau den Tanz eröffnete.

Er nahm den jungen Mann, der neben ihm stand, bei der Hand und sagte darauf:

„Soeben hat Fürst Arsent mich um Deine Hand für diesen Tanz gebeten und ich versprach, ein gutes Wort bei Dir einzulegen.“

Zu gütig, Herr Bruder! dachte ich bei mir, nahm aber doch Arsent’s Arm und ging mit ihm an unsern Platz. Ich hätte so gerne mit Werdau getanzt, den ich seit dem Gespräch mit seinem Onkel von ganz anderer Seite kennen lernte.

Wahrscheinlich glaubten die jungen Herren, es sei ihre Pflicht, mich als Dame des Hauses keinen Augenblick in Ruhe zu lassen; nicht einmal bei uns im Schlosse, Amalie, habe ich Aehnliches geleistet. Endlich mußte ich doch die Hand abwehrend erheben, wenn Einer um den Andern an mich herantrat. Das mußten Einige bemerkt haben – sie ließen mich in Ruhe, und ich konnte dem Idyll lauschen, das mein Cavalier mir in’s Ohr flüsterte, indem er sein Schloß, die reizende Umgebung und auch seinen Vater beschrieb, der ein liebenswürdiger alter Herr zu sein scheint. Plötzlich sah ich wieder eine Hand vor mir, die mich mit einem Sträußchen Schneeglöckchen zum Tanze einlud. Ich blickte nicht einmal auf, sondern wehrte stumm ab, als ein Seufzer sich hören ließ und die Schneeglöckchen zur Erde sanken, ein Zeichen der Verzweiflung, das mich doch die Augen aufschlagen hieß. Vor mir stand Herr Impach, mit gesenktem Haupte, im Begriff, seine dunkle Ecke wieder aufzusuchen.

„Ich war müde und sagte schon mehr als zehnmal Nein!“ sprach ich begütigend, stand aber doch auf und legte die Hand auf seine Schulter.

Erinnerst Du Dich, wie wir das Kunststück des Hofmarschalls von Eppstein bewunderten, als er uns zeigte, wie er mit der Königin tanzen müsse? Ebenso tanzte der junge Künstler mit mir, das heißt, ohne mich zu berühren, der einzige Halt, den er hatte, war die Hand, welche ich auf seine Schulter gelegt, und dennoch flog ich niemals im Leben so leicht dahin. Als wir zurückkamen, hob der sonderbare Mensch die vorhin entfallenen Schneeglöckchen wieder auf und entfernte sich dankend. –

Schon die Art, mit welcher mir Ernst den Fürsten aufgedrungen hatte, gab mir zu denken. Ich war also ziemlich vorbereitet, als er mich, nachdem die Gäste sich entfernt, in das allerliebste neue Zimmerchen zog, und seinen Wunsch, mit mir zu sprechen, kund that.

„Du bist heute zwanzig Jahre alt,“ begann er, und obgleich ich wünschen möchte, die jetzigen Verhältnisse blieben sich ewig gleich, so darf ich dem Wunsche meines Herzens doch nicht folgen, darf kein Egoist sein, sondern bin verpflichtet, Vaterstelle an Dir zu vertreten und für Dein künftiges Wohl zu sorgen. Daß Viele es als ihr höchstes Glück erachten, sich mit Deiner Schönheit, Deinem Namen auf ewig zu verbinden, weißt Du –, mir mußt Du erlauben, unter den Vielen auszuwählen und Dir dann den Besten zum Annehmen oder Verwerfen vorzuschlagen. Mit einem solchen Antrage komme ich heute zu Dir – kannst Du nicht errathen, meine Hedwig?“

„Graf von Werdau war diesen Abend überaus aufmerksam, noch mehr, als er es sonst schon ist. Hätte er –?“

„Werdau, mein Kind, wird freilich heute oder morgen auch kommen, und es wäre deshalb gut, wenn vorher schon etwas beschlossen würde. Ich schätze ihn hoch als Freund, muß jedoch in der Wahl meines künftigen Schwagers viele Rücksichten nehmen. Du weißt, daß Werdau nur das sehr bescheidene Vermögen seiner Mutter besitzt, da sein Vater Alles verbrauchte. Dieses reicht lange nicht aus für die großartigen Bedürfnisse des in der Gesellschaft sehr gesuchten jungen Mannes, so daß er in hohem Grade von seinem alten Onkel abhängig ist. Obgleich es nun wahrscheinlich, daß Werdau und sein Vetter einst den Alten beerben, und der Name von Werdau-Gerhardt keinen üblen Klang hat, so ist mit nichts weniger als mit Sicherheit hierauf zu rechnen. Mit Werdau, mein Kind, ist es nichts. Mein Candidat aber ist Fürst Arsent.“

„Lieber Ernst,“ sprach ich, den Arm um den Bruder schlingend, „laß mich noch eine Zeitlang mit Dir glücklich sein! Ich weiß ja, daß ich stets für mein eigenes Glück am besten sorge, wenn ich Deinem Rath gemäß handle. Mir Arsent darfst Du mir aber nicht kommen!“

„Nicht so absprechend, Hedwig!“ sprach Ernst in sanftem Tone, meine Liebkosung erwidernd. „Lerne Arsent erst kennen, dann gieb mir Dein entscheidendes Wort! Du weißt, daß weder Deine Mutter, noch Deine Ahnen wie die Schäferinnen dem Drange des Herzens folgten, sondern Familienrücksichten in Betracht zogen, und doch recht glücklich wurden. Um Dich, süße Hedwig, werden, wohin Du auch den Fuß als Herrin setzest, stets glückliche Gesichter strahlen, denn Du lachst Einem ja die Seligkeit in’s Herz hinein. Jetzt gute Nacht, schönes Schwesterchen! Schlafe süß und laß Deine Träume durch keine stürmischen Bewerber stören! Du hast ja Zeit.“

Ich ging sinnend zu Bette; hätte ich Dich hier, Amalie, wir kämen zusammen der Sache bald auf den Grund. Doch wie Dir den Zustand meiner Seele beschreiben, in der unwiderstehlicher Widerwillen gegen Arsent aufsteigt, und doch wieder der Wunsch, dem Bruder zu folgen, manchmal die Oberhand bekommt. Unmöglich kann ein mächtigeres Gefühl für Werdau an diesem Kampfe schuld sein, – ich bin mir nicht bewußt, in ihm jemals mehr als einen angenehmen Gesellschafter gesehen zu haben. Heute Abend, beim Anblick der Sorgsamkeit, mit welcher Alles zu meiner Ueberraschung geordnet war, kam etwas wie zärtliche Regung in mir auf, doch war dies wahrscheinlich nur die Verzeihung für seine Ungeschicklichkeit beim Spazierritte.

Werde Du aus Hedwig klug, meine Amalie! Ich gehe zur Ruhe und suche die tausend Eindrücke der letzten Tage zu vergessen. – Auch Ernst erzählte mir, wie ihm der alte Baron Gerhardt einen wahnsinnigen Preis für Rembrandt’s „Alte“ bot. Der Narr! Er weiß doch, daß mein Bruder ebenso an seinen Bildern hängt, wie er an seinen eigenen.

Adieu, meine Freundin! Ich muß diesen endlosen Brief doch einmal schließen.

Schreibe bald Deiner
Hedwig.“

[607]
5.

Noch vor acht Tagen, Gottfried, dachte ich sicherlich heute bei Dir eine letzte Ottobrata[2] zu feiern, Deutschland für lange Zeit den Rücken zu kehren – und nun sitze ich hier wie festgenagelt, der Glücklichste aller Irdischen, und der Unseligste zugleich!

Nachdem ich mein Versprechen gegeben, ein zweites Schneewittchen zu malen, ging ich mit dem festen Entschluß heim, nichts dergleichen zu thun, und lange vor dem verabredeten Termin aufzupacken und zu Dir zu eilen. Dieser heldenmüthige Entschluß blieb denn auch mein fester Wille, nur verschob ich die Abreise von Tag zu Tag, aus so triftigen Gründen, daß ich jetzt nicht im Stande wäre, Dir einen einzigen derselben zu erwähnen. Endlich kam der Tag, wo entschieden werden mußte, und da setzte ich mich in allem Ernste hin, um mein Unglück in’s Auge zu fassen, und endlich einmal klug aus mir zu werden. Aus was bestand eigentlich meine Seelenangst? das war die Frage. Zuerst kam frank und frei die Antwort: Du bist wie ein Narr in ein Wesen verliebt, das Rang, Schönheit und Reichthum auf ewig von dir scheiden, zwischen dem und dir sich eine Schranke erhebt, über die du niemals hättest das Auge werfen sollen, da sie zu übersteigen zu den wenigen Unmöglichkeiten auf Erden gehört. Eile denn von dannen, dich vor dem sichern Untergang zu retten!

Diesem klugen Geständnis, Gottfried, begann nun mein Geist mit wahrhaft macchiavellistischer Schlauheit eine solche Armee von Gründen entgegenzustellen, daß ich selbst darüber in Erstaunen gesetzt wurde. Zuerst die Frage: warum muß das Gefühl, dessen du dir bewußt bist, gerade Liebe sein? Hast du nicht sozusagen dein ganzes Leben in Schönheit geschwelgt? Ist es nicht natürlich, daß deinem nach Vollkommenheit lechzenden Auge eine Erscheinung wie diese das lang gesuchte Ideal der Schönheit dünken mußte? Bewunderung, zurückgehaltene Bewunderung ist das Gefühl, das dich beklemmt. Bleibe, und du wirst genesen! Das kam mir so wahrscheinlich vor, Gottfried, daß ich vorläufig blieb. Entschuldigen mußte ich doch mein Nichtworthalten, und so ging ich am angesagten Tage zu diesem Zweck in’s Palais der Waldemberg.

Einen Fürstendiener hättest Du mich genannt, wärst Du zugegen gewesen. Ich war entzückt, daß die Sitzungen gleich am nächsten Tage beginnen sollten, war berauscht von den gütigen Blicken, welche die Prinzessin auf mich fallen ließ. Zu Hause gestehe ich mir, daß sie mein Talent ungefähr so schätzt, wie das eines gelehrigen Pudels, der den Stock aus dem Wasser holt. In ihrer Gegenwart kommt kein solcher Gedanke auf – ich rede mir ein, daß sie der Meinung, ein Künstler sei wohl einen Edelmann werth, und daß ihr zutrauliches Wesen diesem Gedanken, nicht der Geringschätzung zuzuschreiben sei. Entzückt ging ich nach Hause, Gottfried, mit Scham gestehe ich’s. Als nur der Gedanke an Flucht noch einmal kam, verwarf ich ihn als feig – als feig, hörst Du?

Mit Heldenmuth gepanzert, betrat ich das Zimmer, welches man mir als Atelier eingerichtet; das Zittern meiner Hände nahm einigermaßen ab, als ich meine Vorbereitungen beendet. Noch blieb die Leinwand zu prüfen da ging die Thür auf, und sie trat ein. Wie soll ich sie Dir beschreiben? Meine Feder könnte ich verschlucken, gelänge es ihr, ein würdiges Bild auf’s Papier zu bringen! Ich mag dagestanden haben, etwa wie ein Bauernjunge in der Schule, der sich bewußt ist, statt seinen Gesangbuchvers sich einzubläuen, in den Nachbargarten geschlichen zu sein. Doch ihre liebenswürdige Art nahm bald die Befangenheit hinweg, die ihr erstes Erscheinen bei mir hervorgerufen. Sie setzte sich, legte ihr weißes Kleid in Falten, an die ich Stunden hätte verschwenden müssen, und frug, ob nun Alles in Ordnung? Das mit einem so siegesgewissen Tone, daß mein Widerspruchsgeist erwachte, und ich empört dachte: diese großen Damen sind doch alle nur Modepuppen; der Wirkung, die sie auf Männer machen, gewiß, hat ihre Anmaßung keine Grenzen.

Ich machte ihr nun begreiflich, daß ihre Haare, die nach der neuesten Mode zu einem Riesenbau aufgethürmt waren, nicht für ein Kunstwerk paßten. Meine Stimme, die einen trotzigen Ton haben sollte, mochte wohl recht zaghaft geklungen haben.

Ich hatte gehofft, daß sie sich entfernen würde, um mich die künstlichen Mittel, durch welche sie ihr Haupt geschmückt, nicht sehen zu lassen. Jawohl! In ihr Lehnstühlchen gedrückt, nahm sie eine Batterie Nadeln aus den Zöpfen und Locken, die wie flüssiges Gold auf die classisch geformten Schultern fielen, und dann, Gottfried, als diese Operation, bei der ich nicht zuzusehen wagte, beendet, spricht sie gelassen: [608] „Arrangiren Sie die Haare jetzt selbst!“

Ich wußte, daß nun wieder der Pudel angeredet wurde, denn das kann ich schwören, einen Gleichgestellten ließe sie ihr goldenes Haupt um keinen Preis berühren.

Trotz dieses niederdrückenden Gedankens durchzuckte es mich elektrisch, Gottfried, im Bewußtsein, die theuren Locken berühren zu dürfen. Ich trat zu ihr und legte beide Hände auf das heilige Haupt. Hätte ich’s niemals gewagt, Freund! Mein Frevel wurde arg bestraft! Kaum fühlte ich die weiche Seide an meinen Fingern, da kam ein Zittern über mich, eine Angst. Die Haare schienen sich wie Schlangen um meine Finger zu ringeln, ich bebte wie ein Kind. Und dennoch war mir’s, als müßte ich im nächsten Momente das theure Haupt mit aller Kraft der heißesten Liebe, die jemals Menschenbrust erfüllt, an mein schwellendes Herz ziehen – Thränen, welche die beängstigte Seele erleichterten, heiße Thränen auf dieses Goldhaar weinen! Wie ein Kind dem Feuer, entzog ich die Hände der verführerischen Gluth und gewann Fassung genug, um mich für zu ungeschickt zu erklären. Du, der nicht zugegen, kannst dies Alles nicht begreifen; Du mußt mich für läppisch, für kindisch halten, und dennoch, Gottfried, war ich nie so ich selbst, wie jetzt. Der Beweis davon ist, daß das Bild, welches ich male, Alle, die es betrachten, in Erstaunen setzt. Auch verschließt mir diese Liebe nicht immer den Mund; ich kann stundenlang mit ihr sprechen, von unserer Kunst, von meinem Leben, ja sogar von meinen Zukunftsplänen. Und sie hört geduldig zu, ja sie geht manchmal darauf ein, so daß es nie an Stoff zur Unterhaltung gebricht. Zu Zeiten, wenn ich den Reden lausche, die sie mit andern jungen Leuten (ein Schwarm, Gottfried, zum Verzweifeln, und doch so natürlich!) – wenn sie mit diesen spricht, obgleich die Munterkeit selbst, scheint es mir doch, als ob sie sich weniger gehen ließe, als wenn wir allein; es will mir dünken, als nehme sie weniger Interesse an den Gegenständen, die hier das Gespräch bilden, als wenn von Kunst die Rede ist. Und doch ist das vielleicht nur meine Einbildung.

Nach welchen Verdiensten man in diesen Kreisen urtheilt, lerne ich nach und nach erfahren. Der Fürst, bei dem mein Bischen Talent viel Anklang findet, ist doch gerade noch einmal so liebenswürdig, seit ich ein wildes Pferd, das seinen Reiter abgeworfen, bändigte und mit ihm in den Park ritt. Was mein Bild nicht veranlaßte, einen warmen Druck der Hand, das brachte mir dieser elende kleine Kunstgriff ein – ein gewagter Sprung, meine Kraft des Schenkeldruckes, meine leichte Hand.

Und so werde ich denn mitgenommen. Folge ich allgemeinen Einladungen nicht, so wird im Atelier Beschlag auf mich gelegt, und ich muß mit, muß Tag für Tag neue Qualen, neue Wonnen ausstehen, so war ich vorige Woche auf einem Balle im Hause des Herzogs zugegen. Hättest Du sie gesehen! Und mir war es vergönnt gewesen, mein Herzensidol zu schmücken, das heißt freilich nur durch die Hand der Kammerjungfer, – aber das ist doch schon mehr Glück, als ich verdiene, daß sie mich fragt, wie sie sich kleiden soll. Wieder der Pudel wahrscheinlich!

Ich habe mit ihr getanzt, Gottfried. Vielen schlug sie ab, weil sie müde; mich hat sie erhört, obgleich ich kaum weiß, wo ich die Unverschämtheit hernahm, vor sie hinzutreten. Glaubst Du, ich wäre im Stande gewesen, ihren Leib zu berühren? Nicht, wenn’s mich mein Leben gekostet, und so tanzte ich denn frei mit ihr durch den Saal. Was ich während jener Minuten des Schwebens mit ihrer Hand auf meiner Schulter empfunden, hat mich wieder zum Entschlusse gebracht, zu entfliehen. Sobald mein Bild vollendet, verlasse ich diese Stadt und kehre um keinen Preis zurück. Denn es thut nichts; ich mag die Augen so fest verschließen, wie ich will, einiges Licht dämmert doch durch die gesenkten Lider. Es wird der Tag kommen, wo sie dem Manne ihrer oder ihres Bruders Wahl an den Altar folgen wird. Und was dann? Wo nähme ich die Kraft her, solch tiefes Elend zu ertragen? wo den Muth, nicht Hand an dieses traurige Leben zu legen, das nur noch Werth hat, wenn der Sonnenschein ihrer Augen, wenn ihre goldenen Blicke es bestrahlen?

Ich habe in den eigenen Qualen gewühlt und auf dem Feste zugesehen, wie sie von einer auf den Knieen liegenden Männerwelt umgeben war. Kein Einziger, der nicht Freunde und Vaterland verschworen um einen Druck ihrer Hand. Wohin sie ging, folgten ihr leuchtende Blicke nach, die meinigen ganz aus dem Spiele gelassen. Und mitten in dieser Anbetung bewegt sie sich so anmuthig und mit natürlicher Grazie, als müßte es so sein, als hätte sie Ansprüche auf die ganze ihr gleichgestellte Menschheit. Ein bevorzugter Bewerber ist, wie ich mit erleichtertem Herzen gewahrte, nicht vorhanden. Solche jedoch, die Leben und Vermögen für sie hingeben, mehr als Einer. Unter Anderen thut sich noch zum meisten ein Graf von Werdau hervor, ein Mensch, den ich vielleicht in anderen Verhältnissen wegen seines Geistes bewundern würde, den ich aber unausstehlich finde, weil er eine Art Hausfreund im Waldemberg’schen Palais ist. Selbst ziemlich unvermögend, ist er der Liebling eines reichen alten Onkels, der für eine Verbindung mit Prinzessin Hedwig eingenommen zu sein scheint. Auch diesen Onkel lernte ich kennen, und zwar weil er ein ausgesprochener Kunstfreund ist und sich vor der Perle der Waldemberg’schen Sammlung, einem unvergleichlichen Rembrandt, mit mir expectoriren wollte. Er ist ein liebenswürdiger alter Herr, scheint aber seine Liebhaberei bis zur Marotte zu treiben. Sein sehnlichster Wunsch ist, das Bild seiner Sammlung einzuverleiben, was er mir schon am ersten Abende im Beisein seines Neffen gestand.

„Ja, das wäre so ein Plänchen, das Einem den Schlaf raubte, dieses Hauses zwei schönste Schätze zu gewinnen!“

Ich horchte auf, weil ich gleich Alles auf sie beziehe. Diesmal hatte ich Recht.

„Warum soll es nicht gelingen?“ fuhr der alte Herr fort. „Du die Junge, ich die Alte!“

Der Graf gab ihm ein Zeichen; er wollte andeuten, daß ich zugegen sei und nicht unnützer Weise in seine Pläne eingeweiht werden sollte. Doch hatte ich genug gehört. Der Onkel Rembrandt’s Bild (es stellt eine runzlige Alte dar), der Neffe des Hauses Tochter. Welche Bescheidenheit! Ich hätte dem alten Herrn mit Vergnügen die Thür weisen mögen. Doch er nahm mich jetzt vertraulich beim Arme und flüsterte mir in’s Ohr, daß er geneigt sei, den höchsten Preis für das Meisterwerk zu bezahlen, daß es jedoch nicht zu haben sei, obgleich sich seine Neffen, um bei ihm einen Stein im Brette zu erhalten, darum bemüht hätten. Um ihren Eifer anzuspornen, hatte er versprochen, den zu seinem Erben einzusetzen, der ihm das Bild verschaffen würde.

„Glauben Sie, daß ich je so glücklich sein werde, es zu erlangen?“ frug er schließlich.

„Ich kann Ihnen dieses Glück nur von Herzen wünschen,“ meinte ich. „Der Preis, den Sie eingesetzt, ist hoch genug, um den Geist Ihrer Herren Neffen zu schärfen.“

Um wegen Werdau auf den Zahn zu fühlen, erzählte ich Hedwig am folgenden Morgen von der Marotte des Alten.

„Ich kenne sie,“ war die Antwort. „Doch es kann von einem Aufgeben des Bildes nicht die Rede sein. Wäre dem alten Herrn mit einer Copie gedient, die gönnte ich ihm von Herzen.“

Damit brach sie ab und redete von anderen Dingen, so daß ich nichts erfuhr über den Grafen und wie seine Actien stehen. Doch sehe ich gerade in diesem Stillschweigen Gefahr und habe mir deshalb vorgenommen, so selten wie möglich dabei zu sein, wenn Graf Werdau das Haus besucht, um dem traurigen Schauspiele einer glücklichen Werbung nicht zusehen zu müssen.

Jetzt muß ich schließen, denn noch habe ich nicht Toilette gemacht, und heute Abend ist Soirée im bewußten Hause. Kannst Du Dir etwas Erbärmlicheres denken, als Deinen Walter im Frack und Claquehut? Und mit welcher Freude und Sorgfalt schmücke ich mich mit den beiden! Eine Stunde, bevor ich ihn ausführe, verwerfe ich mit Unmuth jeden Gedanken, den ich seit einiger Zeit fasse. Ein angenehmer Seelenzustand!

Nein, ich ertrage ihn nicht länger. Sobald mein Bild fertig, ergreife ich die Flucht. Erwarte mich, mein einziger Gottfried, und das längstens in vier Wochen! Suche ein Zimmer, das nicht allzu weit von Deiner Wohnung entfernt ist! Auf Wiedersehen!
Dein Walter.



[609]

6.

Wenn ich diesmal, Amalie, einen ganzen Monat vergehen ließ, ohne Dir über die hiesigen Vorgänge Bericht zu erstatten, so ist die ungewohnte Beschäftigung daran schuld, der ich mich mit Hand und Herz nun weihe. Ein neuer Horizont stieg meinem doch in ziemlich engen Kreisen sich bewegenden Auge auf; neue Freuden kann ich mir zu jeder Stunde des Tages bereiten. Ich zeichne mit einer Leidenschaft, die Dir unerklärlich sein muß, weil Du nicht zugegen bist, nicht den Fortschritten beigewohnt hast, deren ich mich rühmen darf.

Der Vorschlag ging eigentlich von Ernst aus, dem unser Maler versicherte, ich hätte Anlage und ein ziemlich sicheres Auge, um Gutes vom Mittelmäßigen zu unterscheiden. Er weiß freilich nicht, der Unerfahrene, daß wir Frauen fast alle im Besitze dieses Blickes sind. Als ihn Ernst frug, ob er mir die Anfänge beibringen wollte, nahm der junge Mann mit Enthusiasmus an. Ich kann heute noch nicht begreifen, warum; denn es gehört Geduld dazu, Du glaubst gar nicht, wie viel! Ich begann denn Ernst zu Liebe und fühlte so recht, welch aufopferndes Wesen ich sei, ihm zu Gefallen jeden Tag eine Stunde mit Bleistift und Papier zu arbeiten. Doch die Muse rächte sich, weil man ihrer Kunst aus anderem als eigenem Antriebe fröhnte, und ließ mich meine schreckliche Darstellung nie dagewesener Gegenstände so lieb gewinnen, daß ich jetzt weit lieber jedes Vergnügen opfere, um nur die Zeichnungsstunde (sie hat sich auf zwei Stunden ausgedehnt) beizubehalten. So lebe ich denn gänzlich im Schatten der bildenden Kunst, denn am Schneewittchen wird noch immer fortgearbeitet, obgleich es in wenigen Tagen der letzten Pinselstriche gewärtig sein kann. Kaum finde ich noch Zeit, täglich ein paar Stunden zu fahren oder zu reiten, und hätte mein Bruder die Abende nicht gänzlich in Beschlag genommen, wer weiß, ob mein Portfolio nicht auch beim Lampenlicht hervorgezogen würde.

Ein Theil des Interesses, das ich in dieser Beschäftigung finde, mag Herrn Impach’s Art zu lehren beigemessen werden, die so ganz ungebunden und frei ist, daß der Gedanke des Lernens in der Stunde gar nie aufkommt. Er läßt mich einfach machen und ändert dann, was nicht richtig ist, ohne ein Wort des Tadels zu sprechen. So gab er mir gestern meines Bruders Photographie zum Abzeichnen, und mit seiner Hülfe beendete ich schon heute ein ganz ähnliches Bild, über das Ernst so große Freude hatte, daß ich zuletzt selbst glaubte, ich hätte es allein gemacht. Ein eigenthümliches Gespräch führten wir während des Zeichnens, das Dich vielleicht interessiren dürfte. – Wie wir so zeichnen, fängt Impach an, den Kopf Ernst’s zu analysiren. Er nimmt Eins um’s Andere, Stirn, Augen, Nase, Mund etc. und stellt alles nach und nach so zusammen, daß jede dieser Einzelheiten als Modell für classische Schönheit aufgestellt werden dürfte. Als später mit Ernst davon die Rede war, wie ähnlich wir uns seien, und der Maler hierüber befragt ward, gab er die kurze Erklärung: Ich sei, wie das von der Kunst idealisierte Ebenbild einer vollkommen schönen Wirklichkeit. Ein gesuchtes Compliment, hätte ein Anderer, als er, es gesprochen! Von ihm vorgetragen, klangen die Worte wie der Urtheilsspruch der gesammten Kunstwelt. So nahm auch Ernst sie auf, der, wie Du weißt, sonst stets durch Schmeicheleien aufgebracht wird. Ich bilde mir darauf aber auch gar nichts ein; nur freut es mich, meines guten Bruders Ebenbild zu sein.

Sonst ist weder in der Sitzung noch in der Stunde die Rede von persönlichen Dingen; meistens sprechen wir von der Kunst, die auch mir jetzt enthusiastische Ausrufungen entlockt. Ich denke mir manchmal, wie bettelarm ich war, ehe ich diesen Genuß kannte, und mich blos am äußerlichen Bilde freute, ohne des Geistes zu gedenken, der, darin festgebannt für alle Zeiten, ein schönes Kunstwerk einer Meisterschöpfung der Literatur oder Musik gleichstellt. –

Doch nun, Amalie, meine Hauptnachricht, die ich Dir, wie einem Kinde das schönste Zuckerpüppchen, für zuletzt aufsparte.

Gestern Nachmittag fragt mich Ernst, während wir ausfahren, plötzlich, ob ich mit ihm einen Abstecher nach Italien machen wolle?

„Der König Victor Emanuel war so liebenswürdig, mich zu einer großen Jagd einzuladen, die in den ersten Tagen des Januar stattfinden soll. Macht es Dir Vergnügen und willst Du mir einen Gefallen thun, so begleite mich dahin. Du wirst die paar Tage, die ich mit dem König zubringe, in Florenz bleiben, und wir können dann unsere Reise bis nach Rom erstrecken. Weil ich nicht immer bei Dir sein kann, müssen wir uns bequemen, die alte Cousine Dorothea oder sonst ein würdiges Haupt mitzunehmen. Was sagst Du zu diesem Plane, Herzensschwesterchen?“

„Gehst Du wirklich wegen der Jagd des Königs?“

„Wie kommst Du darauf, mich hiernach zu fragen? Ich werde bei der Gelegenheit auch einige dringende Geschäfte abmachen. Der Hauptzweck bei der ganzen Geschichte aber ist meine Hedwig, der ich Vergnügen zu machen wünsche. Ist das nicht schön von mir?“ frug er zum Schluß und lächelte dabei so schalkhaft, daß ich nicht umhin konnte, meine eigenen Gedanken bei der Geschichte zu haben. Dir, Amalie, kann ich sie anvertrauen; es handelt sich wahrscheinlich um eine geheime Mission, die unter dem Mantel dieser Jagd von Statten geht, denn Ernst hat gestern eine lange Audienz bei unserm König gehabt. – Wie hätte mich bei Dir zu Hause eine solche Gelegenheit, in die Welt hinauszufahren, gefreut! Was wirst Du von mir denken, wenn ich Dir gestehe, daß ich ganz trübselig dreinblicke? Der Plan machte mir nichts weniger als Vergnügen. Solches zu heucheln meinem guten Ernst gegenüber, war mir gänzlich unmöglich. Ich sprach also offen zu ihm und erklärte ihm, wie glücklich ich gewesen, und wie ich mir meinen Winter in der hiesigen Residenz so schön ausgemalt hatte; – dabei fiel mir die Zeichenstunde ein, und wie ich die unterbrechen und vielleicht Alles verlernen würde, was mich jetzt so selig machte. Auch das gestand ich dem Bruder. Lächelnd nahm er meine Hand und sprach:

„Du bist doch ein rechtes Kind noch, und siehst so groß und imposant aus! Ist es mir nicht, als wäre die Zeit noch da, wo Du Dich entschieden weigertest, ohne Deine Puppe in’s Bett zu gehen? Aber, Hedwig, was hält Dich denn davon ab, in Italien fortzulernen? ist nicht gerade dort der richtige Ort dazu? Ich werde einen der ersten Professoren aussuchen –“

Noch immer lächelte mich der Plan nicht an, einen sich ewig verneigenden Italiener, der mich wieder auf Hubert und Jerroggio brachte – nein, lieber ließ ich Alles fahren! Diesmal hatte ich nicht gesprochen, und Ernst fuhr fast ohne Unterbrechung fort:

„Oder wenn Impach selbst wollte: diese Reise könnte ein Kunstgenuß für Dich werden.“

Im Parke muß um diese Zeit gerade die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen sein, denn Alles um mich lachte im goldigsten Glanze. Ich dachte mir jetzt auch die Galerien italienischer Paläste, die Kunstschätze, die sie bergen, und freute mich so recht von Herzen auf die Reise.

Ernst war ein wenig über meinen plötzlichen Jubel erstaunt, aber ich konnte nichts dafür; seit einiger Zeit bin ich diesen plötzlichen Stimmungen unterworfen. Es mag wohl das aufreibende Leben in der Residenz daran schuld sein. Als wir nach Hause zurück kehrten und Herrn Impach, wie immer, an seiner Arbeit fanden, frug ihn Ernst sogleich, ob er mit uns kommen und uns so von Italien erst den richtigen Genuß verschaffen wolle. Er zögerte eine Weile, und weil mir wirklich daran gelegen ist, meine Zeichenstunde nicht zu unterbrechen, hielt ich ihm die Hand hin und rief fröhlich:

„Schlagen Sie ein, Herr Impach! Wir Künstler (hier ahmte ich seine Stimme nach) folgen im Leben stets dem ersten Impuls des Herzens; über die wichtigsten Schritte unseres Lebens entscheidet kaum ein Augenblick. Nicht so?“

Ernst lachte, und der Maler sagte zu.

Jetzt, wo ich mir die Worte, die ich sprach, wiederholen muß, meine Bewegung vor des Geistes Auge führe, erstaune ich über mich selbst – so sprach, so handelte ich, als wir zusammen waren, nicht. Ich schreibe Alles dem inneren Conflicte zu, von dem ich Dir in meinem vorigen Briefe sprach. Obgleich ich nicht im Traume daran denke, den Fürsten Arsent zu heirathen, oder, wie er es nennt, in den siebenten Himmel zu versetzen – er hat, wie es scheint, von Ernst die Erlaubniß erhalten, offen zu sprechen; ich hege hierüber auch keinen Zweifel mehr –, so thut es mir dennoch weh, daß meine Wünsche denen von Ernst so diametral entgegen sind. Wäre sein Candidat doch nur Werdau! –

Wenn ich mich so recht ernstlich frage, so meine ich doch, daß ich Den vielleicht ebensowenig nehmen würde. Aber warum [610] denn? – Ist dies ein erträglicher Seelenzustand, Amalie, wenn man so gar nicht weiß, was man will? Sollte ich altjüngferliche Anlagen haben? Das geht nicht an, denn der Gesellschaft, in der wir leben, müssen wir huldigen, und diese hat die unverheirathete alte Jungfer ein- für allemal dem Lächerlichen preisgegeben. Nun, vielleicht bringe ich andere Ansichten von der Reise mit nach Hause!

Sobald Ernst noch einige Geschäfte besorgt hat, reisen wir. Das wird Anfangs künftiger Woche sein. Einstweilen ist auch das Bild – ein Meisterwerk, Amalie! – beendet. Erwarte also den nächsten Brief mit italienischem Stempel.
Deine Hedwig.




7.

Seinem Schicksale, lieber Gottfried, entrinnt Keiner. Der feste Entschluß, zu fliehen, mir die wahnsinnigsten Gedanken für immer fern zu halten, hatte mir eingegeben, sobald wie immer thunlich zu Dir zu eilen. Nun hast Du mich in Wirklichkeit bald an Deiner Seite! Doch nicht der Versuchung entrinnend, nicht den Stachel bekämpfend, der mein Inneres stets von Neuem zerfleischt, nein – an der Seite der Versuchung selbst!

Ich hatte meinen ganzen Muth zusammengenommen, war sicher, diesmal nicht zu unterliegen, sondern, koste es, was es wolle, mich loszureißen. Um nicht durch ein „Bleiben Sie!“ die Mauern meines festen Entschlusses erschüttern zu lassen, hatte ich nichts von meinem Vorhaben durchblicken lassen, sogar der Annahme, ich würde den Winter in dieser Residenz zubringen, nicht widersprochen. Wenn eine muthige männliche Handlung die Belohnung in sich selbst trägt, so mußte mir die Abreise erleichtert werden – tausend Umstände konnten dazu helfen! Da mußte gerade der einzige unerhörte Fall sich ereignen, der alle Vorsätze zerstiebte! – Doch Du wirst aus meinen Worten nicht klug, ich muß Dich erst aufklären. Der Herzog hat eine italienische Reise mit seiner Schwester beschlossen, und von allen Sterblichen mußten sie gerade mich zu ihrem Begleiter auswählen! Kann ich anders als an ein Fatum glauben, dem nicht mehr zu entrinnen ist, was auch verhängt sei? Wenn schon gute Ausreden mein Hirn durchkreuzten, so verflog Alles wie Wasserstaub in den Wind, als sie vor mich hintrat, mir ihr sanftes Händchen hinhielt und meine Stimme, hörst Du, meine Stimme nachahmend, Worte sprach, die ich ihr vielleicht vor drei Wochen gesagt! Auch Du hättest nicht widerstanden – Du schon gar nicht.

Als ich wieder allein war und mit ihr aller blendende Sonnenglanz aus dem Atelier schwand – da trat die Wirklichkeit so recht unbescheiden in all’ ihrer häßlichen Blöße vor mich hin. Was wird aus mir werden, wenn ich nun täglich, stündlich ihre Nähe ertragen muß, die jetzt schon auf mich wirkt, wie es kein berauschendes Vaterlandslied, keine italienische Nacht auf dem Meere jemals konnten? Vergehen wirst du, wirst ein unwürdiges Geschöpf werden, dessen höchstes Ziel ist, ihr die Schleppe nachtragen zu dürfen. Schöner Lebenszweck eines hochstrebenden Künstlers! – Und in welcher Eigenschaft reisest du denn eigentlich? Welch angenehme Empfindung, wenn auf der Fremdenliste eingetragen wird: „Herzog und Prinzessin Waldemberg mit Gefolge“.

Das Gefolge, edler Walter, bildest du an der Spitze einer Waggonladung von Kammerdienern und -Jungfern. Doch halt! Hier thue ich dem edlen Menschen Unrecht, der nur lieb und gut mit mir schwachsinnigem Kopfe gewesen ist. Nimmt mich der Herzog mit sich, so thut er es auch aufs eine Weise, die mein Ehrgefühl nicht verletzen kann; darauf darf ich zählen. Und wenn Alles gestanden sein soll, Gottfried, ich würde auch mit dem Gefolge zufrieden sein, wenn es die Bedingung wäre, durch die mir in ihrer Nähe zu verweilen vergönnt wäre.

Schwachsinnig, sophistisch, abergläubisch bin ich geworden, Gottfried – und Alles durch diese unselige Liebe! Sage ich mir nicht hundertmal des Tags: „Es hat so sollen sein!“ Eines Dichters Worte, die ich noch dazu umkehren muß, um sie zur Achse zu machen, um die sich mein Leben dreht. Ich habe gekämpft und bin als Besiegter aus allen Schlachten heimgekehrt. Möge nun kommen, was da will! Ich lasse mein Schicksal walten! Vernichtet werde ich durch meine Liebe so wie so, also sei das, was man mir bietet, noch mit voller Freude genossen! Après moi le déluge!

Wenn sie mich nur nicht so holdselig anblickte, manchmal fragend, als sei ich im Stande, ihr des Lebens Räthsel zu lösen, manchmal wehmüthig, als wolle sie mich zum Vertrauten ihrer geheimsten Gedanken machen. Von dem Sturm, den diese Blicke in meinem Herzen erregen (gebe der Himmel, daß niemals ein Strahl herausdringt und ihre Ruhe stört!) – von diesem Sturm hat sie auch nicht die leiseste Ahnung. Und wir sind so viel beisammen. Gottfried, wie hielt ich’s nur bis zu diesem Tage aus? Aber ihre natürliche Hoheit schüchtert mich so ein. Himmel und Erde könnten vergehen und mit ihr Alles, was uns scheidet, ich wagte nicht den Mund zu öffnen.

Sie lernt jetzt zeichnen von mir – ach, die seligen Stunden, in denen ich ihr lehren darf, was mir neben ihr das Liebste. Und wie sie mich darüber ausschilt, daß ich ihre Arbeit nie tadle, Alles schön finde, was sie mit den Feenfingerchen auf’s Papier kritzelt. Wenn ich ihr zeige, wie sie etwas machen soll, nimmt sie mir ungeduldig den Stift aus der Hand, um zu sehen, ob sie’s schon kann. Dabei berührt freilich manchmal ihre Hand die meine, Gottfried! – Ach Gott, was wird noch aus mir?

Morgen Abend reisen wir; ich wurde hier im Palaste einquartiert, um bequemer packen zu können. Ich helfe die letzten Anordnungen treffen. Der Herzog, eine aufrichtige Natur, hat mich nach und nach so liebgewonnen, daß ich sonst nur dem Geschicke dankbar sein könnte, das mir einen so edlen Menschen auf dem Lebenswege begegnen ließ. Seine Freude über das Bild, welches ich seit einigen Tagen beendet, kann ich Dir gar nicht beschreiben. Es ist mir besser gelungen, als ich erwarten durfte, und wird allgemein bewundert. Denke Dir mein Glück über den Platz, der ihm angewiesen wurde: In Hedwig’s Boudoir hängt es zwischen Blattpflanzen und Blumen, und gerade über der Stelle, an der sie meistens sitzt. Der Herzog hat den Ort ausgesucht, weil er auf diese Art, gegenüber Original und Bild, am besten vergleichen kann.

Zum Danke hat er mir die Hand gedrückt und gesprochen: „Sie haben meiner Schwester Wesen verstanden und empfunden. Niemals kann ich Ihnen das genug danken.“

Neben dem Gefühle von Verehrung, das ich für diesen Mann hege, steigen doch auch manchmal Zweifel auf, die ich nur beruhige, wenn ich denke, daß Erziehung und Umgebung den Menschen gänzlich modeln, und er nur das für natürlich hält, was ihm sein Leben lang als solches gezeigt wurde. Ich fühle mich nämlich geneigt, ihn zu fragen: „Haben Sie denn eigentlich, Herr Herzog, keinen Augenblick daran gedacht, wie gefährlich es werden kann, zwei junge Leute, noch dazu durch die Kupplerin Kunst zusammengeführt, so lange bei einander zu lassen? Und wenn im stolzen Vertrauen auf die Macht Ihres Blutes, das nicht fähig ist, zu thun, was ihm nicht von Jugend auf gelehrt wurde, Sie mit Recht von Ihrer Schwester nichts befürchten, haben Sie sich’s überlegt, daß auf der andern Seite keine solchen Schranken bestehen, daß da ein freies Herz schlägt, das nichts von Ungleichheit und Rangunterschied weiß, und dem selbst der Eigenthümer nicht versagen darf, da in helles Feuer aufzulodern, wo sprühende Funken hineinflogen?“

Er achtet mich eben zu sehr, um von mir zu glauben, ich könnte anders als an des Thrones Stufen zu einer Waldemberg aufsehen. – Er hat vielleicht Recht, und ich bin der Narr, aber nun ich’s einmal bin, soll mir auch kein Mensch mein Glück vergällen. Hesperien soll der Schauplatz sein, wo ich Tags über in ihrer Gegenwart Leben und Glück einathmen will, um Nachts dann Mond und Sternen und Dir, einziger Gottfried, von ihr vorzuschwärmen. Ist dann auch mein Untergang nahe, so bin ich doch glücklich gewesen. Darum werde was da will, ich wage es!
Dein Walter.

[623]
8.

Noch einen Brief erhältst Du, Gottfried, aus der alten Vaterstadt, und zwar aus folgenden Gründen. Unsere Abreise bleibt auf morgen früh bestimmt, obgleich heute Nachmittag die Fürstin Löwenheim durchaus darauf dringen wollte, die Abreise zu verschieben, bis ihr großer Ball vorüber sei. Der Herzog lehnte entschuldigend, aber sehr entschieden ab, und so ging die alte Dame unverrichteter Sache heim, nicht eher jedoch, als bis sie von Hedwig das Versprechen erhalten hatte, mit dem Bruder den Abend bei ihr zuzubringen. Von mir noch an den Wagen geleitet, wo ein warmer Händedruck, ein fröhliches „Wie freue ich mich auf morgen!“ mir gespendet wurde, fuhr sie fort. Es ist der erste Abend seit lange, Gottfried, den ich fern von ihr zubringe. Wie ich nach und nach hier im Hause den ganzen Kreis von Bekannten kennen lernte, wurde ich auch mit eingeladen, und so kam es, daß alle meine Abende nicht vom Lampenlichte, sondern von ihrer sonnigen Gegenwart beleuchtet wurden. Wie einsam fühle ich mich nun in meinem Zimmer! Der mir sonst willkommene Feierabend ist mir unerträglich, und zur Ruhe gehen kann ich auch nicht, ehe die Räder im Hofe rollen, die sie sicher unter dieses Dach bringen.

Verzeihe es also dem Freunde, wenn er dieses eine Mal nicht, um den Drang des Herzens zu stillen, an Dich schreibt, sondern – um sich die Zeit zu verkürzen. Ich habe Alles versucht – zu lesen, zu zeichnen nichts will mir gelingen, denn meine Phantasie malt mir stets ihr Bild vor Augen; in den Ohren erklingt ohne Unterlaß ihre Stimme. Schreibe ich an Dich, so darf ich doch hier und dort ihrer erwähnen, darf ihren Namen auf Papier zeichnen, und kann ihrer dabei gedenken.

Habe keine Angst, daß ich Dir nichts als den heutigen Brief wiederhole. Ich werde von anderen Dingen sprechen, werde dessen gedenken, was sich dieser Tage außer uns zugetragen, für einen Augenblick mich erinnern, daß neben mir und ihr noch eine Welt besteht. Als ich vor einigen Wochen die letzten Pinselstriche an meinem Bilde machte, trat unangemeldet zu meinem größten Erstaunen Graf von Werdau ein. Noch nie hatte er sich in mein Atelier verirrt, ich weiß nicht, ob freiwillig oder weil ein Verbot ihm die Thür desselben schloß.

Nachdem er, das Auge mit dem unausbleiblichen Zwicker bewaffnet, eine Zeitlang auf das Bild geblickt, sagte er schmunzelnd:

„Ein reizendes Mädchen, fürwahr! Welche Rundung und dabei welche Finesse! Wirklich eine Seltenheit! Und Sie haben sie zum Entzücken gemalt, junger Mann, genossen und doch geschmeichelt. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank!“

Er mir danken, weil ich meine Sonne, meines Lebens Idol, mit schwachen Strichen auf die Leinwand gebracht! Es war empörend, Gottfried, nicht wahr? Ich frug ihn, indem ich ruhig weiter malte:

„Hat Ihnen vielleicht Herzog Ernst das Bild zum Geschenke zugedacht?“

„Mir? Nein! Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“

„Weil Sie mir dafür danken.“

„Ach, das müssen Sie nicht so genau nehmen!“ sagte er näher tretend. „Ich sprach so in einem allgemeinen Familiengefühle, habe nämlich meine Absichten, endlich muß doch geheirathet sein, und Prinzessin Hedwig ist wunderbar.“

Das mir!!

„Sie sind ein charmanter Mensch,“ fuhr er, offenbar etwas in Champagnerlaune, nach kurzer Pause fort; „schon dieses Bild zeugt dafür, und daß Sie Sich so ganz unentbehrlich gemacht haben hier im Hause, spricht wohl auch nicht dagegen. Sie sehen, daß ich bon enfant bin, trage Ihnen gar nicht nach, daß Sie mich damals bei der Ali-Geschichte so gänzlich ausstachen. Apropos, wo haben Sie denn reiten gelernt?“

„Auf meines Vaters Pferden, Herr Graf.“

Er biß sich die Lippen, sprach dann aber doch gelassen:

„Ach, gerade wie ich auch! Sie nehmen gleich Alles übel und haben doch Unrecht. Wenn Sie mich zum Beispiel vorzüglich malen sehen würden, so wäre es ganz natürlich, wenn Sie die Frage an mich richteten: Wo haben Sie das gelernt?“

„Nicht im Entferntesten! Man kann ganz gut ausschließlich Künstler sein und dennoch nebenbei ein wildes Thier bändigen; das macht sich mit Courage. Aber man kann nicht ausschließlich Tänzer und Cavalier sein und ganz nebenbei noch vorzüglich malen.“

„Ach, Sie glauben nicht!“ Nun, das bringt mich auf die Sache, welche mich hierher führte. Ein ganz ordinäres Sprüchwort sagt: ‚Man muß mit den Wölfen heulen.‘ Das habe ich nun auf meinen Fall angewendet und gedenke es auszuführen. Mir liegt außerordentlich viel daran, Prinzessin Hedwig zu gefallen. Um dies zu bewerkstelligen, ist es vor Allem nöthig, die Sympathie des Geistes und der Seele festzustellen. Prinzessin Hedwig geräth seit einiger Zeit vor jeder zerfetzten alten Leinwand in Ekstase. ‚Gerathen wir auch in Ekstase‘ sprach ich zu [624] mir, und that’s auch richtig, indem ich mich so fest vor ein Bild in der Ausstellung hinpflanzte, daß man mich kaum davon loszureißen vermochte. So weit gut! Doch nun verfällt Prinzessin Hedwig auf den Gedanken, mit Passion zu zeichnen. Was bleibt mir übrig, als ebenfalls mich der bildenden Kunst zu widmen? Denn eingehende Gespräche hierüber sind die einzigen, welche die Dame zu fesseln vermögen. Dazu sind nun Sie der Mann, Herr Impach; lehren Sie mich die Anfänge! Das Resultat ist mir gleichgültig, wenn ich nur einige technische Kunstgriffe wegbekomme.“

„Sie erweisen mir zu viel Ehre, wenn Sie glauben, ich könnte Ihnen die Kunst auf diese Art beibringen,“ sprach ich kühl.

„Mein Gott, man weiß ja, daß Sie es sind, welcher der Prinzessin diese Kunstmanie beigebracht; wenden Sie bei mir dieselben Mittel an, welche bei ihr so gute Resultate erzielten!“

„Wissen Sie, daß ich abreise?“

„Sie reisen? Wohl gar mit dem Herzog und Prinzessin Hedwig? Ha, ha, ha! Warum hat man mir das verschwiegen, warum überhaupt nicht davon gesprochen?“

Ich würdigte den Grafen keiner Antwort, und er mußte einsehen, daß ihm das Recht zu fragen hier nicht zukam. Gute Miene zum bösen Spiele machend, sprach er endlich:

„Sie müssen irgendwo mit ehernen Banden gefesselt sein, sonst getrauten Sie sich nicht in die Nähe einer Schönheit wie Prinzessin Hedwig. Sind Sie verheirathet?“

„Nein!“ antwortete ich, zum ersten Male aufblickend. Des Grafen Gesicht hatte einen wunderbar schadenfrohen, hämischen Ausdruck angenommen, einen Ausdruck, als ob er etwa sagen wollte: „Na warte nur, bis ich die Zügel in die Hand bekomme! Dann weise ich Dir schon die Thür!“

Da er diese Zeit aber doch nicht als schon angebrochen erachten konnte und ich im Augenblicke mich der größern Gunst erfreue, nahm er mit cameradschaftlicher Bewegung meine Hand, drückte sie heftig und wünschte mir eine recht glückliche und genußreiche Reise.

„Wiedersehen,“ schloß er, „werden wir uns viel eher, als Sie es glauben; denn sobald ich nur kann, eile ich auf Flügeln des Dampfes Euch Kunstfreunden nach. Hoffentlich hat sich die Prinzessin bis dahin satt gesehen und ist etwas, das meinem Geschmacke minder widerstrebt, en vogue.“

Noch einen Händedruck, und ich war, Gott sei Dank, allein.

Nein, Gottfried, ich schwöre Dir’s bei allen Göttern, dieser Mensch darf Hedwig nicht sein nennen; ihm schenkt sie sich nicht. Wohlverstanden, hütet er sich sehr, sich ihr zu zeigen, wie ich die Ehre hatte ihn kennen zu lernen. Ist sie gegenwärtig, so ist Graf Werdau immer nur in Ekstase.

Wie ich sie kenne, muß am Probestein ihres Geistes dieser Mensch als Knecht erkannt werden. Siehst Du, Gottfried, wüßte ich das nicht so sicher, wie ich an mein Dasein glaube, ich liebte sie nicht mit dieser Alles verzehrenden, vielleicht Alles vernichtenden Liebe. Ich habe deshalb nicht die geringste Angst vor diesem stürmischen Bewerber, und die Andern stellen es zu ungeschickt an, um jemals ihre Gunst zu gewinnen. Sie müßte denn eine Conventionsheirath eingehen, und dessen halte ich sie nicht fähig. Wenn aber doch! Ach, Gottfried, so lange die Reise dauert, wird wohl mein Glück noch aushalten. So lange wird mir sie Keiner rauben.

Ich höre einen Wagen in’s Thor rollen – sie ist’s, schnell muß ich auf den Vorplatz eilen, von wo ich ihre Gestalt ungesehen beobachten kann, ihre Stimme vielleicht höre, und wäre es auch nur ein sanftes: Gute Nacht, Ernst! Ich denke mir den Walter dazu. Noch nie hat sie meinen Namen ausgesprochen. Warum sollte sie auch? … Kannst Du Dir die Seligkeit vorstellen, mit ihr unter einem Dache zu schlafen?

Dein Walter.

9.
Florenz.

          Süße Amalie!

Ich habe eine erste, einzige, eine Zauberwoche in Dante’s und Raphael’s Vaterland, in der wunderholden Blumenstadt verlebt. Wie in einem goldenen Traum flogen die Stunden dahin, Alles nur Freude, nur Entzücken. Nie noch in meinem Leben war ich auch nur einen Moment so glücklich, wie ich es hier acht Tage lang sein durfte. Wäre mein Traum nicht vorüber und die Wirklichkeit einigermaßen wieder vorhanden, Du bekämst vielleicht noch lange keinen Brief. Wie ich in Abwesenheit meines Bruders so selig sein konnte, begreife ich heute noch nicht, denn daheim wurden mir die Stunden oft endlos lang, wenn er im Abgeordnetenhause saß, oder ihn sonstige Beschäftigungen von mir fern hielten. Aber Du weißt ja noch gar nicht, wie es kam, daß er mich auf so lange verließ. Laß Dir Alles erzählen.

Trotz Cousine Dorothea’s schrecklicher Umständlichkeit gelang es uns doch, am bestimmten Tage die Residenz zu verlassen. Ueber den Brenner und Mailand sollte es ohne viel Aufenhalt nach Turin gehen. Ernst hatte beschlossen, nur seinen Secretair, einen Kammerdiener und meine Fanny, die auch für Cousine Dorothea hinreicht, mitzunehmen. Im Waggon hatte Ernst seinem Secretair viele Briefe zu dictiren, wozu er sich denn mit diesem abseits setzte. So waren Herr Impach und ich auf Cousine Dorothea’s Gesellschaft angewiesen. Wenn Du sie nicht kenntest, die gute Cousine, es wäre mir rein unmöglich, Dir ihre Aufführung zu beschreiben. Herrn Impach’s ritterliche Artigkeit gegen eine alte Dame schreibt sie einzig und allein ihren Reizen zu; sie wirft ihm so viele zarte Blicke und vielbedeutende Worte hin, daß dieses jungen Mannes Zartgefühl dazu gehört, um seiner Heiterkeit Einhalt zu thun. Hätte er ein einziges Mal gelacht, ich müßte sicherlich mit lachen, aber meine Achtung für ihn hätte dann nicht zugenommen, wie sie es wirklich gethan.

Als wir uns vorbereiteten, die Nacht in der Eisenbahn zuzubringen, kam Ernst mit seiner rührenden Sorgfalt und hüllte mich in Pelze und Tücher, als wenn ich noch sein kleines Kind gewesen. Cousine Dorothea wollte, wie ich, von einem Bette nichts wissen, und nachdem sie sich’s behaglich gemacht, winkte sie den eben einsteigenden Maler, mit einer Miene, als verschenkte sie ein Königreich, an den Platz ihr zur Seite. Herr Impach nahm ihn mit einer Verbeugung an, die nur die gute Cousine für Ernst halten konnte. Als wir abfuhren, bückte ich mich nach meinem Schemel, der mir gar zu niedrig vorkam. Trotz dieses Mangels befanden sich meine Füße ohne mein Zuthun später in einer angenehmen, weil erhöheten Lage. Erst am nächsten Morgen entdeckte ich die mir bis dahin unerklärliche Ursache dieser Metamorphose: der junge Maler hatte seine Füße unbemerkt unter das Schemelchen geschoben und dasselbe dann die ganze Nacht hindurch in dieser erhöheten Stellung erhalten. Er hat gewiß kein Auge zuthun können, der Aermste! Wohl wissend, daß ich ihm dadurch den größten Gefallen erwies, schwieg ich über die ganze Geschichte.

Den folgenden Tag brachten wir in einem reizenden Thälchen zu, dessen Name mir entfallen. Ernst hatte Briefe erhalten, Cousinchen Dorothea mußte von der Anstrengung des vergangenen Tages ausruhen; mir blieb also nichts übrig, als vom Balcon des Bauernwirthshäuschens aus sehnsüchtig die Berge zu betrachten, welche im Kranze herumlagen und die ich um die Welt gern bestiegen hätte. Ich mag schließlich recht traurig ausgesehen haben, eine unverzeihliche Sünde, denn Sonnenschein und die rötlich-gelben Blätter einer noch nicht entlaubten Weinrebe umgaben mich an diesem herrlichen Wintertage.

Da trat Ernst zu mir: „Traurig, Schwesterchen? Bist wie der Vogel im Käfig, den der Sonnenschein hinauslockt in’s Freie. Aber sieh, Herz, ich kann Dir nicht helfen, denn ehe die Post abgeht, müssen gewisse Geschäfte erledigt sein. Warum willst Du nicht die Begleitung Herrn Impach’s annehmen, der mich eben frug, ob ich ihn nicht nöthig hätte, da er in diesem Falle eine kleine Excursion in die Berge machen wolle?“

„Darf ich, Ernst?“ war mein freudiger Ausruf, und wie ein Reh flog ich davon, um von Fanny Pelzjacke und Hut zu verlangen. Als ich wieder in’s Wohnzimmer trat, um von Ernst Abschied zu nehmen, stand Herr Impach schon, mit meinem Sonnenschirm und einem Plaid bewaffnet, an der Thür.

Wie Dir den wonnevollen Gang in die Berge schildern? Auf ungebahnten Wegen, über Steingeröll und kurze Grasstrecken allmählich höher steigend, erreichten wir den Kamm eines Berges. Auf des jungen Malers Geheiß hatte ich während der zwei Stunden langen Steigung mich nicht umgesehen. Jetzt lag ein Anblick vor mir, wie ich ihn noch niemals genossen.

Mein Bischen Kunststudium hat mich nicht allein das von Menschenhand geschaffene Bild genießen gelehrt, nein, auch von [625] der Natur zog es den Schleier hinweg, den meine Unkenntniß über dieselbe gedeckt. Schon hundert dem Ruhme nach schönere Gegenden zogen an meinem Auge vorüber, keine spiegelte sich so in meiner Seele, keine erfüllte mich mit reinerer Freude, mit enthusiastischeren Gefühlen als diese Alpenrundschau.

Beim Anblicke der mit Sennhütten und weidendem Vieh besäeten grünen Matten, des rauschenden Waldstroms, der in dieser Entfernung wie flüssiges Silber in der Sonne glänzte, kam nur ein Gedanke auf: wie wunderschön ist’s doch auf Gottes großer Welt! Und als wir unseren Weg fortgingen, rechts die mit hohen Tannen und manchmal mit einem herabgestürzten Felsen bedeckten Hügel, links die Schlucht, in die ich nicht zu blicken wagte, da fühlte ich mich so glücklich – ich hätte singen und jauchzen mögen wie ein Kind.

Mit einer unermüdlichen Aufmerksamkeit, als müsse er es mit dem Leben bezahlen, wenn ich mir den Fuß verstauchte oder nur ein Tannenzapfen auf mein Haupt fiel, ging Herr Impach neben mir einher. Unser Gespräch war, glaube ich, deshalb so einsilbig, weil er zu ängstlich jeden meiner Schritte beobachtete. Wir kamen an eine Lichtung, wo eine Gruppe von Fichten ein reizendes kleines Bild umschließt. Da ich ermüdet aufseufzte (ich hatte in meinem Leben keine so lange Fußtour gemacht), breitete Herr Impach den Plaid auf einen mit Moos und Epheu ganz bewachsenen Stein. Nachdem ich mich gesetzt, zeigte ich ihm den Platz an meiner Seite; ich mußte unwillkürlich an Cousine Dorothea denken und erstaunte, wie der Maler eiligst von dem ihm angewiesenen Platze Besitz nahm, ohne nur daran zu denken, mir wie der Cousine, eine Verbeugung zu machen.

„Zeichnen Sie dieses Plätzchen! wie?“ sprach ich nach minutenlanger stiller Betrachtung.

Augenblicklich zog er sein Portefeuille hervor, nahm den Bleistift in die Hand, blickte jedoch dabei träumerisch auf das Stückchen Gebirgsgegend vor uns. Seine Hand machte einige Striche, unbestimmte, nichtssagende Linien. Ungeduldig blickte ich ihn an; einem Paare bittender Augen begegneten die meinigen. „Ich kann jetzt nicht zeichnen,“ sagte er plötzlich, „und müßte es um den Preis meines Lebens sein! Fürchten Sie nicht, daß ich einen Zug dieses Ortes vergesse; ich verspreche Ihnen davon ein ganz genaues Bild, nur jetzt nicht!“

Was hatte er nur? Mich sollte der weite Weg doch mehr angestrengt haben als ihn, den starken Mann. Ich nahm ihm Papier und Bleifeder aus der Hand und begann, so gut ich konnte, eine Aufnahme des reizenden Ortes. Glaubst Du, Amalie, ich hätte etwas zu Stande gebracht? Nicht das Geringste! Aus dieser zeitweiligen Leistungsfähigkeit zog ich mir den Schluß: will man nach der Natur zeichnen, so sei der Weg, den man zurücklegt, nicht zu lang, der Begleiter kein Maler, da dieser seinen ganzen Geist, alle seine Fähigkeiten im Anschauen verschwendet und nicht einmal mächtig ist, eine kleine Skizze zu Stande zu bringen. Offenherzig gab ich ihm sein Buch zurück und sprach:

„Es geht mir wie Ihnen – auch ich kann nicht zeichnen. Wahrscheinlich sind unsere Seelen des Genossenen zu voll, als daß ihnen die schwachen Mittel, ihre Eindrücke wiederzugeben, ausreichten. Lassen wir’s sein!“

Der Versuch, diesen Worten einen komischen Anstrich zu geben, mißlang mir gänzlich. Wieder trat Stillschweigen ein. Unser Weg hatte uns weit geführt; denn die Sonne fing an, sich mehr und mehr dem westlichen Horizonte zu nähern. Wie die Motte vom Lichte angezogen wird, so verwandte auch ich kein Auge vom flammenden Himmel. Kein Stückchen der herrlichen Beleuchtung sollte mir verloren gehen! Ob der Maler wie ich that, weiß ich nicht; ich saß so in mich versunken, daß ich aufzuckend in die Höhe schaute, als ein leises „Sehen Sie!“ an mein Ohr tönte. Meine Augen begegneten den in feuchtem Glanze aufleuchtenden des Malers; dann der angedeuteten Richtung folgend, sah ich rückwärts. Welcher Anblick, Amalie, ward mir da! Die Alpenkette in vollstem Glühen, der Schnee in eine rosige Masse verwandelt, die nur mit den Wölkchen ob ihrem Haupte verglichen werden konnte. Solche Pracht war mir ungewohnt, wie vernichtet stand ich da und konnte meinem Entzücken keinen Ausdruck geben. Als ich mich nach meinem Begleiter umwandte, stand er neben mir und blickte mich mit verzehrenden Blicken an, als wolle er die Wirkung der Natur auf ein erst durch ihn auf sie zurückgeführtes Wesen betrachten.

Nun kommt, Amalie, was ich zu gestehen erröthe, und dennoch, wäre ich im gleichen Falle, ich würde es wieder thun. Welch eigenthümlichem Gefühle ich es zuschreiben soll – ich weiß es nicht, aber gewiß ist, daß es mir in dem Augenblicke schien, als hätte ich den Genuß einzig und allein ihm zu verdanken, als gäbe es ohne ihn gar keine Alpen, keinen Sonnenschein auf Erden. In einem Augenblicke überströmenden Gefühls nahm ich eine seiner Hände in meine beiden und blickte ihm dabei ernst und dankbar in’s Auge. Was konnte ich dafür, daß mir zwei große, schwere Thränentropfen auf die Wangen fielen? Ich hatte ihn kaum losgelassen, so wandte er sich ab, und als er zurückkehrte, mußten wir den Heimweg antreten. Wir wurden den ganzen Tag nicht mehr wir selbst. Nicht einmal an gefährlichen Stellen bot er mir den Arm, sondern ging dann rücklings voraus und überwachte auf diese Art meine Tritte. Zu Hause angelangt, wußte er viel zu erzählen von allen möglichen Dingen, von Alpwirthschaft und Streifzügen der Gemsjäger, vom morgigen Fahrtenplane und hundert anderen Sachen, nur von unserem Ausfluge wußte er kein Wort zu sagen. Allerdings beantwortete auch ich Cousine Dorothea’s Fragen mit einem äußerst lakonischen „Sehr schön war es; schade, daß Du nicht mitkamst.“

Ich Heuchlerin – die Cousine hätte mir den ganzen Naturgenuß verdorben! Doch ich muß abbrechen. Mein Florentiner Idyll ein anderes Mal!
Deine Hedwig.


10.

In Wirklichkeit Dir nahe, mein Gottfried, bin ich doch von Deinen Armen, von meinem Ziele ferner, als ich es je war. Hat Dir jemals der Dir neue Ton meiner Briefe ein Lächeln abgelockt, jetzt, Gottfried, lächle nicht mehr, denn im Herzen Deines Freundes sieht es aus zum Grauenerregen. In einem und demselben Momente preise ich mich glücklich, hier zu sein, und wünsche mich tausend Meilen weit hinweg; in einem und demselben Augenblicke segne ich den Tag, wo ich mich bereden ließ, die Reise mitzumachen, und fluche ihm doch. Wenn ich schon selig war, unter ihrem Dache die Nacht zubringen zu dürfen, wie war es erst, als wir Stunden und Tage in gleichem Coupé saßen! Der Herzog muß seine Zeit ausnutzen; die Ehrengarde, eine lächerliche alte Cousine Dorothea, schläft fast stets, und so durften wir ungestört plaudern. Diese Cousine Dorothea, Gottfried, ich müßte ihr in’s Gesicht lachen, wenn sie nicht den Vortheil hätte, Hedwig’s Verwandte zu sein. So betrachte ich sie als eines der nothwendigen Uebel, ohne die ich Hedwig nicht sehen kann, noch unerträglicher, als der dichte Schleier, der mir zu Zeiten der Holden Angesicht verhüllt, doch weniger widerlich, als die Truppe von Bewunderern, die wir stets auf den Fersen haben.

Gottfried, in einem Alpenkessel liegt ein Dorf, vielleicht wie tausend andere; mir dünkt’s ein unbezahlbarer Juwel im herrlichsten Schrein; dort ward mir vergönnt, mit ihr allein durch Berg und Thal zu streifen. Frage mich nicht, wie das kam, ich weiß es nicht mehr – ich weiß nur, daß ich mit ihr auf einem Stein gesessen, daß ich mit ihr dieselben Naturwunder betrachtet, daß sie, von der Schönheit trunken, meine Hand erfaßt und – Gottfried, hörst Du es? – ohne allen Anlaß Thränen aus ihren Engelsaugen vergoß. Die Thränen waren’s, die ich so lange weinen möchte und die stets wieder in der Wüste meiner Verzweiflung vertrocknen, ehe sie durchbrechen, um mir das Herz zu erleichtern. Was sollte ich denken, Gottfried? Einen Augenblick kam’s wie Wahnsinn über mich: du bist ihr nicht mehr der arme Maler, der Schöpfer neuen Glückes bist du ihr. Noch zeitig habe ich mich ermannt und keine Miene zuckte, keine Muskel bewegte sich, so lange ihr feuchtes Auge in das meine sah. Doch war mir’s, als hätte ich der Götter Trank gekostet. Ich wußte nicht mehr, was ich that, noch was ich sprach.

Nachdem wir in Turin kaum einen Tag verweilt, eilten wir auf Hedwig’s Wunsch nach Florenz. Hier verließ uns der Herzog, um zurück nach Turin, wohin ihn wichtige Staatsgeschäfte riefen, zu reisen, seine Schwester der alten Cousine und meiner Obhut anvertrauend. Das waren Tage, Gottfried! Ueberall durfte ich ihr Führer sein; an meinem Arm lernte sie die Kunstschätze des modernen Athens kennen; durch mein Wort ward sie eingeführt in eine neue Welt voll Schönheit und Genuß. Doch wenn die [626] Schale voll ist, so genügt ein hineinfallender Kiesel, um ihren Inhalt zu verschütten.

Wir waren den ganzen Nachmittag im Palast Pitti gewesen und die Madonna del Granduca hatte Hedwig so entzückt, daß sie behauptete, nicht mehr ohne eine Abbildung der lieblichen Mutter sein zu können. Heimkehrend führte ich sie in eine Kunsthandlung, aus welcher Hedwig gar nicht mehr zu bringen war, zur großen Verzweiflung der guten Cousine, die schon im Pitti beinahe eingenickt wäre. Unsere Einkäufe blieben endlich beim dritten Kunstalbum stehen, und glücklich wie eine Königin fuhr Hedwig heim.

Sie war mit der Cousine an diesem Tage bei einer Bekannten ihres Bruders eingeladen, und da es schon fünf Uhr, als wir heimkehrten, mußte sie sogleich an ihre Toilette.

Ich hatte mich kaum zum Schreiben gesetzt, als der Diener kam, um mich in den Salon zu rufen. Alle Thüren standen offen, und als ich eintrat, hörte ich schon Hedwig’s silberhelle Stimme:

„Bitte, Herr Impach, kommen Sie einen Augenblick herüber. Sie haben mir noch nichts von diesem Bilde gesagt, und es ist doch ganz entzückend.“

Ich trat ein, wähnend in ein Boudoir zu kommen, und blieb noch einmal an der Schwelle stehen, als mir der Kerzenglanz von ihrem Toilettentische entgegenstrahlte. Im langen Schleppkleide von Flor saß sie da, die Fülle der goldenen Haare lose herabhängend, während Mademoiselle Fanny Miene machte davon Besitz zu nehmen. Auf den Knieen lag das gekaufte Album; die Füße ruhten trotz des niedrigen Lehnstuhls auf weichem Polster. Auf dem Sopha lag Cousine Dorothea in Morpheus’ Armen. Wahrscheinlich durch mein Zögern ungeduldig gemacht, wandte Hedwig den Kopf nach der Thür. Eine herrische Handbewegung genügte, um mich an ihre Seite zu rufen, brachte mich aber auch wieder zu Sinnen. „Pudel,“ sprach ich zu mir selbst, „nichts als Pudel!“ Die Thränen von letzthin galten dem Glühen der Alpen allein.

„Was ist das?“

„Eine Madonna von Carlo Dolci.“

„Und das? Und dies?“

Wie ich mich herabbeugte, sah sie sich nach einem Sitze um, doch ehe noch Fanny mit einem Stuhle herbeieilen konnte, ward schon das Polster von dem allerliebsten Füßchen mir zugeschoben und eine unnachahmliche Handbewegung sprach deutlicher als Worte: „Couche, Pudel!“ Wie war ich glücklich, indem ich gehorchte, und doch wie lächerlich mußte ich mich ausnehmen, ich der zum ersten Male einer Frau zu Füßen, ja zum ersten Male in einem Frauencabinete saß!

Mademoiselle Fanny hatte jetzt ihr Werk begonnen und Hedwig vertrieb sich die Zeit damit, jedes Bild des Albums aufmerksam zu betrachten, ja ich mußte mit einem kleinen Stiftchen, das sie mir reichte, den Namen unter ein jedes schreiben. Wir waren fertig, doch die Jungfer noch lange nicht; und so wurde ihr befohlen, ein gewisses Album zu bringen, das ich nun mit betrachten sollte. Mit capriciöser Liebenswürdigkeit nannte sie mir all’ die Namen der Leute, die hier versammelt, der halbe Gothaer Kalender erklang an meine Ohren, jeder Name von einer neckischen Bemerkung oder einem „den mag ich nicht!“ oder „den habe ich lieb!“ begleitet. Die Zofe war mit einer Entschuldigung weggegangen; sie kehrte nicht wieder, und schon war das Album zu Ende; schon ruhten die weißen Händchen darauf, und der Blick der schönen Augen sah träumerisch vor sich hin. Ich wagte nicht, mich zu regen; wie gefesselt saß ich da, als sie leise vor sich hin, mehr zu mir, sprach:

„Ist das nicht traurig? Keinen Menschen auf der Welt als meinen Bruder, der mir nahe verwandt. Vettern dieses ganze Buch voll, aber was sind mir die? Meistens weniger als manche oberflächliche Bekanntschaft. Und ich hätte sie so lieb, wäre eine Schwester mir gegeben!“

„Ihre Eltern?“

„Mein Vater starb, ehe ich auf der Welt war, und meine Mutter habe ich nur dunkel in der Erinnerung. Dieses ihr Bild!“ Damit öffnete sie ein Medaillon, das an ihrem Halse an goldner Kette hing. Ihr leichtes Kleid war vorn aufgegangen, so daß der schönste Hals, den die Natur jemals geschaffen, unverhüllt vor mir war. Während ich das Bild der schönen Frau betrachtete, öffnete sie schon die zweite Hälfte des kleinen Herzchens und nahm eine Locke seidner Haare daraus.

Soweit, Gottfried, kann ich noch mit Sicherheit erzählen; was nun folgte – ich weiß nicht, ob ich’s geträumt oder erlebt. Ich fühlte ihre weiche Hand mit der Reliquie ihrer Mutter auf meinem Haupte, als wolle sie einen Vergleich mit der Farbe anstellen; dann rückte sie meine Stirn mit ihrer andern Hand zurück, warf mir einen innigen Blick zu und sprach: „Sie muß so gut wie Sie gewesen sein, meine arme Mutter.“

Gottfried! der härteste Stahl bricht, wenn er zu stark gebogen wird; ich hätte mein Leben, meine Seligkeit verscherzt, ich konnte nicht anders. Ihre beiden Hände mit feuriger Bewegung ergreifend, bedeckte ich sie mit Küssen; keiner der zarten Finger blieb von meinen Lippen unberührt. Dann, wie der Frevler, der ein Heiligthum entweiht, flog ich zum Gemach hinaus, nicht wagend, meiner Seele Licht auch nur anzublicken.


Noch selbige Nacht packte ich meinen Koffer, und nachdem ich erfahren, daß der Herzog am nächsten Tage zurückerwartet wurde, ich sie also nicht ohne Schutz ließ, war der Entschluß, zu Dir nach Rom zu kommen, fest. Ohne Abschied, heimlich wie der Dieb bei Nacht, eilte ich um Mittag zum Hôtel hinaus auf die Bahn. Ich war der ganzen Menschheit gram, daß sie Verhältnisse geschaffen, welche es einem Ehrenmanne unmöglich machen, ja als Frevel anrechnen, wenn er das Mädchen, das er liebt, erringen will. Ich war dem Bruder gram, der mich in diese Lage gebracht, Dir, Gottfried, daß Du mich nicht zu Dir zurückgeholt, mir selbst, daß ich wie ein Gimpel in Fallen lief, die ich mir selbst gestellt. Nur ihr – der Engelsgleichen, machte mein Herz keinen Vorwurf; sie hatte sich nichts vergeben. Als sie mich zu sich rief, folgte sie nur dem Triebe ihrer edlen Natur, die sie in mir einen treuen Freund erkennen ließ. Konnte ich damit nicht zufrieden sein?

*          *
*

Auf dem Perron stehend und wie auf die Seligkeit harrend, blickte ich der Richtung entgegen, woher der Zug kommen sollte. Schon ist er da, schon pfeift es gellend in mein Ohr, da wird dieses plötzlich vom eigenthümlich melodischen Laut einer Stimme berührt.

Gott! sie ist es. Am Arme der Cousine eilt sie auf mich zu und streckt mir die Hand entgegen. „Hier sind Sie? Also deshalb nirgends zu finden? Warum kamen Sie nicht lieber mit uns den Bruder abholen? Ach, da ist er!“ Ein Freudenruf und sie liegt in seinen Armen. Sag’, Gottfried, wärst Du noch abgereist? Nun fliehe ich nicht mehr, und könnte ein Schritt mich vom Verderben retten. Es soll nicht sein! Ihr, der ich nicht glaubte in die Augen sehen zu können vor Scham, scheint kaum eine Erinnerung von gestern geblieben. Ich glaube, sie schreibt meine gestrige Aufführung einem kleinen Rappel zu, von dem ihre Standesgenossen uns Künstler ja Alle befangen wähnen.

Wie glücklich, daß ich mich nicht vom Impuls des Augenblicks beherrschen ließ und abreiste! Hätte ich auch vor Herzog Ernst mein launisches Verfahren rechtfertigen können, wie bald mußten mich Liebe und Eifersucht wieder zurückrufen, wenn ich vernahm, daß Graf von Werdau und ein anderer Leidensgefährte von mir, ein Fürst Arsent, den der Herzog zu begünstigen scheint, hier eingetroffen.

Hoffe ich auch nichts zu erringen, den Beiden räume ich nicht so freiwillig das Feld. Daß mir die Prüfung noch aufbewahrt sei, einer Entscheidung beiwohnen zu müssen, hätte ich nicht geglaubt. Ich hatte mir diese italienische Reise so schön gedacht, hatte gehofft, daß ich für die ganze Dauer derselben Hedwig für mich haben würde, und nun?! – Gottfried, ich Undankbarer! Bin ich nicht einen Augenblick glücklich gewesen, viel hundert Mal glücklicher, als ich jemals hoffen durfte? Hat sie ihr liebes Antlitz nicht über mich gebeugt, war nicht ich es, der ihre seidenen Haare um Stirn und Wangen fühlte, habe ich nicht ihre geliebten Händchen geküßt, nicht mit höflicher Verbeugung an der Schwelle des Salons, sondern allein mit ihr, mit dem Feuer einer ersten Liebe? Und sie ist nicht böse geworden!

Dennoch, Gottfried, bemerke ich eine Veränderung in ihr, seit die Beiden, mir so Leidigen, angekommen. Mit ihnen kam der ganze leichte, stets heitere Ton des Weltlebens zurück, den wir seit Anfang der Reise verbannt hatten. Kaum daß noch ein Gedanke aufkommt, und dennoch geht das Geplauder ohne Aufenthalt fort. Ich könnte den Grafen besonders um seine [627] Zungenfertigkeit beneiden, denn es gelingt ihm nicht selten, sie zu fesseln. Nicht Zweck und Bedürfniß sind wir mehr, die Kunst und ich, nur angenehme Zuthaten. Der Herzog sieht diesen Veränderungen ruhig lächelnd zu, als wären sie etwas längst Erwartetes, als hätte er sie vorausgesehen. Ich hatte Hedwig’s Natur für beständiger gehalten; doch ist es nicht zum Erstaunen, denn die ewige Veränderung, die in diesen Kreisen zur Nothwendigkeit wird, möchte Aeltere als sie in die Irre führen.

Da man mich nur manchmal des Vormittags ein Stündchen braucht, werde ich für Herzog Ernst den „Blonden“ Tizian’s malen, der ihm stets so ausnehmend gut gefällt. Schon morgen gehe ich an die Arbeit, ohne etwas zu sagen – will sehen, ob meine Abwesenheiten bemerkt werden.

Jetzt leb’ wohl! Geht Alles so fort, wie es den Anschein hat, dann erwarte häufig Briefe! Hat alle Herrlichkeit auch jetzt schon ein Ende, ich kann doch selig ausrufen: Auch ich war in Arkadien!

Dein Walter.
[653]
11.

     (Graf Werdau an seinen Oheim.)

Da wäre ich nun, mein lieber Onkel, seit mehreren Wochen mit Deiner Zustimmung in der Blumenstadt, und ich kann mir denken, wie oft Du schon ungeduldig den Postboten erwartet hast, um von den Erfolgen Deines Sendlings zu vernehmen. Zu meinem großen Erstaunen traf ich Arsent bereits hier, der Hedwig auf Schritt und Tritt verfolgt und zwar, wie es scheint, mit Billigung des Herzogs Ernst. Ich ließ mich das wenig anfechten, denn trotz seines Reichthums müßte dieser Merinoprinz früh aufstehen, um einen Werdau auszustechen! Mache mir aber auch auf Ehre einen Capitalspaß daraus, den ledernen Kerl recht aufsitzen zu lassen, und zwar, wie ich glaube, mit gutem Erfolg, denn die geistreiche Hedwig kann an seinen nach Schafwolle und Pferden riechenden Witzen auf die Dauer keinen Gefallen finden. Glücklicherweise leistete mir der Kleckser bereits Vorschub; denn er hat sie mit seinem romantischen Gefasel über Raphael’sche Madonnen so nervös gemacht, daß sie bei dem leisesten Stallgeruch in gelinde Nervenzuckungen verfällt. Geschieht ihm schon recht! Warum schlich er so perfide unserer Angebeteten nach, ohne uns etwas davon ahnen zu lassen! Das war nicht fair play, auf Ehre!

Doch was sagte ich „Kleckser“! Da habe ich dem Maler doch unrecht gethan! Der Kerl hat Dir eine Gewandtheit im Copiren, daß ich ihn anstaune. Ich habe freilich nicht Deinen Blick in Kunstsachen, aber gestehen muß ich es doch, daß ich einen Tizian von der von ihm in einer Woche anfertigten Copie nicht unterscheiden konnte.

Ich hatte bei diesem Anblick so meine eigenen Gedanken! Wenn mein Onkelchen nicht so strenge auf das Original versessen wäre und sich mit einer Copie seines angebeteten Rembrandt einstweilen begnügen würde, so wäre uns Beiden geholfen. Meine Aufgabe wäre gelöst! Denn was meinen Theil der Mission betrifft, so betrachte ich Hedwig bereits als die Meine. Sie coquettirt zwar noch ein wenig, um mich zu reizen, mit Arsent, und, um diesen noch feuriger zu machen, sogar mit dem Kleckser – allein, da dieser nicht in Frage kommt, halte ich mein Spiel für gewonnen. Wenn nur Herzog Ernst nicht wäre – mit seinen selbstsüchtigen, finanziellen Familienrücksichten und Bedenklichkeiten, welche eben nur von einem theuren Onkel beschwichtigt werden können.

Ich habe den Gedanken von der Benutzung der Geschicklichkeit des armen Malers nur so hingeworfen und werde, liebes Onkelchen, gewiß noch alle meine Gewandtheit und Diplomatie aufbieten, um Herzog Ernst weich zu machen und zur Abtretung des Rembrandt zu bewegen. Wenn aber Alles nichts fruchtet, wird mein guter Onkel doch nicht hartherzig sein und den vorgeschlagenen Ausweg verschmähen und so seinen lustigen Neffen hindern, zum glücklichsten aller Sterblichen zu werden.

Nimm mit diesen Andeutungen für heute vorlieb, mein Onkelchen! Du weißt ja, daß ich stets meinen Schießprügel besser zu handhaben wußte, als die Feder, welche ich lieber den Federfuchsern überlasse. Auf ewig
Dein Oscar.


12.

Ich nahm die Feder zur Hand, Gottfried, um Dein Ohr mit Klagen über mein Unglück zu füllen, und bedenke jetzt erst, daß ich ja dazu kein Recht habe, denn mir selbst muß ich zurufen: Du hast es so gewollt.

[654] Doch als Gegensatz zu dem wonnigen Tage, von dem Dir mein letzter Brief die Kunde brachte, seien hier meine jetzigen Abende geschildert, und vorerst der, von dem ich mein eigentliches Unglück datire. Sind Theater und Gesellschaften zu Ende, so wird meistens der zweite Theil des Abends im engen Familienkreise zugebracht. Dieser besteht außer dem Herzog, seiner Schwester, der alten Cousine und mir noch aus dem Grafen Werdau, Fürst Arsent und einem jungen florentinischen Edelmann, mit Namen Scipione di San Giuliano, den Werdau offenbar nur mitbrachte, um sich selbst in’s rechte Licht zu stellen. Nur selten veranlaßt der Herzog eine Erweiterung dieses Kreises; er wünscht ganz entschieden, daß es bald zwischen Hedwig und dem jungen Manne zu einer Erklärung komme. Noch hatte ich keinen Grund, Gottfried, von dieser Seite etwas zu befürchten, denn der äußerlich für sich einnehmende Mann benahm sich ziemlich harmlos.

Werdau war es, der mir zu denken gab. An dem bewußten Abend, von dem ich Dir berichten will, kam die Rede zufällig auf Geister und Spuk im Allgemeinen. Scipione di San Giuliano erzählte eine grausige Geschichte von einer Florentinerin, welche die Geliebte ihres Mannes gemordet hatte und zur Strafe dafür von dem erzürnten Gatten in eine Villa eingesperrt wurde, wo sie nicht starb, sondern heute noch umgeht zum größten Schrecken der Diener und Landleute. Es wurde lange über diese Geschichte debattirt. Die Nerven geriethen in Aufregung, und als man sich verabschiedete sprach Hedwig, mit einer reizenden kauernden Bewegung zu Werdau gewandt:

„Ich glaube wirklich, Ihr Freund San Giuliano hat mir’s mit seiner Geistergeschichte angethan. Ich werde nicht einschlafen dürfen, ohne das Bild der Florentinerin mit in den Traum hinüberzunehmen.“

„O, dürfte ich es zu meinem Lebenszwecke machen, jeden düsteren Gedanken von Ihrer schönen Seele fernzuhalten!“ flüsterte Werdau gerade laut genug, daß ich daneben stehend ihn hören konnte. Mit einem schwärmerischen Ausdruck in den großen Augen, küßte er ihr die Hand, wie – Gottfried, wie ich allein durch meine Liebe ein Recht dazu habe. Zuerst nahm er mir den Gedanken, er durfte ihn sprechen; denn wie sie so schutzlos sich gab, entlud sich aus meiner Brust in einem Seufzer der Wunsch sie schirmen zu dürfen all mein Leben lang. Dann küßte er ihr auch noch die Hand, die ich vor wie wenig Tagen an meine heißen Lippen drücken durfte.

Doch es sollte noch ärger kommen, und zwar von einer anderen Seite. Es war den Abend darauf. Wir saßen wieder beisammen, als sich plötzlich Werdau an’s Clavier setzt und einen brillanten Walzer lärmend vorträgt. Als er geendet, bat ihn Hedwig etwas Ernstes zu spielen, worauf er vom Clavierstuhle aufstand und, an’s Sopha tretend, Hedwig rieth, dazu seinen Freund Arsent zu engagiren, dem diese Art viel besser anstehe, als ihm selbst, dem stets Fröhlichen.

Er wollte dabei auf Arsent’s meistens larmoyante Weise anspielen, und Hedwig zugleich zeigen, daß nicht jeder die Tasten beherrsche, wie er. Wirklich frug Hedwig Arsent, ob er Musik treibe, und als dieser zögernd: „Ein wenig!“ antwortete, bat sie ihn, doch etwas vorzuspielen. Herzog Ernst’s Stirne zog sich in Falten; augenscheinlich wollte er nicht, daß sich sein Günstling eine Blöße gebe; doch mußte er’s ruhig geschehen lassen.

Arsent setzte sich eckig und steif an’s Clavier und spielte ohne Eingang eine Melodie, wie sie Anfänger tagelang trommeln. Dämonische Freude blitzte aus Werdau’s Zügen, als er dies hörte. Herzog Ernst’s Stirn verfinsterte sich immer mehr; die Cousine hatte schon ihr Taschentuch hervorgezogen, um ihr Lachen zu bergen, und auch Hedwig hielt sich nicht länger. Erstaunt lauschte ich dem jungen Manne, der mit diesen primitiven Tönen das Herz der Heißersehnten gewinnen zu können glaubte. Da erstreckten sich die Töne allmählich auf zwei Octaven, dann auf drei; die Melodie war nicht mehr so deutlich hörbar. Wie ein Bergstrom, den wir erst nur von fern hören und dem wir uns allmählich nähern, ergoß sich Melodie auf Melodie. Die erste Haltung des Spielers ging in eine begeisterte über, und ehe zehn Minuten vergangen waren, lauschten unsere Ohren wie dem Spiele eines Virtuosen ersten Ranges. Gottfried, ich kann Dir das interessante Schauspiel nicht beschreiben, welches die Veränderung in den Mienen der Zuhörer bot. Während Werdau’s Mund sich staunend öffnete und sein Gesicht sich von Minute zu Minute verlängerte, glätteten sich die Falten auf des Herzogs Stirn und seine Augen begannen zu leuchten. Die affectirte alte Cousine wiegte ihr Haupt hin und her wie eine verblühte Sonnenblume und lächelte selig dazu. Hedwig aber – was meinst Du, daß Hedwig that? Leise, wie der Frühling auftritt, wenn er seine Blumen aus dem Winterschlafe weckt, schwebte sie zum Clavier, ließ sich dem Künstler (denn das ist er) gegenüber auf eine niedrige Causeuse nieder, schloß die Augen und lauschte mit gefalteten Händen dem herrlichen Vortrage.

Als er angefangen hatte, mußte selbst ich mit Werdau lachen; jetzt waren die Lacher auf Arsent’s Seite.

Wie schon gratulirend drückte Herzog Ernst ihm die Hand; dankbar wünschte ihm Hedwig eine gute Nacht, „mir aber bald wieder einen Genuß wie heute,“ schloß sie.


Heute Morgen sollte Inspection meiner Copie nach Tizian gehalten werden, und auf Hedwig’s Wunsch durfte ich den Führer machen. Die breite Treppe der Uffizien empor durcheilte die heitere Gesellschaft den langen Gang, wo rechts und links, an die Decke stoßend, die interessante Sammlung aller ausgezeichneter Männer Italiens sich befindet. Kaum einen Blick in die Tribüne werfend, eilten wir der andern Seite zu, um durch den geheimen gedeckten Gang der Medicäer über den Arno nach dem Pittipalast zu gelangen. Hedwig ärgerte sich über dieses merkwürdige Stück Mittelalters, wo Häupter einer Republik die Arroganz so weit trieben, sich einen Weg, einen Schlupfwinkel auf Kosten ihrer Mitbürger zu bauen. Unglaublich scheint es fast, wenn man in dem mit Gobelins behangenen Gange schreitet, daß er mitten durch die Häuser friedlicher Bürger geht, daß sie Theile ihrer Wohnung, ja selbst halbe Zimmer opfern mußten, um den geheimen Gang zu ermöglichen. Tausendmal besser den Weg durch die Stadt nehmen, auch wenn man die Stufen nicht scheut, welche zuerst ab-, dann aufwärts führen, noch das beengende Gefühl, welches die Brust an den fensterlosen Partien zusammenschnürt. Ich wiederhole Dir hier nur den Sinn von Hedwig’s Aeußerungen, dem ich jedoch völlig beistimme.

Einen freundlichen Blick warf sie beim Eintritt in den ersten Saal des Pitti der schönen Gruppe Caritas zu; einen Augenblick mußten wir vor Fra Bartolommeo’s Grablegung stehen bleiben, dann mit Herzog Ernst Allori’s Judith bewundern. Endlich kamen wir an das Fenster, wo mein Biondo, seiner Beendigung harrend, neben dem Originale stand. Du weißt, wie wir uns übten, der alten Meister Manier haarklein nachzubilden, und wirst mir’s glauben, wenn ich Dir sage, daß sie sämmtlich starr dastanden, als sie Copie und Original verglichen hatten. Herzog Ernst erfreute mich mit einem: „Wirklich ein vorzügliches Talent!“ Arsent hofft auch einmal von meinem Pinsel etwas zu erhalten, und Werdau wurde nachdenklich, so daß er ganze fünf Minuten vor den Bildern stehen blieb, ohne etwas zu sagen, eine Thatsache, die bei ihm nur höchst selten vorkommt. Hedwig allein war nicht zufrieden. „Warum mißbrauchen Sie Ihre Zeit zum Copiren?“ frug sie leise. Lag hierin nicht die allergrößte Schmeichelei, Gottfried? Nahm sie sich nicht eine Art Anrecht auf mein Talent, auf mich selbst? Und dennoch!

Nach viertelstündiger Beschauung, bei welcher Herzog Ernst mit dem Scharfsinn, den ich stets an ihm bewundere, des Bildes schönste und schwächere Seiten hervorgehoben, mahnte er zum Aufbruch. Ich verabschiedete mich, weil ich noch an meinem Bilde arbeiten wollte. Wie Hedwig mir an der Thüre die Hand reichte, flog ein leiser Hauch von Anmuth um ihre Stirn.

„Sie gebrauchen Ihr Bild als Vorwand, um fern von uns zu bleiben!“

Hätte sich’s nur noch thun lassen, wie gern überließ ich mein Bild seinem Schicksale! Zu meinem großen Erstaunen blieb Werdau bei mir zurück und nahm den Platz neben der Staffelei ein.

„Ich will Sie einmal bei der Arbeit belauschen,“ waren die Worte, mit denen er sein auffallendes Benehmen erklärte.

Außer dem einen Male in der Heimath hat er mich nie mit seiner Aufmerksamkeit beehrt – ich bin ihm der plebejische Schmierer und weiter nichts. Deshalb ahnte ich einen Hintergedanken, [655] sonst wäre er nicht eine Stunde lang geduldig bei mir sitzen geblieben.

Was er wissen wollte, war, ob ich Tizian allein oder auch andere alte Meister so täuschend nachbilden könne. Als er erfahren, daß nicht Tizian, sondern Rembrandt mein Steckenpferd sei, sprang er auf und umarmte mich öffentlich so stürmisch, daß zwei Engländerinnen, die eine mit der Blechbüchse zum Sehen, die andere mit dem Katalog in Händen, fast ohnmächtig wurden und „Good Gracious!“ stammelten. Sein Betragen mochte ihm selbst ein wenig auffällig erscheinen, denn er sprudelte nun hervor:

„Müssen schon meinem Enthusiasmus etwas vergeben! Ich bin nun einmal so, kann mich nicht halten vor Freude, wenn ich echtem Talent begegne. Ja, Sie sollen einmal sehen, wenn ich im Besitze der Geldsäcke meines Onkels bin, welchen Mäcen ich abgeben werde. O, die Kunst soll leben! Als hehre Göttin, aber auch als Mittel zum Zwecke!“

Seitdem weicht er mir nicht von der Seite, und wäre mein Vergnügen nicht so unendlich groß, zu wissen, wie wenig Chance er bei Hedwig hat, ich könnte sein stolzes Siegesbewußtsein, das sich zu jeder Stunde äußert, nicht ertragen. Er rechnet so sicher auf Hedwig’s Gunst, daß er selbst mich in die Irre führen könnte, sähe ich nicht bei jedem Zusammensein mit ihr, daß seine Nähe unangenehm auf sie wirkt, so daß ihr sogar Arsent willkommen ist, wenn er durch sein Kommen Werdau vertreibt. Ueberhaupt steigen Arsent’s Actien um ein Bedeutendes, was auch ganz natürlich, denn der junge Mann ist von solidem, bescheidenem Charakter und ganz dazu angethan, um sein Lebenlang zu Hedwig’s Füßen zu sitzen, glücklich, wenn nur hier und da einmal ein Gnadenblick auf ihn herabfällt. Herzog Ernst begünstigt ihn wahrscheinlich auch aus Familienrücksichten, denn Arsent’s Vermögen gehört zu den bedeutendsten des Landes, was seine Bescheidenheit nur um so anerkennenswerther macht.

Doch wie Alles aus Erden ein Ende nimmt, so darf auch dieses Briefes Schluß nicht ausbleiben, darum lebe wohl und bleibe der alte treue Freund

Deines Walter.     


13.

     Liebe Amalie!

Wie wirst Du erstaunt sein, Deiner Freundin Handschrift und den Stempel der Residenz zu erkennen! Ja, wir sind wieder hier, und wenn ich Dir’s gestehen soll, bin ich ganz vergnügt darüber. In der Heimath ist man doch viel glücklicher als draußen im fremden Lande, sei’s dort auch noch so schön. Schnee und Eis haben ihren eigenen Reiz, und ich konnte mich über ihre Abwesenheit gar nicht trösten.

Ernst’s Geschäfte waren abgeschlossen, konnten in einem geschriebenen Berichte nicht genügend referirt werden, und so wurde er denn per Telegraph gebeten, zurückzukehren.

Ich bin herzlich froh, einmal die zwei auf Entscheidung dringenden Bewerber los zu sein; fürchte aber, daß sie nicht lange durch ihre Abwesenheit glänzen werden, da sie in Italien ja absolut nichts zu schaffen hatten, als in unserem Salon zu sitzen und uns zu Spazierritten und -Fahrten zu überreden. Der Maler kehrte mit uns zurück, doch glich die Heimfahrt der Hinreise ebenso wenig, als ich der Hedwig von damals ähnlich bin.

Jawohl, Amalie, könntest Du Deine lebensfrohe Freundin jetzt von Angesicht zu Angesicht sehen, ich weiß nicht sicher, ob Du sie erkennen würdest. Die widerstreitendsten Gefühle reiben mich auf, so daß ich, obgleich nicht eigentlich unglücklich (ich habe dazu keine Ursache), dennoch keine frohe Stunde mehr genieße. Auf der Heimreise hatte ich eine lange Unterredung mit Ernst, in der er mir zu erkennen gab, daß es sein ausgesprochener Wunsch wäre, mich die Hand Arsent’s annehmen zu sehen. Länger als eine Stunde brachte ich meine Gründe vor, die aber alle so seicht waren, daß Ernst zum Schlusse den Kopf schüttelte. Was kann ich auch sagen? Arsent ist seelengut, sein Talent für Musik, das er bescheiden in den Hintergrund stellt, muß Jeden entzücken, seine äußere Erscheinung eine angenehme, und seine Anbetung meiner undankbaren Persönlichkeit eine ganz unbeschreibliche. Wenn ich mir Dies nun alles vorspreche, so komme ich stets nur wieder zu dem Schlusse: dem Manne, dem ich meine Hand vor dem Altare reiche, muß ich ganz anders freudig entgegenblicken, als ich es thue, wenn Arsent gemeldet wird. Wo habe ich nur diese romantischen, krankhaften Ideen aufgefangen, Amalie? Das lag sonst nicht in unserer Familie, und auch Du gabst mir nie das Beispiel dazu – Du schwärmtest höchstens für Ernst’s Geist und edlen Charakter.

Siehst Du, mein heißester Wunsch wäre, zu wissen, ob die Fornarina, wie sie aus dem berühmten Bilde des großen Malers blickt, die Gedanken bei ihrem Raphael hat; dann wüßte ich sicher, daß ich Arsent nicht heirathen darf, denn so könnte ich nicht blicken und an ihn denken zugleich. Das ist noch das Traurigste meiner Lage, daß ich mit Gedanken wie diese nicht zu Ernst darf, dem ich bisher das geheimste Winkelchen meines Herzens entdeckte. Er würde mich sehr mit Recht belehren, daß die Fornarina keine Familienrücksichten zu bedenken hatte und daß es blos bei mir liegt, Arsent zu meinem Raphael zu machen. Ach, nur einen guten Grund dagegen! Ein Königreich für einen Grund! Wenn ich sagen könnte, Werdau sei mir lieber als Arsent, so glaube ich, würde Ernst sie alle Beide entfernen, und ich wäre erlöst. Aber daran ist auch kein Fünkchen von Wahrheit, denn diesen Standpunkt habe ich längst überwunden und sehe in Werdau nur den eiteln Menschen, der vor Neid bersten möchte, wenn in einem Cirkel ein geistreiches Wort belacht wird, das nicht von ihm stammt.

Mein Bruder hat liebevoll, aber ernst gesprochen; er bedeutete mir, daß man einen in allen Punkten anerkennenswerthen Menschen nicht grundlos oder um einer Grille halber unglücklich machen dürfe, und gab mir einen Monat Zeit, die Sache zu überlegen. Das thue ich denn auch und überlege so viel, daß ich darüber ganz trübsinnig werde und es mir kaum gelingt, den Nebel, der Alles für mich umgiebt, zur Zeit der Zeichnungsstunde zu lüften. Dieser Beschäftigung habe ich mich wieder ergeben, und Herr Impach ist jeden Tag zwei Stunden bei mir, um meine Fortschritte zu leiten. Ich darf jetzt nach den aus Italien mitgebrachten Photographien copiren und muß manchmal bei ihrem Anblicke seufzen, weil sie mir die Woche in’s Gedächtniß zurückriefen, wo ich ganz dem reinen Kunstgenusse lebte, unbehindert durch einander überbietende Weltmenschen, von keinen widerstreitenden Gefühlen zerrissen. Ich betrachte jene Woche als die glücklichste Zeit meines Lebens, und, sonderbar, meine Meinung scheint von Herrn Impach getheilt zu werden. Als ich das Album, welches wir dort zusammen ausgesucht hatten, auf den Tisch legte, wollte ich ihn an jene für mich so genußreiche Zeit mahnen, ihm danken für das, was er dazu beitrug, mein Glück zu erhöhen. Indem ich, vom Album aufsehend, den Mund öffnete, begegnete ich in seinen Augen einem dergestalt leuchtenden Blicke, daß dessen Bedeutung nicht mißzuverstehen war. Sagen hätten wir Beide nicht mehr können, und so nickte ich denn und reichte ihm über dem Buche die Hand.

Der fände mir schon einen triftigen Grund gegen die Heirath mit Arsent, wenn ich es wagen dürfte, ihn zu consultiren. Aber Ernst hat mir schon früh eingeprägt, daß Menschen von anderm Stande Ansichten mit sich herumtragen, die von den unsrigen ganz abweichen; außerdem habe ich kein Recht, so vertraulich mit ihm umzugehen. Du, Amalie, birgst in Deinem erfinderischen Köpfchen nichts Dergleichen.

Die Zeichnungsstunde ist nicht die einzige Zeit, welche der Maler hier im Hause zubringt. Fast den ganzen Vormittag sitzt er in unserer Galerie und copirt. Welche Bilder, weiß ich nicht, auch darf ich nicht hinüber, um zuzusehen, weil Cousine Dorothea sich in den nicht tropisch geheizten Räumen gleich am ersten Tage einen Husten geholt und nun dasselbe für mich fürchtet, mich also wie ein Drache hütet und mir mit Ernst das Betreten jenes Theiles des Hauses verboten hat. Ich sehne mich auch nicht sehr hinüber, denn es ärgert mich stets, wenn ich ein vorzügliches Talent, wie Impach’s, auf’s Copiren verschwendet sehe. Ernst meint, es könne ihm nützen; ich aber glaube, dadurch gehen der Welt eine Anzahl seltener Kunstwerke verloren.

Nur Trübseliges habe ich zu erzählen, Amalie, und dazu kommt auch noch, daß Ernst dieser Tage fortgeht, um mich auf einige Wochen zu verlassen. Wenn er wiederkommt, erwartet er meine Entscheidung. Ich weiß, daß ich dann nicht weiter sein werde als heute, denn bis jetzt brachte mich noch kein Tag auch nur um einen Schritt vorwärts.

Schneewittchen ist mein einziger Trost, die Pflege der Blumen, die es umgeben, meine liebste Beschäftigung, denn selbst [656] zum Zeichnen fange ich an zu unruhig zu werden. Habe ich das schöne Bild hingegen eine Zeitlang nachdenklich betrachtet, dann fühle ich mich wieder getröstet und kann hoffen, daß das Leben auch noch fröhliche Tage für mich birgt.

Ehe Ernst uns verläßt, beabsichtigt die Cousine ihn zu fragen, ob wir manchmal Herrn Impach (sie nennt ihn nur ihren Raphael) zu Tische laden dürfen. Sagt Ernst zu, so kann ich mich gefaßt machen, den jungen Maler täglich bei uns zu sehen, denn die gute Cousine hat die löbliche Gewohnheit, eine erhaltene Erlaubniß bis auf’s Letzte auszubeuten. Und ihren Bitten widersteht selbst ein starrköpfiger Künstler nicht.

Ich bin nicht glücklich, Amalie, weit davon. Gebe Gott, daß diesem Zustande bald ein erträglicherer folge!

Schreibe mir ein Trostwort!

Deine
Hedwig.     


14.

Gottfried! Es ist geschehen! Der Abgrund, dem ich offnen Auges zustürzte, hat sich aufgethan und mich verschlungen.

Theuer muß ich das Glück bezahlen, welches ich so kurze Zeit genoß, mit mehr als meinem Leben, denn, Gottfried, Ehre und Name gingen darauf. Unaufhörlich muß ich mir wiederholen, was ich verschuldet, um mein Unglück mit Manneskraft ertragen zu können. Allen Grundsätzen meines Lebens und Standes ungetreu, entwürdigte ich mich, indem ich mein ganzes Wesen in den Dienst einer Frau aus hohem Stande gab, die das Opfer meines Lebens, meiner Ehre nur mit einem gütigen Blicke vergelten kann. Und dann! Hand an mich selbst möchte ich legen, wenn ich daran denke. Zum Verräther an der Freundschaft, an einem liebevollen Bruder, wie Du es bist, hat mich die unselige Liebe gemacht, denn auch nicht der Gedanke kam in mir auf, die kurze Strecke zwischen Florenz und Rom zurückzulegen, um Dich in die Arme zu schließen – ich schauderte schon beim Gedanken, Hedwig auch nur auf einen Tag zu verlassen. Wohin mußte solcher Wahnsinn führen? Sicherlich zu nichts Gutem. Solch Strafgericht aber hatte ich nicht erwartet.

Höre und ermiß, auf welchen Pfaden Dein Freund sein Heil suchte und seinen Untergang fand.

Wir waren kaum hierher zurückgekehrt, als Herzog Ernst wieder abreiste, diesmal allein und mit dem Versprechen, in vierzehn Tagen wieder hier zu sein. Der alten Cousine hatte ich’s zu verdanken, wenn ich nun täglicher Gast im Waldemberg’schen Palais war, während die Zeichnungsstunden ruhig ihren Fortgang nahmen. Dazu kam noch, daß mich der Herzog gebeten, einen Tizian seiner Galerie zu copiren, den er, sobald er ihn durch eine Copie ersetzen könnte, in sein Arbeitszimmer zu hängen gedachte. Ich bat ihn, eine doppelte Copie fertigen zu dürfen, da ich selbst das schöne Bild in meinem Atelier zu haben wünschte. „Die ganze Galerie steht natürlich zu Ihrer Verfügung,“ lautete die liebenswürdige Erlaubniß.

Schon hatte ich meine Arbeit begonnen, als Werdau mich eines Tages einlud, mit ihm einen Ritt in den Park zu machen, da er einen großen Gefallen von mir zu erbitten habe. Es handelte sich um eine Copie der „Alten“ für seinen wunderlichen Onkel, dem er eingeredet, sich mit einer solchen zufrieden zu stellen.

„Daß Sie all Ihr Talent darauf verwenden werden, weiß ich im Voraus,“ war der Schluß seiner Rede, „wenn ich Ihnen sage, daß meine Zukunft, mein Lebensglück davon abhängt, daß sie dem Onkel genüge.“

Ich hätte gar zu gern Nein gesagt, ausgefüllte Zeit vorgeschützt, da fielen mir Unseligem die Worte Hedwig’s ein, als sie einst äußerte: „Wäre dem alten Herrn mit einer Copie gedient, die gönnte ich ihm von Herzen.“

Das Verlangen des Grafen beruhte für mich sozusagen auf einem Wunsche Hedwig’s. Wie nicht mit Freuden zusagen, da ich auch ihr damit einen Gefallen erwies?

Werdau drückte mir, als ich zugesagt, dankbar die Hand und fing an, von einem Preise zu sprechen, der dem Dienste, den ich ihm erwies, gleichkommen sollte. Ehe wir zu Hause anlangten und nachdem schon lange von anderen Dingen die Rede gewesen war, sprach er noch wie nebenhin:

„Nur müssen Sie mir Ihr Wort geben, von der ganzen Sache weder bei Waldemberg’s noch anderswo eine Silbe zu sprechen. Ich baue auf Ihr Ehrenwort, als wäre es das eines Edelmannes.“

Gottfried, mein Freund, hüte Dich, jemals von solchen Herausforderungen Dir die Sinne berücken zu lassen. Ich büße schwer an der ungeduldigen Kopfbewegung, mit der ich mein angezweifeltes Wort zusagte – ich, der Bürgerliche, dem Adligen! Die Copie geheim zu halten ward leicht, denn der Herzog war, wie ich schon sagte, abwesend. Hedwig durfte, wegen der kühlen Temperatur, nur höchst selten in die Galerie, und sonst betritt sie außer den Dienern Niemand.

Heute vor einem Monat lieferte ich meine Arbeit an Grafen Werdau ab, der sie selbst abholte, weil er behauptete, so das Geheimniß besser hüten zu können. Was muß der Herzog von mir denken, wenn er sich erinnert, wie ich ihn bei seiner Heimkehr mit der Aufmerksamkeit überraschte, das Tizian-Original schon an seinen Platz gehängt zu haben, während die Copie die Lücke in der Galerie ausfüllte! Zu schmerzhaft ist der Gedanke, ich kann nicht darauf verweilen, zöge er auch nicht die Seelenqualen nach sich, welche die Erinnerung an Hedwig hervorruft. Was bin ich in ihren Augen? Doch zur Katastrophe! denn eine solche schloß den seligen Traum Deines Freundes im Waldemberg’schen Palais.

Wir saßen, Hedwig und ich, im Wintergärtchen und zeichneten, das heißt wir ruhten eben aus vom Zeichnen, und genossen aus einer Schale getrocknete Südfrüchte, die sie mir jedesmal mit den feinen Fingerchen reichte, als ein Diener Hedwig zu ihrem Bruder in den Salon rief. Den Rosenmund verziehend, eilte sie dennoch davon. Schon nach wenigen Minuten ward ich gerufen und fand bei meinem Eintritt Hedwig im Gespräch mit einem durch seine hohe Gestalt, sowie durch blitzende Augen voll Geist und Verstand, imponirenden Herrn. Kein Wunder, daß er mich frappirt hatte – ich hörte bei der Vorstellung den längst bekannten Namen des Edelmanns, welcher der Horaz und der Mäcen der Dichtkunst und Malerei zugleich ist. Er ist Hedwig’s Taufpathe, und kehrte nach einer langen Reise im Orient erst jetzt wieder in die Heimath. Um ihn zu ehren, wurden sämmtliche Hausfreunde geladen, zu denen auch ich die Ehre hatte, zählen zu dürfen. Nach Tische begab sich die ganze Gesellschaft vom Wintergärtchen, wo man den Kaffee eingenommen und Hedwig’s Zeichnungen gepriesen, in die Galerie.

Der Kunstkenner hielt sich bei all’ seinen Lieblingsbildern von früher auf, und so ging es lange, ehe wir in den großen Saal traten. Werdau ging mit Hedwig abseits; mich trieb die Eifersucht zu ihnen – zudem ich jetzt aus Bescheidenheit zurücktreten mußte, da der Herzog meine Copie nach Tizian dem Besucher anpries. Sie mögen darüber discutirt haben, ob es nicht schade, das Original aus der Sammlung zu entfernen – ich weiß es nicht; denn ich weidete mich gerade an dem Anblicke, wie Hedwig die zudringlichen Schmeicheleien Werdau’s ablehnte und sich mir zuwandte, als mich der Ruf des Neuangekommenen aufschreckte.

„Ich betrachte jetzt Deinen Rembrandt schon fünf Minuten lang, und begreife nicht, Waldemberg, wo Du auch ihm eine passendere Stelle angewiesen haben magst!“

„Was willst Du damit sagen?“ frug rasch der Herzog. Dann sich dem Bilde nähernd, riefen Beide wie aus einem Munde:

„Bei Gott, eine Copie!“

Ich kam herzu, und erkannte – Gottfried, ermiß, wenn Du’s kannst, mein Entsetzen! – meine Copie. Wie, wenn vor meinen Blicken plötzlich die Welt versunken wäre, Hedwig mit ihr, so stand ich da. Ich fühlte, wie alles Blut zum Herzen zurücktrat, und konnte Nichts thun, als nach dem Bilde vor mir tasten, ob es Wirklichkeit – ob Wahn!

„Was halten Sie davon?“ frug aufgeregt der Herzog, jedoch ohne mich anzublicken. Daß Hedwig ihre Augen auf mich gerichtet, fühlte ich instinctiv.

„Es ist allerdings nicht – das – Original!“ stöhnte ich hervor, während der Angstschweiß auf meiner Stirne perlte.

Durch den auffallenden Ton meiner Stimme überrascht, kehrten sich beide hohe Männer, zu meiner Rechten und Linken, mit einer Bewegung um. Herzog Ernst’s Augen nahmen nach kurzem Erstaunen den Ausdruck tiefer Betrübniß an. Wisse, [657] Gottfried, kein Virgil, kein Dante hat je die Qualen genannt, die ich in diesem kurzen Zeitraume ausstand. Die Zeit hatte für mich aufgehört zu sein – jede Secunde ein Jahrhundert. Nein! lieber auf alle Wonne der Erde, des Lebens verzichten, als solche Schmach bestehen!

„Wissen Sie Näheres über den schändlichen Tausch dieser Bilder?“ frug Herzog Ernst mit kalter Stimme. Hedwig sah ich jetzt mit vorgebogenem Leibe, die Augen wild stierend, dastehen.

Mein Blick irrte im Kreise umher und traf auch Werdau’s Antlitz – die gesenkten Lider, der unbewegliche Gesichtsausdruck sprachen deutlicher als Menschensprache: Gedenke Deines Wortes! Ich, Gottfried, ein Ehrenmann und freier Künstler, mußte diese Schmach auf mich nehmen, mußte unbedingt mein Wort halten, um zu zeigen, daß ich diesem Schurken ebenbürtig war – des Edelmannes Ehrenwort – welche Ironie! Ich habe gekämpft in jenen Augenblicken, habe gelitten – ich finde keinen Ausdruck, Dir meine Qual zu schildern. Auf der einen Seite Hedwig und meine Ehre, mein guter Name, den ich vor ihr nicht in den Staub treten lassen durfte, der Verdacht von einem hochherzigen Menschen, wie Herzog Ernst, für den verächtlichsten aller Verräther gehalten zu werden, meine ganze Zukunft, all’ meine Hoffnung auf Glück – auf der anderen Seite nur das Kopfnicken, mit dem ich mein Wort gegeben! Alles ward winzig klein, verschwand vor diesem gegebenen Worte – wie eine donnernde Lawine tönte es mir zu: Auf dieser Seite steht Deine Pflicht! Sei getreu Deinem Worte! Es siegte. Dem Herzog fest in die Augen sehend – ich konnte das, wenn er es auch für ein Uebermaß von schamloser Schlechtigkeit halten mußte – mit kaum erzitternder Stimme, mit stolzer Handbewegung auf das verhängnißvolle Bild deutend, sprach ich:

„Die Copie ist von meiner Hand, Herzog; doch wie sie hierher kommt – weiß ich nicht.“

„Sie gestehen, diese Copie angefertigt zu haben,“ rief jetzt zornig der Herzog, „und wollen weiter nichts wissen? Wenn Sie nicht augenblicklich Alles offen erzählen, lasse ich Sie verhaften!“

„Ich stehe jeden Augenblick zur Verfügung!“

Jetzt wanke Hedwig herbei, ließ einen entsetzten Blick eine Secunde auf mir ruhen, und bat dann mit aufgehobenen Händen den Bruder um Beschließung der peinlichen Scene.

„Dir zu Liebe!“ rief er. Dann zu mir sich wendend, sprach er: „Sie verlassen augenblicklich dieses Haus! Weiteres werden Sie brieflich von mir hören.“

Als ich mich gewandt, hörte ich die leiser gesprochenen Worte: „Und da declamiren wir immer über Gleichberechtigung der Stände. Es liegt doch etwas im Blute, das von Generation zu Generation zum Edlen aufgezogen, dem Schlechten ferngehalten wurde. Kommen Sie, Werdau!“

Er nahm des Schurken Arm und hieß seiner Schwester den ihres Pathen ergreifen. Unter der Thüre konnte ich mich nicht enthalten, Hedwig einen langen, zärtlichen, meine Unschuld betheuernden Blick zuzuwerfen. Sie nahm ihn staunend auf, ward bleich, und wie vom tödtlichen Stahl getroffen, sank sie zu Boden. Mein Fuß hob sich – doch die Worte des Herzogs, der sich über Hedwig beugte: „Daran ist dieser Bube schuld!“ trieben mich von dannen. –

[659] Die Aufregung schleuderte mir die Feder aus der Hand – jetzt bin ich ruhiger und fahre in der Erzählung fort.

Seit gestern, wo sich das Alles zugetragen, habe ich kein Wort vernommen, welches mir über Hedwig, über den Herzog Kunde gebracht hätte. Ist es nicht natürlich, daß ich wähnen muß, mein guter Genius habe die Fackel gelöscht, und den bösen Geistern der Unterwelt, des Lasters, sei Macht über mich gegeben? Noch gestern eilte ich zweimal zu Werdau, um mein Wort zurückzufordern – beide Male: Nicht zu Hause! Als ich heute Morgen wieder kam und der Diener Miene machte, dieselbe Antwort zu geben, warf ich ihn über den Haufen und trat ohne Weiteres in das nächstliegende Zimmer.

Auf dem Sopha ausgestreckt, eine Cigarette im Mund, die Morgenzeitung in der Hand, lag Werdau da. Bei meinem stürmischen Eintreten sah er auf, und ehe ich sprechen konnte, rief er mir entgegen:

„Ah, herrlicher Junge! Haben sich vortrefflich gehalten, auf Ehre. Ihr point d'honneur ist über alle Zweifel erhaben. Bitte, setzen Sie sich! Ich werde mir eine Ehre daraus machen, mit einem so braven Cameraden Brüderschaft zu trinken!“

Gottfried! Ich riß ihm das Zeitungsblatt weg, mit dem er das Gesicht halb bedeckte, und forderte in so wenig Worten als nur möglich mein Ehrenwort zurück, da ich es haben mußte, um mich bei den sich schändlich betrogen Glaubenden zu rechtfertigen.

„Und wenn ich Ihnen Ihr Ehrenwort nicht zurückerstatte?“ versuchte er leichthin zu fragen, doch las ich die Angst auf seinem Gesichte. Er wollte sich vergewissern, ob mein Schweigen sicher, ehe er wagte, sich zu weigern.

Mit übermenschlicher Kraft hemmte ich meine Wuth und trat vor ihn hin, der jetzt aufgestanden war. Beide Augen fest auf die seinen gerichtet, sprach ich, langsam jedes Wort betonend: „Für Sie giebt es kein Wenn mehr! Mein leichtsinnig gegebenes Wort habe ich in der gestrigen Stunde gesühnt, jetzt bleibt Ihnen nichts mehr zu thun, als es zu meiner Rechtfertigung mir zurückzugeben; Sie haben mir die Achtung derjenigen Menschen geraubt, an deren Achtung mir auf Erden am meisten liegt, haben meinem Namen einen Flecken angehängt, an dessen Folgen ich vielleicht für immer zu büßen habe. Sie können nicht die Niederträchtigkeit so weit treiben, Ihr schändliches Spiel fortzusetzen. Daß Sie es wissen, meine Name, meine Ehre, mein Leben hängt daran,“

„Regen Sie sich nicht so auf, junger Mann, und hören Sie jetzt mich! Ich habe meinem Onkel das Bild als gekauft überreicht; noch an demselben Tage ließ er ein Testament anfertigen, in dem ich als Universalerbe seiner Güter und Titel eingesetzt bin und das schon sicher deponirt ist. Erfährt der gute Mann nur ein Wort der ganzen Geschichte, so ist es für immer mit mir aus. Er wird mich nicht nur enterben, sondern auch die jährlichen Zuschüsse, deren ich nicht entrathen kann, einstellen. Also ist meine Zukunft, natürlich mein Name, meine Ehre, vielleicht mein Leben hier auch im Spiele. Nun frage ich Sie – die Thatsache, daß Jeder sich selbst am nächsten steht, ganz bei Seite lassend – ich frage Sie, bei wem geht der Welt mehr verloren? Wird sie länger trauern um Walter Impach, Maler, oder um Oscar, Graf von Werdau? Sollten Sie auch nicht ganz einsehen, daß hier das Vorrecht auf meiner Seite liegt, so werden Sie sich der Nothwendigkeit fügen, die dadurch hervorgebracht, daß ich mich zur Zeit vorsah und eben deshalb Ihr Ehrenwort verlangte, weil ich früher oder später die gestrige Katastrophe erwartet. Warum gerade jetzt schon dieser verfluchte Pathe von den Kaffern in Afrika kommen mußte, um unser Spiel zu verderben, frage ich mich allerdings jetzt noch. Und weshalb Sie zugaben, daß die Copie von Ihnen, werden Sie mir besser sagen können, als ich Ihnen.“

Ich stand sprachlos; sollte ich staunen über seine Unverschämtheit, meine Wuth meiner Herr werden lassen? Jetzt trat er zum Fenster, sah einige Augenblicke hinaus, dann mit den Fingern auf die Scheiben trommelnd und nach rückwärts blickend, sprach er:

„Wenn meine Argumente Sie noch nicht überzeugt, so will ich noch ein Wort sprechen, dem Sie gewiß nicht widerstehen. Sie zeigten stets Freundschaft für Prinzessin Hedwig. Nun denn, beweisen Sie, daß diese Freundschaft auch Proben bestehen kann. Nehmen Sie mir Ehre und Vermögen, so rauben Sie ihr den Gatten. Denn ihr das zu werden, war mein Vorsatz. Halten Sie Ihr Wort Hedwig zu Liebe! Und dann vergessen Sie doch nicht, daß ich ja von Ihnen nichts umsonst verlange. Ich stehe dafür ein, daß Sie von Herzog Ernst nicht behelligt werden, und will Sie königlich belohnen, wenn Sie ferner schweigen – will für immer Ihr Glück machen. Ich trete Ihnen mein halbes Vermögen, über das ich gegenwärtig frei verfügen kann, ab – im Betrag von dreißigtausend Thalern.“ Er sprach das nachdrucksvoll, jedes Wort betont mit dem Ausdruck der Siegesgewißheit.

Gottfried! Ich hielt mich nicht länger. Wo wäre auch der [660] Mensch, dem bei solchen Worten nicht die Geduld risse? Für Alles konnte ich ihn mit Verachtung strafen – auf solchen Hohn gehörte eine andere Erwiderung. „Auf alle Ihre Sophismen und Beleidigungen, Herr Graf, habe ich nur eine Frage: Wollen Sie mir augenblicklich mein Wort zurückgeben?“

„Ich müßte des Teufels sein, wenn ich es thäte!“ war seine freche Antwort.

„Dann sind Sie ein doppelter Schurke!“

„Noch ein Wort!“ schrie Werdau auffahrend, „und ich lasse Sie von meinem Bedienten hinauswerfen.“ Er wollte zum Schellenzug springen. Ich aber trat ihm mit gehobener Faust entgegen.

„Noch einen Schritt, und ich schlage Sie zu Boden, Elender! Eigentlich haben Sie das Recht des Edelmannes verscherzt, aber in meiner entsetzlichen Lage bleibt mir nichts übrig, als über Ihre Niederträchtigkeit hinweg zu sehen. Ich werde Ihnen sofort meine Secundanten schicken.“

„Bilden Sie sich ein,“ rief der Schamlose, „daß ein Kleckser wie Sie einem Edelmanne satisfactionsfähig sei?“

„Wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie wie einen Hund auf offener Straße durchpeitsche, so werden Sie wohl daran glauben müssen.“

Diese Worte, mit vor Wuth bebender Stimme herausgestoßen, fruchteten.

„Das werden Sie mit dem Leben bezahlen,“ knirschte Werdau, nun seinerseits todtenblaß geworden, „ich erwarte Ihre Cartellträger noch heute.“

„Das ist auch das Einzige noch, was Sie von mir zu fordern haben!“

Mit diesen Worten entfernte ich mich, um sofort die nöthigen Schritte zu dem Gange auf Leben und Tod einzuleiten. Wenn ich falle, mein Herzensfreund, dann eile sogleich hierher, um Hedwig meine Unschuld darzulegen. Ich werde mein Testament, in welchem ich Dich zum Universalerben einsetze, nebst einem letzten Wort an sie bei Gericht deponiren. Du hörst bald oder nie mehr von Deinem
Walter.     


15.


Theurer Gottfried!

Ob das Schicksal mich zu neuen Leiden aufgehoben, oder ob mir noch ein Stern der Erlösung aufgehen soll, wer weiß es – genug, ich bin heute im Stande Dir zu schreiben, weil ich in dem Todesgange mit einer leichten Verwundung in die linke Schulter davongekommen. Doch höre den Verlauf! Von Werdau weggeeilt, ersuchte ich zwei befreundete junge Rechtsbeflissene, mir in dem ernsten Vorhaben als Secundant und Zeuge beizustehen. Ich theilte ihnen den Sachverhalt nur so weit als unerläßlich mit. Beide machten mich darauf aufmerksam, daß Werdau, bevor er seinen Abschied nahm, für einen der besten Pistolenschützen der Armee galt, und daß ich daher in meinem Interesse eine möglichst scharfe Forderung stellen müsse, was sich bei mir von selbst verstand. Die beiderseitigen Secundanten setzten, des Ernstes der Sache wegen, einen schriftlichen Vertrag auf, in welchem folgende Bedingungen stipulirt wurden: „Zehn Schritte Ziel, gezogene Pistolen, dreimal Kugelwechsel.“ Das Zusammentreffen war im Wildpark Morgens um acht Uhr. Meine Secundanten brachten einen Militärarzt mit.

Ich schlummerte nur ein paar Stunden. Den größten Theil der Nacht brachte ich zu, um meine Papiere zu ordnen, meinen letzten Willen niederzulegen, den ich am Morgen noch von meinen beiden Freunden beglaubigen ließ, und an Hedwig zu schreiben, worauf ich Alles versiegelt meinem Secundanten einhändigte. Die Empfindungen, von denen ich so oft bei solchen Gelegenheiten gehört und gelesen, waren mir ganz fremd. Mein Leben hatte allen Reiz für mich verloren, und nur heiliger Zorn erfüllte mich, den Verbrecher zu strafen, der im frevelhaften Leichtsinn und Egoismus mit Ehre und Leben seiner Nebenmenschen gespielt. Meine Begleiter machten mir sogar ihre Bemerkungen über mein gutes Aussehen. Die Secundanten haben’s freilich bequem, es leicht zu nehmen.

Wir waren die Ersten an Ort und Stelle; schon ein paar Minuten nach uns kam der Gegner in einem Wagen mit seinen Secundanten und einem zweiten Arzte. Der Vertrag wurde verlesen, und in zwei Abschriften von Gegnern, Secundanten und Zeugen unterschrieben. Dann beschäftigten sich die Zeugen mit dem Laden von Pistolen, worauf eine Distanz von zehn Schritten abgemessen ward und die beiden Endpunkte, an welchen wir uns aufzustellen hatten, mit in den Boden gestoßenen Stöcken bezeichnet wurden. Für das Zielen wurde so viel Zeit eingeräumt, bis der Secundant des Geforderten langsam Sechs gezählt. Beim üblichen Aussöhnungsversuche beharrte Werdau auf seiner Weigerung, mir das Ehrenwort zurückzugeben, oder die Sache auf eine andere Art zu repariren. Das Duell nahm also seinen Verlauf. Die Secundanten händigten uns die Pistolen ein; die toddrohenden Mündungen waren jede auf ihr Ziel gerichtet, der Secundant des Gegners begann zu zählen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs; schon bei „vier“ waren beide Schüsse fast gleichzeitig gefallen.

Wir standen Beide noch fest. Mein Zeuge frug mich leise, ob ich Schmerzen spüre; als ich verneinte, schüttelte er bedenklich den Kopf. Wie er mir nachher mittheilte, hatte er ein Loch in der Mitte meines Rockes bemerkt, und weil ich unerschüttert dastand, geschlossen, daß ich nur einen Streifschuß habe, da diese Art von Verwundungen gewöhnlich heftig zu schmerzen pflegt, während Kernschüsse in den ersten Minuten kaum verspürt werden. Er schloß also auf Schlimmes. Doch schon wurde das zweite Paar Pistolen vertheilt. Von Neuem begann das verhängnißvolle Commando: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Bei dem Rufe „fünf“ waren die beiden Schüsse wieder fast gleichzeitig gefallen. Während ich noch fest stand, wankte Werdau und stürzte einige Secunden darauf. Seine Secundanten sprangen mit den Aerzten hinzu, während meine Zeugen mich selbst untersuchten. Sie hatten in meinem Rocke zwei Löcher wahrgenommen. Die Untersuchung ergab, daß mein Gegner zwei Kernschüsse gethan – und doch war ich wunderbarer Weise unverletzt. Beide Kugeln waren, Rand an Rand, durch Rock und Beinkleider gerade in die Biegung des Kreuzes gegangen, ohne auch nur die Haut zu verletzen. Meine Secundanten konnten ihren Augen kaum trauen, bis sich das Wunder durch den Umstand aufklärte, daß ich den Rock aufgeknöpft gehabt, und mich stark im Kreuz gebogen hatte, wodurch der Gegner verführt worden war, gerade die Stelle für den Mittelpunkt meines Leibes zu halten, wo das rückwärts gebogene Kreuz einen Einschnitt bildet.

Meinem Gegner war es nicht so gut ergangen. Meine zweite Kugel hatte ihm die rechte Hand zerschmettert, und die Untersuchung zeigte erst, daß auch die erste Kugel in der Hüfte saß. Er mußte alle Energie aufgeboten haben, um sich zum zweiten Schuß aufrecht zu halten, bis die Verletzung der Hand ihn gar hinwarf. Werdau zeigte aber trotz seines Blutverlustes eine Leidenschaft und Energie, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Er forderte heftig den dritten Schuß, indem er erklärte, sich dabei der linken Hand bedienen zu wollen. Als er sich aber aufrichten wollte, sank er auf’s Neue hin, und die Secundanten versuchten nun, eine Versöhnung herbeizuführen. Werdau weigerte sich mit wütenden Worten und bestand darauf, daß auch die dritten Schüsse abgefeuert werden sollten. Schon nahmen die Secundanten wieder ihre Stellungen mit der Pistole in der Hand ein, um jede Unregelmäßigkeit der Gegner sofort blutig strafen zu können. Werdau versuchte sich mit Hülfe seiner Zeugen emporzurichten, allein er sank sofort wieder zusammen.

Jetzt stellte er mit blutlechzender, rauher, halb röchelnder Stimme das Verlangen, seinen Schuß liegend abzufeuern. Seine Secundanten warteten nicht den Protest der meinigen ab, sondern stellten ihm die Ungehörigkeit dieser Forderung und deren Unverträglichkeit mit den Gesetzen des Duells vor. Er stieß gegen Alle einen häßlichen Fluch aus. Da trat ich selbst vor und erklärte, um der unwürdigen Scene ein Ende zu machen, daß ich seiner Bedingung mich fügen wolle.

Zögernd und protestirend nahmen die Secundanten ihre Stellungen ein, und wieder erschallte das Commando. Werdau schoß und ich fühlte einen Schlag in der linken Schulter, dem das Gefühl des rinnenden warmen Blutes folgte. Ich war mit dem Vorsatze auf dem Platze erschienen, meinen Gegner nicht zu schonen, allein als ob eine unsichtbare Gewalt sich meiner bemächtigte, ich hob in demselben Moment die Waffe und rief: „Ich verzichte auf meinen Schuß!“

Noch einmal schrie Werdau, mit Schaum vor dem Munde, [661] nach frischen Pistolen, allein jetzt legten sich seine eigenen Secundanten mit allem Ernste in’s Mittel, sich auf den geschriebenen Vertrag berufend, welcher nur dreimaligen Kugelwechsel vorgeschrieben hatte. Sie erklärten das Duell für beendigt und machten, unbekannt mit der tiefen Ursache unseres Zwistes, noch einen Versöhnungsversuch. Werdau stieß ihn mit Wuth zurück, und ich selbst, von der Unmöglichkeit durchdrungen, mit dem Manne je wieder zu verkehren, bewog die Anwesenden, sich mit der gegenseitigen Erklärung zu begnügen, daß wir uns, um unwürdige Scenen zu vermeiden, künftig als nicht vorhanden betrachten würden. Nach einigen Minuten brachte der Secundant meines Gegners die Zusage, und die Aerzte schickten sich nun an, die Wunden zu verbinden.

Die meinige war nur ein Streifschuß, der den fleischigen Theil der Schulter durchbohrt hatte und in ein paar Wochen geheilt sein wird. Werdau wird länger zu laboriren haben. Obgleich seine Leute die Bedeutung der Wunde zu verheimlichen suchten, merkten wir doch so viel, daß die Kugel aus der Hüfte herausgeschnitten werden muß und daß ein Knochen seiner Hand zerschmettert ist.

Und nun wäre der Ort, wenn meine Stimmung es erlaubte, einen Epilog über den Sinn des Duells zu halten. Denn ich bin nach demselben genau so weit, wie vorher. Ich kann nur sagen, daß mich, was da auch komme, mein plötzlicher Entschluß, den Gegner zu schonen, nicht reut. Warum sollte ich meine Hand mit dem Blute eines Elenden beflecken und mein Gewissen noch beschweren, wo meine Seele mehr der Leiden zu tragen hat, als meine Kraft vermag!

Was soll aus mir werden, Freund? Alle meine Lebenshoffnungen sind dahin. Vielleicht bist dennoch Du zu meinem Tröster bestimmt. Sobald meine Wunde geheilt ist, werde ich in Deine Arme eilen.

Auf ewig
Dein Walter.     


16.


     Amalie!

Aus tiefem, ohnmächtigem Schlummer bin ich mit einem Schrei des Entsetzens erwacht. Mein Traum mit seinen Freuden und Leiden ist zerstoben vor dem grellen Licht des Tages, und an seine Stelle eine Wirklichkeit getreten, deren lichteste Seiten mich mit Grauen erfüllen.

Elender, gottloser Betrug geschah in diesem unserem Hause; an der Stelle des Rembrandt’schen Meisterstückes hängt eine Copie von frevelhafter Hand vertauscht. Ich stand dabei, als der Betrug erkannt wurde. Ich sah mit eigenen Augen, wie Walter Impach beim Anblick dieses Bildes todtenbleich wurde; ich hörte mit diesen Ohren, wie er zugestand, daß es von seiner Hand angefertigt worden. Ich sah ihn im Saal umherblicken, ob nicht ein Antlitz zu erspähen wäre, das ihm Beistand verhieß. Auch ich mußte wie mein armer betrogener Bruder glauben, dieser Mensch habe Vertrauen, Gastfreundschaft, was es auf Erden Heiligstes giebt, verrathen und in den Pfuhl des Verbrechens getaucht. Ich bebte an allen Gliedern und konnte die Möglichkeit solcher Heuchelei nicht fassen.

Auf meine Bitte schloß Ernst die peinliche Scene, indem er dem Schuldigen befahl, sich zu entfernen. Meine Augen suchten ihn noch einmal, als er schon auf der Schwelle war; da kehrte er sich, Amalie, und sandte mir einen Blick zu, in dem eine Seele, ein ganzes Menschenleben lag. Es war der Aufschrei eines mißhandelten Geschöpfes, das den einzigen Protest seiner Unschuld durch einen Blick kundthat. Wie Zauber wirkte dieser Blick auf mich. Ich fühlte, daß Erde und Himmel sich vereinigen, die gesammte Menschheit mein Ohr mit den überzeugendsten Gründen bestürmen durfte, um seine Schuld zu beweisen; dennoch hätte ich Allen zum Trotze diesem einen Blicke geglaubt. Er hatte mich nicht nur zum Fürsprecher des jungen Mannes gemacht, – nein, ich selbst war Walter Impach vom Wirbel bis zur Sohle.

Warum soll ich diese ungenügenden Worte brauchen, um Dir meinen Seelenzustand zu schildern, wenn ich mit vier Silben es besser sagen kann als mit einem Buche voll Beschreibungen: „Ich liebe ihn!“

Nicht wie von Engelsstimmen in die Lüfte getragen, erklingen in meinem Falle die drei beseligenden Worte – wie der erste erschütternde Donnerschall eines ausbrechenden Gewitters schlugen sie an mein Herz. Ich fiel wie todt zu Boden. Als ich aus meiner Ohnmacht mich erholt, saß Ernst zu meiner Seite, das Haupt gesenkt, mit beiden Händen eine der meinigen erwärmend.

„Arme Blume,“ sprach er, „über die schon früh der kalte Frost dieser elenden Welt sich ausbreitet! Wie gern hätte ich Dir diesen Auftritt erspart, der Dich gegen Menschen von der Art dieses Nichtswürdigen heiligen Abscheu fassen lassen muß! Doch tröste Dich! Ein solcher Wolf im Schafspelze ist auch mir in meiner reichen Erfahrung noch nicht begegnet.“

Liebe Amalie! nicht wahr, auch Du hättest zum ersten Male dem Bruder kein Wort geglaubt? Ich mußte aber sanft zu Werke gehen, wollte ich wirksam sprechen:

„Steigt Dir gar kein Zweifel an der Schuld des Malers auf? Seine Kunstliebe ist groß, doch kann er das Bild nicht bergen. Warum sollte er es nehmen, wenn er seine Augen nicht daran ergötzen darf?“

„Unschuldiges Täubchen! Nicht von Kunstliebe kann hier die Rede sein. Der Mensch hat als Agent irgend eines anderen Bösewichts um elenden Geldgewinn gehandelt. Er ist arm und kann also leicht durch irgend eine kolossale Summe verblendet worden sein.“

„Der alte Baron Gerhardt?“ wagte ich zu flüstern.

„Pfui, Hedwig! Dein Sinn verwirrt sich in diesem Labyrinth von Schlechtigkeit. Ein Edelmann von echter Race ist solcher Schandthat nicht fähig.“

„Was wirst Du thun?“ preßte mir meine Angst aus.

„Dem jungen Manne kurze Zeit zum Insichgehen gönnen. Wäre blos das Bild im Spiele, ich ließe es fahren und thäte in der Sache nichts mehr. Aber einen Elenden dieser Sorte ungefesselt, ungestraft im Lande umhergehen zu lassen, widerstrebt meinem Gerechtigkeitssinne. Versuche die ganze Geschichte zu vergessen, mein Herz! Auch ich werde mich bemühen, nicht mehr daran zu denken, bis ich muß.“

Meine Stirn küssend, verließ er mich.

Kaum war ich allein, so sprang ich auf; denn der Kampf in meinem Innern erlaubte mir keine Ruhe mehr. Die ganze Geschichte vergessen, Ernst? Das hieße aufhören zu sein, hieße sterben.

Ich überblickte die letzten Monate meines Lebens, das ungestörte Zusammensein mit dem Manne, an dem ich gefrevelt. Ja, gefrevelt, Amalie, denn wie konnte ich nur blind sein für die tausend Beweise seiner Liebe, die ich täglich, stündlich empfing und hinnahm, als gehörten sie zum Leben! Und nun, wie werde ich ohne sie bestehen können, wie seine Entfernung ertragen!

Ich sehe in der schrecklichen Entdeckung, die ich in meinem Herzen machte, die gerechte Strafe für die Arroganz unseres Standes, welchem es ebenso unmöglich däucht, eine seiner Töchter könne in einen bürgerlichen Jüngling sich verlieben wie in einen Schooßhund. Aber warum muß ich des ganzen Standes Vergehen sühnen? Warum muß ich im entsetzlichen, seligen Momente, wo ich sehe, daß ich ihn mit der ganzen Gewalt meiner Seele liebe, ihn zugleich geschmäht, gehöhnt, erniedrigt vor mir dastehen lassen?

Und ich kann nichts in meiner Ohnmacht. Ernst den Blick der Rechtfertigung beschreiben? Solche Sachen lassen sich nur fühlen und nicht sprechen. Alle Gründe sind gegen ihn. Warum hielt er die Copie geheim? Warum erblaßte er zum Tode, als er befragt wurde? Endlich warum reinigt er sich von seiner Schuld nur bei mir?

Amalie, ich rede im Wahnsinne. Er wird wohl wissen, warum das Alles geschah, und ich bin die Thörin, die ihm nicht vertraut, wie das Mädchen dem Manne vertrauen soll, den es liebt.

… Soeben wurde ich im Schreiben durch die Meldung gestört, Fürst Arsent harre im Salon, und da Ernst ausgegangen und Cousine Dorothea über den „schamlosen Heuchler“ den Kopf verloren hat, so mußte ich mich bequemen, ihn zu empfangen. Ich vermochte kaum ein Lächeln auf die Lippen zu rufen und die Worte fehlten mir, als die erste Begrüßung vorüber war. Arsent enthob mich der Mühe, das Gespräch zu führen. Er erzählte – ich verstand ihn kaum, nur hier und da aufgefangene Worte ließen mich den Sinn errathen –, er erzählte, wie sein Vater [662] der Einsamkeit auf seinem Schlosse müde sei und ihn zurückrufe, um die letzten Tage eines alten Mannes zu erheitern. Als Arsent so weit gekommen, stand er auf, trat vor mich hin, und als ich erstaunt aufblickte, sprach er ernst:

„Bei Ihrer edeln, stets gleichgroßen Liebenswürdigkeit war nicht zu erkennen, ob Sie einem oder dem andern von Ihren Anbetern den Vorzug gaben; ich hege also gar keine und jede Hoffnung. Daß ich nur im Lichte Ihrer Augen lebe, wissen Sie längst –; darf ich also fragen, ob meinem alten Vater die frohe Kunde wird, daß bald Prinzessin Hedwig von Waldemberg die verlassenen Räume unseres Schlosses beseelt?“

Das war zu viel, Amalie, in diesem Augenblicke! Doch war’s vielleicht gut. Ich hatte den rechten Muth, zu antworten, den ich bei anderen Umständen aus Rücksicht für meinen Bruder vielleicht schwer gefunden hätte. Ich stand auf und sprach mit abgewandten Augen:

„Wer niemals ein Zeichen der Gunst erfuhr, sollte wissen, daß bei ihm das directe Anfragen ein thörichtes Verfahren ist. In diesem Falle wird es dem Fragenden und dem Antwortenden schwer, Worte zu finden. Wären Sie nicht zu so furchtbar ungelegener Stunde gekommen, ich würde sagen, daß mich zwar Ihr Antrag ehrt – daß aber –“

Jetzt trat Ernst ein; ich wollte entfliehen, blieb jedoch auf einen bittenden Blick des Bruders.

Eine Weile noch stand Arsent ganz verdutzt da, bis er durch eine Frage Ernst’s aus seinem Hinbrüten aufgestört wurde. Jetzt ward von gleichgültigen Dingen gesprochen, bis Arsent, der bei der vorgestrigen Scene nicht zugegen war, erzählte:

„Ach, fast hätte ich vergessen Ihnen zu sagen, daß ich heute Morgen Ihrem Maler, Herrn Impach, in einem Wagen begegnete. Mit ihm fuhren ein Wundarzt und zwei Herren, die ich jedoch nicht genau sehen konnte. Was mir besonders auffiel, war, daß Werdau’s Coupé dem Wagen dicht folgte und bei diesem auch wieder zwei Herren saßen. Sollte es sich um ein Duell handeln? Doch was könnten die beiden jungen Männer miteinander gehabt haben? Außerdem würde Werdau mich sicher zum Secundanten gebeten haben.“

Ernst wurde so nachdenklich, daß Arsent die erste gute Gelegenheit wahrnahm, um sich zu empfehlen.

Ein Duell, Amalie! Sprich, war mein Leidenskelch nicht voll genug, daß auch dieser Schreck noch kommen mußte? Doch schimmert aus der Nacht, die mich umgiebt, ein schwacher Hoffnungsstrahl. Wenn Werdau nicht wüßte, daß Walter unschuldig, würde er, welche auch die Ursache sei, mit ihm sich schlagen? Ein Dieb und Verbrecher ist nicht satisfactionsfähig, und dem arroganten Werdau gegenüber schon gar nicht.

Ich habe mich, Schwäche vorschützend, beim Diner entschuldigen lassen, und überlege mir nun in der Einsamkeit meine verzweifelte Lage.

Denke ich an Impach, so wie er stets mir erschien, so springe ich auf und möchte die Welt umarmen vor Freude, daß solch ein Herz mein eigen! Kaum freue ich mich, so eilt mein Geist zu anderen Scenen; der Park im Halbdunkel der Dämmerung, zwei Wahnsinnige, die sich gegenüberstehen – warum? Ein Aufleuchten, der Eine stürzt hin – erst die Bewegung, mit der ich mich auf ihn werfen will, weckt mich aus meinem Traume. Gott sei Dank! Es war nur ein Traum, und dennoch könnte es die Wahrheit sein! Ich muß die Augen schließen und kann das Ungeheure auch so nicht entfernen. Was soll ich thun? Amalie, ich kann nicht einmal weinen, kann durch nichts mich trösten lassen und sehne Dich herbei mit aller Gewalt meiner Seele.

Verzweifelte Auswege bieten sich mir da – es ist wohl die Einsamkeit und Stille der Nacht, die nichts unmöglich erscheinen läßt. Wie werde ich morgen darüber denken? Meine Lage ist freilich auch verzweifelt und paßt zu den Auswegen, ist ihrer ganz würdig.

Ich will von Impach’s eigenem Munde seine Rechtfertigung hören, denn mir gegenüber spricht er sie aus, wenn auch sonst keinem Menschen auf Erden. Doch wie ihn sehen? Ich könnte ihn rufen zur Stunde, wo Ernst sicher abwesend, doch würde Cousine Dorothea Alles erfahren – und Alles zerstören.

Ich frage nichts mehr nach den Vorschriften der Convenienz, weiß ich denn nur, ob die ganze Welt sich durch sie beherrschen läßt, oder ob wir allein es sind, wir, die Bevorzugten, die Unseligen?

Ich sende Fanny mit einer Botschaft an Herrn Impach, er solle morgen Mittag zur Seitenpforte in den Garten kommen, wo ich ihn erwarte.

Was wird er von mir denken? Schlechteres gewiß nicht, als ihm bisher mein rücksichtsloses Verfahren eingab, das mich blind machte für Alles, was um mich vorging. Und ich? Wie werde ich die qualvollen Stunden bis dahin zubringen? Wie oft wird’s mich gereuen, zu ihm gesandt zu haben?

Hätte ich Deinen Beistand, Du wüßtest wohl zu rathen und zu helfen – doch sag’, warum klärtest Du mir den Standpunkt nicht auf? Du mußtest aus meinen Briefen lange vorhersehen, was da kommen sollte! Du hättest mich warnen sollen!

Nimm meine Worte nicht ernst, Amalie. Ich habe nicht offen mit Dir geredet. Doch wie sollte ich Dir die brennende Ungeduld, mit der ich auf Walter harrte, erklären, da ich sie selbst nicht begriff? wie Dir von der namenlosen Trauer, den enthusiastischen Freuden sprechen, die mich selbst mit Entsetzen erfüllen? – Theure, wenn Du mir schreibst, heiße Alles gut, was ich gethan und thue! Bis dahin sind längst die Würfel gefallen und mein Loos besiegelt.
Hedwig.

[675]
17.

Theure Hedwig!

Wenn Du diesen Brief erhältst, ist längst ein zweiter von Dir in meinen Händen, der mich von der Angst befreit, die mir das Blut in den Adern stocken läßt, mir den Athem raubt.

Dennoch kann ich mich nicht enthalten, Dir in der Zwischenzeit zu schreiben, sei’s auch nur, um mich zu rechtfertigen.

Unselige! was soll aus Dir werden? Arme Freundin! Längst schon wußte ich, wie es in Deiner Seele aussah, hatte längst keinen Zweifel mehr, daß Du Dein Herz an diesen Künstler verschenkt, ehe Du ahntest, daß es in Liebe sich hingeben konnte. Wäre dem nicht so, ich müßte meine Hedwig nicht so abgöttisch lieben, müßte mich weniger beschäftigen mit Dem, was ihr Wohl und Wehe betrifft. Doch, Hedwig! so lange Du selbst keine Ahnung von dem hattest, was in Dir vorging, durfte ich nicht die Anklägerin Deines Herzens sein. Du warst wie eine Nachtwandlerin, die, festen, sicheren Trittes an Abgründen entlang schreitend, ohne Unfall, ja, ohne von ihrem Vorgehen etwas zu wissen, in’s sichere Asyl ihrer Behausung zurückkehren, aber auch einem schrecklichen Geschick anheim fallen kann. Ein Warnungsruf, der sie weckt, kann sie auch in bodenlose Tiefen, in ihr Verderben stürzen.

Deshalb, arme Hedwig, mahnte ich nicht. Du wußtest nicht, was Dein rebellisches Herz begonnen; unbefangen gabst Du Dich dem Zauber deines Wesens hin, vielleicht kamst Du gar nicht zur Erkenntniß Deines Selbst. Eine Abwesenheit des Künstlers konnte Anderen erlauben, sich hervorzuthun, und Du lenktest Dein Lebensschifflein ruhig in den Hafen der Ehe ein, ohne zu wissen, an welch’ gefährlichen Klippen es gedroht hatte, zu zerschellen. Wenn ich rief und warnte, war dies nicht mehr möglich – eine Selbsterkenntniß konnte in Drittem Falle gefährlicher, als die Liebe selbst werden, dann war ein bewußtloses Umgehen der Gefahr unmöglich. An Anspielungen habe ich es in meinen Briefen nicht fehlen lassen, und wäre meine theure Hedwig weniger unbefangen gewesen, sie hätte zwischen den Zeilen gelesen und Alarm gerufen. Was ich schrieb, sollte nur Deine Selbsterkenntniß erleichtern, wenn dieselbe auf dem Wege war – das erste Signal durfte ich nicht geben.

Was Du jetzt thun wirst, unglückliches Mädchen? Ich bin hierüber ganz unbesorgt und weiß, daß Dein eigenes Herz Dir nur Edles eingeben wird. Du wirst thun, was Du vor Dir und Deinem Bruder verantworten kannst, und koste es Dir mehr als das Leben.

Doch eine Warnung laß’ Dich nicht verdrießen! Wenn auch nur wenige Jahre älter als Du, so habe ich doch einsehen gelernt, daß der Pessimismus meistens Recht behält. Die Welt ist nun einmal schlechter, als sie in unseren enthusiastischen Jugendträumen sich abspiegelt. Dein Bruder scheint an des Künstlers Schuld nicht zu zweifeln. Du bist seiner Unschuld so gewiß wie Deines Daseins.

Verzeihe, liebe Freundin, wenn ich mich auf Deines Bruders Seite stelle! Seinen hohen Geist, seinen klaren Verstand erhoben wir ja stets Beide auf einen Altar, an dessen Stufen ich heute noch kniee. Wie leicht ist ein unerfahrenes Mädchen bethört, wenn es sich um den geliebten Mann handelt! Du wärst nicht Hedwig, zweifeltest Du einen Augenblick an der Unschuld dessen, der durch Geist und Jugendmuth Dein Herz bezwang. Aber, theure Freundin, wenn Alles, was er bisher gesagt, nur Heuchelei, wenn er wirklich schuldig, dann spricht Dein Herz nicht für ihn, denn eine Maske kann nicht bleibenden Eindruck auf Dich machen. Prüfe, prüfe Alles wohl, Hedwig! Und ach, vor Allem verlasse Dich auf Deinen Bruder, der noch keinem Menschen ungerecht gezürnt! Ich habe mich in Deine Lage hineingedacht und glaube, daß ich nicht wie Du an Ernst’s Worten gezweifelt hätte, vielmehr in Zorn aufgelodert wäre gegen einen Menschen, der also des edelsten Mannes Güte und Vertrauen mißbraucht. Ueberzeugst Du Dich, daß er Deiner Liebe nicht werth, so ersparst Du Dir, ach! wie viel Schmerzen – alle Qualen einer Entsagung.

Wo waren Deines Bruders Gedanken, daß er nicht sah, wie es um unsere Hedwig stand? Hat er vielleicht das Herz gefunden, mit dem sich zu verbinden sein Dasein verschönert?

Ich schließe in Herzensangst – um Dich, und kann nur hoffen, daß ein Brief von Dir mich in wenigen Tagen aus allen Nöthen befreien wird. Deine treue Schwester

Amalie von Hohenlicht.




18.

Gott sei Dank! Mit wie viel Stoßseufzern hat sich der Ausruf schon meiner Brust entrungen! Er ist auf Gottes Erde das unschuldigste, edelste, meiner Liebe würdigste Geschöpf. Und ich hatte sechs Tage verlebt, Amalie, sechs Tage, mit denen ich mir alle Freuden des Paradieses erkauft haben muß.

Doch Du brennst vor Begierde, zu wissen, was geschehen? So höre denn – wenn Du nicht schon, von Unruhe gepeitscht, auf dem Wege hierher bist. Ich konnte nichts schreiben als [676] Thränen – und die brauche ich selbst, um den Brand in meiner Brust zu löschen.

Als Fanny das Haus des Malers betrat, war dort Alles Unruhe, Aufregung. Ein Duell hatte wirklich stattgefunden; Walter war verletzt, Werdau tödtlich verwundet. So viel vernahm das Mädchen aus der geschwätzigen Hausfrau Andeutungen. Als die Einfältige dennoch ihren Auftrag erklärte, rief die Frau mit gegen Himmel gekehrten Augen: „Der arme Herr! Das wird lange dauern, bis der wieder zum Hause hinaus kann!“ Fanny ging alle Tage, sich nach Walter’s Befinden zu erkundigen. Am sechsten Tage ließ er mir sagen, er wolle Abends im Garten sein.

Ich ließ im Pavillon heizen und war glückselig zu sehen, daß Cousine Dorothea sich schon um vier Uhr zurecht machte, um einen langen Abend bei einer Pensionsfreundin (sie hat noch solche!) zuzubringen. Ernst ging in eine abendliche Commissionssitzung. Daß mir das Herz gewaltig kopfte, wie Fanny kam und meldete, Herr Impach sei im Pavillon, kannst Du Dir denken. Ich hatte meinen Pelz kaum umgeworfen, als mein Gewissen sich gegen das, was ich thun wollte, empörte und mich noch zur rechten Zeit zur Besinnung brachte. Unmuthig warf ich den Pelz auf einen Divan und dachte dabei: „Habe ich alle Fehler unseres Standes, Anmaßung, Einbildung, so sei wenigstens eine der dazugehörenden Tugenden geübt! Einer Waldemberg geziemt es nicht, heimliche Stelldicheins im Garten zu geben. Mit offenem Visir sei gehandelt!“

„Führen Sie Herrn Impach in mein Boudoir!“ befahl ich Fanny.

Ob die Gewißheit, daß Dorothea und der Bruder nicht hineinkommen würden, nicht einen großen Theil zu diesem heroischen Entschluß beitrugen? Bleich vor Aufregung, unsicheren Schrittes betrat ich das Zimmer, wo er meiner harrte. Er erhob sich mühevoll und schritt mir langsam entgegen.

„Ich konnte mich nicht früher Ihrem Wunsche fügen – eine leichte Wunde in der Schulter –“

„Sie hatten ein Duell mit dem Grafen von Werdau?“

„Auch das wissen Sie?“

„‚Auch das‘?“ sprach ich jetzt zögernd, „soll das ein Eingeständniß Ihres Fehlers sein? Sollten Sie wirklich schwach gewesen sein?“

„Das glauben Sie?“ frug er jetzt, zurückweichend und eine Stuhllehne zur Stütze ergreifend. „Sie haben einen Augenblick geglaubt, daß ich der niederträchtigste Schurke auf Gottes weiter Erde sei, und rufen mich zu sich, um das Geständniß von meinen Lippen zu hören? Mein Gott!“

Er fiel ermattet in einen Sitz, und ich glaubte, eine Ohnmacht wandle ihn an. Doch nein! Der gespannte, auf Antwort harrende Ausdruck seines Gesichts ließ nicht nach; flehend waren seine Augen auf mich gerichtet.

„Im Gegentheil!“ sprach ich jetzt leise. „Ich bin die Einzige, welche an Ihrer Unschuld nicht gezweifelt, nie gezweifelt hat – doch erklärt will ich Ihr eigenthümliches Benehmen wissen!“

Er erfaßte den Saum meines Kleides, und ihn dankbar küssend, rief er aus: „Ich Unglückseliger – das Einzige, durch welches ich meinen Dank beweisen könnte, darf ich nicht sagen – ich bin – Gott! – durch ein Ehrenwort gebunden.“ Die letzten Worte klangen wie ein Schmerzensschrei aus angstbekommenem Herzen.

„Ein Ehrenwort?“ frug ich jetzt, nachdenklich werdend. Mein Blick streifte kaum sein banges Antlitz, das bleich vom vielen Blutverluste, – auf dem in der Binde ruhenden Arm blieb er haften. Wie mit mir selbst redend, sprach ich vor mich hin: „Ihr Ehrenwort? Ein Duell mit Werdau? Gerechter Himmel, ich begreife! Galt ihm das Ehrenwort, um seine Schuld zu decken?“

„Schweigen Sie, um Gotteswillen schweigen Sie! – Ich darf mein Wort nicht brechen.“

„Nein, aber ich auf Ihrer Stirn, in Ihren Blicken die Wahrheit lesen, wie ich bisher gethan. Daran kann kein Elender mich hindern.“

Ich durchschaute Alles. Werdau hat das Bild für seinen Onkel gestohlen – wer weiß, durch welche Teufelskünste er Walter vermocht, ihm eine Copie anzufertigen, und diesem seine Schandthat verheimlicht. Einem solchen Menschen gegenüber sein Ehrenwort heilig halten, ist Narrheit. –

Ich schritt auf ihn zu, und mit gebieterischer Handbewegung ihn zum Sitzenbleiben nöthigend, rief ich im höchsten Affecte: „Werdau ist der Elende. Kein Wort wußten Sie von dem Betruge, bis mein Bruder ihn entdeckte. Sie machten die Copie, ohne zu ahnen, welchem Zwecke sie dienen sollte. Leugnen Sie, wenn Sie dürfen!“

Er wandte das Gesicht ab, bedeckte es mit beiden Händen, und dumpf klang es an mein Ohr:

„Ihnen mag ich keine Unwahrheit sagen; es ist so.“

„Dann bindet Sie auch kein Wort mehr. Das Duell hat Ihnen Ihre Freiheit zurückgegeben.“

Er blickte mich jetzt wieder an, doch waren seine Augen glänzend, als bärgen sie Thränen. Ich setzte mich ihm gegenüber und forderte ihn nach kurzer Pause auf, mir Alles zu erzählen. Stückweise kam sein Geständniß. Ich wußte Alles, nur nicht was er in jener Schreckensstunde gelitten.

„Solche Folter, solch unsägliche Qual, wie ich ausgestanden, konnten allein den Blick entschuldigen, den ich zum ersten Male in meinem Leben wagte, auf Sie zu richten. Ohne jene Stunde wäre das Geheimniß meines Herzens der Prinzessin verhüllt geblieben. Auf den Knieen möchte ich um Vergebung flehen, flehen, daß die Schuld jenes Momentes mir nicht die Pforten meines Paradieses verschließt; auf mehr als einen Gruß von Zeit zu Zeit hoffe ich ja nicht!“

Er war aufgestanden und hatte die letzten Worte abgewandt herausgepreßt. Ich hielt mich nicht mehr. Mit einer raschen Bewegung war ich an seiner Seite und hatte die Hand auf seine Schulter gelegt. Ich stand hinter ihm, und meiner selbst nicht recht bewußt, ergoß sich heftig der Strom meiner Rede.

„Das also wäre Ihre Meinung von mir? Freilich, eine Prinzessin ist monatelang das Ziel der bescheidensten, hingebendsten Anbetung, sieht ein außerordentliches Talent sich kund thun, jede ritterliche Tugend, den Muth an der Spitze, nach und nach sich entfalten, sieht dann den Besitzer alles Dieses bei seinem leichtsinnig gegebenen Ehrenworte, einem Schurken gegenüber, um den Preis seines Namens, seiner Ehre, seiner Liebe beharren, sieht ihn glänzend gerechtfertigt, und bleibt bei Alledem – kalt wie Marmorstein. Glauben Sie wirklich, Herr Maler, eine Prinzessin habe kein Herz – kein Gefühl? Schenkten Sie Ihre Liebe wirklich einer Wachspuppe? Glaubst Du nicht, Walter, daß auch ich lieben kann wie Du? Wer weiß, vielleicht – vielleicht doch …!“

Ich lachte und schluchzte zugleich, und als er sich umwandte mit einem Gesicht, noch zehnmal bleicher als es vorher gewesen, da – fiel ich ihm um den Hals, Amalie, und habe geweint, wie niemals in meinem Leben, weil ich bisher nur Schmerzensthränen vergoß – die Thränen, die ich nun weinte, waren helle, reine Freudenthränen! Was er mir gesagt hat, ich weiß es nicht zu wiederholen; es ist wahrhaftig der Mühe werth, Prinzessin zu sein, wenn nur der Glaube an eine Unmöglichkeit des Erfolges bei Männern solch wahnsinnige Leidenschaften hervorrufen kann. Daß ich die Seligste auf Erden, kannst Du Dir denken. Was aber nun?

Ich gehe morgen zu Ernst und beichte ihm Alles. Wie wird ihn die Rechtfertigung Walter’s freuen, wie ihn seiner Hedwig Liebe in Erstaunen setzen!

„Deine Ahnmütter folgten nicht wie die Schäferinnen dem Triebe ihres Herzens!“ hat er einst gesagt. Lag in den Worten ein Verbot, eine Warnung? Eine Welt könnte zwischen Walter und mich treten, sie trennte mich nicht mehr von ihm. Man rühmt an unserem Geschlechte die unverwüstliche Ausdauer – sie soll einmal auf die Probe gestellt werden. „Sterben oder siegen“ sei mein Losungswort. Ernst wird, wie ich einst, Bedenkzeit verlangen. Wie, wenn Du – Amalie, Deinen Einfluß – ich allein kenne ihn – auf ihn ausübtest und Mutterstelle an mir verträtest? Meine arme Mutter, das weiß ich, wäre meinem Walter günstig; eine Locke ihres Haares, die ich stets auf dem Herzen trage, lag – fiel einst auf Walter’s blondes Haupt. Ich hatte Mühe, sie wieder zu finden, so ähnlich ist die Farbe seiner Haare denen der armen Mutter.

Jetzt, Amalie, lebe wohl! Noch muß ich Zeit gewinnen, mir Muth einzusprechen zum morgigen Tag. Ob dem General wie mir zu Muthe, wenn er in die Schlacht reitet? Gute Nacht, Amalie! Mögen alle guten Engel mir morgen beistehen!
Deine Hedwig.     

[677]

19.

Ich zittere dermaßen vor Aufregung, Amalie, daß ich nicht weiß, ob die Feder meinem Geiste wird als Dolmetscher dienen, ob Du die wankenden Zeichen wirst entziffern können.

Ich hatte gebebt, Ernst beim Frühstück zu begegnen. Da ließ er zum Glück sich entschuldigen und blieb auf seinem Studierzimmer. Kaum war ich Cousine Dorothea glücklich losgeworden, als ich wankenden Trittes den Weg zur Bibliothek, wo Ernst sich befand, einschlug. Ich öffnete und glaubte am besten Muth zu erlangen, wenn ich sofort den Grund meines Kommens erkläre. Ernst schritt im Zimmer auf und ab; er hatte mein Eintreten überhört und wandte mir noch den Rücken, als ich schon rief:

„Ich bringe fröhliche Botschaft zum Guten Morgen, Ernst.“

Als er sich umwandte, sah ich, daß es ihm Mühe kostete, mich mit dem gewöhnlichen Lächeln zu empfangen; er hielt einen Brief in den Händen und sprach, nachdem er mir die Stirn geküßt: „Ich war nicht so glücklich wie Du, meine Hedwig. Schändliches, Unglaubliches mußte ich aus diesem Briefe vernehmen.“

„Ernst, Du machst mir Angst; darf ich erfahren, was er enthält?“

„Jawohl mußt Du es erfahren, mein Kind, auch wenn es Dir nur als Warnung gilt, fernerhin dem ersten Besten zu trauen.“

„Meine Nachricht lehrt das Gegentheil!“

Er achtete nicht viel auf meine Worte; mit verfinsterter Stirn blickte er wieder auf den Brief; kurze Ausrufungen, die Empörung, Aerger, Erstaunen ausdrückten, waren Alles, was ich eine Zeit lang vernahm. Dies war kaum der Moment, um mit meiner Nachricht herauszurücken. Ich mußte günstigere Stunden abwarten. Wenn wir lieben, Amalie, machen wir alle Diplomaten der Erde zu Schande.

„Kannst Du’s glauben, Hedwig,“ begann endlich der Bruder, noch immer starr auf das Blatt Papier blickend, „daß Werdau, in den ich solches Vertrauen setzte, den ich oft meinen besten Freund nannte, eine Schändlichkeit begehen konnte, wie sie selten vorkommt?“

Ich wollte ihn unterbrechen, doch ungehindert fuhr er fort:

„Ich bekomme heute Morgen einen Brief vom alten Baron Gerhardt, worin er sich der ärgsten Ausdrücke bedient, um seines Neffen Betragen zu schildern. Sein anderer Neffe, Werdau’s Mitbewerber um des reichen Onkels Vermögen, bekam, wer weiß auf welche Art, Wind von dem Auftritte der vorigen Woche. Glücklicher als ich, spürte er der Sache auf den Grund und entlarvte Werdau, der eine Schändlichkeit begangen, welche mich berechtigt, ihn, einen Edelmann, mit den niedrigsten Namen zu bezeichnen. Hörst Du, Hedwig, ein Edelmann – und Betrüger, Schwindler, Dieb!“

Jetzt blickte Ernst auf und begegnete meinen freudestrahlenden Augen.

„Das ist eben meine gute Nachricht!“ rief ich freudig aus. „Was geht aus der ganzen Geschichte hervor, als daß Impach, der Dir Dein Vertrauen auf die Menschheit geraubt hatte, rein und edel vor uns dasteht?“

„Wie doch so ein kleiner Optimist gleich die gute Seite eines Unglücks erspäht und dem traurigsten Ereigniß eine Freude abgewinnt! Impach war mir bei der Sache gar nicht in den Sinn gekommen; ich gestehe es zu meiner Beschämung. Dem jungen Manne geschah allerdings grausam Unrecht und er hat sein Unglück edel getragen. Ihm muß eine eclatante Rechtfertigung werden. Alles, was wir für ihn thun können, ist nicht zuviel. Wenn wir nur gleich Etwas wüßten, das ihn glücklich machte!“

„Ernst, ich weiß Etwas, das ihn über alle Maßen glücklich machen würde.“

„Sprich, Du schlaues Kätzchen,“ war Ernst’s lächelnde Erwiderung.

Amalie, Du kennst Deinen Hasenfuß und kannst Dir denken, wie mein Herz pochte; ich konnte es hören wie einen Hammer. Die Kniee wanken mir; vor den Augen tanzten goldene Sternchen einen rasenden Reigen; doch ich nahm den ganzen Muth meines Lebens zusammen und trat aufrecht vor Ernst hin, mit erhobenem Haupte sprechend:

„So habe ich die Ehre, Herzog Ernst von Waldemberg, Sie um die Hand Ihrer Schwester Hedwig für den Künstler Walter Impach zu bitten.“

Wie die Sonne, plötzlich untergehend, eine Landschaft in grauer Beleuchtung erscheinen läßt, so wich von meinem Antlitz das schelmische Lächeln, jeder Funke von Freude. Ernst stand, als ich schon geendet, noch mit vorgebogenem Oberkörper, die Augen weit hervorschießend, bleich, wie leblos da. Sein ganzes Leben schien sich in den Hörorganen zu concentriren. Endlich sich ermannend, frug er leise:

„Soll das Dein Ernst sein, Hedwig, Unglückliche?“

Ich konnte nur nicken, dann den Platz an seiner Seite einnehmen, den er mir, sich niederlassend, anwies.

„Hättest Du den Mangel an Leichtsinn und Flatterhaftigkeit, der unserer Race eigen, nicht auch geerbt, ich würde Deinen wahnsinnigen Worten so wenig Aufmerksamkeit schenken, als sie verdienen. Da ich Dich jedoch kenne und wohl weiß, daß Du verständigen Vorstellungen noch stets Gehör verliehen, so will ich Dir andeuten, wohin Du Dich verirrt, und Dich auf rechte Wege zurückführen.“

Ihm die Hand drückend, schüttelte ich traurig den Kopf, wagte jedoch nicht, ihn zu unterbrechen.

„Jeder Mensch,“ sprach er jetzt ernsthaft, „jeder Mensch erbt von seinen Eltern einen Theil des Wesens, des Geschmacks, der Liebhabereien, die diese wieder als Erbtheil von den Großeltern mit auf die Welt brachten. Erziehung, Umgebung, Bildung vervollständigen dieses Erbtheil und drücken dem Menschen einen Charakter auf, gegen den dieser, sträube er sich auch noch so sehr, niemals ganz aufkommen kann. Eine Verpflanzung in fremde Gewohnheiten führt fast stets das Unglück des Betreffenden herbei. Du bist im Schooße des Reichthums aufgezogen, das verwöhnte, verhätschelte Kind Derjenigen, die nun einmal auf der Welt den ersten Platz einnehmen. Impach kanntest Du nur, insofern er sich Deiner Umgebung fügte, hast ihn bewundern, lieben gelernt, so lange er ein Mitglied Deiner Welt bildete. Den Roman, der in diesem Köpfchen entstand, wird die Welt nicht verstehen – sie wird kühl sagen: ‚Eine Waldemberg hat sich in einen hübschen Kerl von Maler vernarrt!‘ Sie wird die Achseln zucken und Dir den Rücken wenden – denn daß sie mit Dir den jungen Mann, der einmal nicht zu ihr gehört, an ihre Seite stelle, kannst Du ihr nicht zumuthen. Eine solche Heirath, Hedwig, ist nicht nur eine Unmöglichkeit, sie ist der Grundstein zum unglückseligsten Zustande, den ich mir auf Erden denken kann.“

Ich ließ ihn nicht ausreden. „Ernst,“ sagte ich, „ich mache Dir keine Vorwürfe, aber entsinne Dich der Worte: ‚Ein Künstler ist Jedermanns Gleichen!‘ Als Du das sprachst, legtest Du das erste Samenkorn zu einem Baume, den Du nun so leicht zu entwurzeln glaubst.“

„Nicht so solltest Du mich verstehen. Der Künstler befindet sich allerdings auf jedes Menschen Höhe – doch nur, wenn er vor seiner Staffelei steht, Hedwig! Im Leben giebt es auch andere Stunden, und dann überschreitet er den Stand, in dem er geboren, um kein Haar breit!“

„Wenn er malt, ist er von selbst Edelmann, zu anderen Zeiten ist er es durch mich!“

„Nicht doch, Hedwig! Nicht er klimmt zu Dir empor, Du steigst zu ihm hinab. Nicht ihn erhöht diese Heirat, Dich erniedrigt sie. Und glaubst Du, daß nicht Stunden kämen, wo Dich’s gereute, daß Du so rasch Dich vergeben? Wenn Du Dich seiner schämen müßtest? Wenn Solche, die bisher eine Ehre darin fanden, Dich begrüßen zu dürfen, sich von Dir abwendeten?“

„Dann müßten sie sich schämen, nicht ich, daß sie so schlecht sind! Aber, Ernst, ich will nichts von ihnen wissen, die den Menschen nicht nach seinem inneren Werte schätzen, mich verachten, wenn ich einem Anderen als ihres Gleichen die Hand reiche. Ich sage Dir’s rund heraus,“ rief ich jetzt aufstehend, „ich will lieber arm wie ein Bauernmädchen sein, als auf Walter verzichten. Was brauche ich, wenn Du mir zur Seite stehst?“

„Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar!“

parodirte Ernst, sich auch erhebend. „Hedwig, Du weißt ja nicht, was es heißt, arm zu sein – hast Du nur eine Idee, was das Kleid werth, das Du auf dem Boden nach Dir schleppst? Mein Gott, mir ist’s, als spräche ich mit einem unvernünftigen Kinde! Hedwig, an diese Verbindung ist nicht zu denken.“

[678] Ich schüttelte den Kopf. „Und ich, Ernst, ich werde mein Lebenlang nicht aufhören, daran zu denken,“ sagte ich bestimmt. „Du gehörst doch sonst nicht zu Denen, die nach Aeußerlichkeiten urtheilen! Und wenn innerer Werth in Betracht kommen soll, hast Du nicht den Beweis in Händen? Wäre Werdau reich wie Arsent gewesen, Du hättest mich ihm mit Freuden anvertraut. Freilich wußtest Du nichts – aber steht nach dieser Geschichte nicht Walter in hehrer Pracht vor unseren Augen, während Werdau zusammenschrumpft zum gräulichsten Scheusal? Kannst Du es einem Mädchen verdenken, wenn es in der Einsamkeit seines Herzens Vergleiche anstellt zwischen dem Menschen, der nie andere als edle Gesinnungen an den Tag legte, der mit der Frische eines unverdorbenen Gemüths sich Gottes schöner Welt freut, und dem blasirten Weltmenschen, der nichts Edles aufzuweisen hat als seine Geburt und dem es selten gelingt, seine schlaffe Natur zu reinen Gefühlen emporzustacheln?“

„Das hast Du gethan?“ rief Ernst. „O, ich Thor, der Dich harmlos einem jungen Manne anvertraute – – – – !“

„Halt ein, Bruder! Jene Vergleiche führten mich zu weiter nichts, als der Gewißheit, daß es noch edle Menschen giebt, die in der Mehrzahl unserer jeunesse dorée nicht zu finden sind. Ich schwöre Dir, daß ich bis zum Augenblicke, wo wir Alle Walter als verloren aufgaben, nicht ahnte, daß ihm mein ganzes Herz gehörte. Nein! Bis dahin war ich eine echte Waldemberg gewesen, die Alles hinnahm, als sei es ihr gehörig, und nicht merkte, daß mit diesem ungekünstelten Sichhingeben der Künstler in ihr Herz sich schlich. Hätte ich früher gewußt, was kommen sollte, ich hätte wie ein Held gegen meine Liebe gekämpft, denn dann konnte sie mir noch als etwas meiner Unwürdiges erscheinen. Jetzt, Bruder,“ schloß ich leise, die Arme um seinen Hals schlingend, „jetzt ist es zu spät, denn jetzt bin ich stolz auf dieses Gefühl, betrachte es als Das, zu was ich auf Erden lebe!“

„Armes Kind! Und dennoch mußt Du entsagen!“

„Entsagen, Ernst? Du sprichst ein Wort aus, dessen Laut für mich keine Bedeutung mehr hat – wisse, ich bin so fest in meiner Liebe, daß, wenn Walter mir heute sagte: ‚Folge mir in einen andern Welttheil!‘ ich es thun würde, freilich nicht, ohne mir vorher die Kniee blutig gerungen zu haben, um Deine Bewilligung zu erzwingen. Laß Dich erweichen, Ernst! Du widerstehst mir nicht!“

Schweigend schritt Ernst im Zimmer auf und ab – in seiner Gedankenabwesenheit sogar hier und da ein Buch vom Schranke nehmend, um es dann eiligst an den unrechten Ort zurückzuzustellen. Sein Schweigen machte mir bange, Amalie, hatte ich denn so Unerhörtes verlangt, daß meinen Wünschen dieser eiserne Widerstand entgegengesetzt werden mußte?

„Es giebt Dinge, Hedwig,“ begann er endlich, vor mir stehen bleibend, „die ein Mann einem Mädchen schwer erklären kann. Dennoch muß es sein! – Der Mann ist stolz, Hedwig! Sei das Weib auch noch so hingebend, ihre Aufopferung besiegt den Stolz Desjenigen, der sich schon von Kindesbeinen an als Herr betrachtet, niemals! Impach hat uns gezeigt, daß er zu den wahrhaft seltenen Naturen gehört, deshalb allein spreche ich auch von ihm, wie ich’s jetzt wage. Glaubst Du, daß er wirklich glücklich wäre mit Dir? – Nicht diesen Triumphblick, Hedwig! Laß mich als Mann den Mann beurtheilen. Wenn er Dich diese ganze Zeit her geliebt hat, wie Du wähnst, so hat er Dich als etwas Unerreichbares, für ihn Verbotenes betrachtet, denn niemals ließ er einen Schimmer seines wahren Gefühls durchblicken. Du schenkst Dich ihm plötzlich, Du, zu Der er nur emporsah; glaube mir, Hedwig, er nimmt das Geschenk nur ungern an. Er hat Dich nicht erkämpft, erstritten; Du gabst Dich ihm, und das widerstrebt dem männlichen Gefühle. Jedes freundliche Wort, jede – Liebkosung ist eine Gnade, zu der er sich durch nichts berechtigt wähnt; und diese ewige Dankbarkeit, mit der er zu Dir aufsieht, ist nicht der Weg, ein Glück zu begründen.“

Ich unterbrach ihn rasch. „Ernst, Du stellst mich hart auf die Probe, wenn ich Dir Walter’s Liebe zu mir klar machen soll. Das weiß ich bestimmt,“ rief ich freudig, „daß er aus meinen Händen Alles annimmt, ohne zu glauben, daß er mir’s nicht mit Gleichem vergelten kann. Seine Leiden um mich haben alle Verpflichtung auf meine Seite gewälzt.“

„Das ist die enthusiastische Hingebung eines Mädchens, das wähnt, den Einzigen gefunden zu haben. Ich habe sie mein Lebenlang gesucht und immer nur das vorübergehende Aufflackern gefunden, das mich bei Dir jetzt zur Verzweiflung bringt.“

„O Ihr Männer mit all’ Eurer vielgerühmten Weisheit, wie macht Euch ein unerfahrenes Mädchen zu Schanden! Ebenso ungerecht als Du meine Liebe ein momentanes Aufflackern benennst, ebensowenig suchtest Du weibliche Hingebung umsonst – Du Undankbarer!

… Immer irrtest Du nach Liebe, immer
Nach Liebe, doch die Liebe fandst Du nimmer.
Und kehrtest um nach Hause, krank und trübe.

Und da fandest Du, Ernst? – Nur der Aufregung dieser Stunde hast Du es zu verdanken,“ setzte ich jubelnd hinzu, „wenn ich mein Schweigen breche – die opferbereiteste Hingebung, die treueste Liebe athmet ganz in Deiner Nähe –“

[702] Amalie, Vergebung! Du hättest seine leuchtenden Augen sehen sollen, den Schritt, mit dem er auf mich zukam, meine Schulter faßte, und mir fest in’s Auge sah! Er, nicht ich sprach Deinen Namen; dann fiel er auf den Divan zurück, sein Antlitz gegen die Wand kehrend. Ich habe es nicht gewußt, daß er Dich in aller Stille, schon jahrelang anbetet, sonst hätte Nichts mich vom Sprechen abgehalten. Amalie, ich muß doch ein recht gutes Herz haben; denn ich freute mich kindisch über des Bruders, über Dein Glück. Erst nach geraumer Weile kam mir der precäre, verwickelte Zustand meiner eigenen Angelegenheiten wieder in den Sinn. Ernst war weich gestimmt. Ich mußte also das Eisen schmieden, so lange es heiß.

„Gäbe es einen zweiten Ernst, Bruder, ich hätte ihn vielleicht meinem Walter vorgezogen, denn ich will mich gar nicht für lebensmüde oder aller Herrlichkeiten satt ausgeben. Amalie hatte es besser als ich; bei ihr wählte das Herz, und der Verstand wird mit der Herzenswahl sehr zufrieden sein – aber sprich, Ernst, wärest Du damit einverstanden, wenn Amalie, schienst Du ihr in weniger glänzenden Farben, Deiner nicht geachtet hätte? Was bei Amalie eine Tugend, warum soll es bei mir ein Verbrechen sein?“

„Hedwig, Du quälst mich unsäglich! Ich bin ja nur auf Dein Wohl bedacht, und denke in der Sache wenig an unsere Familie, gar nicht an mich. Wäre ich in Amaliens Fall der Glückliche –“ hier hob er das Haupt; Du hättest eine Welt gegeben, ihn so zu sehen – „wäre ich der Glückliche, dem sie trotz Mangel an Stand, Namen und Reichthum ihre Liebe schenkte, ich würde freilich anders sprechen, doch als ihr Bruder könnte ich auch ihr in Ehren nichts Anderes rathen, als was ich Dir jetzt ernstlich wiederhole: Laß ab, laß ab von Deinem wahnsinnigen Begehren!“

Ich fing an, Hoffnung zu schöpfen, wenn auch nur schwache. Ja, wärst Du dagewesen!

„Bruder, sprich nicht so!“ begann ich wieder. „Ich liebe Walter mit so heiligem Ernste, daß mir Deine Stimme unsympathisch erklingen könnte, spräche sie stets nur gegen den Erwählten meines Herzens. Ernst! Beim Namen unserer seligen Mutter, die ich kaum kannte, beschwöre ich Dich, mache die arme Waise glücklich!“

„Mit Unrecht mahnst Du mich an unsere Mutter, Hedwig. Ich sehe sie, wie sie, ihre letzten Kräfte zusammenraffend, Dich in meine Arme legte und sprach: ‚Hüte mein Kindlein vor allen Gefahren der Welt – mache, daß der Leidenschaften rauhe Stürme niemals über dieses blonde Köpfchen hinbrausen – schütze sie lieber vor zu großem Glücke, als daß das Unglück, welches dieses meistens im Gefolge führt, ihr Aug’ mit Thränen netzte!‘ So sprach Deine Mutter, in der Todesstunde, eine Ahnung des heutigen Tages hegend. Du hörst aus ihren Worten, wie sie in diesem Falle entschieden hätte.“

„O nein! wenn sie Walter gekannt – –!“

„Und Hedwig, wenn ich als Vormund der Schwester zu solch’ unerhörtem Bunde die Hand biete, was wird die Welt dazu sagen, sie, die wir einmal zu unserer Sittenrichterin ernannt? Wird sie mich nicht dem untreuen Verwalter im neuen Testament vergleichen?“

„Ernst, wenn ich Unrecht that, Dich an die Mutter zu mahnen, so thatest Du’s noch mehr, mir den Vormund in’s Gedächtniß zurückzurufen. Hast Du vergessen, welches Alter ich erreicht, und daß in sechs Monaten Deine Verantwortlichkeit von dieser Seite aufhört? O Gott! daß ich gezwungen bin, solche Argumente zu gebrauchen! Wenn Walter zu mir spricht: ‚Kein Mensch kann etwas dawider haben, wenn Du des Bruders Haus für das des freierwählten Gatten vertauscht!‘ wie soll ich ihm nicht folgen? Hast Du bedacht, Ernst, daß diese mich ganz beherrschende Liebe mich Pflicht, schwesterliche Gefühle, Alles vergessen heißen kann? Was wäre Amalie nicht im Stande für Dich zu thun! Doch bei Euch Zweien tritt kein Bruder hinzu und heißt Euch scheiden.“

Du siehst, ich wurde bitter, und wenn ich auch meine Worte, nachdem ich sie kaum ausgesprochen, bereute, ich rief sie dennoch nicht zurück, denn ich fühlte, daß meine Sache gerecht, daß schon ihr zu Nutzen Alles gesagt sein mußte.

„Dein Geist hat sich in einem Labyrinthe von Leidenschaften verirrt. Du bist nicht mehr Hedwig, meine ruhige, verständige Hedwig,“ nahm Ernst das Wort.

„Nein, das bin ich nicht mehr. Ist es denn ein so großes Verdienst, wie eine Blume in ihrem Topf, ohne Leidenschaft, Alles gleichgültig betrachtend, dahinzuleben? Ich fühle, daß ich ganz Hedwig bin, nur kommen Gefühle bei mir zur Geltung, die bis hieher schlummerten. Eine neue Phase meines Lebens brach an; ich bin nicht mehr Hedwig von Waldemberg – jede Faser an mir ist Hedwig Impach geworden, deren ich mich nicht zu schämen brauche. Bruder, Du mißbrauchst Deine Gewalt, mich unglücklich zu machen, und ich möchte mich nicht von Dir lossagen, nicht meine Unabhängigkeit um den Preis Deiner Liebe erkaufen.“

Ich mag ein Bild der verzehrendsten Leidenschaft gewesen sein, denn Ernst sah starr auf mich, seiner Trauer, seinem Erstaunen ein wenig Bewunderung beimischend. Wo ich den Muth hernahm, so zu sprechen – ich weiß es nicht. Ernst mag doch geglaubt haben, daß Gefühle, welche solche Worte eingeben, keine flüchtig aufflackernden, schnell erlöschenden sind.

Meine beiden Hände ergreifend, sprach er gepreßt: „Gott weiß, welche Schmerzen Du mir heute verursacht! Warum mußtest Du mich in demselben Augenblicke durch die Mittheilung eines lang verborgenen Geheimnisses zum Glücklichsten aller Sterblichen machen? Schau, Hedwig, ich kann Dich nicht unglücklich sehen, kann Dir aber auch nicht erlauben, Dein jetziges Glück mit der Ruhe Deines ganzen Lebens zu erkaufen. Nur, wenn Deine Gefühle durch die Zeit erprobt, kann von Deinem künftigen Glücke die Rede sein. So warte in Gottes Namen ein Jahr – sprichst Du dann noch wie heute, so soll das Unerhörte geschehen, und Hedwig aus dem Fürstenhaus in’s Künstleratelier schreiten.“

„Ernst, mein Bruder! Vor einem Jahre, glaubst Du, schrecke ich zurück? Du kennst mich nicht, noch meinen Walter. Doch da Du diese Probe forderst, so gehe ich sie mit Freuden ein.“

„Wohlverstanden, Du siehst weder den Künstler, noch darf ein Briefwechsel irgend welcher Art zwischen Euch stattfinden. Er wird verreisen, und Du einstweilen mir helfen, ein Heim für Amalien bereiten.“

Was ich, da ich um mein Glück mit ihm rang, nicht that, ich habe es aus Dank gethan, habe vor Ernst gekniet. Gott sei mir gnädig! Ich fasse mein Glück nicht, und muß mich fragen, ob ich träume oder wache.

Heute Morgen, nachdem er Walter empfangen, reist Ernst mit ihm ab, diesmal er der Brautwerber; er bringt Dir diesen Brief und stellt Dir meinen Walter vor.

Grüß’ ihn noch einmal! Auf seliges Wiedersehen, geliebte, theure Amalie – Schwägerin!
Deine Hedwig.
[704]
20.

Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
Nie wird Euch das Leben gewonnen sein.

In meiner Wonne, Gottfried, muß ich dieser Worte des Dichters gedenken. Aus Seelennoth und Todesqualen geht das wahre Heil hervor. Glaube mir, wenn ich blos das äußere Glück in Anschlag brächte, ich würde es verschmähen um den Preis, die gleiche Prüfung noch einmal bestehen zu müssen; aber zehnmal noch wollte ich sie erdulden, um das Herz zu gewinnen, das nun mein Eigen ist.

Ach, Gottfried, was ist alle Seligkeit der Dichter gegen das Glück, das mir geworden: – noch zwei Tage, und ich stehe mit Hedwig vor dem Altare!

Den Qualen der Ungewißheit, nein der sichern Entsagung, der Verzweiflung, ist das gemüthberauschende, die Phantasie zu den höchsten Gefilden des Ideales emportragende, das ganze Sein durchwogende Wonnegefühl der Sicherheit gefolgt, an der Seite der Heißgeliebten ein ganzes Leben voll inniger Hingebung, voll Genuß alles Schönen auf Erden, voll hohen Geistesstrebens unter den edelsten Menschen verbringen zu dürfen.

Den ersten Rausch des Glückes wollen wir in einem stillen Alpenthale oder an einem jener Seen verträumen, wo meinem Idol zum ersten Male, obwohl noch unbewußt, die Ahnung der Liebe aufgegangen. Dann aber eilen wir nach Italien – zu Dir, mein Freund – und diesmal sollst Du nicht betrogen werden. Denn ich habe große Dinge vor. Wir wollen mehrere Jahre in Hesperien bleiben, und ich will die Gebilde in’s Dasein rufen, welche mich bereits Tag und Nacht verfolgen. Ich will, wenn auch kein Raphael, doch meiner Fornarina würdig zu werden suchen. Hat sie mich ja zweimal schon zu höherem Ruhme getragen.

Doch das Glück ist wortkarg. Auf Wiedersehen, Gottfried, in Rom!

Dein Walter.




21.


     Freund meines Walter!

Noch zeitig genug, ehe er ihn verschloß, habe ich ihm diesen Brief entrungen, den ich nicht lesen sollte und dem ich doch ein paar Worte beifügen will.

Er meint das Glück im Monopol zu haben, und ich verschwende all meine Beredsamkeit, um ihm zu beweisen, daß ich ja noch viel glücklicher bin als er.

Was er aus meinem Munde erfuhr, soll Ihnen auch nicht verborgen bleiben: das Glück meines Bruders an der Seite des hohen, bescheidenen Mädchens, das auf ihrem einsamen Schlosse keine andere Freude kannte als den Gedanken an ihn. Einmal fortgegangen, kehrte er nicht wieder, bis sie als Herzogin Amalie an seinem Arme die Schwelle unseres Hauses betrat. Mag ihn nun der Antheil, den ich an der sonnigen Wendung seines Schicksals nahm, gerührt oder das Glück selbst ihn weich gestimmt haben, eines Abends – noch waren nicht acht Monate vorüber, seit Walter fort – eines Abends frug er mich mit schelmischem Lächeln, während sein Arm Amaliens Leib umschlang:

„Wie steht’s, Hedwig?“

Eigenthümlich mag der Blick gewesen sein, mit dem ich aufschaute, denn Ernst, vielleicht auf Amaliens Bitten, schrieb noch denselben Abend an Walter und rief ihn zurück. Wir sollten die letzten Monate unseres Probejahres zusammen ausharren dürfen. Ich wußte genau, wie viele Tage der Brief und dann der Gerufene brauchen würde, und meinte, mein Tod käme früher als die ersehnte Stunde, in der Walter vor meinen Augen stehen würde. Wie geduldig hatte ich geharrt die langen Monate, ohne ein Wort der Sehnsucht, ohne ein Wort der Klage! Jetzt kannte ich mich selbst nicht mehr. Wahrscheinlich erträgt Hedwig Unglück besser als Glück.

Ob ich nicht eines Tages aufgepackt hätte und ihm entgegengeeilt wäre, will ich nicht entscheiden, – da brachte mir Ernst, den meine Unruhe quälte, ein Packet, das wohl dazu angethan war, mich zu beruhigen, wie das Wiegenlied den Säugling: Walter’s Briefe an Gottfried! Ein guter Engel hatte Ihnen eingegeben, sie als Beweis für die Echtheit von Walther’s Liebe an meinen Bruder zu senden. Mein bester, treuester Freund sind Sie durch die beglückenden Blätter geworden. Und doch habe ich Sie einen Augenblick beneidet, daß Sie schon das Tiefinnerste von Walter’s Herzen kannten, das Wunder unserer Begegnung, die Größe seiner Liebe – lange, ehe ich eine Ahnung hatte, wie es um uns aussah. Doch Thränen wuschen bald den Neid hinweg, und ungeduldig sehe ich dem Moment entgegen, wo ich Ihnen dankbar beide Hände reichen kann und die Ihrigen drücken im überströmenden Gefühle der wahrsten Freundschaft.

Wie glücklich wir sind, Sie werden es uns an den Augen ansehen, die bis dahin hoffentlich die üble Gewohnheit verlernten, feucht zu werden, sobald sie des Andern Blick begegnen. Mein Gott, wir haben unser Glück so theuer erkaufen müssen, daß es fast natürlich erscheint, wenn die Thränen, die in dunkler Nacht nicht flossen, jetzt in der hellen Morgensonne ihren ungehemmten Lauf nehmen!

Was haben wir uns Alles zu erzählen! Doch auch schwarze Seiten giebt’s in unserer Geschichte, deren wir nicht gern gedenken werden, wenn heitere Tage im schönen Rom uns zusammenführen. Drum nur Einen Namen: Werdau, und ein Land, das den Unseligen aufnimmt: Rußland. Viel Weiteres weiß ich selbst nicht.

Schon muß ich diesen Brief schließen und werde ein Geständniß ablegen müssen, soll man mir glauben, wie sehr ich es wider Willen thue. Die Dämmerung fängt schon an hereinzubrechen, und diese Zeit ist es, welche Walter für die seligste des ganzen Tages hält, welche er niemals ungenutzt und ungenossen vergehen läßt. Wir sitzen dann zusammen auf dem Divan unter meinem Bilde zwischen Farren und Palmen, Hand in Hand, fest umschlungen, und sprechen von – was weiß ich? – den Tagen, die jetzt über uns hereingebrochen, den ehrgeizigen Plänen meines Künstlers, am liebsten aber von der Vergangenheit, die noch manche Schätze birgt, mit denen wir uns gegenseitig beglücken. Walter hat gedroht, wenn ich nicht sogleich die Feder niederlege, wolle er um Licht schellen, und dann ist’s um unsere Dämmerstunde gethan.

Gottfried! Liebende sind egoistisch – mit einem wehmüthigen Blicke auf diese Zeilen wende ich mich dennoch glückselig Waltern zu, und in wenigen Secunden ist auch der Freund in der heiligen Stadt vergessen. In einem Monate werden wir wohl verständiger sein.
Zum letzten Male
Hedwig von Waldemberg.
  1. Die obiger Novelle zu Grunde liegenden Thatsachen sind exclusiven Kreisen bekannt, und dürften nicht wenige unter unseren Lesern leicht errathen, wo der „Künstler“ und das „Fürstenkind“ zu suchen sind
    D. Red.
  2. In Rom fährt an jedem Donnerstag im October Alt und Jung, Reich und Arm auf’s Land, wo im Freien gespeist wird. Diese Ausflüge heißen 0ttobrate.