Nesselgift
[388] Nesselgift. Analogien, Aehnlichkeiten zwischen dem Thier- und
Pflanzenreiche giebt es vielfach, und eine solche besteht auch zwischen den Brennhaaren der Nesseln und den Giftzähnen der Schlangen. Beide sind spitzige Röhrengebilde, die auf einer Giftdrüse sitzen. Der Vergleich geht aber noch tiefer. Nicht nur das Werkzeug, welches das Gift anbringt, auch das Gift selbst ist in beiden Fällen ähnlich. Wohl besteht das Nesselgift zum größten Theil aus Ameisensäure, die ätzend auf die Haut wirkt, aber diese ätzende Substanz scheint nur dazu berufen zu sein, den Hautpanzer zu durchbrechen, um einem anderen weit schlimmeren Gifte Eintritt in die unteren Hautschichten zu erzwingen. Nach gründlichem Verbrennen mit Nesseln entstehen nämlich Röthungen, Anschwellungen und heftige Schmerzen, wie sie durch reine Ameisensäure nicht hervorgerufen werden, und dies zeigt uns schon, daß die Nesseln
noch ein besonderes Gift hervorbringen, das in kleinsten Mengen wie das Schlangengift wirken kann. Unsere Brennnesseln sind noch unschuldiger Natur; sie strafen
unsern Angriff nur durch ein unangenehmes Jucken und Brennen; aber in
den Tropen wachsen gefährlichere Arten. In Indien ist z. B. die feingekerbte Nessel (Urtica crenulata) heimisch, deren Berührung wenig Röthe
und keine Geschwulst, aber dafür einen furchtbaren Schmerz erzeugt, der
sich bald über das ganze Bein oder den ganzen Arm, je nach der Berührungsstelle, erstreckt und selbst eine Art Starrkrampf erzeugt. Diese
schmerzlichen Empfindungen lassen nur langsam während einer ganzen
Woche nach. Aus Java und aus Timor sind Arten wie die Urtica
stimulans und Urtica urentissima bekannt, deren Gift ähnlich dem
Schlangengifte selbst nach Jahren schmerzliche Rückfälle hervorruft. Daß
Wasser kein Mittel zur Linderung der Nesselverbrennung ist, sondern die
Schmerzen nur noch erhöht, dürfte allgemein bekannt sein. *