Textdaten
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Autor: Ewald Hecker
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Titel: Nachbilder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 754–757
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[754]
Nachbilder.


Von Ewald Hecker.


Die meisten meiner freundlichen Leser erinnern sich vielleicht der Notiz, die vor wenigen Jahren fast durch alle Zeitungen ging und allgemeines Aufsehen erregte, daß man im Auge eines eben getödteten Kalbes auf der Netzhaut das gewissermaßen photographische Abbild des Fleischers gefunden haben wollte, wie er mit geschwungenem Beil vor seinem Opfer gestanden. Es wurde besonders auf die Wichtigkeit aufmerksam gemacht, welche diese sofort als allgemeingültig proclamirte Thatsache für die Justiz zur Entdeckung der Mörder haben könne. Von Sachverständigen mit Stillschweigen übergangen, gerieth die ganze [755] Angelegenheit wieder in Vergessenheit, bis vor circa vier Jahren von einem gewissen Dr. Bourion dem Verein für gerichtliche Medicin zu Paris eine Photographie eingereicht wurde, die von der Netzhaut einer am 14. Juni 1868 ermordeten Frau fünfzig Stunden nach ihrem Tode abgenommen war. Auf derselben sollte sich der Moment fixirt haben, wo der Mörder, nachdem er die Mutter erschlagen hatte, das Kind tödtete und der Hund des Hauses auf ihn zusprang. Bourion wollte nämlich in dem vorliegenden Bilde einen Hundekopf und den Ellenbogen eines Mannes erkennen. Leider gelang es den versammelten Aerzten nicht, der phantasiereichen Ausdeutung des Bildes beitreten zu können, und es wurde der vorliegende Fall dem Dr. Vernois zur Untersuchung und Berichterstattung überwiesen. Derselbe hat nun ein Gutachten veröffentlicht, aus dem ich das Wesentlichste kurz mittheilen will. Die genaue Besichtigung des Bildes ließ ihn allerdings in den nebelhaft verschwommenen, undeutlichen und unbestimmten Flecken mit Zurhülfenahme einer sehr lebhaften Phantasie einen Gegenstand erkennen, der eine ganz entfernte Aehnlichkeit mit einem Hundekopfe allenfalls darbieten mochte. Den Ellenbogen aber konnte er bei allem vorhandenen guten Willen sich nicht herausconstruiren. Dazu kam noch, daß nach einer genauen Vergegenwärtigung der Situation es sich nachweisen ließ, daß bei der nach dem Bilde vorauszusetzenden Stellung des Ellenbogens der Hund gar nicht hätte sichtbar sein können.

Damit wäre eigentlich die Sache genügend erledigt gewesen, doch unternahm Dr. Vernois jetzt noch eine Reihe eigener Experimente. An siebenzehn theils durch Erdrosseln, theils durch Blausäure getödteten Thieren, denen er kurz vor dem Verscheiden starkleuchtende auffallende Gegenstände vor’s Auge gehalten hatte, untersuchte er die Augen und konnte in keinem Fall auch nur die Spur eines Bildes auf der Netzhaut entdecken. Endlich machte er auch Versuche an Personen, indem er von denselben helle Gegenstände starr fixiren ließ und dann ihren Augenhintergrund mit dem Augenspiegel untersuchte. Stets erhielt er ein negatives Resultat. Wenn nun auch gerade die letzten Experimente meiner Ansicht nach gar nicht beweisend sind, so dürfte doch auch ohnedies jene abenteuerliche Geschichte vollständig zurückgewiesen sein.

Wie konnte aber, werden meine geneigten Leser fragen, eine so plump angelegte Mystification selbst Aerzte täuschen oder wenigstens denselben einer so ausführlichen Untersuchung werth erscheinen? Um dies zu verstehen, müssen wir uns die beim gewöhnlichen Sehen in Bezug auf die Dauer des Bildes stattfindenden Verhältnisse kurz vergegenwärtigen. Wir wissen, daß auf dem Augenhintergrunde – auf der Netzhaut – das verkleinerte und zwar umgekehrte Bild eines Gegenstandes, den wir sehen, entworfen wird, ganz in derselben Art, wie auf der matten Glasplatte der Camera obscura. Wir können dies Bild sogar an einem todten Thierauge noch zur Anschauung bringen. Wenn wir an der hinteren Halbkugel eines aus dem Kopfe entfernten Kalbsauges ein Fensterchen in die äußeren Häute des Augapfels einschneiden, mit Verschonung der Netzhaut, so kann man auf dieser das deutliche, umgekehrte und verkleinerte Bildchen einer vor dem Auge aufgestellten Lichtflamme durchscheinend erkennen. Natürlich aber verschwindet das Bild in dem nämlichen Augenblick, wo ich dies Licht entferne. Das sieht jedes Kind ein und hätten jene Aerzte auch wissen müssen. – Ganz richtig! Jene Aerzte wußten aber noch mehr, und das war der Fehler; denn sehr oft ist das Nichtwissen heilsamer als das Besserwissen, jedenfalls giebt es weniger Veranlassung zu Scrupeln und Zweifeln. Jene Aerzte wußten nämlich, daß am lebenden Auge eine eigenthümliche Erscheinung beobachtet wird, die allerdings jenem Märchen einen scheinbar wahren Untergrund geben konnte. Der Lichtreiz nämlich, welcher das Auge trifft, wird von der Lichtempfindung, die er verursacht, überdauert, so daß also die Lichtempfindung noch vorhanden ist, wenn das Licht schon aufgehört hat einzuwirken. Die Dauer der Nachwirkung ist desto größer, je stärker das einwirkende Licht gewesen ist und je weniger ermüdet das Auge war. Wenn man einen Moment nach der Sonne oder in eine helle Lichtflamme geblickt hat und dann plötzlich die Augen schließt und mit der Hand bedeckt, oder sich nach einem absolut dunklen Hintergrunde wendet, so sieht man noch kurze Zeit auf dem dunklen Grunde eine helle Erscheinung von der Gestalt des vorher gesehenen hellen Körpers und nennt dieselbe das „Nachbild“.

Diese Nachbilder also gaben die Veranlassung, daß jene oben erzählte Mystification auch nur einen Augenblick für Wahrheit angesehen werden konnte. Es wurde dabei aber vergessen, daß diese Nachbilder mit jenen kleinen Bildchen, die sich auf der Netzhaut entwerfen, so direct eigentlich nichts zu thun haben, denn Das, was wir beim Sehen überhaupt wahrnehmen, Das, was uns zum Bewußtsein kommt, sind die Schwingungen, in welche die Fasern der Netzhaut und weiterhin die des Sehnerven durch die Licht- oder Aetherschwingungen versetzt werden.

Wir können auch durch mechanische Reizung, welche jene Netzhautfäserchen zum Erzittern bringt, Lichterscheinungen hervorrufen: das Funkensehen bei einem Schlag, der unser Auge trifft, ist ja allgemein bekannt. Der Getroffene sieht dabei deutlich einen Lichtschein, – keineswegs aber dürfen wir erwarten, daß dieses Licht auch für einen Anderen, der etwa die Netzhaut des gestoßenen Auges mit einem Augenspiegel untersuchen würde, sichtbar sein könnte. Es ist eben kein objectiv nachweisbares Licht, sondern lediglich eine subjective Lichtempfindung, und jener bekannte gerichtliche Fall, wo Jemand im Finstern einen Schlag auf das Auge bekommen hatte und in seiner Klage angab, er habe bei dem dadurch erregten Lichtschein den Angreifer erkannt, ist in Folge des eingeholten wissenschaftlichen Gutachtens mit Recht zum Nachtheil des Klägers entschieden worden. Ebensowenig dürfen wir also erwarten, von den sogenannten Nachbildern auf der Netzhaut etwa noch ein wirkliches Bild anzutreffen. Die Nachbilder sind subjective Empfindungen und beruhen auf nicht sichtbaren (nur vermutheten) Nachschwingungen der durch das wirkliche Bild in Thätigkeit gesetzten Netzhautfäserchen. Wenn nun also die Nachbilder diese ihnen zugemuthete praktische, das heißt criminalgerichtliche Bedeutung auch nicht haben, so bieten sie doch viel Interessantes dar, da von ihnen viele allgemein bekannte Erscheinungen abhängen, über deren eigentlichen Grund sich aber mancher meiner freundlichen Leser gewiß nicht klar geworden ist. Darum halte ich es für ganz geeignet, hier einige Mittheilungen über die Nachbilder zu machen.

Wir Alle wohl haben in unserer Kindheit ein für die Lehre von den Nachbildern sehr wichtiges Experiment gemacht, ohne uns mit der Erklärung desselben den Kopf zu zerbrechen. Die im Kreise geschwungene glühende Kohle, die einen feurigen Kreis hinterläßt (statt eines wandernden feurigen Punktes) stellt ein physiologisches Experiment in bester Form dar. Suchen wir uns dasselbe klar zu machen. Wenn ich die glühende Kohle an meinem Auge vorüberführe, so werden nacheinander auf der Netzhaut meines Auges eine Reihe nebeneinander gelegener Punkte beleuchtet. Jeder Beleuchtungspunkt behält nun ein kurz dauerndes Nachbild, das bei ganz langsamer Bewegung der Kohle schon wieder verschwunden ist, wenn ich die Kohle um einen Punkt weitergeführt habe. Wird nun aber die Bewegung der Kohle eine immer schnellere, so wird sie einmal eine Geschwindigkeit erreichen, bei der das Bild des glühenden Körpers auf der Netzhaut so schnell von einem Punkt zum andern rückt, daß noch ein Nachbild auf dem eben verlassenen Punkte vorhanden ist, wenn das Bild schon weitergegangen ist. Bei noch schnellerer Bewegung sind zu gleicher Zeit mehrere Nachbilder da, die nun, da sie nebeneinander liegen, zu einer feurigen Linie verschmelzen müssen.

Statt der Kohle, mit welcher wir nur im Dunkeln experimentiren können, eignet sich am besten die sich drehende Scheibe zu diesem einfachen Versuche. Wenn sich auf einer schwarzen Scheibe ein heller weißer Punkt befindet und die Scheibe wird schnell genug gedreht, so erscheint an Stelle des rotirenden Punktes ein gleichmäßig grauer Kreis, an dem wir von einer Bewegung nichts wahrnehmen können. Grau und nicht weiß erscheint die Farbe des Kreises deshalb, weil die Lichtmasse, welche jede Stelle der Netzhaut empfing, nur von dem einen weißen Punkte herstammt, dessen Licht, sich gewissermaßen mit dem Schwarz mischend, sich über den ganzen Kreis gleichmäßig verbreitet. – Befinden sich in demselben Abstand vom Mittelpunkt zwei weiße Punkte, so wird das Grau um diesen, wieder über den ganzen Kreis vertheilten, Lichteindruck heller und wir erhalten auf einer Scheibe, welche das Weiß in verschiedener Vertheilung zeigt, demgemäß die mannigfachsten Schattirungen und Abstufungen.

Eine sehr interessante Modification des eben beschriebenen Experimentes liefern die Beobachtungen bei unterbrochener Beleuchtung. [756] Wenn wir hinter eine schwarze Scheibe, an deren Peripherie sich kleine Ausschnitte befinden, ein Licht stellen und die Scheibe zunächst in langsame Drehung versetzen, so werden wir das Licht jedesmal nur dann zu Gesicht bekommen, wenn ihm ein Ausschnitt gegenübersteht, während es jedesmal durch die dazwischen liegenden undurchsichtigen Stellen der Scheibe unseren Blicken entzogen wird. Beschleunigen wir nun die Drehung der Scheibe immer mehr, so wird ein Zeitpunkt kommen, in welchem wir das Licht dauernd zu sehen glauben; denn in den Augenblicken, wo uns dasselbe verdeckt ist, wirkt das Nachbild des eben gesehenen Lichtscheines noch fort und vereinigt sich mit der immer wieder zum Vorschein kommenden Flamme zu einem scheinbar ununterbrochenen Lichteindruck.

Doch ich fürchte, meinen freundlichen Leserinnen erscheinen diese Untersuchungen ganz nutz- und zwecklos, und selbst wenn ich Ihnen sage, daß diese Experimente zur Auflösung gewisser schneller Bewegungen in ihre einzelnen Phasen für die Physiker von nicht geringer Wichtigkeit sind, so werden Sie vielleicht doch die praktische Seite vermissen. Aber auch diese läßt sich unseren Versuchen abgewinnen, wenn anders wir ein Spielzeug, das den Kindern und auch noch uns Erwachsenen Freude macht, als etwas Praktisches ansehen. Die eben entwickelten Gesetze von der periodischen Beleuchtung finden nämlich bei der Ihnen gewiß bekannten Stampfer’schen oder sogenannten stroboskopischen (Zauberbilder-) Scheibe und bei dem in neuerer Zeit mehr verbreiteten zootropischen (Thiere und Menschen darstellenden) Rade ihre Anwendung.

Das zootropische Rad besteht aus einem auf senkrechter Axe sich drehenden hohlen Cylinder von Pappe oder Blech, in dessen Mantel sich in gleichmäßigen Abständen voneinander zwölf schmale Oeffnungen befinden. Jeder dieser Oeffnungen gegenüber befindet sich eine von den zwölf auf einen Streifen Papier gezeichneten Figuren. Nehmen wir an, diese Figuren wären alle einander gleich! Setzen wir nun den Cylinder in schnelle Bewegung und sehen durch die Oeffnungen hindurch nach der gegenüberstehenden Figur, so würde uns dieselbe dauernd und unverändert erscheinen, denn jedesmal während des Vorbeieilens der undurchsichtigen Theile des Cylindermantels habe ich ein Nachbild von der Figur, welches dann beim Erscheinen der nächsten Spalte durch das wirklich gesehene ihr gegenüberliegende Bild wieder ausgefüllt wird. Nun stellen aber die Zeichnungen auf den zum Lebensrad gehörenden Streifen eine Figur nicht unverändert, sondern in den auf einanderfolgenden Phasen einer Bewegung dar. So z. B. einen Hampelmann, der unten an der Strippe gezogen wird. Auf dem ersten Bilde hängen Arme und Beine schlaff herunter, auf dem zweiten Bilde fangen sie an sich zu erheben, auf den folgenden Figuren ist diese Erhebung eine zunehmende[WS 1] bis zum achten Bilde, wo sie ihren höchsten Grad erreicht hat, um dann allmählich wieder zu sinken. Wenn ich nun diesen Streifen in den Cylinder, den ich in Bewegung setze, hineinlege und wieder durch die Oeffnung hindurchsehe, so wird gerade so wie das vorige Mal jedes neue Bild auf ein Nachbild des vorigen treffen, beide müssen demnach miteinander verschmelzen. Da nun jedes folgende Bild von den vorhergehenden nur durch eine geringe Bewegungsveränderung verschieden ist, so macht es den Eindruck, als vollziehe sich diese Bewegung an dem einen dauernd gesehenen Bilde. Wir sehen also den Hampelmann in schnellem Wechsel seine Arme und Beine heben und wieder fallen lassen.

Ganz dasselbe zeigt die Stampfer’sche oder stroboskopische Scheibe, bei der die Figuren an der Peripherie einer Scheibe und die Oeffnungen, durch welche man jene Bilder in einem Spiegel sieht, darüber angebracht sind.

An dem zootropischen Rade können wir außerdem jene oben erwähnte Erscheinung, daß uns in Bewegung begriffene Körper bei regelmäßig unterbrochener Beleuchtung doppelt erscheinen, sehr gut nachweisen. Man verdeckt auf dem Bilderstreifen alle Figuren bis auf eine und setzt dann den Cylinder in Bewegung. Beim Hindurchsehen erblickt man nun keineswegs, wie man erwarten sollte, nur eine Figur dauernd sichtbar, sondern man sieht zu gleicher Zeit dieselbe Figur in etwa sechsfacher Zahl nebeneinander. Das rührt aber daher, daß wir beim Hindurchsehen durch die Oeffnungen jedes Mal einen größeren Theil des inneren Cylindermantels überschauen und demnach die sich mitbewegende Figur nacheinander an verschiedenen Stellen, die durch das unterbrochene Sichtbarwerden von einander um Etwas entfernt liegen, zu Gesichte bekommen und Nachbilder davon behalten. –

Wenden wir uns jetzt wieder zu der rotirenden Scheibe, auf der wir vorhin schon Schwarz und Weiß sich zu Grau mischen sahen. Dieselbe kann weiter in zweckmäßigster Weise dazu verwendet werden, um die Gesetze der Farbenmischung zu studiren. Wenn wir nämlich die Kreisfläche der Scheibe mit zwei oder mehreren verschiedenen Farben überziehen, so erhalten wir bei hinreichend schneller Drehung der Scheibe eine über dieselbe ausgebreitete[WS 2] Mischfarbe, indem sich die Eindrücke beider Farben, von denen die zweite immer eine Stelle der Netzhaut trifft, auf welcher noch ein Nachbild der ersten vorhanden ist, hier auf der Netzhaut zu der Empfindung einer einzigen Farbe vereinigen. Wir können auf diese Weise leicht die sogenannten Complementär-Farben, die bei ihrer Vereinigung Weiß geben – nämlich Roth und grünlich Blau, Orange und Cyanblau, Gelb und Indigoblau, grünlich Gelb und Violett – auffinden und uns auch davon überzeugen, daß die sieben Spectral- oder Regenbogenfarben gemischt ebenfalls Weiß geben. – Die complementären Farben, die ich oben nannte, lassen sich aber noch durch eine andere, uns hier ebenfalls interessirende Prüfungsmethode genauer nachweisen, nämlich durch die sogenannten „negativen Nachbilder", über die wir jetzt sprechen wollen.

Der Name der positiven und negativen Bilder ist uns Allen von der Photographie her geläufig. Positive Bilder sind solche, in denen die hellen Partieen des Objects ebenfalls hell, die dunkeln dunkel sind; negative Bilder dagegen solche, in denen die hellen Partieen des Objects dunkel, die dunklen hell erscheinen. Die Nachbilder, die wir besprochen haben, waren positive; die negativen gehen erst aus diesen hervor, wie folgender Versuch lehrt. Wir suchen durch starres Hinblicken auf ein hell erleuchtetes Fenster und sofortiges Schließen der Augen bei Vermeidung jeder hastigen Bewegung ein positives Nachbild von demselben zu gewinnen, an welchem wir also, wie in dem Objecte selbst, die Scheiben hell, das Fensterkreuz dagegen dunkel erblicken. Alsdann kehren wir, mit noch geschlossenen Augen, das Gesicht langsam nach einer gleichmäßig hell erleuchteten Wand und öffnen die Augen; alsbald erscheint uns das negative Nachbild, das heißt, wir sehen nun die Fensterscheiben dunkel, das Kreuz dagegen hell. – Woher rührt dieser Wechsel in der Beleuchtung des Bildes? Die Physiologie giebt uns über diese Erscheinung folgenden Aufschluß.

Das auf die Netzhaut wirkende Licht, das durch seine intensive und plötzliche Einwirkung das positive Nachbild hervorrief, ermüdet nach einer gewissen Zeit die getroffenen Nervenfasern derartig, daß dieselben, wenn ich das Gesicht nun nach einer gleichmäßig erleuchteten Fläche wende, nicht mehr im Stande sind, das von derselben zurückstrahlende Licht aufzunehmen. Neben den vorher gereizten Netzhauttheilen liegen aber solche, die nicht durch Licht ermüdet sind – die dem dunkeln Fensterkreuz entsprechen; diese Partien werden also, wenn sich das Auge dem Hellen zuwendet, noch frisch und ungeschwächt das dargebotene Licht aufnehmen, und es werden daher die Stellen, die vorher dem Fensterkreuz entsprachen, hell, diejenigen aber, die vorher von dem Lichte der hellen Fensterscheiben getroffen und ermüdet waren, dunkler erscheinen. Auf diese Weise entstehen die negativen Nachbilder, die wir – aus nun ersichtlichen Gründen – auch Ermüdungsnachbilder nennen können. Wie werden sich nun aber die negativen Nachbilder von farbigen Objecten verhalten? Um dies zu prüfen, machen wir folgendes leicht ausführbare Experiment. Wir legen eine gelbe Oblate auf einen Bogen grauen Papiers und fixiren scharf einen Punkt derselben, ziehen dann plötzlich die Oblate weg oder verändern die Stellung der Augen; sofort wird uns nun auf dem grauen Grunde ein scharf gezeichnetes negatives Nachbild der Oblate erscheinen und zwar von blauer Farbe. Wenn wir mit einer rothen Oblate dasselbe Experiment wiederholen erhalten wir ein negatives Nachbild von blaugrüner Farbe, bei einer grünen ein rosarothes Nachbild. Daraus können wir aber den Schluß ziehen, daß die negativen Nachbilder farbiger Objecte in den Complementärfarben erscheinen.

Wenn wir versuchen sollen, uns diese eigenthümliche Erscheinung zu erklären, so müssen wir zu einer Hypothese greifen, die, im Jahre 1807 von dem Engländer Thomas Young aufgestellt, [757] im Stande ist, über die ganze Theorie der Farbenwahrnehmung ein wunderbar klares Licht zu verbreiten. – Young nimmt an: Es giebt im Auge drei Arten von Nervenfasern. Reizung der ersten erregt die Empfindung des Roth, Reizung der zweiten die des Grün, Reizung der dritten die des Violett. – Die von außen in’s Auge dringenden Farben erregen nun je nach ihrer verschiedenen Wellenlänge ausschließlich die eine oder andere Fasergruppe, oder zwei derselben zugleich.

Das einfache Roth also wirkt nur auf die noch empfindenden Fasern (oder wenigstens auf die beiden anderen Faserarten nur sehr schwach). Das einfache Gelb erregt die roth und grün empfindenden Fasern und erzeugt daher die Empfindung des Gelb (da Roth und Grün im Spectrum gemischt Gelb ergeben). Das Grün wirkt auf die grün empfindenden Fasern. Das Blau erregt die grün und violett empfindenden und macht ebendaher den Eindruck des Blau. Violett endlich erregt besonders die violett empfindenden Fasern. Erregung aller Fasern von ziemlich gleicher Stärke giebt die Empfindung von Weiß.

Jetzt werden wir verstehen, warum die negativen oder Ermüdungsnachbilder farbiger Objecte in den Complementärfarben erscheinen. Durch das Hinstarren auf die rothe Oblate werden die roth empfindenden Fasern ermüdet und gelähmt, und wenn das Auge nun von gleichmäßig hellgrauem Licht getroffen wird, so vermögen an der ermüdeten Stelle nur die grün und violett empfindenden Fasern dasselbe aufzunehmen und es erzeugt sich daraus die Empfindung des Blaugrün da, wo vorher das rothe Licht eingewirkt hatte; die übrigen nicht ermüdeten Theile der Netzhaut geben uns von dem weißlichgrauen Papier ein unverändertes Bild.

Es haben die negativen Nachbilder farbiger Objecte auch eine praktische Bedeutung, auf welche ich besonders meine freundlichen Leserinnen aufmerksam machen möchte. Beim Auswählen farbiger Stoffe in einem Modewaarengeschäft passirt es nämlich nicht selten, daß durch langes Anschauen bestimmter Farben die Empfindlichkeit gerade für diese gelähmt wird und in Folge dessen diese Farben scheinbar an Lebhaftigkeit verlieren, andere Farbentöne dagegen, zu welchen diese Farben einen Mischbestandtheil bilden, eine ganz andere Nüancirung zu haben scheinen, weil eben die eine Farbe in ihnen schwächer oder gar nicht gesehen wird. Um das Auge wieder völlig empfänglich zu machen, genügt es in der Regel, einen in der Complementärfarbe gefärbten Stoff kurze Zeit zu betrachten.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zunnehmende
  2. Vorlage: ausgebreite