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Titel: Neue Gegengifte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 407
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[407] Neue Gegengifte. Vor einigen Jahren drangen überraschende Nachrichten über neue Heilmethoden in die Oeffentlichkeit. Man hatte schon früher festgestellt, daß zwei schwere und gefürchtete Krankheiten, die Diphtherie und der Wundstarrkrampf, durch Bakterien verursacht werden, daß diese Bakterien besondere Gifte erzeugen, die in das Blut gelangen und durch Vergiftung des Körpers die schweren Krankheitserscheinungen hervorrufen. Es gelang ferner, nachzuweisen, daß man Thiere gegen die beiden Krankheiten immun, d. h. unempfänglich, machen kann und daß das Blut immunisierter Thiere die Eigenschaft besitze, das Gift der Diphtherie- und Tetanusbacillen zu zerstören. Mit solchem Blute wurden an Thieren viele Heilungen erzielt und Mäuse, die schon infolge von Tetanus in Todeszuckungen lagen, noch gerettet. Viele Aerzte sprachen damals die Hoffnung aus, daß diese Blutüberführungen auch zu Heilzwecken bei Menschen verwerthet werden könnten.

Sind diese Verheißungen in Erfüllung gegangen? Darauf möge ein Hinweis auf weitere Arbeiten auf diesem Gebiete Antwort geben.

Professor G. Tizzoni in Bologna und sein Assistent Fräulein Dr. Giuseppina Cattani suchten zunächst das Gegengift aus dem Blute gegen den Tetanus immunisierter Thiere rein darzustellen. Sie fanden, daß dasselbe ein Eiweißkörper ist, und es gelang ihnen, durch Ausscheiden der Eiweißkörper des Blutes vermittelst Alkohols eine Art Pulver herzustellen, welches unter dem Namen „Antitoxin Tizzonis“ (Tizzonis Gegengift) bekannt geworden ist. Nachdem sich dasselbe bei Thieren als heilkräftig erwiesen, wurde es versuchsweise gegen den Wundstarrkrampf beim Menschen angewandt. Bis jetzt sind acht Fälle in verschiedenen Kliniken mit dem neuen Gegengift behandelt worden – und in allen wurde eine vollständige Heilung erzielt. Man rührte das Pulver mit Wasser an und spritzte es dem Kranken unter die Haut ein. Nach den Einspritzungen besserte sich das Befinden der Kranken, die Starre der Muskeln nahm zusehends ab, die Temperatur des Körpers fiel und es trat Schweißbildung ein.

Einige Heilungen können noch nicht als ein vollgültiger Beweis für die Wirksamkeit des Mittels betrachtet werden. Wenn wir aber bedenken, daß die Sterblichkeit beim Wundstarrkrampf 90 Prozent beträgt, so müssen wir in ihnen doch mehr als ein Werk des Zufalls erblicken, und die Hoffnung, daß wir auf diesem Wege neue Heilmittel gegen eine Reihe schlimmster Krankheiten erhalten werden, erscheint immer mehr begründet. Wir haben jener Hoffnung in den Artikeln Raum gegeben, die im Jahrgang 1891 der „Gartenlaube“ unter dem Titel „Der Kampf mit den Bakterien“ erschienen sind und welche die Heilung des Wundstarrkrampfes und der Diphtherie betrafen.

Aus diesem kurzen Nachtrag können unsere Leser ersehen, daß die Wissenschaft in der Bekämpfung der alten Erbfeinde des Menschengeschlechtes langsam, aber siegreich fortschreitet. *