Neunzig Jahre Männermode
Neunzig Jahre Männermode.
I.
Wenn nach Jahrhunderten die Besucher eines Ahnensaales an den Bilderreihen dahinwandeln, so wird ihr Auge gewiß nachdenklich auf den Werken des 19. Jahrhunderts ruhen. Sie werden zwar, die Reihe der Frauen überschauend, finden, daß diese nicht wesentlich von früheren Zeiten sich unterscheiden: sie tragen veränderten Schnitt der Kleider, aber die alten Stoffe, farbenreiche Seiden und Sammte, Atlas und bunte Wollenstoffe, Brokate und bestickte Bahnen, zierliche Bänder und Spitzen, reiches Geschmeide am Hals, im Ohr, an den Armen. Es lebt in ihnen der alte Schmucksinn, vom Federnhut herab bis zu der mit Schnallen oder Rüschen verzierten Schuhspitze, ein Sinn der Festlichkeit, der Lebenslust, des Drangs nach dem Schönen, und zugleich ein liebenswürdiges Mitgefühl für die Welt: denn „wenn die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten.“
Daneben stehen aber die Männer des 19. Jahrhunderts: in schwarzem Frack, schwarzer Weste, schwarzen Beinkleidern, schwarzem hohen Hut, schwarzen Schuhen; dazu weiße Wäsche, weiße Handschuhe – also ohne die geringste Farbe, in wahrem Leichenbittergewande. Und doch: dieser hat ein schmales buntes Band im Knopfloch, jener ein breites und einen Stern mit Brillanten auf der Brust. Endlich Farbe, endlich wenigstens etwas Gold: denn die Brustnadel, die Uhrkette, der Siegelring, das sind alles Kleinigkeiten, welche auf die Gesammterscheinung fast ohne Einfluß sind. Wo sind die Zeiten hin, da der Landsknecht in modefroher Laune alle möglichen Farben auf sich häufte, da der Hofmann in zierlichem Reichthum mit den Frauen wetteiferte, da der seidene, gestickte Frack, die Beinkleider aus gepreßtem Sammet, die reichen Degengehänge, die Berlocke und glänzenden Metallknöpfe noch zur Erscheinung des Mannes von Welt gehörten?
Freilich, da steht ja im Ahnensaal auch ein Mann unserer Zeit in buntem Kleid! Der blaue Rock hat einen wie mit dem Lineal abgerissenen steifen rothen Kragen und ähnliche Aermelaufschläge, eine schnurgerade Linie blanker Metallknöpfe, eine Anzahl schmaler und breiter Streifen hier und dort, die aber alle streng senkrecht oder wagerecht verlaufen, nicht erfunden sind, um einen Mann zu schmücken, sondern einer langen Reihe von Männern den Eindruck einer unerschütterlichen Einheit zu geben. Es ist ein Soldat. Bunt ist der freilich genug; aber die Farbentöne sind nicht von ihm und für ihn gewählt.
Sie haben dieselbe Eigenschaft wie der bunte Schmuck der Civilisten: der König, der Staat, eine öffentliche Autorität gab dem Manne, was ihn schmückt.
Diese allein sind Herren über alles Farbige, sie können durch ein Machtwort uns die erschrecklichsten Farbenzusammenstellungen begehrenswerth machen, sie allein brechen den farbenstumpfen Sinn der Männerwelt und reißen sie aus der ertötenden Eintönigkeit heraus.
[31] Wir sind ja eigentlich nicht so ganz des Sinnes für Farbe beraubt: der liebt einen bunten Hausrock, jener schöne, mit Blumen bestickte Pantoffeln oder Mützen; auf der Jagd trägt mancher ein etwas lustigeres Gewand – aber wenn wir uns „schön machen“ wollen, dann hüten wir uns ängstlich, die Regel der Farblosigkeit zu überschreiten! Schon ein allzu rother oder blauer Schlips, das Hervorschauenlassen eines bunten Taschentuches, ja die Blume im Knopfloch erscheint des „ernsten“ Mannes unwürdig. Selbst der flotte Student wartet, bis ihm sein Corps das Band und die Mütze giebt. Für sich wagt keiner von uns die graubraune oder schwarze Grundstimmung unserer Kleidung zu durchbrechen.
Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Zeit der beginnenden stehenden Heere hat die Soldaten in ein einheitliches Gewand gepreßt, an Stelle der launenhaften Landsknechttracht eine völlige Unfreiheit gesetzt, so daß ein Rock allen Kriegern desselben Regiments gemeinsam wurde. Die napoleonischen Kriege haben die Regimentsunterschiede bis auf kleine Merkmale verwischt, kommende Zeiten werden vielleicht die Unterschiede der Truppentheile ganz aufheben und beim Soldaten die Einheitstracht vollständig durchführen. Neben dieser Gleichmacherei ging freilich auch die Entwicklung des Unterscheidungswesens her: den Grenadier oder Musketier vom Gefreiten, diesen vom Unteroffizier bis hinauf zum Feldmarschall unterscheidet immer ein Knopf mehr, ein hinzugefügtes Streifchen Goldlitze und dergleichen. Aber man hält fest an dem Grundsatz, daß ein Kleid alle Krieger ziere: des Königs Rock!
Es wäre hier eine sehr schöne Gelegenheit, über den Militarismus loszuziehen, doch weiß ich nicht recht, welche seiner beiden widersprechenden Seiten dem geehrten Leser gerade die unangenehmere ist! Seine gleichmachende oder seine sondernde Gewalt. Mir scheint das deutsche Heer und, als diesem nachgebildet, scheinen mir fast alle Heere eine demokratische Aristokratie darzustellen. Das ist ja eigentlich ein Unsinn, aber es hat Methode! Die Gleichheit ist demokratisch, die Unterscheidung aristokratisch.
Der Rock des Bürgers und der des Soldaten hat denselben Ursprung. Seine faltenlosen Schöße fallen von dem eingezogenen Gürtel nieder; er gleicht einem umgestülpten, vorn aufgeschnittenen Sacke, durch dessen Boden der Kopf gesteckt ist; er war zuerst das Kleid der Soldaten und ist durch die Uniform Gemeingut der Welt geworden, ein Erbstück aus der Zeit Ludwigs XIV. Unter diesem Könige waren schon alle seine Merkmale ausgebildet. Zunächst die schneidermäßige Haltung: denn nicht mehr wird der Körper mit dem Stoffe, meist schwerem Tuch, in zwanglosen Falten umhüllt, sondern der Schneider ordnet jede Einzelheit mit Schere, Nadel und Bügeleisen ein für allemal. Es entstanden die steifen Kragen, mögen sie nun emporstehen oder umgeklappt sein, die feste Form des aus Keilstücken zusammengeschnittenen Leibes, die engen Aermel, die langen Schöße. Und da der Sack, wie gesagt, vorn aufgeschnitten war, umhüllte man den Leib mit einem zweiten solchen, der Weste, um ihn vor Erkältung zu schützen. An diesen Haupttheilen der Kleidung, die so ganz anders gestaltet sind als die freier, flotter behandelten Gewänder des Mittelalters, hat sich nichts geändert. Ob nun die Schöße abstehen oder eng anschließen, vorn zusammenstoßen oder zum Frack zurückgeschnitten sind, ob die Knöpfe eine oder zwei Reihen bilden, benutzt werden können oder bloß zum Schein angebracht sind, ob die Taschen vorn, hinten oder an der Seite sitzen – das alles ist nebensächlich gegenüber der Thatsache, daß nun seit über 200 Jahren dies Kleidungsstück die Männerwelt beherrscht und alle Bestrebungen, die Erscheinung des Mannes eigenartiger, selbständiger, freier zu gestalten, tückisch verhindert. Wer je ein Kostümfest veranstaltet hat, weiß, daß mit diesem Rock die größten Schwierigkeiten für die Echtheit der Nachbildung beginnen. Ein geschickter Künstler, eine gewandte Frau kann ein antikes, ein mittelalterliches Kleid, auch das der Renaissance, ohne weiteres zuschneiden, sodaß der Faltenwurf den Eindruck vollkommener Echtheit hervorruft. Mit dem neuzeitlichen Rock beginnt die eigentliche Kunst des Schneiders, das Zusammenflicken vieler Theile zu einem festen Gebäude, das Falten nicht wirft, sondern womöglich vermeidet, außer jenen, die ihm mit den Bügeleisen eingezwungen werden; mit ihm beginnt das Männerkleid, nicht mehr Ausdruck des individuellen Geschmackes seines Trägers, sondern des Schneiderstandes zu werden.
Der Besteller hat immer weniger in der Frage mitzureden, wie sein Kleid beschaffen sein soll. Wenn ich Soldat bin, weiß ich wenigstens, wer den Zuschnitt meines Rockes bestimmt; wenn es mich interessiert, kann ich die Namen der Mitglieder der Bekleidungskommission erfahren und streben, auf sie Einfluß zu gewinnen; ich kann vielleicht vom Herrscher ein menschliches Rühren erhoffen, daß er mir unschön Erscheinendes ändern werde. Was kann ich aber gegen die Mode thun, gegen den fest geschlossenen Schneiderring? Nichts als gehorsam, treu und gewärtig sein der Befehle aus unbekanntem Munde. Trage ich einen unreglementmäßigen Rock als Soldat, so komme ich im schlimmsten Falle auf eine gewisse Zeit in Arrest, trage ich einen solchen als Civilist, so verfalle ich für alle Zeit dem Gelächter. Und das ist wahrlich die grausamere Strafe!
Wenn man die Sorge für sein Aeußeres nach Art theologischer Eiferer für sträfliche Eitelkeit, für eine kindische, des reiferen Geistes unwürdige Weltlust hält – dann freilich hat der Menschengeist seit hundert Jahren große Fortschritte gemacht! Oder wenn man nach Gelehrtenart seine Aufmerksamkeit, die eben vielleicht gerade der Kostümkunde der Griechen mit wissenschaftlichem Eifer zugewendet ist, für viel zu wichtig hält, um sie auf sich selbst, also von innerlichen auf angeblich äußerliche Dinge zu lenken – dann sind wir im Hinblick auf den Ernst sehr viel weiter gekommen, früheren Zeiten gegenüber. Mir will aber dieses Lob unserer Zeit nicht recht gefallen, mir scheint der Sinn für unser Aeußeres verkümmert. Das sieht man am Stillstehen der Herrenmoden gegenüber der Beweglichkeit der Frauenmoden. Die Nationen haben aufgehört, wie früher in der Bekleidungsfrage selbst mit zu arbeiten. Sie haben diese den „Fachleuten“, den Schneidern überlassen. Und diese sind nicht für einen Fortschritt, der plötzlich den Werth ihrer Künste in Zweifel setzen könnte. In unserem ganzen Jahrhundert schwankten durch alle „gebildeten“ Nationen sogar die Formen der Kleider so wenig, daß ein in Modesachen nicht tief Eingeweihter in späteren [32] Jahrhunderten den Elegant von 1840 schwerlich von jenem von 1890, den von Paris sicher nicht von dem Wiener wird unterscheiden können.
Der Beginn des neunzehnten Jahrhunderts stand unter dem Zeichen des Freiheitskampfes, welchen der Bürgerstand gegen das Königthum und die Aristokratie führte. Freiheit im Namen der naturgemäßen Entwicklung war das Stichwort der Zeit. Auch in der Kleidung wurde ihm nachgestrebt. Die Unnatur zu bekämpfen wurde auch hier ein beliebter Vorwand zur Aenderung des Geschmackes. Die Befreiung von der Fessel einer verschrobenen alten Mode vollzog sich anfangs mit raschem Erfolg am Kopf des Mannes selbst. Vor der Revolution schwanden die Perücke und der Zopf dahin. Aber wie dergleichen Dinge nicht auf einen Schlag fallen, so blieben auch diese beiden Abzeichen der alten feudalen Herrlichkeit bis in die dreißiger, vierziger Jahre hinein. Der gepuderte Kopf wurde in den ersten Jahrzehnten an den Höfen noch vielfach getragen.
Das Zöpfchen wurde zwar kleiner und kleiner und verschwand zuletzt verschämt und schüchtern ganz in der Halsbinde. Aber viele nahmen es mit ins Grab – konnten sich von ihm nicht trennen. Die junge Welt jedoch, namentlich die künstlerisch begeisterte, sah in diesem Reste des Rokoko das Bild alles dessen, was sie bekämpfte, alles Unfreien und Akademischen, alles Veralteten und Gezwungenen. Die ganze ältere Kunst schien ihr „Zopf“. W. Kaulbach malte seine künstlerischen Lehrer und Genossen an der Münchener Pinakothek im Kampf mit den Zopfträgern; die Freiheit, die Schönheit, die edle Einfalt, alles hatte nur einen Feind: den Zopf. Zopf war alles Nüchterne und alles Verschnörkelte, alles, was nicht der Antike, dem Vorbilde der Griechen, oder der Gothik, dem Vorbilde der Romantik, entsprach; Zopf war fast die ganze Renaissance, der ganze Barockstil, das Rokoko; zwei, drei Jahrhunderten wurde das Schwänzchen ans Haupt angebunden, weil sie nicht so waren, wie die junge Welt sie sich wünschte. Man war damals sehr streng in seinem Urtheil, sehr fest in seinen Grundsätzen, sehr einseitig in seinem Geschmack. Das kam daher, weil jene Zeit den bekämpften Zopf unsichtbar selbst noch im Rücken trug. Man wurde ihn durch einfaches Abschneiden nicht los. Heute sehen wir nur zu deutlich, daß das Zöpfchen der Alten zu den Titusköpfen der Jungen sehr gut stand, daß beide im Grunde genommen vielfach zusammengehörten.
Die Revolution hat der Welt den sogenannten Tituskopf geschenkt, das heißt eine Anordnung des Haares in kurzen, leicht geringelten Locken von gleicher Länge, welche also die Rundung des Kopfes klar zur Schau brachte. Man hatte das Vorbild an den Büsten der alten römischen Kaiser gefunden, Frauen wie Männer begeisterten sich für die neue „natürliche“ Haartracht. Diese Mode stammt also ebenso sehr aus der Begeisterung für die antike Kunst als aus dem Freiheitsdrang. Denn es mag den Menschen jener Zeit unsagbar wohl gewesen sein, als sie die Perücke und den Zopf, die fest geschniegelte Haarbehandlung los wurden. Der Tituskopf bot aber keineswegs ein Bild unbändiger Freiheit, er war nicht als Struwwelkopf gedacht, sondern er wurde jederzeit in Paris von Friseuren geordnet, deren Namen in aller Mund waren und in deren Läden die Büsten berühmter Griechen und Römer in Gipsabdrücken als klassische Vorbilder aufgestellt waren. Einzelne Stürmer, die in „eigenen Haaren“ gingen, haben zwar die Künsteleien verworfen und mit dem fünfzinkigen Kamm, der gespreizten Hand allein für Ordnung unter ihren Locken gesorgt. Es waren jene, die das Merkmal der Wildheit tragen wollten, die sich selber „Sauvages“, „Wilde“, nannten und einen schweren Knüttel statt des Stockes mit dem Silberknopf trugen. Die Mode war aber keineswegs so gelaunt, ihr Recht auf die Gestaltung des Kopfes der Willkür zu überlassen. Es waren auch keineswegs alle mit dem Aufgeben der Perücke einverstanden. Ruft doch selbst Jean Paul seinen Zeitgenossen zu: „Ihr Deutschen, thut den Franzosen nur diese häßliche Nacktheit, die den Pickelhäringen und Baugefangenen zukommt, nicht nach, ich bitt’ Euch! Die große Nation hat sich tonsuriert! Es kann die Zeit kommen, wo uns jede Woche zwei Mann zugleich, vorn der Bartscheerer, hinten der Haarkräusler barbieren!“ Freilich war’s bequemer gewesen, seine Perücke zu letzterem zu senden!
Der Haarkräusler legte also die Locken des Tituskopfes nach den Regeln seiner Kunst, ja sehr bald ersetzte er das mangelnde Haar wieder mit Vorliebe durch eine Perücke.
Noch war man zu viel und zu gut gepflegtes, wenn auch künstliches Haar am Manne gewöhnt, als daß man eine Glatze, ja schon eine schwach behaarte Stelle nicht als geradezu unanständig, als eine Entblößung empfunden hätte. Der Sieg der Mode in der Haartracht vollzog sich sehr langsam. Viele widerstrebten: so brachten die Freiheitskriege und die Romantik zahlreiche Köpfe mit langen Locken hervor. Aber in den Modezeitungen wird man von diesen nichts finden. Es zeigte sich hier wie in der Kleidung eine Zeit lang eine Befreiung vom Geschmack der sonst leitenden Kreise, eine fröhliche Unbotmäßigkeit, eine kecke Lust, seine Erscheinung selbst bestimmen zu wollen. Das Aufblühen des Bürgerthums im Kampf mit den Höfen und Regierungen kam in einer ganz neuen Mode der jungen Stürmer zum Ausdruck, in der Mode, nicht modisch gehen zu wollen. Sieht man aber die Modeblätter durch, so bleibt der Tituskopf bis in die vierziger Jahre fast allein herrschend. Er verlor die Strähne auf der Stirn, welche für Napoleon eigenartig ist, nach dem Untergang des Kaisers; er wurde lebhafter bewegt in den Tagen der Befreiungskriege; er bestand aus sorgfältig gerollten, pomadisierten und gebrannten Locken während der Restaurationszeit. Erst mit den vierziger Jahren kam die moderne Haartracht auf mit dem schnurgeraden Scheitel an der linken Seite, den mit Stangenpomade fest angeklebten Haaren, die ursprünglich in einer Locke bis über die Ohren herablagen, dann in den sechziger und siebziger Jahren gern über der Stirne aufgedollt wurden. Die ersten „Sechser“, jene wie eine 6 gebildeten, schön mit Pomade an die Schläfen angeklebten Locken über dem Ohr sah ich in den Modeblättern von 1824. Der Scheitel am Hinterkopf ist, soviel ich weiß, eine Erfindung preußischer Offiziere, diejenige der in den achtziger Jahren auftretenden sogenannten Simpelfranzen, der in das Gesicht gebürsteten beschnittenen Haare, französischen Ursprungs. Beide Formen wetteifern mit einander an Unschönheit. Unsere jungen Ballhelden, die sich vom Zopf so fern glauben, tragen das Haar, dessen schönste Zierden der freie Fall und der natürliche Glanz sind, kaum minder eingezwängt, als unsere Großväter es thaten, kaum minder gekünstelt, sicher nicht schöner!
Inzwischen haben diejenigen gesiegt, welche der Mode nicht folgten. Wir sind heute soweit gekommen, daß jede Haartracht gestattet ist. Locken tragen indessen nur noch wenige. Sie [33] sind uns das Zeichen künstlerisch poetischer Lebensbeschäftigung. Die Maler freilich, die Bildhauer und Architekten haben sie abgelegt – vielleicht infolge des bösen Naturalismus – die ernsten Musiker und Dichter nehmen Abschied von ihnen; es sind meist nur weiße Locken, die man in den Orchestern unserer Hofopern sieht. Den Locken der Schauspieler sind die Theaterintendanten gefährlich. Getragen werden sie noch von Dekorationsmalern,. Holzbildschnitzern und Klavier- und Geigenvirtuosen. Wie ein von der Gesellschaft zu oft gebrauchtes Wort nach und nach herunterkommt, wie z. B. Madame noch vor dreißig Jahren eine vornehme Frau bezeichnete, jetzt fast das Gegentheil, so sind auch die Locken Rückerts und Chamissos, Overbecks und Liszts, wenigstens an jungen Leuten, fast zur Karikatur geworden.
Der Bart war um die Wende des Jahrhunderts vollkommen verpönt. Lange, lange Zeit hindurch hatte damals kein Mann, der auf gute Formen hielt, einen Bart an Kinn und Lippe getragen. Daß um 1710 der Bildhauer Permoser in Dresden einen Vollbart trug, hat ihn fast berühmter gemacht als seine ausgezeichneten Werke. Man zeigte ihn sich damals auf der Straße als Sehenswürdigkeit. Der erste Schnurrbart, den ich in einem Modejournal abgebildet fand, ist vom Jahre 1825. Das war ein großes Ereigniß für die „Kleinmeister“, wie man damals die deutschen Schwerenöther in Uebersetzung des französischen „petits maitres“ nannte. Zwar hatten sich viele schon vorher erlaubt, sich Haare unter der Nase wachsen zu lassen, – die Soldaten, auch der deutschen Armee, die Freigeister. Nicht umsonst trug Blücher einen mächtigen Schnauzer, Jahn einen wallenden Vollbart. Schon vorher, 1805, waren eine Zeit lang „Puzelbärte“ getragen worden, das heißt jene kurzen stoppeligen Ansätze zu einem Schnurrbart, wie sie schon Ludwig XIV. und seine Zeit liebten. Aber sie erschienen der Mitwelt und selbst den Modejournalen als lächerlich. Der Schnurrbart war den meisten unappetitlich, gerade gut genug für Leute ohne Form, die große Pfeifen rauchten und sich altdeutsch gebärdeten, für „Knasterbärte“. Aber schon machten die Frauen die Bemerkung, „der Kuß schmecke von stoppeligen Lippen süßer als von kahlem Munde“. Die Männerwelt in ihrer Mehrzahl war trotzdem unhöflich genug, hierauf keine Rücksicht zu nehmen.
Den „Puzelbärten“ waren die „Spreißbärte“ vorausgegangen, deren Zweck war, den Hals zu schützen und die feinen Halstücher vor Beschädigung zu behüten. Es waren jene Krausen, welche das Gesicht umrahmten, von denen aber die vornehme Welt fast nur den Backenbart beibehielt. Dieser ist dann auch in leichter Form, meist nur bis zur halben Backe reichend, fast durch das ganze Jahrhundert üblich geblieben. Sein Name, Favori, bekundet seine französische Herkunft. Die Engländer trugen ihn in den fünfziger und sechziger Jahren mit Vorliebe in längeren, nach unten gezogenen Spitzen. Heute wird man diese Bartform, die „Cotelettes“, in England nicht öfter als in Deutschland sehen. Sie ist die Mode der Oberkellner und Börsenleute – und der Engländer auf der Bühne. Man kann daraus sehen, daß seit etwa fünfzig Jahren die Schauspieler nicht die Natur, sondern nur ihre Vorgänger kopieren. Während man auf der Straße den Engländer alsbald erkennt, also der feine Beobachter ihn auch sehr gut so darzustellen vermag, wie er jetzt wirklich erscheint, hat die Bühne immer noch den Typus beibehalten, welchen Döring, Dawison und ihre Zeitgenossen schufen, trägt der Lord dort heute noch die „Cotelettes“, den karrierten Anzug, den Shawl und den grauen Cylinder.
Andererseits ist die Form der Bartkrausen die Lieblingsform der protestantischen Geistlichen geblieben und wurde von Konsistorien und Oberkonsistorien lange gegen die Neuerungssucht junger Theologen vertheidigt, die dem Schnauzbart oder Vollbart einen Platz auf der Kanzel erobern wollten und nun vielfach auch erobert haben. Welche von beiden Seiten hierbei das größere Recht vertrat, will ich nicht entscheiden. Die, welche am Alten hängen, sind sicher nicht zu verlachen. Aber wann wird das Alte würdig? Warum sollte gerade die Mode von 1820 bis 1840 zum Vorbilde gemacht werden? Lag es nicht näher, auf die Reformationszeit zurückzugreifen, in welcher jeder, auch jeder Geistliche, den Bart trug, von dem er glaubte, daß er zu ihm und seinem Amte am besten stimme?
Nur langsam vollzog sich die Einführung des Bartes in die Mode. Zwar sprach man schon im Jahre 1805 von „Moustaches à la Henri quatre“. Aber die Kriege ließen diese Bartform nicht aufkommen, der Kaiser Napoleon rasierte sich, und seine Generale thaten es der Mehrzahl nach auch. Es gilt zwar bei uns als kriegerisch, Bärte zu tragen, obgleich weder Alexander noch Julius Cäsar, weder Friedrich II. noch Napoleon I. noch Moltke dafür das Vorbild gaben. Nicht kriegerisch wollten die Herren der Mode aussehen, welche in den dreißiger Jahren endlich den Knebelbart einführten, sondern romantisch. Man war in Deutschland der merkwürdig irrigen Ansicht, die alten Deutschen, die Ritter hätten sich so getragen. Man ahmte wieder die Franzosen und deren keineswegs so alten König Heinrich IV. nach, dem erst um 1570 sein Bart gewachsen ist, also zu einer Zeit, in der es mit dem Ritterthum längst zu Ende war. Die Wiederaufnahme dieses Bartes war also ein Gegenstück zu der des Korsetts bei den Frauen, welches auch zu jener Zeit wieder in Gebrauch kam und zwar in der Absicht, die Glanzperiode des königlichen Frankreichs aufleben zu machen. Es bedeutet für unsere westlichen Nachbarn die Rückkehr zu den Erinnerungen ihres großen Aufschwunges, zum Royalismus, nicht zur Urzeit des gallischen Volkes oder zum Heldenthum des Ritters Bayard. Der bourbonische und orleanistische Hof rief diese alten Moden wieder ins Leben.
Wer Theaterkostüme aus jener Zeit gesehen hat, wird mit einigem Staunen finden, wie man sich damals einen alten Ritter vorstellte. Er hatte ein Barett mit hoher Feder, enges Wamms mit engen Aermeln, Trikots und offene spitze Schuhe an. An den Schultern und Hüften unterbrachen die festanschließende Tracht kurze mächtige Puffen. Zu dieser Kleidung, an der außer gewissen Anlehnungen an die Zeit Heinrichs IV. fast nichts echt war, wurde regelmäßig der Knebelbart getragen: zwei kleine schwarze Schwänzchen auf der Oberlippe, eins an der Unterlippe! Später hat Napoleon III. diesen Bart in kräftigerer Ausbildung getragen und für die französische Armee zum eigentlich soldatischen gemacht.
Der Vollbart war dagegen einst ein Russenbart, denn an den Kosacken von 1813 und 1814 sah ihn Deutschland zuerst. Er machte der Welt, die sich vor den „Sauvages“ wie vor den Titusköpfen nicht mehr fürchtete, den Eindruck des Wilden, Erschreckenden. Diejenigen, welche diese Stimmung erwecken wollten, nahmen ihn daher auch an: er wurde zum Demokratenbart. Trotzdem ließ sich jeder brav bürgerliche Mensch bis in die vierziger Jahre rasieren, nur der Grobian oder Weltverbesserer lief als „Wilder“ herum. Die Armeen verboten geradezu den Vollbart. Kaiser Wilhelm I. und Franz Josef I. behielten die Favoris und den Schnurrbart bei – das ausrasierte Kinn war Vorschrift im preußischen und österreichischen Heere, an ihm unterschied man seiner Zeit den Konservativen vom Demokraten, mochte dieser nun auf der Straße demonstrieren oder schon wie Napoleon III. [34] auf den Thron gelangt sein. Erst Kronprinz Friedrich Wilhelm führte den Vollbart in das Heer ein.
Vorurtheile sind schwer zu überwinden. In der preußischen Armee ist der Widerwille gegen den Bart an der Unterlippe geblieben, während die Bauern ihn als „Reservatrecht“ noch tragen. Bei ihnen hat der romantische König Ludwig II. die Veranlassung gegeben. Mein liebenswürdiger Hauptmann fragte mich dagegen noch vor zehn Jahren, als ich bei einem Manöver in Sachsen neben ihm herging, ob mich meine „Fliege“ nicht beim Marschieren geniere. Ich that sehr unbefangen und antwortete. „Nicht im geringsten, Herr Hauptmann!“ Nach einiger Zeit erfuhr ich, daß er zu einem Kameraden gesagt habe. „Der Gurlitt ist ziemlich schwer von Begriffen. Ich habe ihm schon Andeutungen über seinen unsoldatischen Bart gemacht. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihm gelegentlich sagen wollten, daß eine Fliege in unsere ganze Armeeverfassung einfach nicht hineinpaßt!“ und ich opferte für die Manöverzeit diesen Rest von Romantik und bürgerlicher Demokratie. Denn ich hatte schon vorher Bartkämpfe auszufechten gehabt! Um mich für meinen Beruf als Architekt vorzubereiten, hatte ich das Zimmerhandwerk erlernt. Damals machte mir nicht der Bart am Kinn, sondern der noch sehr bescheidene Anfang auf der Oberlippe viel Sorge. Der Zimmermannsbart war nämlich ausschließlich der breite Knebelbart, wie ihn jetzt die Amerikaner mit Vorliebe tragen. Meinen sonst streng verpönten Schnurrbart vertheidigte ich jedoch erfolgreich gegen den Hohn der zünftigen Gesellen mit Schnäpsen und Weißbier. Sein Dasein schien mir damals noch zu wichtig, um ihn einer absterbenden Geschmacksrichtung zu opfern.
Viel Einfluß auf die Barttracht hatten die „ritterlichen“ Nationen des Ostens; so in den dreißiger Jahren die nach Freiheit ringenden Griechen und Polen mit ihren mächtigen Schnauzern, in den vierziger Jahren die Ungarn mit ihren gewichsten Bärten. Da man in den letzteren ganz besonders ein „Reitervolk“ sah, so haben auch die Reiter sich des gewichsten Bartes angenommen; jetzt aber lassen unsere Husaren ihre Bärte wieder ungesteift im Sturmwind des Galopps flattern.
Das Ergebniß des neuen Kampfes um den Bart ist demnach wieder der Sieg der Freiheit. Keine Bartform ist verpönt, jede im Gebrauch. Die Bartlosigkeit ist auf die Schauspieler beschränkt. Die Kellner und Diener beginnen sich mehr und mehr von der alten Sitte zu befreien. Zwar machen sich für alle Gesellschaftskreise Schwankungen der Mode vielfach geltend, wie z. B. in letzter Zeit der in wagerechter Linie in der Höhe des Ohrzipfels abgeschnittene Backenbart mit dem kurzen, nach unten in eine Spitze verlaufenden Vollbart wechselte: doch fügen sich nicht alle dem Gesetz, sondern viele wehren sich noch gegen den gleichmachenden Zwang auch in der Erscheinung des Gesichtes. Wer im formsicheren Gesellschaftsmanne sein Ideal sieht, trägt den abgezirkelten Backenbart, während der Spitzbart, wie mir scheint, den diabolischen Herzensbrecher bezeichnen soll. Der Schnurrbart bedeutet, daß sein Träger ein thatkräftiger frischer Mensch, der Vollbart, daß er ein Mann kurzweg sei. Es wäre der Mühe werth, dem Gedankengang einzelner Bartträger nachzugehen und zu ergründen, welchen Eindruck sie durch ihre Haartracht auf die Welt machen wollen, durch das einzige Ding in ihrem Gesicht, das ihrem Umbildungstrieb überlassen ist.
Unzweifelhaft soll durch die Kleidung der Welt über das Wesen des Trägers Aufschluß gegeben werden. Wenn jemand einen Schlapphut, einen flatternden Schlips, eine Sammetjacke und einen Radmantel trägt, so will er der Welt nicht nur sagen. „Ich gehöre dem Stand der Künstler an!“ sondern auch. „Ich bin ein genialer Mensch!“ Und der eng anliegende Gehrock, der hohe steife Kragen, der sorgfältig gebügelte Cylinder, die Beinkleider mit Stegen sollen nicht nur von dem Reichthum des Besitzers, sondern auch davon Kunde geben, daß er ein ordentlicher Mann sei, ein solcher, der sich seinen Vorgesetzten und der Mitwelt durch Sorgfalt empfiehlt. „Kleider machen Leute!“ sagt das Sprichwort – aber das ist nicht in allen Fällen richtig. Man erkennt auch am Kleid den Charakter des Mannes, denn die Leute machen die Kleider. In genau demselben Anzuge wird der über das Maß des gewöhnlichen Lebens hinausstrebende Künstler anders aussehen als der pflichttreue, in der Einordnung seiner Person in das öffentliche Leben sein Ziel erblickende Beamte! Jener bildet das Kleid nach seiner Individualität durch das bloße Tragen um, dieser trägt sich, wie es das Kleid verlangt.
Die Absicht, etwas durch den Anzug darzustellen, hat wesentlich auf unser modernes Herrengewand Einfluß gehabt. Denn dieses ist unverkennbar eine Nachbildung dessen, was man vor hundert Jahren ein Wertherkostüm nannte. Goethes Werther, der zum Inbegriff der thränenreichen und nervenschwachen Empfindsamkeit wurde, trug eine Kleidung, welche noch heute nicht eben sehr auffallen würde, welche jedenfalls keine der heutigen Mode wesentlich fremde Form hat, außer daß ihr der gesteifte Hemdkragen fehlte. Er trug einen Cylinder, einen Frack, eine Weste, enge Reithosen, hohe Stiefel. Der Frack war farbig – wir kennen nur den schwarzen und auf gewissen Jagden den englischen rothen Frack. Das ist aber auch der einzige grundsätzliche Unterschied in der Kleidung, wenn man dazu nicht rechnen will, daß die hohen Stiefel heute [94] nur noch unmittelbar zum Zweck des Reitens angelegt zu werden pflegen.
Es ist eine nicht ganz einfache Frage, warum denn dieses knappe Reitergewand gerade von dem empfindsamen Helden des Goetheschen Romans gewählt wurde. Sie wird aber alsbald geklärt, wenn man erfährt, daß diese Kleidung in Paris à l’anglaise genannt wurde. Und die Geschichte der Kleidungsart bestätigt dies: es beginnt mit diesem Anzug der vorwiegende Einfluß des bürgerlichen, freiheitlichen und empfindsamen Englands auf die Modenentwicklung.
Schon der Hut bekundet dies, er hat eine lange Geschichte: denn der Vater unseres Cylinders ist der starke Filzhut aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Damals diente seine schwere Krempe zur Sicherung gegen Schwerthiebe. Später wurde sie erst an einer, dann an zwei und drei Seiten aufgekrempt und als Dreispitz die Kopfbedeckung der Heere. Die Puritaner Englands und ihre Geistesverwandten in Holland, jene Leute, welche auf allen äußeren Tand verzichteten und in dunkeln Farben das ihnen allein anständige Kleid finden zu können glaubten, sie scheuten sich, die Krempen keck aufzubiegen, sie trugen auf den „Rundköpfen“, den kurz verschnittenen, perückenlosen Häuptern, den absichtlich häßlichen hohen Hut. Er ging von England nach Amerika über und wurde die Kopfbedeckung der Freiheitskämpfer der Vereinigten Staaten. Dadurch wurde er zu einem der Sturmzeichen der politischen Revolution in Frankreich wie der litterarischen in Deutschland. Nicht nur Werther, sondern auch Camille Desmoulins trug ihn.
Auch in anderer Beziehung war das Wertherkostüm das der jungen Geistesrichtung. Es war das des Reiters, des in freier Luft sich Bewegenden, also des naturliebenden, einfachen und natürlichen Menschen, während das andere Gewand, jenes mit Schuhen und Strümpfen, Galanteriedegen und offener, mit dem Jabot geschmückter Weste, das Kleid der Salons, der vornehmen Welt, der überfeinerten und entsittlichten französischen Gesellschaft war. Wie in der braunen Sammetjacke des Künstlers selbst etwas Genialisches nicht liegt, sondern nur in der Gewohnheit, dieses noch aus den Tagen der Befreiungskriege stammende Kleidungsstück für ein Zeichen der Loslösung vom allzu strengen Zwang der geselligen Sitte zu halten, so war das Wertherkostüm in seiner Knappheit und vermeintlichen Natürlichkeit das eigentliche Zeichen der Ideen Addisons, Swifts, Rousseaus und Montesquieus. Im Wertherkostüm ging man vom Klassizismus zur Naturschwärmerei, von Homer zu Ossian über, von der Ueberfeinerung und der in dieser lebenden Dürre zur Natur und zu hingebendem Gefühlsleben. Der einzelne Träger war sich dieser kulturgeschichtlichen That sicher nicht bewußt. Aber der Geist der Zeit wirkte trotzdem in der Kleidung wie in jedem Werke aus Menschenhand.
Die franzosische Revolution hatte die englische Sitte in ihrer Weise abgeändert, indem sie die Kniehosen zum englischen Frack hinzufügte. Sie schuf keinen neuen Kleidertypus, sondern nur eine schrullenhafte Verbindung und Verunstaltung der beiden alten. Das Kinn verschwand vollständig in einer hohen Binde aus feinem Batist, die bis an die Backenknochen reichte, die Weste und der Frack bedeckten kaum den Magen, während die Schöße endlos lang herab reichten, die Hose begann an der Brust und endete über dem Knie: es war die Zeit der „Merveilleux“ und „Incroyables“. Denn „Wunderbare“ oder „Unglaubliche“ nannte man die Stutzer jener Zeit, Leute, die ein für den Verständigen unmöglich scheinendes Gewand liebten. Sie ahmten das hochgeschnürte Gewand der Frauen nach, bei dem auch aller Schmuck auf Brust, Hals und Kopf vereinigt war. Der Welt blieb als dauerndes Angebinde dieser Modenausschweifung das Halstuch, jene hohe Binde, die sie erst in den siebziger Jahren für den Civilstand los wurde. Noch heute tragen sie in veränderter Form unser Heer und der preußische Geheimrath. Es scheint, als könne die Welt nicht vergessen, eine wie kitzlige Stelle des Körpers in der Zeit der Schreckensherrschaft der Hals war, und als müsse sich der vorsichtige Beamte heute noch durch Tücher vor den Unannehmlichkeiten des Fallbeils schützen.
Jenes Kostüm der Merveilleux und Incroyables war also der Widerpart gegen die Schreckenszeit, das Kleid ihrer republikanischen Ueberwinder. Es sollte nach den Tagen der Gleichheit das Recht der Eigenart darstellen. Die junge männliche Welt kehrte zu den hellen fröhlichen Farben zurück, welche sonst den Hof beherrscht hatten. „Man giebt,“ sagt ein Modeblatt jener Zeit, „nicht nur in den Gesinnungen und Grundsätzen, sondern sogar in den Pelzmützen dem Hellen den Vorzug vor dem Dunkeln.“
Die Halsbinde war aus geblümtem Musselin, die Weste aus weißem Kaschmir oder Manchester; der seidene Rock war in lila und grün „gegittert“ und hatte zwei Kragen, einen hochaufstehenden und einen umgeklappten, beide aus grünem Sammet; die Beinkleider waren aus rothem Kaschmir, „ungarisch“, sehr eng, die Stiefel à la Suwarow, also nach russischem Vorbild mit „bottes collantes“, das heißt engen, gelb gefirnißten Umschlägen und mit kleinen Sporen; ein „Busenstreif“ drang mit seinem Gefältel aus der bunt eingefaßten Weste hervor, aus deren Taschen mächtige „Parade-Petschafte“ niederhingen.
Dazu kam der Tituskopf, dessen Natur schon wieder zu völliger Unnatur geworden war: „Vor zehn Jahren,“ sagt ein Bericht von 1800, „hätte ein Mädchen einen Bräutigam mit einer Perücke ausgeschlagen, jetzt sind die Perückenköpfe wieder in Mode!“
Und zwar gehörte der Backenbart mit zu dieser Mode, die es liebte, das Kopfhaar blond, den Bart aber schwarz zu tragen. Die Haarbeutel, das Pudern kamen an den Höfen wieder auf, selbst Napoleon ordnete es für seine Hofbeamten an.
Damals erfand man auch den niedrigen steifen
Hut, der jetzt so viel getragen wird. Das
Modejournal, welches ihn zuerst darstellt, thut dies nicht,
ohne ihn eine Karikatur zu nennen und ihn dem
Gelächter preiszugeben. Ich sah mit stiller
Wehmuth die hübschen Formen, welche dieser Hut
anfangs erhielt, ehe er in die allerabscheulichste,
die kugelrunde von heute, gepreßt wurde.
So trugen sich die „Elegants“ des beginnenden Jahrhunderts, indem sie scheinbar alle Thorheiten der alten Zeit auf die neue zu häufen bemüht waren. Aber schnell verging die Ausschweifung. Napoleon legte ihr selbst Zügel an, seit er Kaiser geworden war. Schon 1810 war der völlige Katzenjammer da, man erkannte, daß man „vor dem Götzen des Ungeschmackes die Kniee gebeugt habe“, und kehrte zur Natur, zum Wertherkostüm zurück, an dem nun allerlei kleine Wandlungen vorzunehmen die ganze Aufgabe der Mode wurde.
Als die wichtigste Frage erscheint die Gestaltung des Beinkleides. Man unterschied damals „Hosen“ und „Pantalons“, und zwar verstand man unter ersteren das, was wir heute „Kniehose“ nennen würden, unter „Pantalon“ ein die ganze Länge des Beines umfassendes Kleidungsstück. Im Mittethochdeutschen heißt die Kniehose „Bruoch“, während unter Hose ursprünglich und zum Beispiel in Westfalen heute noch das verstanden wird, was wir jetzt Strumpf nennen. Daher spricht man jetzt noch wie von einem Paar Strümpfen auch von einem Paar Hosen und verstand noch im 17. Jahrhundert unter dem Witzwort der „Partei mit den langen Hosen“ nicht etwa die Männer, sondern die Frauen. Die Hose war also ein schlauchförmiges Ding; als solches erscheint sie noch im Wort „Windhose“; daher ist ferner der „Hosier“ in England immer noch der Strumpfhändler. Dann erst wurde durch das „Hosenbändel“ Bruoch und Hose fester aneinander geknüpft und ging der letztere Name auf beide Theile über, ja blieb endlich auf der Kniehose, dem alten Bruoch, sitzen. Als um 1800 die Deutschen für ein Kleid von ganzer Beinlänge keinen Namen mehr wußten, begnügten sie sich mit dem aus dem Französischen angenommenen „Pantalon“. Dies wieder ist ein Spottwort, welches von Pantalone, dem Narren der italienischen Posse, abstammt, der lächerlich lange und weite schlauchartige Beinkleider trug. Von da wurde es auf das Beinkleid des 19. Jahrhunderts übertragen, welches seiner Form nach mit Fug und Recht Hose genannt werden kann.
[95] Anfangs wurde dieses ganz eng, sorgfältig nach den Formen des Beins zugeschnitten, erhielt aber am unteren Ende seitlich einen zuzuknöpfenden Schlitz, damit es über den Fuß gezogen werden konnte. Gelber Nankin war der bevorzugte Stoff dieses Kleidungsstückes. Dieser Anzug war sehr leicht und zierlich; er paßte sowohl für die Schuhe als für die langen noch beliebten Stiefel. Vielfach trug man auch Gamaschen, die über Schuh und Strumpf geknüpft wurden. Bis in die zwanziger Jahre hinein ging man selbst auf Bälle in hohen Stiefeln, die vielfach reich verziert wurden, am oberen Abschlusse Posamenten und Quasten zeigten, umgeschlagen und verbrämt waren. Die Aerzte wendeten sich gegen sie, weil man sich beim Ausziehen erkälte, ferner weil ihre große Wärme Blutandrang zum Kopf, „Kriebeln“ an den Füßen, endlich Kopfweh und Schlagfluß verursache. Aber noch heute leben sie weiter, wenn auch heimlich, unter weiten Hosen getragen als Schaftstiefel.
Die Knöpfe, mit welchen man die Beinkleider am Knöchel schloß, führte man vielfach in einer langen Reihe längs der Naht empor, als wenn das ganze Beinkleid seitlich sich öffnete. Die Lützowsche Freischar trug z. B. solche Knopfreihen. Aber mehr und mehr kam man dazu, die Hosen in weiteren Maßen zuzuschneiden, so daß sie bald um die Waden des Trägers flatterten. Anfangs reichten sie nicht bis auf den Fuß, sie zeigten noch den Strumpf und den Halbschuh; dann nach den Befreiungskriegen kamen die russischen „Pantalons“ auf, die zwar über dem Knöchel gebunden wurden, aber so weit und lang zugeschnitten waren, daß ihre Bauschen bis auf den Boden fielen. Weiche Stiefel in Kastor oder Juchten gehörten zu dieser Tracht. In den zwanziger Jahren hat das Beinkleid endlich die Gestalt erlangt, die es im wesentlichen noch heute besitzt: es ist ein vom Schneider aus starkem Tuch gefertigtes, von der Taille bis auf den Stiefel reichendes, häufig an diesem durch Stege befestigtes Gewand. Ob nun wie in den zwanziger, vierziger und sechziger Jahren oben am Bund Einnäher gemacht werden, damit der Träger an den Hüften breit aussehe, oder ob die Beinkleider an den Knieen eng und unten weit erscheinen, wie sie Jungdeutschland um 1830, der preußische Offizier bis etwa 1880 liebte und die Marine noch heute trägt, ob sie eng sich spannen, damit die Formen des Beines deutlich sichtbar werden, ob sie zu lang gemacht werden, damit sie sich in Falten stauchen, wie es die österreichischen Offiziere lieben, ob sie ballonartig aufgebauscht sind wie in der Blüthezeit der Krinoline, oder gleich weiten Säcken nach dem Vorbild der englischen Lawn-Tennis-Anzüge – das sind so kleine Scherze der Mode, in denen ein ernsterer Sinn kaum zu erkennen ist: es sind die Phantasieblüthen der Schneider und Modejournalzeichner.
Ich erinnere mich sehr lebhaft des Staunens, als ich, in jungen Jahren zum Hofball eines deutschen Fürsten geladen, auf der Ansage die Bemerkung fand „Anzug: Schuhe und Strümpfe.“ Ich war zwar Soldat gewesen und hatte die löbliche, weil praktische Einrichtung der leinenen Fußlappen kennengelernt. Wollte der Fürst sich durch jene Bemerkung davor verwahren, daß ein Gast solche in langen Stiefeln trüge? Darauf, daß diese Nachricht nur den Hofbeamten gelte, kam ich erst während des Festes selbst, nachdem ich mit Selbstgefühl mich gekleidet hatte wie zu jedem andern Balle, entschlossen, allen Angriffen auf mein Selbstbestimmungsrecht zu trotzen, falls man von mir Unbilliges fordern sollte. Um sicher zu gehen, hatte ich mir neue Lackstiefeletten gekauft – wenn schon auf das Fußzeug so viel Gewicht gelegt ward!
Noch heute trägt man ja an den Höfen das alte französische Kleid, die enge Kniehose und den bestickten Frack. In der Gesellschaft, deren Kleid nicht von oben geregelt wird, erhielt es sich bloß bis in die dreißiger Jahre. Die hellen Farben verschwanden aber auch hier mehr und mehr. Sie blieben wie überall das Vorrecht der Uniform. Am längsten hielten sie sich an den Westen und an den mächtigen Binden. Lange waren Frack und Beinkleider wenn auch schwarz, so doch noch von Seide, Atlas oder einem gerippten, „Cords“ genannten Stoff. Erst seit den vierziger Jahren herrscht das Tuch allgemein, verschwindet das tiefe Blau und Grün, verlieren sich selbst die Goldknöpfe vor dem matten Schwarz des heutigen Gesellschaftsanzuges. Und so war das moderne Ballkostüm fertig!
Die Halsbinden blieben am längsten Versuchsfelder für einschneidendere Neuerungen. Zwar machte das 19. Jahrhundert das Kinn bald wieder frei, aber es blieb dabei, den Hals mächtig zu recken. Man sehe nur alte Uniformen mit ihren unglaublich hohen Kragen und Binden an! Die deutsche Armee trägt sie heute noch, diese Erfindung der Revolutionszeit, wenn auch in gemilderten Abmessungen. Es galt 1823 für eine große Neuerung, als statt der fest geschneiderten, mit Fischbein oder Draht ausgesteiften Binden aus England solche kamen, die man sich selbst anlegen konnte. Hatten sich doch die „Kleinmeister“ bisher besondere Leute gehalten, die gleich dem Friseur aufs Zimmer kamen, um die Binde anzulegen oder gegen einen Gulden Lehrgeld eine neue Mode ihrer Kunst zu lehren.
Lange Jahrzehnte ist so der Hals kunstgerecht verbarrikadiert worden. Erst die Nähmaschine hat hier Wandel geschaffen, weil sie die Hemdenmode beeinflußte und an Stelle der „Chemischen“, jener Vorhemden, welche sich nur zu oft durch die hinten zwischen den Frackschößen heraushängenden Bändchen peinlich bemerkbar machten, die Hemden mit fester Brust einführte. Jetzt konnte man diese ja auf billige Weise fälteln, so daß es nicht als Luxus erschien, sie mit dem Hemd selbst zur Wäsche zu schicken, man konnte sie steifen, wie man vorher nur die Binde gesteift hatte, jenen wunderbaren Leinwandpanzer schaffen, der heute noch die Männerbrust nach vorne deckt. Erst in den sechziger Jahren wurde es allgemein Sitte, die Kragen an das nun mit dem Hemd vereinigte Vorhemdchen angeknöpft zu tragen, und die Mode begann sich hauptsächlich auf die Gestaltung dieser Leinwandkragen zu werfen, endlich durch den Klappkragen – wenn ich nicht irre, auch in den sechziger Jahren – den Hals der großen Mehrzahl der Männer wieder befreiend. Byron freilich und die deutschen Idealisten hatten diese Tracht schon vierzig Jahre früher anzubahnen gesucht. Mit dem Stehkragen trat an Stelle der Binde der Schlips, wieder, wie der Name sagt (von slip, Knoten), eine englische Erfindung, ursprüglich jenes geknotete Tuch, welches die Seeleute tragen, später ein schmaler bandartiger Streifen, endlich eine vom Fabrikanten mit allerhand „Mechanique“ zum Anschnallen ausgestattete Schleife. Der Klappkragen ist leider, wie es scheint, wieder im Verschwinden. Als ich mich im vorigen Frühjahr in England aufhielt, mußte ich mir schon Stehkragen kaufen, weil ich nur für solche geeignete Schlipse vorfand. Ein Ladenfräulein in einem nahe dem Hafen von Liverpool gelegenen großen Geschäft fragte mich ohne schelmische Absicht, als ich ihr meine Noth klagte, ob ich aus Australien käme?
Der Schlips hat sein Gegenstück in der Krawatte, deren Name vielleicht vom englischen craw, Kropf, abstammt.
Beide zusammen haben als verkünstelter Rest des frei geschlungenen Halstuches noch heute das Vorrecht, farbig sein zu dürfen und den kleinen Fleck am Kleide des Mannes darzustellen an welchem er einen selbständigeren Geschmack bekunden darf – soweit er etwas diesem Entsprechendes in den Läden findet!
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Erst im Laufe des Jahrhunderts hat sich die Gewohnheit herausgebildet, den Frack, eigentlich ein Reitkleid, nur als Gesellschaftsrock, als Prunkstück zu tragen. Er ist das ursprüngliche Hauptstück der modernen Tracht. In den ersten Jahrzehnten trug man bei kaltem Wetter einen Oberrock über dem Frack, den „Redingote“. Dieses Wort ist wie „Frack“ (von frock, Kittel) wieder ein englisches und kündet die Herkunft der Tracht an: riding coat heißt der Reitrock. Die aus dem Franzosischen übernommene Schreibart ist also eigentlich nicht richtig.
Im Gegensatz zu ihm nannte man den Frack in Deutschland den „Leibrock“, wie ihn wohl ältere Leute hier und da noch heute nennen. Bald traten beide Kleidformen in Wettstreit miteinander, der Redingote wurde auch ohne Frack getragen, an den Seiten der Schöße mit Taschen versehen, bald weit, bald in der Taille eng gebildet. Er ist der Vorgänger unseres „Gehrockes“ wie des soldatischen „Interimsrockes“; sein Unterschied vom Frack besteht eben ursprünglich nur darin, daß die Schöße nicht vorn abgestochen sind, sondern die Hüften ganz umschließen.
Heute sitzt ein Frack und Rock erst dann, wenn er „wie angegossen“ aussieht, das heißt, wenn er keinerlei Falten wirft. Dem war nicht immer so. Die Mode hat sich erst langsam an die flachen, schmalen Kragen unserer Herrenröcke gewöhnt; früher zog man die von den weiten Binden geforderten breiten Shawlkragen vor, ja man gefiel sich gerade in recht übertriebenem Schnitt. Meinem Großvater „saß“ ein Rock erst dann, wenn zwischen Binde und Kragen bequem eine Semmel Platz hatte, wenn der Rock also allseitig weit vom Halse abstand. Man dachte nicht daran, den Kragen scharf umzubügeln, sondern ließ ihm bauschige Formen, einen rundlichen Fall. Ebenso waren die Aermel nicht glatt wie die unseren, sondern wurden mit Vorliebe zu lang gebildet, so daß sie sich faltig an der Hand stauchten, oft sogar diese fast ganz bedeckten. Oder sie hatten die Form der heutigen Frauenärmel, oben Verbreiterungen und höckerartige Aufbauschungen. Die weiten Kragen und die Länge der Schöße am Redingote wurden das Kennzeichnende der Mode um 1820 und 1830. Dutzende von Kragen übereinander verbreiterten das mantelartig werdende Gewandstück, welches sich schon zu Anfang unseres Jahrhunderts der Form unseres Havelock näherte. Diesen Namen hat das Kleidungsstück erst von Sir Henry Havelock, dem Sieger im indischen Seapoyskriege, also aus den fünfziger Jahren. Die Sache selbst war aber damals nicht neu, nur die bestimmte Form, welche der General getragen hatte.
Die Farbe des Redingote ging auch langsam zurück. Sie kam aber nicht ganz aufs Schwarz, sondern schwankte zwischen Grau und Braun. Schon war ein lebhafter Ton höchstens am Ballmantel erlaubt und zwar nur im Futter. Aber in den Stoffen blieb noch lange eine größere Auswahl: gerippter Sammet und Seidentuch, Köper und Nanking wechselten miteinander. Viel getragen wurden Verschnürungen und Posamenten, Pelzwerk nach Art der Polen und dergleichen Schmuck. Allein das Ende war auch hier die Ueberwindung des Farbensinnes durch die Farbenstumpfheit.
Der jüngere Bruder der Redingote ist der „Paletot“. Das Wort ist neulateinisch, kommt von palata, paldo, palda, dem gesteppten Rock, wie er im 16. Jahrhundert getragen wurde. Im Italienischen heißt falda der Frackschoß, unser Wort Falte gehört zu demselben Stamme. Ursprünglich war der Paletot auch in den vierziger Jahren ein weitfaltiges Kleidungsstück, welches mit den um 1865 so viel getragenen, jetzt nur noch als Reisedecken üblichen Wollenshawls wetteiferte. Heute ist er ganz in die Gestalt des Redingote zurückgefallen, nur daß er meist nicht die breit sich öffnende Trennung im Schoße hat, welche jenem als Reitrock eigenthümlich ist.
Von einer nationalen Sonderung der Tracht ist in all den kleinen Schwankungen der Mode wenig zu merken. Die Nationen tauschten ihre Neigungen unter einander aus; die französische und in erster Linie die englische waren zumeist die gebenden, doch auch die deutsche trug ihr bescheidenes Theil zur Gesammtgestaltung bei. Man würde aber irre gehen, wollte man allein in den Modeblättern suchen, um die Kleidung der Männer unseres Jahrhunderts kennenzulernen. In ihnen ist die Tracht der Zeit und der verschiedenen Völker nicht ganz richtig niedergelegt. Sie kümmerten sich nicht um die keineswegs bedeutungslosen Bestrebungen der nationalen Stürmer, sie behielten fest den Kurs auf Paris und London, selbst zu einer Zeit, in der das Volksbewußtsein uberall erstarkte. Das Metternichsche Wien kam für sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts allein noch in Betracht. [205] Nur ganz vereinzelt findet man „deutsche Moden“ in einem Leipziger Blatt, und zwar im Jahre 1815. Später nahm Laube in der „Eleganten Welt“ die Frage einer deutschen Männertracht auf. Doch in den eigentlichen Modeblättern wurden alle Regungen des nationalen Geschmackes vollständig verschwiegen.
Wie sah nun die „deutsche Kleidung“ der Jünglinge von 1815, der aus den Siegen von Leipzig und Waterloo Heimgekehrten, aus? Es waren so ziemlich die bereits geschilderten Ritterkostüme der Theater. Denn man wollte deutsch sein, nicht undeutsch wie die vorhergehende Zeit der Knechtschaft. Man besann sich auf die Glanzzeit des deutschen Kaiserthums, des Ritterwesens, und wollte an dieses anknüpfen. Allen diesen altdeutschen Anzügen war gemeinsam das Barett, der mit Pappe unterlegte Stirnreifen, aus dem oben noch ein Sack hervor quillt. Von Sammet mußte es sein, eine Kokarde und womöglich eine Feder tragen. Die Kokarde trug das Kreuz des Christenthums, die Farbe des Vaterlands, und die flatternde Feder bedeutete die Freiheit. Ich weiß nicht, woher das Barett stammt. Man hielt und hält es für altdeutsch, doch kommt es in dieser Form nirgends in der Kostümgeschichte vor. Das Wort stammt auch aus dem Neulateinischen und bedeutet den Kopfschmuck des Gelehrten im 16. Jahrhundert. Es ist also keineswegs urgermanisch, wie man glaubte, sondern ein Stück vom alten Besitzstande der Universitäten. Heutzutage trägt es nur noch der Student bei feierlichen Aufzügen.
Und dann trugen die deutschen Jünglinge nach den Befreiungskriegen den Leibrock, das heißt ein kurzes, eng anliegendes Kleidungsstück ähnlich unseren Jacketts, meist hoch geschlossen, manchmal aber auch am Hals mit einer Spitzenkrause oder mit breitem Hemdkragen versehen. Auch diese beiden wichtigen Dinge waren dem Ritterthum entlehnt. Zwar die Ritter selbst, das heißt die Helden des echten Mittelalters, haben nichts davon gewußt, aber zur Kleidung des Theaterritters gehörten sie unbedingt. Freiheit offenbarte der weite Kragen, der offene Hals. Die ganze Welt jener Zeit umspann den Hals mit Kragen und Binden; es ist darum kein Zufall, daß Jahn und Byron den Hals offen trugen, daß noch heute der flatternde Schlips als das Merkmal der Genialität gilt. Enge Hosen und Reiterstiefel vollendeten das deutsche Kleid des Jünglings. Die Studenten der Wartburgfeier haben es getragen; noch heute ist ein Stück davon in der „Kneipjacke“ des Corpsbruders, in der Sammetpekesche des Studenten erhalten, noch heute kündet die bunte Mütze das Streben an, sich von der Herrin Mode zu befreien.
Ein anderes Kostüm, welches dauernd sich hielt, war das des Künstlers. Der Schlapphut und der Radmantel sind italienischen Ursprungs, sie sind von den Modellen der Spanischen Treppe in Rom, von den Cioccaren auf die Maler und Bildhauer übergegangen. Cornelius und seine Geistesgenossen haben sie mitgebracht über die Alpen, namentlich des Mantels und seines freien Faltenwurfs sich freuend.
Das waren die letzten Kostümstücke, die den Stand kennzeichneten. Vielleicht ist der lange schwarze, bis oben zugeknöpfte Rock des Geistlichen noch zu nennen, der in ähnlicher Gestalt, doch meist vorn in der Mitte offen, schon bei den Abbés der Rokokozeit vorkommt. Das Bauernkleid ist ja kein modernes, sondern der Rest früherer Geschmacksbildung. Sonst ist’s still im Reich der Herrenmode. Höchstens die Laune der Gigerl fördert von Zeit zu Zeit eine neue Kleiderschrulle zu Tage, die wohl eine Saison lang in den Zirkeln dieser Lebemänner Aufsehen erregt, weitere Kreise aber – gottlob – unberührt zu lassen pflegt.
Wir haben es zum System erhoben, daß unsere Erscheinung nicht von jedem nach eigenem Wunsch, sondern von einem eigens dazu Berufenen, dem Schneider, bestimmt werde. Die Frauen wehren sich noch gegen die Herrschaft der Schneider, sie wollen noch nicht auf das Mitreden in Geschmackssachen verzichten, sich ihren kleinen Einfluß auf diese wahren. Die Männer haben sich im Kampf um das ihnen Zukommende für vollständig geschlagen erklärt. Der Weise unter uns schämt sich sogar schon, zu erzählen, daß er mit seinem Schneider längere Besprechungen habe. Er thut, als ob ihm sein Kleid gleichgültig sei, so lange er jung ist. Es wird ihm thatsächlich gleichgültig, sobald er auf Eroberungen verzichtet – wie sieht er aber dann auch aus!
Ich würde nun ganz gern den Schneidern ihren Ruhm lassen, wenn ich nicht leider wüßte, daß auch sie im allgemeinen herzlich wenig mitzureden haben bei der Fortentwicklung der Mode. Die Schneider sind nicht eben reichlich gesät, die jemals in ihrem Leben einen eigenen Kostümgedanken gehabt, und die noch spärlicher, die mit einem solchen Gedanken auf weite Kreise eingewirkt haben. Der ganze geistige Betrieb im modernen Schneidergeschäft besteht in der Erlernung des Technischen des Handwerkes und in der Wahl eines geeigneten Modejournals.
Die Kunst selbständigen Entwurfes wagen nur sehr wenige auszuüben. Ist es doch bequemer, seinem Kunden ein von anderen sorgfältig gezeichnetes Blatt vorzulegen, um diesem zu zeigen, was getragen wird: das Modejournal. Der Mann, der wohl zu Hause über seine Frau spottet, daß sie von ihrem Blatte abhängig sei, ordnet sich selbst noch willenloser unter. Ihm bleibt eine viel kleinere Wahl, er kleidet sich nicht einmal nach dem Blatt, das ihm, sondern nach dem, das seinem Schneider gefällt.
Wenn man die langen Bändereihen älterer Modezeitungen durchsieht, so erkennt man deutlich, wie stark sich der Antheil der Männer an der Geschmacksbildung verringert. Während im 18. Jahrhundert Modebilder für Männer fast in gleicher Zahl wie solche für Frauen in den für die große Menge bestimmten Blättern geliefert wurden, verschwinden die Herren nach der Zeit des ersten Napoleon mehr und mehr aus diesen Zeitungen, welche sich nun vorzugsweise, oft sogar ausschließlich, an die Frauen wenden. Dagegen entstehen nun die nur für den Herrenschneider bestimmten Blätter, in welchen ein leitender Kopf die Modeblätter zeichnet, Tausende von Schneidern bis zur Willenlosigkeit von sich abhängig machend und durch diese Millionen von mehr oder minder „eleganten“ Kleiderträgern.
Diese Einheit der Kleidung ist im wesentlichen durch die napoleonische Zeit herbeigeführt worden. Vorher gab es immerhin noch bescheidene örtliche Unterschiede. Nur die Höfe waren seit dem 17. Jahrhundert schon einig in der schleunigsten Nachahmung [206] der Pariser Sitten gewesen. Im Bürger- und Bauernstand erhielt man sich wenigstens das Recht, langsamer den Sprüngen der launischen Göttin zu folgen, die französische Mode von vorgestern mit Stolz und in der Ueberzeugung zu tragen, daß es so wohlanständiger sei.
Die Einheitsmode, welche heute die Welt beherrscht, ist ein Erzeugniß nicht der Völkerverbrüderung, sondern der Schneiderverbrüderung. Die Schneider trafen zusammen, um über die Behandlung des Technischen sich zu unterrichten, gewisse einflußreiche Lehrer führten sie zu der Einheitlichkeit des Geschmackes. Es waren dies die Männer, welche durch die Modejournale zur ganzen Welt der mit Nadel und Bügeleisen Arbeitenden sprechen konnten.
Der Mann, welcher zuerst diese Vereinheitlichung des künstlerischen Theiles der Männerbekleidung ins Leben rief, war Antoine Fernand Barde (geb. 1786), zugleich der erste große Theoretiker seines Faches, der sich 1810 durch eine damals mit Begeisterung von den Schneidern angenommene Neuerung in Paris bekannt machte, indem er nämlich beim Maßnehmen an Stelle des jetzt nur noch beim ländlichen Schuhmacher üblichen Papierstreifens das Centimetermaß anwendete. Seit 1818 unterhielt er in der Rue Vivienne 8 ein Geschäft, das er „Musée de la Mode“ nannte, das berühmteste seiner Zeit, eine bis dahin noch nicht gesehene öffentliche Ausstellnug fertiger Kleidungsstücke, die er in seinem großen „Pompe Anglaise“ genannten Atelier fertigen ließ. Für das Maßnehmen wendete er wissenschaftliche Systeme an, er erfand Werkzeuge, um die genauesten Angaben über die verschiedenen Körperformen zu erhalten, er war der erste, der eine strenge Arbeitstheilung einführte, der erste, der die Schnittpatronen in Papier ausschnitt, sie sammelte und so 1832 eine Aufsehen erregende Ausstellung veranstalten konnte, in der er sein System des Kleidermachens an zahllosen solchen Patronen erklärte. Dann brachte er sein Wissen in die Form eines Buches und ließ dies als „Traité encyclopédique de l’art du tailleur“ 1834 erscheinen. Von 1843 an leitete er das große für die Schneiderei wichtige Modeblatt „Le Parisien“, in welchem er die Herrschaft Weniger über die Erscheinung der gesammten Männerwelt erfolgreich vorbereitete.
Neben Barde wirkte Adolphe Dubois (geb. 1807), welcher im Jahre 1832 ein Lehrbuch der Schneiderkunst, den „Manuel du Tailleur“, und zugleich eine Zeitung für Schneider, nicht ein Modejournal nach alter Form, den „Précurseur des Modes“, herausgab, welchem später noch mehrere andere Blätter dieser Art folgten, namentlich der in den fünfziger Jahren sehr einflußreiche „Progrès“.
In Deutschland war die erste Schneiderzeitung, „Der Elegante“, in den vierziger Jahren in Weimar gegründet worden. Es ist merkwürdig, welche Summe von Anregung von dem kleinen thüringischen Fürstensitz damals ausging. Das Bertuchsche Intelligenzkomptoir hatte auch in Modefragen ihm eine Bedeutung geschaffen, die nun ein Freiherr von Biedermann zur Forderung jenes neuen Blattes ausnützte. Er war es, der zuerst die Schneider auf den Mann aufmerksam machte, welcher für die deutsche Herrenmode von entscheidender Bedeutung werden sollte, auf Heinrich Klemm.
Klemm ließ im Jahre 1844 zu Leipzig das „Handbuch der Bekleidungskunst für Herren“ in seinem eigenen Verlage erscheinen. Es war das erste völlig sachgemäße Lehrbuch seiner Art in Deutschland. Im selben Jahr erlebte es eine zweite, heute steht es nahe vor der fünfzigsten Auflage, trotz seines nicht unbedeutenden Preises. Schon 1848 übernahm Klemm die Leitung des Blattes „Der Elegante“, gab sie aber, wohl erkennend, daß die Mode eines großstädtischen Mittelpunktes bedarf, 1849 schon wieder auf, da er in Dresden einen Mann gefunden hatte, mit dem er gemeinsam Größeres zu erreichen hoffte, den Schneider Gustav Adolf Müller. Beide gründeten zusammen zwei Unternehmen, erst eine Schule und dann 1850 eine Zeitung: die „Deutsche Bekleidungsakademie“ und die „Europäische Modenzeitung“.
Beide Unternehmungen bestehen noch heute, obgleich ihre Leiter inzwischen verstorben sind. Lange Zeit haben sie auf Deutschland und auf einen großen Theil namentlich der östlichen Nachbarländer einen maßgebenden Einfluß geübt. Denn noch heute hat Dresden, die einstige Hauptstadt des glänzendsten Königs von Polen, für jene Länder den Strahlenkranz besonderer Eleganz. Ein Ausschuß, welcher sich aus den ersten Schneidern Deutschlands, Oesterreichs, Rußlands und Skandinaviens zusammensetzt, verwaltet die Anstalt, die sich jetzt „Genossenschaft der Europäischen Moden-Akademie“ nennt und an deren Spitze Klemm und Müller lange Jahre standen. Der Unterricht erstreckt sich für Reifere auf das Zuschneiden aller Art, für Lehrlinge auf die gesammte praktische Schneiderei in Lehrstufen von 1 bis 2 Jahren. In geistiger und räumlicher Verbindung mit der Anstalt steht der Verlag der „Europäischen Modenzeitung“, der nicht nur dieses, sondern fast ein Dutzend verwandter Blätter erscheinen läßt, während ein zweites von Klemm gegründetes Verlagsunternehmen vorzugsweise die Lehrbücher für alle Gebiete der Schneiderei herausgiebt.
In zwei Häusern der Dresdner Nordstraße ist dem Schneidergewerbe ein Mittelpunkt geschaffen, der Paris gegenüber seinen Werth seit einem halben Jahrhundert behauptet.
Es ist das Verdienst Klemms, daß in Deutschland wenig französische Blätter gehalten werden. Die Zeichnungen für die deutschen Journale werden zumeist in Dresden und Berlin angefertigt. Sie gehen von Deutschland aus durch die ganze Welt, durch sie beeinflußt heute Deutschland das Ausland. Die großen Schneider halten wohl auch eine englische Zeitung und richten sich nach den von dort kommenden Anregungen. Die mächtige Tuchindustrie Großbritanniens hat hierauf einen entscheidenden Einfluß. Namentlich in allen Sportskreisen lauscht man bei uns mit allzu willigem Ohr den Anregungen, die von London kommen. Aber unsere Modeblätter sind die ersten der Welt. Die „Europäische Modenzeitung“ hat Ausgaben für Schweden, Holland, Ungarn, verschickt Bilder und Schnitte nach Belgien, Oesterreich, Rußland; ja selbst Frankreich spürt das Fortschreiten der deutschen Fachliteratur. Die heftigen Angriffe, welche von Paris gegen die deutschen Modeblätter gerichtet werden, sind ein Beweis dafür.
Ich bin Klemm in seinen späteren Jahren wiederholt begegnet. Er war damals schon über seine Fachkreise hinaus bekannt geworden als einer der emsigsten Sammler namentlich von seltenen Drucken. Mit seinem Spürsinne wußte er Altes, Sonderbares zu finden, seine reichen Mittel gestatteten ihm, zu kaufen, was ihm gefiel. Als er eines Tages seine Sammlungen öffentlich ausstellte, da bot er fast der gesammten Welt der Sammler ein überraschendes Schauspiel. Ihm blieb zwar der Inhalt seiner zahlreichen kostbaren Bücher meist völlig gleichgültig, er hatte auch eigentlich keinen geschichtlich gebildeten Sinn, sonst hätte er den alten Drucken nicht so abscheulich geschmacklose moderne Einbände geben lassen; er war auch an manchen Orten das Opfer von Täuschungen gewesen. Aber der Werth dessen, was der einstmals kümmerlich in der Lehre eines Dorfschneiders sich durchfristende Waisenknabe durch Fleiß und geschickte Ausnutzung der Schwäche dieser Welt erreicht hatte, wird am besten dadurch gekennzeichnet, daß das Bibliographische Museum zu Leipzig den Schatz von 2000 Bänden als Grundstock für seine Sammlungen erwarb und daß im Buchhändlerhause zu Leipzig wie im Germanischen Museum zu Nürnberg Klemms Büste aufgestellt wurde.
Klemm war ein Mann von gutem, zum Wohlthun geneigtem Herzen, im äußern Auftreten zurückhaltend und bescheiden. Es war nicht leicht, von ihm über seine Bestrebungen Auskunft zu erlangen. Und doch habe ich ihn einmal nach dem Geheimniß gefragt, durch welches er den Erfolg an seine Modeblätter fessele.
„Woher nehmen Sie die Anregung zu den Aenderungen in der Herrenmode? Gehen Sie nach Paris? Nach London? Beobachten Sie die dortige vornehme Welt?“
„Ach nein, man sieht ja hier und da, in Dresden oder auf Reisen, etwas Neues, aber …“
„Und das bilden Sie dann fort?“
„Manchmal! Nun, man macht eben einmal den Shawlkragen etwas breiter und sticht die Schöße vorn rund ab – oder man macht etwas anderes – was einem gerade einfällt!“
„Und die Schneider? Bäumen die sich gegen solche Willkür nicht auf?“
„Solange die alles nachmachen, was in den Modejournalen steht, hat’s damit gute Wege!“
„Und der Geschmack des Publikums?“
Klemm lächelte, die kleinen aber pfiffigen Augen blitzten vergnügt. Er antwortete nicht, sondern beugte sich mit dem Mundspitzen des Feinschmeckers auf einen alten Druck des 15. Jahrhunderts nieder, den er für schweres Geld eben erworben hatte. –
Mit der Herrschaft des Modejournals endet die Phantasie in der Gestaltung des Männerkleides. Die letztere vermag den Kulturhistoriker kaum noch anzuziehen. Was für einen Werth hat es, diese oder jene kleine Schwankung im Geschmack zu verfolgen, wenn sie aufgehört hat, Ausdruck einer Entwicklung des Schönheitsgefühles zu sein? Die Willkür der Zeichner hat die Lebenskraft der Mode zerstört. Niemand wagt, etwas an ihr zu modeln, außer jenen wenigen, welche im Zeichensaal sich durch die Haare fahren, jammernd, daß sie wieder einmal etwas Neues erfinden sollen. Und auf Befehl ist das so schwer!