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Titel: „Moderne Wunder“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 754
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Rezension von Carl Willmanns Buch, in dem er spiritistische Praktiken entlarvt
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[754] „Moderne Wunder.“ Unter diesem Titel hat einer der eifrigsten Gegner der neuen Geisterseher und Geisterbeschwörer, Karl Willmann, ein Werk (Otto Spamer, Leipzig) veröffentlicht, in welchem er alle Geheimnisse derselben, alle ihre Kunststücke und ihren Schwindel aufzudecken bestrebt ist. Natürlich sieht er auch den sogenannten „Antispiritisten“ auf die Finger, um auch ihre Kunst, mit welcher sie ja ebenfalls als geschickte Taschenspieler überraschen, zu erklären. Es ist erstaunlich, wie groß das Register solcher Wunder ist, welches uns in Willmann’s Schrift aufgeführt wird: Bindeproduktionen, Durchdringung der Stoffe, Geisterschrift, Gedankenlesen, Tischrücken, Geistererscheinungen – nur die magnetische Heilkraft und das Hellsehen der Somnambulen möchten wir mit allen jenen Taschenspielereien nicht in eine Linie gesetzt sehen. Man weiß, welchen Eindruck das Knotenbinden des Herrn Slade auf einen so gelehrten Naturforscher gemacht hat, wie es Herr Zoellner in Leipzig war und bedauert, daß derselbe nicht die einfachen Erklärungen lesen konnte, die hier von jenen Wundern gegeben werden: er hätte sich dann jene merkwürdige Lehre von der „vierten Dimension“ erspart, die durch ihren sonderbaren Tiefsinn so großes Aufsehen erregte.

Sehr ergötzlich sind die mitgetheilten Geschichten der Entlarvungen der geheimnißvollen Geister. Bekannt ist ja, wie der Erzherzog Johann in Wien Bastian in die Mäusefalle gelockt hat; weniger bekannt, wie Betty Tamke, die in Wilhelmsburg, auf einer kleinen Elbinsel bei Hamburg, ihr Wesen trieb, eines Tages ebenfalls entlarvt wurde. Betty ist die achtzehnjährige Tochter des Bauers Tamke, in dessen Hause wöchentlich mindestens zwei Sitzungen abgehalten wurden. Zahlreiche Geister abgeschiedener Menschen erschienen dort, von Cagliostro bis zum Professor Zoellner, und brachten den Anwesenden Mittheilungen aus dem Jenseits, auch sonstige Offenbarungen, Recepte gegen Krankheiten und sogar Geschenke von Blumen und Kuchen. Einmal schon wurde in einer solchen Sitzung ein Handtuch erfaßt: doch der kontrollirende Geist erklärte durch den Mund der Betty, daß Jemand die Schürze des Geistes erfaßt habe, und bat, dieselbe gefälligst loszulassen. Als aber ein anderes Mal Betty Tamke erklärte, daß sie kein weißes Zeug bei sich verberge und bat, sie darauf hin zu untersuchen, gingen zwei anwesende Damen sehr energisch zu Werke und förderten aus dem Korsett des Mediums zwei Betttücher und ein Handtuch zu Tage. Nun sollten die Geister in diesem Falle ihrem Abgesandten einen Schabernack gespielt haben! Aehnlich erging es der Leipzigerin Valeska Töpfer, die, nachdem sie sich leicht der Fesseln entledigt hatte, die ihr bei Beginn der Sitzung angelegt worden waren, ihre beliebten Geistergestalten, die sie auf dem Repertoire hatte, den Geist eines Kindes, Namens Abilla, dann einer schlanken Frauengestalt Adrienne kunstgerecht vorführte, bei einer dritten Verwandlung aber die Unvorsichtigkeit beging, einem der Zuschauer die Hand zu reichen. Diese wurde nun ergriffen, indem zugleich einer der Verschworenen ihren Stuhl hinter dem Vorhang besetzte. Bei der Untersuchung fand man ein großes weißes Mullkleid, welches sie versteckt an sich trug, in dem Dunkelraum verschiedene von ihr abgelegte Toilettenstücke.

Interessant ist die Schilderung, wie es in den Dunkelsitzungen der Geisterbeschwörer zugeht. Bastian setzte sich in den Kreis mitten in sein Publikum, ließ das Licht auslöschen und die Fenster so dicht verschließen, daß nicht der geringste Schein von außen hereindringen konnte. Mindestens ein Theilnehmer war in die Geheimnisse des Mediums eingeweiht.

Anfangs wird die Unterhaltung im Flüstertone geführt, bis das Medium der Gesellschaft empfiehlt[,] sich ganz ruhig zu halten. Nun hört man nichts, als das gleichmäßige Klatschen der Hände desselben, welches den Beweis liefern soll, daß es nicht betheiligt sei an den nun folgenden Erscheinungen. Da die Geister den Gesang lieben und sich dann viel gefälliger zeigen, beginnen nun alle zu singen. Da ertönt ein Schreckensruf und man erfährt, daß einer der Anwesenden soeben von unsichtbarer Hand am Ohr gezupft und ein anderer gekitzelt worden sei.

Die Geister treiben solchen Hokuspokus wahrscheinlich, weil sie sonst auf Erden nichts zu thun haben. Das Medium klatscht inzwischen ununterbrochen fort, nur mit dem Unterschied, daß es mit der linken Hand jetzt auf die linke Backe klatscht, um die rechte für seine künstlerischen Leistungen frei zu halten. Nun erfahren die Anwesenden, daß, wenn die Geister in ihrer Mitte erscheinen, sich das durch einen kühleren Luftzug ankündigt. Bald wird auch diese Wahrnehmung gemacht; denn der Geistermann hat die rechte freie Hand nicht unbenützt gelassen, sondern mit ihr ein im Rockfutter verborgenes Papierrohr hervorgeholt, dasselbe leicht aufgeblasen und so den Luftzug aus dem Geisterreich hervorgerufen. Durch das Papierrohr ertönen auch die Stimmen aus dem Jenseits. Auf einmal fliegen kleine Flammen in der Nähe des Mediums umher: das ist die Materie, aus der sich die Geister bilden, indem sie dieselbe allmählich dem Gehirn des Mediums entziehen. Das Medium hat die Fingerspitzen mit Phosphoröl oder leuchtender Balmaynfarbe versehen, die, auf ein Lederläppchen aufgetragen, vorher mit Magnesialicht beleuchtet, unter dem Rockfutter verborgen gehalten wurde. Mit Hilfe eines weiten Handschuhs, dessen Fingerspitzen in ähnlicher Weise vorbereitet werden, einer mit Phosphoröl getränkten Maske und ähnlicher Vorrichtungen erscheinen dann die Geister selbst. Das wird Alles in Willmann’s Werk aufs genaueste beschrieben.

Man mochte anfangs den Geistergläubigen jenseit oder diesseit des Oceans jene Visionen und Verzückungen zutrauen, wie sie den Mystikern aller Zeiten eigen waren: jetzt ergiebt es sich, daß man es nur mit handgreiflichen Taschenspielerkunststücken zu thun hat und daß die ganze Geisterseherei in die Meßbude eines Professors der Magie gehört. †