Textdaten
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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: Moderne Diskuswerfer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 36
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Moderne Diskuswerfer.
Nach einem Gemälde von R. Focardi.

Moderne Diskuswerfer. Der Titel unseres obenstehenden Bildes, das dem modernen Straßenleben einer Landstadt in der Umgebung Roms vortrefflich abgelauscht ist, richtet unseren geistigen Blick in ferne Vergangenheit. Das Diskuswerfen war bei den alten Griechen eines der beliebtesten gymnastischen Spiele. Der Diskus ist eine flachrunde Wurfscheibe aus Stein; die den Diskus warfen, hießen bei den Griechen Diskobolen, und das dem famosen griechischen Pentathlon, Fünfkampf, zugezählte, unendlich beliebte, Männer und Buben ergötzende Spiel hieß Diskobolie. Und weiter erinnern wir uns, daß ein schöner, zu Aegina aufgefundener bronzener Diskus, anderthalb Kilo wiegend, im Berliner Museum aufbewahrt wird, und ferner der vor hundert Jahren in der Villa Adriana ausgegrabenen, im Vatikan zu Rom abgestellten Statue eines Diskobolos, Marmorkopie der Erzarbeit des berühmten Myron. Welch herrliches Muskelspiel! Seht, wie der Oberleib des Diskuswerfers nach vorn mit einer gewaltsamen Beugung zur rechten Seite hin gesenkt ist und seinen Ruhepunkt auf dem linken Beine findet. In reizender Biegung ist der rechte Arm rückwärts über der Schulterhöhe gehoben, um mit voller Kraft die Scheibe im Bogenwurf schleudern zu können! Die glücklichen Alten, die so herrliche Bilder täglich vor Augen hatten! So erläutert der begeisterte Kenner des hellenischen Altertums die Statue.

Unser Bild aber führt uns auf eine der Landstraßen, die von der römischen Kapitale in die klassischen Nester hineinlaufen: ein Stückchen ungefälschten Altertums spielt sich hier zwischen den grauen Mauern vor unsern Augen ab. Würdig der Vorfahren, in Gesichtern, Haltung und Gebärden, anständig auch in abgeschabten Mänteln und zerrissenen Schuhen, schleudern die modernen Quiriten „lauthin sausend“ ihren steinernen, nach berühmten Mustern geformten Schleifstein-Diskus die Straße entlang. Das Wurfobjekt hat nichts als seinen Namen geändert und heißt in italienischer Zunge „Ruzzola“ oder „Ruzzolone“, d. h. Rutschstein, Rollstein, vom Verb „ruzzolare“ = polternd rollen oder rutschen.

Wilhelm Müller, in seinem „Rom, Römer und Römerinnen“, sah es noch auf allen Plätzen und Straßen Roms, namentlich auf dem Campo Vaccino, wo es längst verboten ist, spielen. Ich sah es oft vor den Mauern Roms, öfter in den Bergstädten des Albaner und Sabiner Gebirgs und bewunderte wie jener den marmornen Diskobolos, das lebendige Fleisch und Blut, die hüpfende Leidenschaft in Muskeln und Augen, das auferstehende oder vielleicht niemals gestorbene Altertum. Ich würde die Sache besungen haben, wenn nicht ein Höherer das bereits vor ein paar tausend Jahren gethan. Odysseus zeigt sich mit seinem Diskus vor dem versammelten Volk der Phäaken; er packte den Stein und Homer sang:

„Diesen schwang er im Wirbel und warf aus gewaltiger Rechten …
Lauthin sauste der Stein: da bückten sich schnell zu der Erde
Ruderbewährte Phäaken umher, schiffkundige Männer
Unter dem Schwunge des Steins; und er flog weit über die Zeichen!“

Wie interessant, das „giuoco del ruzzolone“ schon von Homer besungen zu sehen!Woldemar Kaden.