Textdaten
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Autor: Ferdinand Stolle
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Titel: Nach vierzig Jahren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 533, 534–536
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[533]

Auf dem Burgberg bei Loschwitz. Originalzeichnung von J. B. Schmelzer.

[534]
Nach vierzig Jahren.
Von Ferdinand Stolle.


Sieh’ das Dörflein dort, das holde,
Weich bespült von blauer Fluth –
Wie es in dem Blüthengolde
Seiner Pfirsichbäume ruht;

Oder wenn darum sich legen
Seine Reben, reich umblaut,
Und es wie ein Gottessegen
Dankbar auf zum Himmel schaut.

Friedlich und anmuthig ruht an den Ufern der sanftblauen Elbe und umarmt von Wald und Weinberg ein Dörflein, das mit zu den wenigen auserwählten Ortschaften gehört, welche einst für einen poesiebegnadeten Liebling der Nation zum stillen und umfriedeten Asyl ausersehen waren und die von der dankbaren Nachwelt gleichsam eine poetische Weihe erhalten haben. Ja, von des erwähnten Dörfchens weinumrankten Höhen schweifte zwei Sommer lang das leuchtende Jünglingsauge Friedrich Schiller’s über Berg und Thal und von diesen Höhen schleuderte er sein

„Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“[WS 1]

zündend in das Herz des deutschen Volks. Wem wäre darum nicht der Name „Loschwitz“ erinnerungsrosig und poetisch umgrünt durch die Seele geklungen? –

Das Frühlingsgewitter hatte sich über Berg und Wald zurückgezogen. In der Ferne verrollte der Donner. Blumen und Kräuter, von erquickendem Platzregen überrauscht, dufteten stärker und die ihrem Versteck entschlüpften Vögel durchjubelten von Neuem den sich klärenden Himmel. Da durchbrach, ein kostbar Juwel, die Nachmittagssonne die Wolken im Abend und rollte ihre goldenen Wellen über die Frühlingslandschaft, auf Baum und Strauch und in den Augen der Blumen Diamanten, Rubinen und Smaragden entzündend.

Aus einem bescheidenen Winzerhause dort auf derselben Höhe, wo heut das freundliche Schlößlein „zum Burgberg“ weit hinausschaut über Berg und Thal, traten zwei Jünglinge in den angehenden zwanziger Jahren. Sie hatten, die Berge durchwandernd, vom Gewitter überrascht, in dem Winzerhäuschen Schutz gesucht. Jetzt waren sie wieder herausgetreten zur herzerquickenden Rundschau. Da ruhten Berg und Thal in frischester Farbenpracht und goldenster Beleuchtung. Alles lachte und blühte. Rechts und links fröhliches Grün der Rebe. Zu Füßen, ein umblühtes Idyll, das freundliche Loschwitz, aus welchem hie und da bereits die blauen Wölkchen zur Abendmahlzeit emporstiegen. Die Elbe als Silbergürtel das Thal umschließend. Auf den Häuptern der Berge und jenseits des Flusses schweigendes Waldgrün und darüber hinaus unabsehbare, von breiten gelben Rübsenbändern durchschnittene fruchtbare Fluren bis zu den im Nebelduft verlorenen böhmischen Gebirgen, als deren erhabenste Krone der Schneeberg aus weiter Ferne daher schaute. Unfern zur Rechten die Thürme von Sachsens Hauptstadt.

Unsere jungen Freunde, Bernhard und Reinhold mit Namen, standen lange im Anschauen des reichen Frühlingsbildes versunken. Sie waren, die Ferien benutzend, als deutsche Studenten den Frühling durchwandert, um lachende Landschaftsbilder, Blumen, Humor und Poesie sich einzusammeln für die späteste Erinnerung. Der gefällige Winzer, welcher an den beiden jungen Leuten Gefallen zu finden schien, trug einen Tisch vor das kleine Haus nebst zwei Holzstühlen.

„Hier, meine Herren,“ sagte er, „können Sie sich’s bequem machen und die Aussicht ansehen, so lange es Ihnen beliebt.“

Dankbar nahmen die Jünglinge Platz. Wie glücklich waren sie! Noch floß das Blut leicht und wohlig durch ihre Adern; noch lebten sie in der unvergeßlich schönen Zeit, wo man aus sorgenloser, froher Brust das Gaudeamus lebensvoll ertönen laßt. Nur wenn sie des zerrissenen und politisch ohnmächtigen Vaterlandes gedachten, zog tiefes Weh durch ihr deutsches Herz.

„Fürwahr,“ sprach Bernhard, der Aeltere, ein der Theologie [535] Beflissener, „dieses Plätzchen ist mit Golde nicht zu bezahlen. Ich schaute die Alpen in ihrer Herrlichkeit und Majestät, lauschte des Rheinstroms ahnungsreichem, märchenseligem Rauschen, durchirrte Thüringens buchenschattende Waldpracht, Schlesiens gesegnete, lachende Fluren, vernahm das Branden des deutschen Meeres an Arkonas sturmgewohnten Felsen – aber die vollendete Anmuth und Lieblichkeit der Landschaft haben wir im vorliegenden augenerquickenden Bilde. O mein deutsches Vaterland, wie reich und schön bist du!“

Reinhold, der Jurist und der Jüngere, dessen Herz sofort überwallte, so er des Vaterlandes gedacht, erwiderte: „Ja, reich, unermeßlich reich und schön, aber ein gebrochen, polizeibewachtes und polizeidressirtes Volk trotz der Weck- und Mahnrufe eines Schiller und Körner, die dort von dem Nachbarberge wie wir die schöne Gotteswelt überschauten.“

„Laß uns diese Stunde,“ mahnte Bernhard, „nicht durch das alte Weh verkümmern. Sieh, wie die sinkende Sonne das Thal mehr und mehr mit ihrem Golde belegt! Fürwahr, die Götter des Olymp müssen uns beneiden.“

Man hatte sich eine Flasche Wein vom besten Jahrgange und eine Schüssel frischer frühlingduftender Erdbeeren bringen lassen und schaute in holdester Seelenstimmung das kostbare Abendbild. Die Landschaft verklärte sich immer himmlischer. Die Sonne glühte nur noch eine Hand breit über dem Erdrande. Berg, Thal und Wald standen in flammendem Golde. Jetzt entzündeten sich auch die Fenster einiger Weinberghäuser auf den Morgenbergen und strahlten als Brillantsterne daher. Dabei heilige, erhabene Stille. Kein Blättchen regte sich. Die Vögel gingen nach vollbrachtem Tagesconcert in ihre Waldesheimath zur Ruhe. Nur eine vereinsamte Lerche sang noch ihr Abendlied über einem Weizenfelde. Weiße Segel, auf der Elbe von Abend daher kommend, zogen wie Schwäne langsam vorüber und verschwanden hinter den Wald- und Rebenbergen im Morgen.

Jetzt noch ein letzter Blick der Sonne, ein goldner Funken in Smaragdgrün. Auch er erlosch und die Herrliche versank, um andern glücklichern Geschlechtern als junge Morgenfürstin aufzugehen. Mit ihr verglühten auch die Brillantsterne auf den Morgenbergen, und das Abendroth belegte Berg und Thal mit seinem tiefsten Purpur. Reinhold recitirte leise:

In tiefem Frieden ruht das Thal,
In purpurrothem Abendtraume,
Es tropfen Blüthen ohne Zahl
Hernieder von dem Apfelbaume.

Der Abendhorizont umkränzte sich jetzt mit goldumränderten Wölkchen, die, leise aufwärts steigend, hoch am Himmel in violetten Duft zerflossen. Wälder und Niederungen begannen sich dämmernd zu umschleiern und die bisher einem weißen Wölkchen vergleichbare Mondsichel trat immer siegender hervor.

„Gott, welch’ ein Abend!“ sagte Bernhard, „das ist ein Sabbathstündlein, wie es nur selten einkehrt im Leben.“

„Nur die von der Poesie gerötheten Stunden hat man gelebt,“ sprach Reinhold. Plötzlich frug er: „Bernhard, hörst Du?“

Vom Thale herauf erklang Gesang. Ein Kahn mit einem Männerquartett der Dreißig’schen Singakademie hielt eine Abendfahrt. Mit verhaltenem Athem lauschten die Freunde entzückt den Tönen, die über die dunkler werdenden Wellen und im ersterbenden Abendrothe himmlisch heraufklangen.

„Sie singen das ‚Aennchen von Tharau‘,“ rief Reinhold begeistert.

Der Kahn fuhr weiter. Die Töne wurden schwächer und schwächer. Endlich verstummten sie. Tiefe Stille. Da erhoben sie sich von Neuem, die Gondel hatte gewendet, und halb verweht und vom Abendhauche daher getragen, vernahmen die Freunde: ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘

Beglückt und verständnißinnig reichten sich Bernhard und Reinhold die Hand, und als der Vers kam: ‚Das ganze Deutschland soll es sein!‘ fielen sie laut und jubelnd und gläserklingend ein.

Aber als ob der Genius der Poesie es darauf abgesehen gehabt, unsere Freunde mit seinen reichsten Blumen zu überschütten, brach plötzlich von den Thürmen Dresdens festliches Geläute, den morgenden ersten Pfingsttag verkündend. Wie ein erhabenes Gebet tönten diese Glocken durch die Stille des Frühlingsabends und das Geläute der nah und fern gelegenen Dörfer fiel harmonisch ein.

„Pfingstheiligerabend!“ sagte Bernhard tief bewegt; „ja, diese Glocken, die den morgenden Pfingsttag verkünden, sind die prophetischen Wahrsager, daß auch dem deutschen Volke sein Pfingstmorgen nicht verloren ist und daß der Traum unserer Jugend dereinst zur goldenen Wahrheit werden wird.“

Reinhold, ganz hingerissen von der Poesie des Abends und den heiligen Klängen, rief glaubensfreudig: „Ja, er wird zur Wahrheit werden. Die Stimme im reinen deutschen Herzen kann nimmer lügen, denn sie ist die Stimme Gottes.“

Und gleich darauf rief er poesietrunken:

„Bruder, es ist überirdisch schön, fülle darum nochmals die Gläser, klinge an und gelobe: daß wir uns heut’ über zehn Jahr, so wir noch im Erdenthale wandeln, auf diesem Berge wieder finden wollen. Denn dieser Abend fürwahr verdient es, daß wir ihn im tiefsten Herzkämmerlein treu bewahren bis auf die spätesten Zeiten.“

„Ich gelobe es,“ rief Bernhard, und man leerte unter dem Geläute des Pfingstheiligenabends die Gläser bis zum Grunde.

Nachdem man vom gefälligen Winzer auf das Herzlichste Abschied genommen, reichte Reinhold letzterm nochmals die Hand mit den Worten: „So Gott will, kommen wir heut’ über zehn Jahre wieder. Möge Euch bis dahin der Himmel recht gesegnete Weinjahre bescheeren!“

Bereits am andern Tage befanden sich Bernhard und Reinhold auf dem Wege nach der Heimath. –

Und zehn Jahre waren vorüber. Bernhard lebte als armer Privatdocent auf seiner Universität und viele, viele Meilen davon Reinhold als karg besoldeter Assessor in einer obscuren Grenzstadt. Man hatte sich trotz der langen Zeit seit obiger Ferienwanderung nicht wiedergesehen, aber ununterbrochen in freundschaftlichem Briefwechsel gestanden.

Als der zehnte Jahrestag nahte, gedachten wohl Beide ihres Gelöbnisses; aber wie es in diesem sublunarischen Leben zu gehen pflegt, die prosaische Wirklichkeit läßt das in begeisterter Stunde Versprochene selten zur Ausführung kommen. So auch bei unsern Freunden. Beiden fehlte es, als der Pfingstheiligeabend nahte, an Zeit und auch für die viele Meilen lange Reise an – nöthiger Baarschaft.

Und so zog ein Frühling nach dem andern, ja ein Jahrzehnt nach dem andern über die Berge von Loschwitz und immer stellten sich, zumal bei der großen Entfernung der beiderseitigen Wohnorte – Bernhard docirte als hochgeachteter Professor an einer rheinischen Universität, während Reinhold Gerichtsrath im fernsten deutschen Osten war – einer persönlichen Zusammenkunft Hindernisse hemmend in den Weg.

Da erhielt, als der vierzigste Pfingstheiligeabend nahte, Reinhold von wohlbekannter Hand folgende Zeilen:

          „Mein alter, theurer Freund!

Du weißt, daß es heuer vierzig Jahre werden, wo wir auf dem Burgberge bei Loschwitz den Pfingstheiligenabend feierten. Auch erinnerst Du Dich unseres Gelöbnisses. Vierzig Frühlinge sind dahingegangen, und immer ließ es ein neidisch Geschick nicht dazu kommen, dasselbe zu erfüllen. Unser Loschwitzer Winzer hat vergebens gewartet.

Alter, theurer Freund! mich hat der Himmel in dieser langen Zeit manche schöne und erhebende Stunde erleben lassen, aber eine poesiereichere als an jenem Pfingstheiligenabend nicht wieder.

Da halte ich denn dafür, daß wir als Männer am Abend unseres Lebens erfüllen, was wir uns im holden Jugendtraume gelobten. Jene Stunde verdient es. Auch drängt es mich, je älter ich werde, dem Jugendfreund noch einmal in’s treue Auge zu blicken, bevor sich das meine schließt für dieses Erdenleben.

Ich kenne Deine Verhältnisse und lasse jetzt keine Entschuldigung mehr gelten. Aber alle unsere Lieben müssen mit. Ich komme mit meiner Frau Marie und drei Töchtern, der verheiratheten Amalie (deren Gatte leider durch sein Geschäft an seinen Wohnort gefesselt ist), ihrer fünfjährigen Anna und ihrem dreijährigen Ernst, sowie mit Gertrud und Elsbeth. Bringe darum auch Deine treffliche Elisabeth mit und trommle Deine Jungen, den Erich und den Adolph, zusammen. Wir müssen Alle mitsammen sein. Das Rendezvous im schönen Dresden überlasse ich Dir. Wie ich überhaupt alles Uebrige in dieser Angelegenheit in Deine Hand lege.

Mit Gott auf Wiedersehen nach vierzig Jahren!

„Dein Bernhard.“

[536] Reinhold’s begeisterte Zustimmung erfolgte mit umgehender Post. Nur bat er, die Zusammenkunft auf die großen Universitätsferien, welche mehr in den Sommer fallen, zu verlegen, da er als gewissenhafter Vater die Studien seiner Söhne nicht zu unterbrechen wünschte. In einem späteren Briefe bestimmte er Tag und Stunde, Eisenbahnzug, Rendezvous und Alles. –

Der schönste Augustmorgen übergoldete das Elbthal. Die Thürme Dresdens ragten im reinsten Blau zum Himmel. Der Dampfer „Marie“ im Hafen unter der Brühl’schen Terrasse begann seine Räder brausend zu bewegen und dampfte gen Morgen. Auf seinem Verdeck trug er zwei glückliche Familien, die sich in Kaiser’s Hotel am freundlichen Neustädter Markte fröhlich zusammengefunden. Welch’ ein Wiedersehen von Bernhard und Reinhold! Welch’ ein Bekanntwerden der Frauen, Söhne und Töchter, die sich jahrelang nur auf dem Wege der Briefpost hatten kennen lernen! Lange lagen sich die alten Freunde, keines Wortes mächtig, aber mit thränenden Augen in den Armen.

Ja, nur wer Gelegenheit gehabt, dem Sichwiederfinden der alten Burschenschafter auf dem fünfzigjährigen Jubelfeste zu Jena beizuwohnen, wird die Empfindungsseligkeit der beiden alten Musen in tiefster Seele zu würdigen verstehen.

Und so fuhren die Glücklichen dahin zwischen sommergrünen Ufern, lachenden Villen mit grünen Jalousieen und umblühten Veranden; vorüber an schloßgekrönten Weinbergen, die noch in schönster Frische des Sommers lachend in’s Thal herabschauten. Sie konnten sich nicht satt trinken am blauen Dufte des Morgens und der erquickenden Pracht der Landschaft. Aber je näher man dem Dörfchen kam, welches das Ziel der Fahrt war, desto zahlreicher stiegen zur Linken reizend umgrünte Villen und Weinberghäuser terrassenförmig empor. Sommerblumen schmückten in ländlicher Einfachheit Gärten und Wohnungen, und hie und da schaute aus Laub und Rebengrün noch eine vom Frühling vergessene Rose.

„Aber, mein Gott,“ rief Bernhard, als man dem Landungsplatze immer näher kam, mit freudigem Erstaunen das stattliche Villendorf überschauend, „ist das unser einfach Dörflein, unser Loschwitz von vor vierzig Jahren? Nur der Kirchthurm dort grüßt noch als alter Bekannter. Wie hat während dieser Zeit die Kunst der Menschenhand fleißig geschaffen! Verschwunden sind die einfachen Weinbergswohnungen, welche ehedem, einsam verstreut, diese Höhen bedeckten! Prachtvolle aristokratische Schlösser mit stolzen Zinnen und Thürmen und geschmackvolle Privatwohnungen eines wohlhabenden Bürgerstandes sind an ihre Stelle getreten. Und auch das Nachbardorf da drüben, die Heimath der ‚Gustel von Blasewitz‘[WS 2] ist doppelt so groß geworden wie ehemals.“

„Auch unser Winzerhäuschen seh’ ich nicht mehr,“ sprach Reinhold, der ebenfalls bemüht war, sich in der Gegenwart zurechtzufinden. „Es hat einem kleinen liebenswürdigen Schlößchen Platz gemacht. Wem mag dasselbe wohl gehören?“

„Das ist die Restauration ‚zum Burgberg‘, belehrte ein danebenstehender Dresdner, „von wo man die schönste Aussicht hat und recht gute Bewirthung findet.“

„Ei,“ jubelte Reinhold, „das trifft sich herrlich,“ und zu den Frauen und blühenden Söhnen und Töchtern gewendet rief er: „Kinder, dort oben wird gefrühstückt! Denn das ist der Berg, wo wir vor vierzig Jahren den unvergeßlichen Pfingstheiligenabend verlebten und wo wir gelobten, uns in diesem Leben noch einmal wiederzufinden, wie wir Euch oft erzählt haben.“

Mit Rührung schauten die beiden älteren, aber noch rüstigen Frauen und freudestrahlenden Blicks die junge Gesellschaft nach der Höhe. Elisabeth, Reinhold’s treffliche Gattin, aber sprach: „So gehet immer voraus; mir aber und der guten Frau Professor gestattet zuvor einen kurzen Besuch, den ich schon lange einer Jugendfreundin versprochen, die hier in ländlicher Stille die schönen Sommermonate verlebt. Wir Zwei kommen bald nach.“

Und so ging es denn rosenlaunig durch den idyllisch am Elbufer gelegenen lindenschattigen und lindenduftenden Garten der gemüthlichen Demnitzischen Restauration und zwischen grünen schwellenden Weintrauben und grünsammetnen Pfirsichen die hundertfünfunddreißig Stufen hinauf zum Burgberge.

Während aber die Jugend in den anmuthigen Räumen sich freudigst umhertummelte, bestiegen Bernhard und Reinhold die erhabene Warte, die thurmartig in den blauen Himmel ragt. Da standen die zwei Freunde wie vor vierzig Jahren fast an derselben Stelle. Das herrliche Thal, einst von des Frühlings Abendsonne zauberisch überklungen, ruhte jetzt in der vollen Pracht des Sommermorgens.

Tief ergriffen reichte Reinhold dem Freunde die Hand. „Dies ist wieder ein Sabbathstündlein,“ sprach er leise, „wie sie nur selten einkehren hienieden. Wie können wir Gott genug danken, daß er uns ein solches noch hat erleben lassen!“

„Wohl, mein Reinhold,“ erwiderte Bernhard, ebenfalls innig bewegt die Hand des Freundes drückend, „und daß er unsere Herzen frisch erhalten hat für seine Pracht und Herrlichkeit noch am Abende unseres Lebens.“

„Und,“ fügte Reinhold, der sich um vierzig Jahre jünger fühlte, hinzu, „wir können nicht genug danken, daß unsere Liebe zu unserem deutschen Vaterlande die alte geblieben, daß trotz mancher schmerzlichen Prüfung und mancher bitteren Enttäuschung die Träume unserer Jugend sich endlich zu erfüllen beginnen, daß das Deutschland von 1867 ein anderes ist, als das von 1827, ein anderes in der Achtung und Furcht des Auslandes, das ihm den Weg zur Einheit nicht mehr zu sperren vermag. Ja, die Glocken an jenem Pfingstheiligenabend haben nicht vergebens ihre prophetischen Stimmen erhoben. Auch dem deutschen Volke naht schon der Pfingstmorgen, der ihm gebührt von Gottes- und Rechtswegen.“

Lange standen die Freunde Hand in Hand. – Und wie einst tönten jetzt die Sonntagglocken von den Thürmen Dresdens durch den goldenen Morgen. Noch geraume Zeit verweilten Bernhard und Reinhold in geweihter Stimmung auf der erhabenen Warte. Dann stiegen sie herzerquickt herab, wo sich indeß die Familie in der schattigen Ecklaube zum Frühstück heiter versammelt hatte. Während aber die beiden Alten in Erinnerung an ihre Universitätszeit beim duftenden Johannisberger sitzen, erfreut sich die Jugend der blühenden Gegenwart. Die junge Mutter Amalie ist glücklich im Glück ihrer Kinder, von denen Aennchen mit ihren Blumen zur Herstellung eines Kranzes beschäftigt ist, während der kleine Bruder Ernst sich die Chocolade trefflich munden läßt, von welchem angenehmen Stoff die Kellnerin soeben eine neue Auflage herbeiträgt. Adolph klingt mit Gertrud an und gelobt, den schon immer versprochenen Besuch im schönen Rheinlande, wo die Familie des Professors wohnhaft, in Begleitung seines Bruders noch im Laufe der gegenwärtigen Ferien abzustatten; und Elsbeth winkt mit ihrem Tuche dem von einem Abstecher nach dem unfern gelegenen Schillerhäuschen zurückkehrenden Erich, welcher hutschwenkend verkündet, daß die beiden Mütter auf dem Fuße folgen. Selbst Sultan, das schwarz und weiß gefleckte Hündchen, scheint das allgemeine Vergnügtsein der Familie zu theilen und strebt freudig an seinem Herrn empor. –



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Don Carlos III,10 / Marquis von Posa (1787).
  2. siehe Johanne Justine Renner