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Titel: Napoleon’s Hüte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 113–116
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[113]
Napoleon´s Hüte.

Während meines Aufenthaltes in Paris lernte ich den jungen Maler Anatol St. kennen, dessen Kreidezeichnungen auch bei uns Deutschen sehr geschätzt werden. Anatol stand, wie ich, im fünfundzwanzigsten Lebensjahre, er war ein Mann von Geist und Gemüth und dabei die Offenheit und der Frohsinn selbst. Ehe ich recht wußte, wie es gekommen, waren wir Freunde geworden, und wir trafen uns täglich zu gemeinschaftlichen Spaziergängen.

„Begleiten Sie mich!“ sagte er eines Tages, nachdem wir in einem Café Billard gespielt hatten.

„Wohin?“

„Zu einem Hutmacher. Meine Kopfbedeckung ist so schlecht, daß ich einer neuen bedarf, zumal da ich in vierzehn Tagen eine Reise zu machen gezwungen bin. Wie wäre es,“ fügte er lebhaft hinzu, „wenn Sie mich auch auf der Reise begleiteten? Sie werden meinen Onkel kennen lernen, einen alten vortrefflichen Mann, dem ich jährlich einen Besuch in seinem einsamen Dorfe abstatte.“

„Ich werde den freundlichen Vorschlag in Erwägung ziehen.“

„Erwägen?“ fragte Anatol mit einem vielsagenden Lächeln. „Sie sind mein Gast, nur so lange als wir uns auf der Reise befinden, ersparen Sie sich die Ausgaben in Paris. Eine Ausflucht lasse ich nicht gelten – reisen Sie mit mir!“

Es war nicht möglich auszuweichen, und ich gab gern meine Zustimmung, da ich während meines Aufenthaltes in Paris, der sich nur noch bis zum Herbste ausdehnen sollte, den Umgang mit dem liebgewordenen Freunde so wenig als möglich entbehren wollte.

Wir standen vor dem glänzenden Laden eines Hutmachers.

„Der Munificenz des genannten Onkels verdanke ich, daß ich für dieses Jahr meinen Calabreser aus dem besten Magazine von Paris kaufen kann,“ sagte Anatol, indem er die hinter den großen Spiegelscheiben aufgestellten Hüte musterte. „Ah, dort ist meine Façon, folgen Sie mir!“

Mein Freund öffnete die Thür, und wir traten in ein prachtvolles Magazin. Einige Tausend Hüte von allen Farben und Formen standen und hingen in musterhafter Ordnung rings umher. Drei Diener waren bereits mit Käufern in Unterhandlungen begriffen. Ein alter Mann, der an einem Pulte mit Schreiben beschäftigt war, sah uns eintreten; er zog an einer Klingelschnur, und gleich darauf erschien ein junges Mädchen, um uns zu bedienen. Anatol vergaß fast, sein Verlangen auszusprechen. Wie erstarrt sah er die Verkäuferin an, die, ich muß es bekennen, von so seltener Schönheit war, daß sie einen jungen Mann wohl außer Fassung bringen konnte, und vorzüglich wenn er ein französischer Maler ist. Ihre einfache und geschmackvolle Toilette zeichnete die elegantesten Körperformen ab. Das zarte Gesicht hatte etwas madonnenartiges in Schnitt und Ausdruck. Das blonde Haar bildete einen wellenförmigen Scheitel und spielte in kurzen, schweren Locken in den schneeweißen Nacken herab. Sie schien die Wirkung ihres Anblicks nicht zu bemerken, in einer freundlich bescheidenen Weise, die mit der der gewöhnlichen pariser Verkäuferinnen nichts gemein hatte, fragte sie nach dem Wunsche des Käufers. Anatol faßte sich, und bat, ihm Calabreserhüte vorzulegen. Bald lagen die Geforderten in allen Farben auf dem glänzenden Ladentische. Die Wahl unter den geschmackvollen Fabrikaten war in der That schwer.

„Mademoiselle wird die Güte haben und entscheiden,“ sagte Anatol, indem er einen braunen Hut auf seinen schwarzen Lockenkopf setzte.

„Ich würde zu einer hellern Farbe rathen,“ antwortete sie mit einem entzückenden Lächeln.

Sie überreichte einige weiße und graue Hüte mit dem Bemerken, daß ein frisches Gesicht und dunkeles Haar solche Farben erfordere. Anatol prüfte einen weißen Hut und trat vor einen großen Spiegel. Der Maler sah wirklich verführerisch aus. Ich warf einen Blick auf das Mädchen – erröthend trat es von dem Spiegel zurück, aus dem Anatol ihm entgegenlächelte. Der Käufer zahlte ohne zu dingen den geforderten Preis, der kaum die Hälfte von dem betrug, den wir erwartet hatten. Das Geschäft war zu Ende; aber um einen Vorwand zur Wiederkehr zu haben, ließ Anatol seinen alten Hut zurück. Das junge Mädchen überreichte ihm eine Marke mit einer Nummer.

„Es bedarf nur des Vorzeigens derselben,“ fügte sie mit einer Verbeugung hinzu, „und Sie erhalten Ihr Eigenthum zurück.“

Wir grüßten und verließen das Magazin.

„Bei meiner Ehre,“ rief Anatol begeistert, „jenes Mädchen erinnert mich an die christlichen Engel des Chiotto! Wer hätte eine so seltene Schönheit in einem Hutmagazine erwartet!“

Ich erinnerte ihn an den billigen Preis.

„Ach,“ rief er aus, „mir scheint, der Hut kommt mir dennoch sehr theuer zu stehen, denn die liebenswürdige Verkäuferin wird alle meine Gedanken in Anspruch nehmen. Ich wiederhole es, sie ist ein Engel!“

Während des nun folgenden Spazierganges war das Mädchen fast ausschließlich der Gegenstand unsers Gesprächs, und mir blieb kein Zweifel darüber, daß der arme Anatol sich bis über die Ohren verliebt hatte. Als ich ihn am folgenden Tage gegen Mittag in seiner Wohnung besuchte, hatte er eine Skizze in Kreide vollendet – er zeigte mir einen Engelskopf, der dem schönen Mädchen von gestern täuschend ähnlich sah.

[114] „Die Liebe hat Sie zu einem Chiotto gemacht!“ rief ich verwundert aus.

„Vielleicht auch zu einem Werther!“ gab er lächelnd zur Antwort.

Unser erster Weg war der nach dem Hutmagazin. Auf dem blauen Schilde über der Thür stand in Goldbuchstaben der Name Henri Bourdaloue. Wir traten ein, und statt der Schönen empfing uns heute ein Diener. Anatol gab die Marke ab, und empfing dafür seinen alten Hut. Wir hatten keine Hoffnung, das Mädchen zu sehen. In dem Augenblicke, als wir uns entfernen wollten, fuhr ein Fiaker vor die Thür. Eine Dame in Hut und Shawl stieg aus – es war unsere Verkäuferin. Ein flüchtiges Roth erschien auf ihren Wangen, als sie den Maler erblickte, der grüßend seinen Hut zog. Sie dankte in sichtlicher Verwirrung und verschwand in dem Innern des Magazins.

„Gehen wir!“ flüsterte ich meinem Freunde zu, denn ich sah das Lächeln der Diener.

Wie einen Träumenden zog ich ihn auf die Straße hinaus. Wir benutzten den Fiaker zur Fahrt in die Restauration, wo wir unser Mittagsessen einzunehmen pflegten. Wir tranken heute mehr Wein als sonst, aber Anatol erlangte seine muntere Laune nicht wieder. Mußte ich mir auch bekennen, daß das Mädchen wirklich von ausgezeichneter Schönheit war und daß ihre Erscheinung, als sie Hut und Shawl trug, mich, den ruhigen Deutschen, entzückt hatte, so mußte ich mich dennoch über die völlige Umwandlung meines Freundes wundern. Der Engelskopf schien seine Leidenschaft zu nähren, denn in den folgenden drei Tagen sann er nur auf Mittel, eine Anknüpfung mit dem Gegenstande seiner Liebe zu treffen. Aber alle waren unanwendbar, wenn wir uns dem Gespötte der Diener nicht aussetzen wollten. Mehr als einmal gingen wir täglich an dem Magazine vorüber – aber leider sahen wir nur die lächelnden Gesichter der Commis hinter den Fensterscheiben, denen das Benehmen meines armen Freundes aufgefallen war. Es mochte wohl nicht das erste Mal sein, daß ein Verehrer der Schönen Annäherungen gesucht hatte.

„Ich weiß ein Mittel,“ sagte ich am vierten Tage unserer vergeblichen Bemühungen.

„Nun?“ fragte Anatol hastig.

„Sie treten morgen die Reise zu Ihrem Onkel an, und ich begleite Sie. Das Wetter ist schön, die Abwechselungen auf der Reise werden Sie zerstreuen, und ich wette, Sie lächeln über das Abenteuer, wenn wir zurückgekehrt sein werden.“

„Wetten Sie nicht, mein Freund!“ antwortete Anatol mit einem schmerzlichen Lächeln. „Aber wie es auch kommen möge – Ihr Vorschlag ist vernünftig, ich nehme ihn an, und morgen reisen wir.“

Wir trafen unsere Vorbereitungen, und am nächsten Morgen früh sechs Uhr bestiegen wir eine Diligence. Der große, bequeme Wagen war nur von fünf Personen besetzt, unter denen uns ein Mann im hohen Greisenalter auffiel. Sein durchfurchtes Gesicht war ernst, fast streng, und in seinem ganzen Wesen lag etwas Feierliches. Trotz seines hohen Alters waren alle seine Bewegungen energisch und seine feinen Kleider gewählt und auffallend sauber. Sein schneeweißes, noch ziemlich dichtes Haar war kurz gesehnitten, ebenso sein starker Schnurrbart. Man hätte ihn für einen pensionirten Major, für einen alten Chef der Finanzen oder für einen ci-devant-Consul von Batavia halten mögen. Der Kopf des Greises war schön, und Anatol flüsterte mir zu, daß er diesen Abend eine Skizze davon anfertigen wolle.

„Ich wette,“ fügte er hinzu, „daß unser Reisegefährte, der jetzt so still in seiner Ecke sitzt, einst eine bedeutende Rolle in der Welt gespielt hat.“

Es schien, als ob mein Freund sich seinen Liebesgedanken entreißen wollte, denn er suchte mit dem interessanten Fremden ein Gespräch anzuknüpfen. Dieser aber knöpfte ernst seinen olivenbraunen Ueberrock bis dicht an das Kinn zu und legte seinen Kopf in das Polster des Wagens. Mir schien, als ob der dicht verschlossene Rock das Symbol seiner Klugheit sei, denn ich fand, daß er bei der Unterhaltung nicht minder verschlossen war. So geschickt Anatol seine Fragen auch stellte, der Greis antwortete so kurz und vorsichtig, daß wir über seinen Wohnort und über den Zweck seiner Reise nicht den geringsten Schluß bilden konnten. Aus dem Gespräche, das bald wieder steckte, errieth ich nur, daß der Greis früher große Reisen durch Europa gemacht hatte, und aus diesem Grunde hielt ich ihn für einen Diplomaten.

Die Unterhaltung bewegte sich um Politik, ein Thema, das sehr nahe lag, da sich bereits die ersten Symptome der Revolution von 1848 zeigten. Jeder sprach seine Meinung aus, und Anatol, der für den großen Napoleon schwärmte, war der Ansicht, daß bei einem Wechsel der Dynastie für die Napoleoniden einige Chancen vorhanden seien. Da belebte sich das contemplative Gesicht des Greises, und wie elektrisirt rief er aus: „das ist die einzige mögliche, richtige und wünschenswerthe Lösung der unheilvollen Wirren !“

Dann fügte er einige Worte von militärischem Ruhme, der den Franzosen über Alles theuer sein müsse, hinzu.

Ohne Zweifel war unser Mann ein hochgestellter Offizier, der unter seinem zugeknöpften Rocke sicher einige Ordenszeichen zu verbergen suchte. Ich war so kühn, die Frage an ihn zu richten:

„Haben Sie lange gedient, mein Herr?“

„Ich bin allerdings mehr als einmal der großen Armee gefolgt,“ antwortete er, „aber nie als Militär.“

Schon gewann die Ansicht sich in mir festzustellen, daß er ein Steuerbeamter oder sonst eine Finanzperson in einem der eroberten Länder gewesen sei, als leider ein Reisegefährte durch seine Frage auch diese Ansicht wieder umwarf. Er fragte nämlich den Unbekannten, ob er bei der Armee den großen Kaiser in der Nähe gesehen habe.

„Meine Reisen hatten nur den einen Zweck, mich dem Kaiser zu nähern!“ war die Antwort.

Das klang sehr stolz; aber in welcher Eigenschaft näherte er sich dem Kaiser? Nun ward ich von einer Vermuthung zu der andern gebracht. Aus einigen Worten über die schlechten Handelsaussichten schloß ich, daß mir ein Negociant gegenüber sitze; dann wieder aus der Art und Weise, in der er von dem kaiserlichen Hofe sprach, er sei Kammerherr gewesen. Endlich verlor ich mich in Conjecturen, wovon eine die andere wieder aufhob.

In dem Städtchen Fougères forderte man uns die Pässe ab. Der Unbekannte zeigte dem Gensd’armen sein geöffnetes Papier. Da ich an der Seite des Wagens saß, wo der Sicherheitsmann stand, warf ich begierig einen Blick hinein – ich las den Namen Bourdaloue, denselben Namen, der über dem verhängnißvollen Hutmagazine stand. Ich verbarg Anatol diese Entdeckung, um ihn nicht an seine unnahbare Schöne zu erinnern. Wußte ich auch nicht, ob der Greis zu dem Besitzer des Magazins in irgend einer Beziehung stand, so hatte er dennoch an Interesse gewonnen. Wir fuhren weiter. Anatol, der bisher die Seele des Gesprächs gewesen, hing sinnend den Kopf auf die Brust herab; er dachte ohne Zweifel an seine Schöne. Mein Mitleiden ward wach, und ich nahm mir vor, auf der nächsten Station den Alten ohne Umstände zu fragen, ob ihm die Firma Bourdaloue in Paris bekannt sei. Bei dieser Gelegenheit hoffte ich Näheres über das Mädchen zu erfahren. Ich überlegte nun, wie ich meinen Plan am geschicktesten ausführte. Nach einer Stunde kamen wir in Antrain an. Zwei Passagiere verließen uns, und ein neuer stieg ein. Dieser war ein alter jovialer Offizier in der Armeeuniform. Kaum hatte er sich gesetzt, als er ausrief:

„Ah, Papa Henri, Sie finde ich hier? Das ist vortrefflich! Nun sollen Sie mir nicht wieder entkommen, bevor ich nicht das feste Versprechen von Ihnen habe, daß Sie mir einen Ihrer kostbaren Hüte abtreten wollen. Der älteste und am meisten gebrauchte ist mir der liebste. Ich muß wahrlich Gewalt anwenden, da Sie sich weigern, Geld für Ihre Reliquien zu fordern.“

Anatol sah mich mit großen Augen an. Von einem Hute war bereits gesprochen worden, wenn er nur noch den Namen Bourdaloue hörte, den ich bereits gelesen hatte –! Ich verwünschte den Zufall, der, wie es den Anschein hatte, den armen Anatol an das Abenteuer erinnern sollte, das er in den Zerstreuungen der Reise vergessen wollte.

Papa Henri blieb ernst wie zuvor.

„Kapitain,“ gab er entschieden zur Antwort, „Alles was ich besitze, steht zu Ihren Diensten; nur meine Hüte nicht, denn sie bilden ein Museum, das die französische Nation in kurzer Zeit sehr hoch schätzen wird. Die Reliquien bleiben beisammen, und wenn ich keinen würdigen Erben hinterlasse, der Ehrfurcht vor den Heiligthümern hat, so vermache ich sie meiner Vaterstadt Nantes.“

Anatol nahm seinen Hut ab, betrachtete ihn und flüsterte mir mit einem Seufzer zu:

[115] „Dieser Calabreser wird wohl auch eine Reliquie für mich werden!“

Der freundliche und redselige Kapitain, der unsern fragenden Blick bemerkte, glaubte sich zu verpflichten, wenn er uns Aufklärung gab.

„Der Hut,“ sagte er, „den ich von meinem alten Freunde fordere, ist ein Hut, den der große Napoleon getragen hat. In der Eigenschaft als kaiserlicher Hutmacher war es ihm möglich, ein Dutzend zu sammeln, und nun will er auch nicht einen davon abtreten.“

Bei dem Worte Hutmacher sah mich Anatol an. Wir mußten unsere Bemerkungen unterdrücken, da Papa Henri antwortete:

„Kapitain, Sie übertreiben die Zahl meiner Hüte und vermindern den historischen Werth meiner Sammlung. Ich besitze nur acht Hüte Sr. Majestät, und diese hat nicht etwa der Zufall vereinigt; sie sind von ihm zu verschiedenen Epochen getragen. In meinem Hause bewahre ich sie auf mit allen Zubehörungen, und wer sie in ihrer chronologischen Ordnung betrachtet, hat das ganze Leben des großen Napoleon vor Augen.“

„Wahrlich,“ rief Anatol, „das ist interessant!“

„Jeder Freund des großen Kaisers sollte diese Sammlung sehen,“ fügte der Kapitain hinzu „Papa Henri wird es gewiß nicht verweigern – –“

„O durchaus nicht!“ rief der alte Hutmacher. „Ich halte es vielmehr für Pflicht, diesen erhebenden Anblick dem ganzen Volke zu gewähren, damit es sich, bei der jetzigen Erschlaffung, durch die lebhafte Erinnerung an die Heldenzeit und die Tage des Ruhms ermanne!“

Anatol, ein enragirter Bonapartist, stimmte begeistert bei, und sprach den Wunsch aus, die unschätzbaren Reliquien zu sehen.

„Begleiten Sie mich,“ sagte freundlich Papa Henri, „und Ihr Wunsch ist erfüllt.“

„Wo wohnen Sie, mein Herr?“

„In Saint Malo, das wir diesen Abend erreichen. Seit einem Jahre habe ich den freundlichen Ort zu meinem Wohnsitze erwählt, um von den politischen Dingen in Paris weder etwas zu hören noch zu sehen. Diesen Sommer noch werde ich Abbildungen von meinen Kabinetsstücken erscheinen lassen.“

„Ich bin Maler, mein Herr,“ sagte Anatol; „kann ich Ihnen bei diesem nationalen Werke nützlich sein – –“

„Danke, danke! Für dieses Unternehmen ist bereits ein Künstler gewonnen. Mein Nachbar und Freund, der würdige Abbé Loustalot, erwartet den Besuch seines Neffen, der einer der besten Zeichner von Paris ist. Da Sie Maler sind, kennen Sie ihn vielleicht.“

„Meinen Sie Anatol St.?“ fragte ich.

„Denselben. Er hat sich für nächste Woche dem Onkel angekündigt. Sie begreifen wohl,“ sagte der alte Hutmacher stolz, „daß man ein solches Werk nur einem Künstler anvertrauen kann.“

Ich konnte mich nicht enthalten auszurufen: „Mein Herr, Anatol St., den Sie erwarten, sitzt Ihnen gegenüber!“

„Wie?“

„Ihnen zu dienen,“ antwortete der Maler, sich verneigend.

Ich habe meine Reise um einige Tage früher angetreten, da ich dem guten Onkel, der mich wie seinen eigenen Sohn liebt, eine Ueberraschung bereiten will. Wie geht es ihm? Als sein Nachbar müssen Sie es wissen.“

Als wir gegen Abend St. Malo erreichten, war das Unternehmen verabredet, und Papa Henri lud uns ein, den nächsten Morgen bei ihm zu frühstücken. Auch der Kapitain erhielt eine Einladung. Unser Empfang bei dem Abbè, einem würdigen alten Manne, war der herzlichste. Schon während des Abendessens brachte er das Gespräch auf seinen Nachbar und das merkwürdige Museum desselben. Anatol erzählte nun das Zusammentreffen in der Diligence. Am nächsten Morgen elf Uhr führte uns der Abbè zu Papa Henri. Der Kapitain, in voller Uniform, hatte sich bereits eingestellt. Der kaiserliche Hutmacher bewohnte ein reizendes Haus. Er empfing uns wie alte Bekannte. Nach den ersten Begrüßungen führte er uns in einen kleinen Saal, der mit einigen werthvollen Stahlstichen, Schlachten der großen Armee darstellend, geschmückt war. In der Mitte dieses Saales erblickten wir auf einem mit grünem Tuche beschlagenen Tische acht kleine dreieckige Hüte unter Glasglocken. Alle waren mehr oder minder getragen und beschädigt. Hinter einem jeden sah man einen kleinen in grellen Farben gemalten Prospekt. Papa Henri begann ernst und würdig folgende Erklärung:

Seit dem Jahre 1793 hatte ich die Ehre, Hutmacher Sr. Majestät zu sein, die damals noch Escadron-Chef unter dem Namen Buonaparte war. Acht Tage zuvor, ehe er als Artillerie- Commandant zur Belagerung von Toulon abging, forderte er von mir einen vorschriftsmäßigen Hut. Man war damals nicht allzu streng, und ich hatte die Idee, die Hüte der republikanischen Offiziere, die zu breit waren, ein wenig zu erhöhen. Der erste Hut in dieser Form hatte den Beifall des Commandanten, er nahm ihn – auf Kredit – und eilte auf seinen Posten. Zwei Monate später kehrte mein junger Kundmann mit Ruhm und Lorbeeren bedeckt zurück, er war Brigadegeneral geworden. Sein Hut war arg zugerichtet, eine Kartätschenkugel hatte die rechte Ecke zerrissen. Ich mußte ihm einen neuen geben. Da seine Form gefallen, behielt ich den alten – hier ist er. Er steht vor einem Hintergrunde, der die Gegend von Toulon darstellt.

Die Belagerung von Toulon und bald darauf die Affaire des Vendémiaire hatten den neuen General zu großem Ansehen gebracht. Um die Republik und die republikanischen Moden war es geschehen. Das Direktorium begann die Aera seiner Thorheiten und Verschwendungen, und entsendete den General Bonaparte, um in Italien die Feinde Frankreichs zu bekämpfen. Im Interesse meines ruhmgekrönten Abkäufers wich ich von der unedeln Mode von 1793 ab. Schon bei Montenotte, Lobi und Arcole war der Hut viel besser; und als der General en Chef, der Ueberwinder Italiens, der Pacificateur Europa’s sich nach Egypten einschiffte, bedeckte sein herrliches Haupt ein wahrhaft charakteristischer Hut. Hier steht er, betrachten Sie ihn, meine Herren, und Sie werden mir beipflichten müssen. Die vordere umgeschlagene Parthie erhebt sich kühn und bedeckt völlig die Form; der hintere Theil erhebt sich noch höher. Sie sehen hier drei Viertheile des zweiten Hutes. Die Umgebung stellt einen Theil der Befestigungswerke des eroberten Mantua und die Pyramiden von Djezzar dar.

Fünf Monate später, bei der Rückkehr aus Egypten, bedurfte der Held meiner Dienste von Neuem. Um das räuberische und unwissende Direktorium zu verjagen; um eine Versammlung von Schwätzern zu verjagen, die Frankreich zu Grunde richteten, und um einen ersten Consul einzusetzen, mußte der General mit einer neuen und passenden Kopfbedeckung geschmückt werden. Man ließ mich rufen. Als ich das Maaß nahm, bemerkte ich mit Erstaunen, wie außerordentlich, wie enorm sich das Haupt meines ruhmreichen Kunden entwickelt hatte; wie die Lage der Dinge, so hatten sich seine Organe der Intelligenz vergrößert. Der Hut des ersten Consuls hatte zwei Spitzen mehr, als der des Commandanten von Toulon. Vergleichen Sie, meine Herren, hier ist der Hut des Consulats!

[116] “Der nun folgende Hut ist der des Anfangs des Kaiserreichs. Napoleon trug ihn bei Austerlitz. Er ist von zwei Kugeln durchlöchert. Wie Sie sehen, ruht er auf Lorbeeren, und die Sonne, die sich erhebt, um eine Welt zu erleuchten, umstrahlt ihn mit einer glühenden Glorie.

“Hier, meine Herren, ist der höchste Glanzpunkt des Kaiserreichs: betrachten Sie den Hut von Ehlau, von Eßlingen, von Wagram und der Moskwa! Ich wage keck die Behauptung, daß seine Form vollkommen geworden ist. Bemerken Sie, wie fest er steht, wie kräftig der Vordertheil sich abrundet und wie kühn der Hintertheil sich erhebt! Die Rundung ist einfach, schön und energisch. Das ist ein wahrhaftes Symbol der Kraft und Allmacht! Kein anderes Haupt als das Napoleon’s konnte einen solchen Schmuck tragen!

“Der Hut erlitt nun keine Veränderung mehr, wohl aber sein Glück. Hier ist der Hut von Moskau. Die heilige Stadt brennt, und der Hut, zum Schutze gegen die Kälte eingerichtet, hat weiter keine bedeutungsvolle Form. Mein Neffe, Lieutenant in der jungen Garde, hat ihn aus dem Schnee aufgerafft und treulich meinen Händen überliefert. Moskau ist die erste Stufe, die zum Verfalle führt.

„Diesen Hut, meine Herren, habe ich mir aus dem Elysèe- Bourbon selbst genommen, nach der Rückkehr von Waterloo. Zerrissen und zerdrückt, wie er ist, bietet er ein wahres, rührendes Bild. Ich ziehe ihn dem Hute von Wagram, selbst dem von Austerlitz vor. Ich habe ihn auf eine öde Fläche gelegt. Der kaiserliche Adler ist durch den Blitz niedergeschmettert, und ein leuchtender Stern durchbricht einen düstern Himmel.

„Endlich, meine Herren, betrachten Sie den Hut von St. Helena. Marchand hat ihn einige Zeit vor dem 4. Mai auf einem Felsen gefunden, wohin ihn der Zufall geworfen hatte. So treu als möglich habe ich die Gegend wiedergeben lassen. In der Ferne sieht man das Meer, das den großen Napoleon gefangen hält. Eine schwarze Fahne flattert auf dem starren Felsen von St. Helena, um den beiden Welten anzukündigen, daß der größte Mann des Jahrhunderts aufgehört hat zu leben.“

Papa Henri schwieg, und trocknete sich die feuchten Augen.

Hatte ich Anfangs bei diesem emphatischen Berichte eine leise Lachlust nicht unterdrücken können, so gewann ich doch nach und nach dafür einiges Interesse, und als der greise Redner geendet hatte, waren wir Alle bewegt. Gerührt reichte ich dem würdigen Alten die Hand. Der Kapitain erklärte, daß er es für eine Sünde hielte, dieser historisch wichtigen Sammlung auch nur einen Gegenstand zu nehmen.

„Noch heute gehe ich an die Arbeit!“ rief Anatol begeistert. „Man soll erfahren, daß der würdige Sammler sich ein eben so großes Verdienst um die Welt erworben hat, als die Geschichtsschreiber!“

Der Greis umarmte den jungen Mann.

„Und nun, meine Freunde, folgen Sie mir zu einem kleinen Frühstück. Wir wollen das Andenken an die Heldenzeit bei einem Glase Wein feiern.“

Wir betraten einen geschmackvoll eingerichteten Saal des Erdgeschosses. In der Mitte desselben stand ein reich besetzter Tisch.

„Meine Enkelin!“ sagte Vater Bourdaloue, indem er uns eine junge Dame vorstellte. „Sie ist vor einigen Tagen von Paris angekommen, um meine kleine Wirthschaft zu führen. Georgette versteht es, ein dèjeuner à la fourchette einzurichten. Sie hat heute ihre erste Probe abgelegt.“

Eine neue, größere Ueberraschung stand uns bevor. Georgette war keine Andere, als die reizende Verkäuferin aus dem pariser Hutmagazine. Ich unternehme es nicht, die freudige Bestürzung des wackern Anatol zu schildern, der sich so plötzlich in die Nähe der Geliebten gebracht sah. Aber auch Georgette erröthete, und in sichtlicher Befangenheit versah sie die Obliegenheiten der Hausfrau. Wir saßen zwei Stunden bei Tische. Beim Scheiden wiederholte Anatol sein Versprechen, das Werk noch heute zu beginnen. Daß er Wort gehalten, bedarf wohl keiner Erwähnung. Am folgenden Morgen, während Anatol in dem Museum des Herrn Bourdaloue arbeitete, machte ich mit dem Abbé Loustalot einen Spaziergang. Er wollte mich über seinen Neffen ausforschen, dessen Befangenheit Georgette gegenüber er bemerkt hatte. Ich glaubte dem Freunde einen Dienst zu leisten, und erzählte das Abenteuer in dem Hutladen, wie überhaupt Alles, was auf Anatol’s Liebe Bezug hatte. Der alte Mann lächelte und drückte mir mit einer Miene die Hand, als ob er sagen wollte: das ist mir lieb. Vier Tage blieb ich in Saint Malo. Ich nahm es dem Freunde nicht übel, daß er den größten Theil der Zeit in dem Museum zubrachte. Am Morgen meiner Abreise gab er mir eine Kopie der Hüte Napoleon’s.

„Wie steht es?“ fragte ich. „Werden Sie Ihren Hut als eine Reliquie einer entschwundenen schönen Zeit aufbewahren müssen ?“

„Aufbewahren – ja; aber vielleicht als einen Heirathsprocurator.“

Er schloß mich in seine Arme und küßte mich. Erfreut über sein Glück reis’te ich nach Paris zurück. Sechs Wochen später sandte er mir eine von seiner Hand gezeichnete Verlobungskarte und eine Lithographie der Napoleonshüte, dieselbe, nach der vorstehende Zeichnungen gefertigt sind. Im September reiste ich nach St. Malo, um Anatol’s und Georgette’s Hochzeitsgast zu sein. Der Calabreser lag unter einer Glasglocke in dem Museum. Er war dem glücklichen Maler der kostbarste in der ganzen Sammlung.