Napoleon und die voltaische Säule

Textdaten
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Autor: E. R.
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Titel: Napoleon und die voltaische Säule
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 751–752
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[751] Napoleon und die voltaische Säule. Humphry Davv, der ausgezeichnete britische Chemiker, hatte eine die ganze gelehrte Welt in Staunen und Aufregung versetzende Entdeckung gemacht. Im November 1806 hielt er vor der sogenannten „Königlichen Gesellschaft“ in London zuerst eine Vorlesung über die chemischen Wirkungen der Elektricität, in der er darlegte, daß die ungemeine Kraft der galvanischen Elektricität alle bis dahin für unzerlegbar gehaltenen Stoffe dennoch zerfetzen und damit zur Kenntniß der wirklichen einfachen Körper oder wahren Elemente, der Bestandtheile alles Irdischen, führen müsse. Weitere Versuche bestätigten dies, und bereits in zwei weiteren Vorlesungen, am 12. und 19. November 1807 konnte er jener Gesellschaft sichere Ergebnisse über die Zerlegung der Alkalien, zunächst der Soda und der Pottasche, mittheilen.

Diese wichtige Entdeckung war allmählich auch bin zu dem wissenschaftlichen Publicum den Continents gedrungen; man beschäftigte sich namentlich mit den so merkwürdig erscheinenden Eigenschaften dieser Alkalien-Metalle, welche, in’s Wasser geworfen, eine Feuererscheinung hervorbringen und das Wasser zersetzen sollten, und, wie fast sämmtliche hervorragenden Chemiker aller Nationen, so sprachen sich auch die französischen, besonders Gay-Lussac und Thénard, sofort Davy’s Ansicht beipflichtend, dahin öffentlich aus, daß man alle Alkalien (und ebenso sämmtliche Erden) hinfort für nichts Anderes, als eine Verbindung ihrer Metalle mit Sauerstoff anzusehen habe.

Auch Napoleon’s Adlerblick war diese Entdeckung, obwohl ihm doch so fernliegend, nicht entgangen, und wenn er ihre ganze Bedeutung auch wohl nicht zu ermessen vermochte, so ahnte er die außerordentliche Wichtigkeit derselben doch vielleicht. Aber er konnte keineswegs die Freutde darüber empfinden welche die Männer der Wissenschaft ohne Ausnahme, gleichviel welcher Nationalität sie auch angehörten, dabei erfüllen mußte. Ihn ärgerte es vielmehr nicht wenig, daß gerade ein Engländer, ein Angehöriger des ihm in den Tod verhaßten Volkes, diesen Triumph errungen hatte – und diesen Verdruß gab er den Chemikern von Paris im vollsten Maße zu erkennen.

Die Vorwürfe den allgewaltigen Imperators suchte man mit der Vorstellung abzuweisen, daß ihnen, den Pariser Chemikern, ja gar nicht die Gelegenheit zu derartigen Entdeckungen geboten sei, da es durchaus an den genügenden Apparaten und besonders an den voltaischen Säulen von genügender Größe, Kraft und Energie fehle.

„Bah!“ hatte der erzürnte Kaiser erwidert, „Bah! construiren wir sofort solche Säulen und noch viel größere, als die der englischen Chemiker, allons!

Und jetzt ließ er große, ja wahrhaft ungeheure voltaische Säulen zur Erzeugung massenhafter Elektricität erbauen und beaufsichtigte selbst die Ausführung derselben. Der große Feldherr und Politiker wußte sich die Zeit zu erübrigen, um das sonst doch so kleinlich erscheinende Treiben der Chemiker zu verfolgen. Ja, er war in der That ein so großer Staatsmann, daß er auch die Bedeutung der Chemie, mindestens in Bezug auf Schießpulver, Salpeter etc., also die Bedürfnisse seiner Kriegshülfsmittel-Laboratorien, wohl zu würdigen wußte. Tagtäglich sprach er in dem chemischen Laboratorium vor und man konnte ihm unschwer die Ungeduld anmerken, mit der er dem Beginn der Experimente entgegensah.

Endlich war der Tag gekommen. Die gewaltigen Säulen waren vollendet, die Maschinerien wurden in Bewegung gesetzt, die elektrischen Batterien geladen und bald war Alles für die beabsichtigten Versuche in Bereitschaft gesetzt. Die Koryphäen, nicht blos der Chemie, sondern auch anderer Zweige der Naturwissenschaft, ja fast der gesammten gelehrten Welt von Paris waren versammelt. Endlich trat auch der Kaiser ein und, was schon damals selten der Fall war, ein liebenswürdiges und zugleich erwartungsvolles Lächeln umspielte seine ehernen Züge.

[752] So hatte diese Wissenschaft selbst den größten Mann der Zeit, nebst seiner glänzenden Umgebung, zur Theilnahme an ihrer Thätigkeit zu erregen vermocht – obwohl sie damals bekanntlich die Kinderschuhe sich noch keineswegs ausgetreten hatte. Unter allen den hier versammelten würde dem unbefangenen Blick ein junger Mann, der Assistent eines der bedeutendsten Chemiker, aufgefallen sein, ein noch jugendlicher Mensch mit langem, pechschwarzem Haar, welches wirr das schmale, fast aschfarbene Antlitz umflatterte, in dem wiederum die großen, dunklen Augen gar seltsam düster brannten. Zu dergleichen Beobachtungen hatte jetzt jedoch Niemand Muße, denn die gespannteste Aufmerksamkeit Aller war ja auf die sich vorbereitenden Experimente gerichtet. François Bossé, wie er hieß, drängte sich immer in die Nähe des Kaisers und dieser wich, wie unwillkürlich, seiner unheimlichen Erscheinung stets scheu aus.

Jetzt sollten die Experimente beginnen. In großen Tiegeln, über furchtbarem Feuer, sollte geschmolzenes und glühendes Aetznatron dem ungeheuern Einfluß der galvanischen Elektricität ausgesetzt werden. Alle Zuschauer drängten sich neugierig heran, um von den Erscheinungen des interessanten Vorgangs auch nicht das Geringste zu verlieren. Plötzlich stellt sich François Bossé mitten in den schmalen Durchgang, der für den Kaiser offen geblieben, und dieser muß, um schnell heranzukommen, dem zudringlichen Menschen wieder ausweichen; – da, urplötzlich donnert die gewaltige Kraft der voltaischen Säule los (der Kaiser ist dem Leitungsdraht zu nahe gekommen) und, von der ganzen, furchtbaren Gewalt des elektrischen Stromes getroffen, stürzt er zusammen, leblos zur Erde.

Der große Imperator Frankreichs, der Welten erobert, Throne gestürzt und neue gestaltet, dessen allmächtiger Wille Fürsten, Könige und Herzoge geschaffen, vor dem Kaiser und Gewalthaber gezittert und sich um seine Freund- und Bruderschaft gedrängt, er, der unumschränkte Herr und Gebieter fast der gesamten Erde – er liegt da im Staube; seine allgewaltige Menschenmacht konnte ihn nicht schützen vor einem Funken der Naturkraft!

Napoleon ward gerettet. Zwei Hülfsarbeiter in dem chemischen Laboratorium hatten François Bossé beobachtet und waren in sein finsteres Geheimniß gedrungen. Ein glühender Republikaner und von einer hoffnungslosen Liebe vollends seiner klaren Ueberlegung beraubt, hatte er den wahnsinnigen Plan des Kaisermordes, bei dieser Gelegenheit, gefaßt. Während er alle Vorbereitungen zur Ausführung der That noch mit der größten Umsicht und Ueberlegung in’s Werk gesetzt, da umdüsterte sich bereits sein Geist, denn sein schwacher, wohl zu zart organisirter Kopf war den lange andauernden Aufregungen, der in’s Ungeheuere entfachten Spannung nimmer gewachsen. Darum ward es jenen Beiden auch sehr leicht, seine Absichten zu durchschauen – und zu vereiteln.

Gerade zur rechten Zeit vermochte der eine unbeachtete Famulus einen Theil der elektrischen Leitung zu unterbrechen, so daß der Kaiser nur von einem verhältnißmäßig schwachen Strome getroffen wurde; hätte dies nicht geschehen können, so würde Napoleon unfehlbar verloren gewesen sein.

Der nach dem anscheinend gänzlichen Gelingen seiner That vollends wahnsinnig gewordene Mensch stürzte sich, als er später Napoleon zu Pferde sah und seinen Geist zu erblicken wähnte, in die Seine.

Die hier erzählte Thatsache ist wenig in das Publicum gedrungen.

Man sagte: der Kaiser sei dem Leitungsdraht unvorsichtiger Weise zu nahe gekommen, habe aber, außer einer kurzen Ohnmacht, keinen Schaden weiter genommen. Thatsächlich ist es aber – daß Napoleon seitdem nie wieder ein chemisches Laboratorium betreten hat.
E. R.