Waidwund verbellt
Waidwund verbellt.
Mein alter Jagdfreund, der Oberförster L., half mir beim Aussteigen aus dem Americain, der mich von der Bahnstation vor das auf einer Waldblöße gelegene Jägerhaus geführt hatte, indem er mir Flinte und Jagdtasche abnahm, um dann einen prüfenden Blick auf die beiden von mir mitgebrachten Dachshunde zu werfen. Im nächsten Augenblick hatte er sie, nach Uebergabe der Jagdgeräthschaften an den danebenstehenden Jägerburschen, mit festem Griff gepackt und auf die Erde gesetzt, worauf er ihnen noch liebelnd auf den Rücken klopfte, ehe er mir die Rechte zum Gruß bot.
„Recht niedliche Thiere! In der Farbe wie ein paar Waldschnepfen; nur sind die Köpfe zu dick zum Kriechen im Fuchsbau, man thäte da besser, man kröche selbst. Und die Läufe – ja, die Läufe sind wieder zu kurz und zu krumm zum Laufen; aber man kann ja nicht wissen, sie haben vielleicht innerliche Tugenden.“
Das war ein wenig tröstliches Urtheil über meine erst vor wenig Tagen, freilich für billiges Geld, gekauften Hunde. Ein mir befreundeter Gutsbesitzer hatte sie mir für einen sehr geringen Preis abgelassen, weil sie zu viel auf eigene Hand auf den Feldern wilderten. Sie sollten scharf auf Raubzeug sein und sicher und laut der Fährte jedes Wildes folgen; weßhalb also nicht auch der von Sauen, welchen unsere auf heute verabredete Jagd galt? Um die schlechte Meinung des Jagdfreundes von den Teckeln zu entkräften, versuchte ich, ihre mir von dem Vorbesitzer gerühmten Eigenschaften in das rechte Licht durch eine anschauliche Schilderung einiger mir mitgetheilten Heldenthaten derselben beim Buschiren zu setzen; allein auch jetzt begegnete ich entschiedenen Zweifeln an der Leistungsfähigkeit der Thiere.
„Zum Kriechen sind die Köpfe zu dick und zum Laufen die Läufe zu krumm“, das blieb der Refrain des Urtheils des alten Waidmanns.
Es war ein herrlicher Wintermorgen, der Himmel wolkenlos, und Bäume und Sträucher mit einem feinen, in den Sonnenstrahlen blitzenden Reif bedeckt, während eine leichte, kanm zollhohe Neue sicheres Abspüren gestattete. Die Jägerei war vollzählig beisammen, lauter wettergebräunte, kräftige Männer, Mitglieder des Forstschutzpersonals der Oberförsters, ich als einziger Gast darunter. Wir hatten etwa eine halbe Stunde Wegs nach dem ersten Treiben zurückzulegen; die Treiber folgten uns mit fünf oder sechs Hunden von gänzlich verschiedener Größe und Farbe, sämmtlich Mischrassen angehörig, deren Abstammung dem gewiegtesten Hundekenner zu ergründen unmöglich gewesen wäre. Es würde zu weit führen, wollte ich die struppigen Gesellen näher schildern; dem kritischen Auge mußten sie wenig vertrauenerweckend erscheinen, obgleich sie sammt und sonders bereits Beweise ihrer vortrefflichen Eigenschaften auf der Saujagd abgelegt hatten.
Zu meinem Kummer mußte ich bemerken, daß auch bei den anderen Forstleuten dasselbe Mißtrauen gegen die Leistungsfähigkeit meiner reinblütigen Teckel zu bestehen schien. Die Blicke, mit denen dieselben von allen Seiten gemustert wurden, waren unschwer zu deuten. Man machte sich über die krummbeinigen Burschen lustig, die freilich in der schläfrigen Art, wie sie an der Leine dem sie führenden Treiber folgten, auffällig abstachen gegen die muntere, kläffende und umherspringende Schar ihrer unedlen Genossen.
Doch nicht allein Flick und Flock, so hießen die beiden Hunde, sollten heute das Mißfallen des Oberförsters erregen, auch meine Bewaffnung wurde einer abfälligen Kritik unterzogen. Ich hatte die Büchsflinte, mit welcher ich vor wenig Wochen einen Ueberläufer auf einer schmalen Schneuse gefehlt, zu Hause gelassen, und dafür meine Dreyse-Flinte mitgenommen, deren Treffsicherheit auf kürzere Entfernungen mit der Kugel bereits häufig erprobt war. Der Kugelschuß aus dem glatten Rohr bietet stets den Vortheil, daß der Schütze weit schneller fertig werden und das Ziel nehmen kann, was grade bei der Saujagd, bei dem überaus flüchtigen Ueberfliehen der schmalen Gestelle durch das Wild, von der größten Wichtigkeit ist.
Eben führte uns der Weg an einem hohen Bestand hin. Ich ging neben meinem Jagdfreunde am Ende des Zuges und suchte ihm die eben erwähnten Vortheile des Kugelschusses aus dem glatten Rohr klar zu machen, als er plötzlich stehen blieb und auf einen hämmernden Specht wies, welcher auf einem der obersten Aeste einer hohen Eiche emsig nach Würmern pochte.
„Versuchen Sie einmal Ihr Glück und schicken Sie dem da oben einen Morgengruß hinauf. Wir wollen sehen, ob Sie überhaupt hinauf reichen. Der Schuß stört uns die Jagd nicht; ist doch Jagen 12, wo wir anfangen, noch wenigstens 20 Minuten entfernt.“
Kaum hatte der Grünrock seinen Wunsch geäußert, als auch meine Flinte bereits geladen an der Wange lag. Ich drückte, und unmittelbar vor dem Schnabel des hämmernden Spechtes flogen die Splitter des von der Kugel durchbohrten Astes, auf dem er saß, empor. Wahrscheinlich durch den plötzlichen Schreck betäubt, flog der Vogel nur wenige Fuß zur Seite und schien danach verwundert Umschau zu halten.
„Jetzt denkt er nach, welcher Gattung die Made wohl angehört haben mag, die er eben herausgepocht.“
Der Grünrock lachte lustig zwinkernd nach mir herüber, während er den Scherz machte, so daß ich schon glaubte, seine Zuversicht zu meiner Bewaffnung sei nunmehr wiederum vollständig befestigt. Als wir jedoch später die Dickungen erreicht hatten, in welchen das Schwarzwild bestätigt worden und die nun umstellt werden sollten, wurde es mir alsbald klar, daß man geneigt war, mich für den heutigen Tag als Paria zu behandeln; ich erhielt nämlich nach meiner und jedenfalls auch nach der Ansicht der Jagdgefährten einen vollständig verlorenen Posten. Zwar sprach L., der mich selbst anstellte, bei dieser Gelegenheit viel von „freiem Ausschuß nach allen Seiten“ und „altem, bekanntem Wechsel“ nach einem in meinem Rücken liegenden Bruch; aber ich kannte bereits aus Erfahrung diese stets gleichlautenden, trostreichen Phrasen, die mir Ersatz für den Anlauf bieten sollten, dessen sich die Andern voraussichtlich erfreuen würden.
Wohl eine Viertelstunde saß ich bereits regungslos auf einem Baumstumpf. Meine Hunde befanden sich bei dem Treiber, der sie vorher geführt hatte; sie sollten nicht von der Leine gelöst werden, weil – ihre Köpfe zu dick, ihre Läufe zu krumm waren. Freilich, einen freien Ausschuß nach allen Seiten hin hatte ich hier. Mein Stand befand sich auf einer breiten, abgeholzten Fläche. Vor mir, in einer Entfernung von etwa 200 Schritten, lag die nach meiner Seite hin gänzlich von Schützen entblößte Dickung, welche getrieben werden sollte; rechts, links und rückwärts, nach letzterer Richtung hin wohl 800 Schritte entfernt, schlossen hohe, lichte Kiefernbestände das Gehau ein, welches durch den Frost gebräunte Farnkräuter, Brombeergestrüpp und Wachholderbüsche überwucherten.
Anfänglich wurde die lautlose Stille des Winterwaldes nur durch die ziemlich regelmäßigen Axthiebe der Holzfäller unterbrochen, welche in
[753][754] dem hohen Holz hinter mir thätig waren. Dann begann endlich das Geläut der Hunde in der Dickung, bald näher – bald ferner. Es ließ sich das Schwarzwild im Kreise umhertreiben und war, wie gewöhnlich bei dieser Jagdart, nicht vor die Schützen zu bringen. Schon eine volle halbe Stunde währte die Jagd und noch immer war kein Schuß gefallen.
Eben ließ sich der rauschende Ton vernehmen, welcher den Sturz eines gefällten Baumes begleitet, worauf das bekannte Krachen der auf den Boden schlagenden Aeste folgte.
Unwillkürlich wandte ich meinen Blick rückwärts in der Richtung, von welcher das Geräusch kam, um im nächsten Augenblick mich langsam zu erheben und vorsichtig seitwärts hinter einen mich deckenden Wachholderbusch zu treten. Deutlich konnte ich einen dunklen Gegenstand, zum Theil durch das Gestrüpp verdeckt, unmittelbar vor dem Saum des hohen Holzes wahrnehmen. Derselbe bewegte sich, schob sich hin und her; doch war die Entfernung noch zu bedeutend; ich vermochte nicht zu erkennen, was ich eigentlich vor mir hatte.
Ein Thier war es; vielleicht ein von der Herde abgekommenes Stück Rindvieh? Für ein Schwein schien es mir zu lang, der dunkle Rücken ragte jetzt deutlich sichtbar über den Büschen hervor. Eben begann wieder das Geräusch der Holzschläger, und fast gleichzeitig damit das Geläut der Hunde, dessen Echo in dem hohen Holz eine eigenthümliche Täuschung hervorrief: klang es doch, als käme die Jagd gerade aus entgegengesetzter Richtung her. Auch das von mir beobachtete Wesen mochte durch den Widerhall beirrt werden, es sicherte[1] einen Augenblick rückwärts; dann nahm es seinen Wechsel geradewegs auf mich zu, anfänglich langsam trollend, um danach in eine beschleunigtere Gangart überzugehen.
Die eigenartige Bewegung des Thieres ließ mich jetzt sofort erkennen, daß ich einen Schwarzkittel, und zwar ein Hauptschwein vor mir hatte. Der wehrhafte Recke rückte näher heran, der Wind stand mir günstig; er hatte keine Ahnung von meinem Dasein. Nur noch fünfzig Schritte mochten mich von ihm trennen, und doch konnte ich nicht schießen, weil er spitz auf mich zukam. Und die Entfernung verminderte sich immer mehr, kaum zwanzig Gänge betrug sie jetzt. Ich mußte zum Entschlusse kommen, schnell trat ich aus meiner Deckung hervor; ein erschrecktes Grunzen; der mächtige Körper flog zur Seite; in demselben Augenblicke knallte aber auch mein Schuß, und in vollster Flucht wechselte der Keiler in die Dickung hinein. Wegen des hohen Gestrüpps konnte ich meine zweite Kugel nicht anbringen, allein ich wußte, daß die erste saß.
Wenig Schritte hinter dem Anschuß fand ich Schweiß, anfänglich in einzelnen Tropfen, dann in größerer Menge. Mein jugendlicher Jagdeifer erhielt durch diesen Beweis des erfolgreichen Schusses neue Nahrung; ich wartete nicht das Krankwerden des Schweines ab, sondern folgte sofort der deutlich erkennbaren Fährte. Eine Weile war ich in der Dickung mit zu Boden gehefteten Blicken weitergeschlichen, als ich plötzlich in unmittelbarer Nähe den Standlaut zweier Hunde vernahm, dem sich in demselben Augenblicke eine menschliche Stimme zugesellte.
„Husu! – hier sitzt er!“
Endlich hatte ich mich durch die dichte Wand der Mischholzkultur durchgedrängt und befand mich nun am Rande eines kaum einen Morgen großen Bruches; vor mir stand ein Treiber, mit dem Stocke winkend und rufend:
„Heran, Herr! – hier sitzt er.“
Und da saß er wirklich, von meinen beiden Dickköpfen „waidwund verbellt“; vor ihm Flick, ohne Unterlaß mit seiner hellen Stimme Laut gebend; hinter ihm Flock, nur selten in tieferer Lage einstimmend. Ich brauchte nur seitwärts von hinten den Fangschuß zu geben, und der alte Recke brach polternd verendet zusammen.
„Heiliger Hubertus, das ist das stärkste Schwein, welches mir in meiner Jägerpraxis vorgekommen ist! Vier Centner Gewicht und darüber – wette ich. Und dabei haben die Dickköpfe mitgewirkt? – Man sieht, das Aeußere täuscht wie bei den Menschen, so auch bei den Hunden; die dürfen Sie mir nun nicht mehr zu Hause lassen.“
Der Oberförster schüttelte mir glückwünschend die Hand, und wirklich haben Flick und Flock uns noch öfter treffliche Dienste auf Sauen geleistet. E. F.
- ↑ Das Wild „sichert“, wenn es durch Umheräugen oder Wittern sich überzeugt, ob ihm Gefahr droht.