Muth und Geistesgegenwart leiten den tapfern Mann in Gefahren
Der Capitain von W.., ein Mann der
großmüthig und herzensgut war, zog
sich gegen den Abend seines Lebens aus dem
Geräusche der Waffen und dem Getümmel
der Welt in die Einsamkeit seines Landguths
zurück. Seine Beschäftigung war
hier, seiner Wirthschaft wahrzunehmen, sich
um das Anliegen seiner Unterthanen zu bekümmern,
und die Jagd, die er von jeher
geliebt hatte, auszuüben. Wenn er von
dem einen oder andern des Abends heimkehrte,
und der Gesellschaft seines Brudersohns,
eines Husarenlieutnants aus der benachbarten
Garnison, entbehrte, pflegte er
in dem Saale des zweiten Stockwerks seines
Hauses ein Paar Lichter anzünden zu
lassen, und sich mit dem Gesichte gegen den
Saal gekehrt, in dem anstoßenden Kabinet,
das keine andere Auszierung als ein Feldbett,
die Plane von neun durchfochtenen
Schlachten, drey Flinten, ein Paar Pistolen,
und zwey Windbüchsen hatte, in seinen
Lehnstuhl zu werfen, um über merkwürdige
Vorfälle, die er erlebt, Erfahrungen
die er gesammelt, Menschen die er gekannt
hatte, auch oft über sich selbst und sein
Schicksal nachzudenken. Ein Abendzeitvertreib,
von dem sich wenige einen Begriff,
und noch wenigere Gebrauch machen können. –
Im späten Herbste des Jahrs
1770 hatte unser Capitain eine Räuberbande
in dem nahgelegenen Walde ausgehoben,
und an das Justizcollegium abgeliefert.
Sechs von diesen Bösewichtern zu brechen, und
man kann denken, daß sie nicht ohne Vorsatz
zur Rache waren. Es war in der
Christnacht, als der Capitain länger als
gewöhnlich seinen Betrachtungen nachgieng,
und wie er hernach zu erzählen pflegte, eine
[37] Ahnung von nahen Unglück empfand. Alles
war still, und die Bedienten schliefen
bereits. Plötzlich ließ sich unten im Hause
ein schreckliches Getöse und ein verwirrtes
Geschrey hören: „Mord! Mord!“ –
Man setze sich in den Fall unseres Capitains!
Muth ohne Urtheilungskraft und ohne Geistesgegenwart
würde ihn verleitet haben die
Treppe hinunter zu stürzen, um zu Hülfe,
eigentlich aber ins Verderben zu eilen. Der
Capitain aber, was that er? – Nachdem
er den Kronleuchter im Saale mit brennenden
Lichtern besteckt, und dadurch das Cabinet
auf seinen Lehnstuhl zurück, eine
Windbüchse in der Hand, und die andre
an den Stuhl gelehnt. Noch vernahm er
den Jammer, der von unten herauf erscholl.
Endlcih ward es still, die Thüre des Saals
öffnet sich, ein Mörder mit blutiger Keule
tritt herein. Das unvermuthete Schauspiel
so vieler Lichter, die Stille, das Menschenleere,
macht ihn stutzen; doch setzt er seinen
Schritt fort. In der Mitte des Saals
faßt ihn aber der Capitain aufs Korn –
hin stürzt er. Ein zweyter erscheint. Das
blendende Licht, der getödtete Vorgänger –
er fährt zurück, allein ehe er noch aus der
Thür ist, liegt er ebenfalls hingestreckt.
Nun eine Flinte, mit Wolfshagel geladen,
zu Hand genommen, und abgewartet –
Aber der Anblick des zweyten Räubers, dessen
Frau die Thüre geöffnet hatte, mochte
die übrigen schon von ferne zurückgeschreckt
haben. Als der Tag dämmerte, gieng unser
W... hinunter. Welch ein Auftritt!
Seines Neffen Reitknecht; der mit Briefen
hergesandt war, drey weibliche Domestiken,
ein Lakay, und neben einen gerödeten
Mörder sein [..] der Korporal, ein zweyter Trim;
der in allen Schlachten ihn zur Seite gewesen
war, und einmal den Säbelhieb eines
ungarischen Husaren von seinem Scheitel
abgehalten hatte, lagen in ihrem Blute.
Was die gute Seele unsers W... bey diesem Anblicke gefühlt habe, können nur ihm ähnliche Seelen ganz empfinden. Die nächsten Verwandten der Ermordeten erhielten von ihm eine [lebenswierige] Pension, und den Korporal ließ er mit militärischen Ehrenzeichen beerdigen und eine Freundesthräne auf seinen Sarg fallen.