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Meine Seele erhebet den Herrn
II. Frühling im Mutterhaus »
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I. Kindheit


Das Elternhaus

Der Vater: Pfarrer Martin Stählin in Westheim, dann in Weiltingen bei Dinkelsbühl, gest. am 24. Februar 1855.

Die Mutter: Ida Stählin, geb. Brack, gest. 1885.

Die Geschwister:

Adolf, Pfarrer in Tauberscheckenbach und Nördlingen, Konsistorialrat in Ansbach, 1883–1897 Präsident des Oberkonsistoriums in München, gest. 1897.
Otto, Vikar in Augsburg, ständiger Vikar in Eichstätt, Pfarrer in Breitenau, vermählt 1858 mit Lina Bomhard, Tochter von Kirchenrat August Bomhard in Augsburg. Er starb 1868.
Leonhard, zuletzt Konsistorialrat in Ansbach.
Wilhelm, Eduard, Alexander; Ludwig, gest. 1852.
Ida, vermählt mit Professor Gürsching in Augsburg.
Mina, später viel bei Ida in Augsburg.
Berta, später Frau Reichenbach in Ansbach.
Auguste
Julie, erblindet, war viel in Neuendettelsau, starb daselbst 1916.
Therese, geb. 22. Dez. 1839, seit 1855 in Neuendettelsau, seit 1857 Diakonisse, Oberin 1883–1921, gest. 23. April 1928.
Marie, geb. 18. Jan. 1843, Diakonisse seit 1864, Hausmutter in Polsingen 1866–1893, Hausmutter am Lehrerinnenseminar in Neuendettelsau 1902–1922, gest. 17. Febr. 1928.


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Zur Einführung


Aus persönlichen Aufzeichnungen
von Frau Oberin Therese Stählin


 „Ich bin in Westheim bei Wassertrüdingen am 22. Dezember 1839 geboren, am vierten Adventssonntag, während mein Vater Christenlehre hielt. Ich war das vorletzte Kind von vierzehn Geschwistern, sieben Brüdern und sieben Schwestern. Mein Tauftag ist der 2. Januar. Mein Vater kam bald von Westheim nach Weiltingen. Dort wurde unsere jüngste Schwester Marie geboren. Mein Vater brachte mich schon sehr früh in die Schule, noch ehe ich eigentlich ein Verständnis dafür hatte.

 Als ich fast dreizehn Jahre alt war, brachte mich meine Mutter nach Augsburg zu meiner Schwester Ida, die dort an Professor Gürsching verheiratet war. Dort durfte ich das von Stetten’sche Institut besuchen und hatte das Glück, von Herrn Kirchenrat Bomhard senior Konfirmandenunterricht zu empfangen. O wie mich diese Stunden freuten! Am 9. April 1854 wurde ich von Herrn Kirchenrat konfirmiert.“

 „Ich war erst kurze Zeit in das Stetten’sche Institut als externe Schülerin eingetreten, da wurde unsere große Familie durch ein erschütterndes Ereignis gewaltig bewegt. Es war am 24. Dezember 1852, da durchzog Weiltingen die Nachricht, es sei in der Nähe von Untermichelbach ein toter Jüngling gefunden worden. Zwei Brüder machten sich sofort auf den Weg und fanden unsern jüngsten Bruder Ludwig als Leiche. Er war auf dem Weg vom Ansbacher Gymnasium nach Weiltingen plötzlich von Gott in die Ewigkeit gerufen worden. Noch kurz ehe der Tod ihn ereilt haben muß, trennte er sich von einem Freunde, der ermüdet war, während Ludwig versicherte, gar keine Müdigkeit zu spüren. Die Todesursache ist niemals nachzuweisen gewesen. Ludwig war ganz gesund, und kein äußeres Ereignis führte das Ende herbei. Der Vater hielt ihm die Leichenpredigt über: „Seine Seele gefiel Gott wohl, darum eilte er mit ihm aus diesem Leben.“

 An der Stätte seines Todes wurde ein Kreuz errichtet.


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Briefe von 1854–1855


An ihren Vater.
Augsburg, den 9. April 1854

 Teuerster Vater! „Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.“ So, liebster Vater, sprach Herr Kirchenrat heute über mir, indem er mir segnend die Hände auflegte. So klingt es heute den ganzen Tag in meinem Herzen wider. So will ich von nun an alle Tage sprechen. Ja, der Herr hat große Dinge an mir getan, mich gnädig und väterlich geführt an seiner treuen Hand. Ich kann nicht anders sprechen als: „Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an mir getan hast.“ – Sie ist nun vorüber, die heilige Stunde meiner Konfirmation; das feierliche Gelübde, es ist abgelegt; und als konfirmierter Christ bin ich nun aufgenommen in den Bund des Glaubens. O, möchte der Segen, der heute über mich ausgesprochen wurde, auf mir bleiben, und der Heilige Geist nie von mir weichen!

 Ich will Ihnen kurz beschreiben, wie ich den heutigen Tag zugebracht. Um 8 Uhr ging die Kirche an. Herr Pfarrer Puchta predigte über das Evangelium und hatte das Thema: Der Gang mit Christo zum himmlischen Jerusalem: 1. Es ist ein Gang in den Kampf, 2. Der Zug wird immer kleiner, je weiter er vordringt. 3. Dieser Gang führt zu einem herrlichen Ziele. Alsdann hielt Herr Kirchenrat eine Rede am Altar über die Worte: „Und sie brachten Kindlein zu Ihm, daß Er sie anrührete...“ Hierauf legte er uns Fragen vor, auf die wir: „Ja, mit Gottes Hilfe!“ antworteten, sprachen dann kniend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser und wurden dann paarweise eingesegnet. Ich ward mit meiner lieben Freundin Marie Hauser aufgerufen. Um 1/212 Uhr kamen wir nachhause. Nachmittags predigte Otto bei St. Anna. Nach der Kirche gingen wir ein wenig spazieren.

 Nun hören Sie aber auch, wie reich ich beschenkt worden bin. Schon am Freitag bekam ich von Frl. Krauß einen wunderschönen Blumenstrauß und ein Gebetbuch, das betitelt ist: „Alles mit Gott!“ in herrlichem Einband mit Goldschnitt. Am Samstag erhielt ich von der lieben Mutter und somit auch von Ihnen, lieber Vater, das schöne Buch von unserem seligen| Ludwig nebst andern Sachen, von denen Sie ja wissen werden. An demselben Nachmittag beschenkte mich Fräulein von Hartlieb mit der „Weiblichen Einfalt“ und am Abend Herr Korhammer mit „Harfe und Kreuz.“

 Entschuldigen Sie, lieber Vater, daß ich mit der Hauptsache, die mich eigentlich veranlaßte, diesen Brief zu schreiben, erst zuletzt komme, nämlich Ihnen meinen innigen, warmen Dank auszudrücken für die Tausende von Wohltaten, die Sie mir von Kind auf erwiesen, für die viele Sorge und Mühe, die Sie mit mir gehabt, und Sie herzlich um Verzeihung zu bitten, wo ich Ihnen durch Fehler Kummer verursacht. Ich gebe Ihnen dafür heute das aus dem tiefsten Herzen kommende Versprechen, von nun an Ihnen immer mehr Freude zu machen und mit meinen schwachen Kräften Ihnen so viel als möglich zu lohnen zu suchen, was ich in der Tat jedoch nicht lohnen kann.

 Nun wirds dämmerig, und ich muß schließen. Mutter wird, wenn sie kommt, meinen Brief ergänzen. Grüße an Mina, Leonhard, Marie und Christine.

 In herzlicher Liebe

Ihre dankbare Therese.


An ihre Schwester Mina.
Augsburg, den 15. April 1854

 Liebe Mina, ...ach, nun sind die acht Tage schon vorüber, die Mutter hier zubrachte! Heute mittag geht sie wieder fort, und denke Dir, ich kann sie bis Donauwörth begleiten, indem ich wieder auf einige Tage auf den Doferhof darf. Ich freue mich recht darauf, und es wird mir dadurch der Abschied unendlich erleichtert.

 ...Was für einen herrlichen Spruch ich zu meiner Konfirmation erhalten, habe ich an Vater geschrieben. Er war mir ganz aus der Seele gesprochen, wie reich ich von allen Seiten beschenkt worden bin, welch große Überraschung uns durch den Besuch meiner lieben Frau Patin zuteil wurde, wird Mutter erzählen.

 Schöne Grüße an alle Bekannten in Weiltingen und anderswo. Es grüßt und küßt Dich

Deine Therese.


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An die Mutter.
Doferhof, den 17. April 1854

 Liebe Mutter, ...gestern fuhren wir nach Neuburg in die Kirche, wo Herr S. recht schön predigte. Nach Tisch gingen wir fünf Mädchen auf die Wiese hinaus, lasen da einige schöne geistliche Lieder und eine Predigt, die ich mitgenommen hatte. Dann gingen wir wieder ins Haus, woselbst Herr Hauser eine Predigt von Löhe las. Gegen Abend gingen wir zur „Eiche“. Das ist eine schöne Anhöhe, wo man eine herrliche Aussicht genießt. Auf dem Rückweg nahmen wir Immergrün mit und wanden davon einen Kranz. Am Abend waren wir recht lustig. Jedesmal vor Schlafengehen spielt Jakobine auf dem Klavier wunderschöne Lieder, zu welchen alle Schwestern singen. Überhaupt höre ich hier immerfort singen, so daß es mir fast wehe tut, wenn ich nicht in diesen schönen Gesang meiner lieben Freundinnen einstimmen kann.

 Herzliche Grüße an alle! Indem ich Ihnen recht herzlich danke für die große Freude, die Sie mir durch die Erlaubnis, hier einige Tage zubringen zu dürfen, gemacht haben, bleibe ich

Ihre dankbare Therese.


An die Eltern.
Augsburg, den 7. Mai 1854

 Geliebte Eltern, soeben komme ich ganz glücklich und selig von einer herrlichen Bibelstunde, die ich heute zum zweiten Male besuchen durfte. So bin ich denn entschädigt für den Verlust des Konfirmandenunterrichts. Auch die Stunden am Dienstag darf ich noch besuchen. Herr Kirchenrat sagte letzthin: „O, meinetwegen kannst Du kommen bis an mein seliges End’!“

 ...Letzthin wurde ich hoch erfreut durch ein Geschenk von Herrn Pfarrer Laible, nämlich durch eine französische Bibel. Ich werde recht fleißig darin lesen, denn ich kann dadurch einen doppelten Zweck erreichen: 1. in der Bibel recht bekannt zu werden und 2. im Französischen weiter zu kommen.

 Jetzt sticke ich ein Lesepult für Herrn Kirchenrat. Die Stickerei ist recht schön; nur ist es mir gar nicht recht, daß nimmer viel daran zu tun ist. Doch kann ich dann bald wieder zu etwas anderem kommen, da im Grunde doch nicht viel dabei zu lernen ist...

Ihre dankbare Therese.


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An die Eltern.
Augsburg, den 22. Juni 1854

 Geliebte Eltern, ...ich mache jetzt schon tausend Pläne auf die Herbstvakanz, die ich diesmal recht gut benützen will. Unter anderem möchte ich auch Alexander recht schön bitten, mich als Schülerin in Geographie und Geschichte anzunehmen, indem ich mich in diesen beiden Gegenständen noch recht schwach fühle. – Nun habe ich zwölf Predigten von Herrn Kirchenrat geschrieben, die ich mit großem Vergnügen immer aufs neue lese. – An den Ferien werde ich Ihnen, liebe Mutter, „Die weibliche Einfalt“ vorlesen, die ich von Fräulein von Hartlieb erhalten. Es ist ein wunderschönes Büchlein, in welchem ich den Verfasser[1] desselben verehren lerne.

 ...In dankbarer Liebe

Ihre Therese.


An ihre Schwester Ida.
Weiltingen, den 9. September 1854

 Liebe Ida, ...ich bin meist recht vergnügt, besonders seitdem Julie und Alexander hier sind. Mit Julie spreche ich gar oft französisch. Alexander gibt mir wirklich Geographie- und Geschichtsunterrichtsstunden, worüber ich sehr erfreut bin. Da habe ich ziemlich viel zu lernen auf.

 ...Es geht bei uns sehr, sehr lebhaft zu, daß einem oft die Ohren weh tun.

 In herzlicher Liebe

Deine Therese.


An die Eltern.
Augsburg, den 27. Dezember 1854

 Teure Eltern, das immer mehr dem Schlusse sich nähernde Jahr erinnert mich aufs neue an die vielen Liebesbeweise, an das viele Gute, das Sie mir im Verlauf desselben bewiesen haben. Die innigsten Dankgefühle werden in mir rege, wenn ich darüber nachdenke, und die heißesten Gebete für Ihr Wohl steigen vornehmlich in dieser Zeit zum Himmel empor.

 Ach, das nächste Jahr ist wahrscheinlich schon das letzte, das ich ganz dem Lernen widmen darf! Mir schaudert, wenn ich daran denke, daß ich nun schon seit meinem vierten oder fünften Jahre die Schule fast unausgesetzt besuche und doch| im Vergleich mit dieser sehr langen Zeit sehr wenig gelernt habe.

 ...Zu meinem Geburtstag habe ich auch die Biographie unseres seligen Ludwig bekommen. Ich habe sie am Weihnachtsabend unter vielen, vielen Tränen gelesen.

 Soeben habe ich die Weihnachtspredigt von Herrn Kirchenrat und mit dieser gerade mein Heft vollendet. Nun habe ich zwanzig Predigten.

 Otto hat mir heute ein wunderschönes, neues Gesangbuch gebracht, das mich recht freut. Ich will nun alle Woche wenigstens ein Lied daraus lernen. Mit Neujahr wird es bei St. Jakob einstweilen eingeführt werden.

 Grüße an Wilhelm, Mina, Leonhard und Marie. Es muß jetzt recht nett zuhause sein, da mehrere Geschwister beisammen sind und doch kein so Durcheinander wie im Herbst ist.

 Indem ich Ihnen nochmals Gottes reichen Segen zum neuen Jahre wünsche, bin ich

Ihre dankbare Therese.


An die Eltern.
Augsburg, den 22. Januar 1855

 Geliebte Eltern, ...wie freut es mich, Ihnen mitteilen zu können, daß ich nun wieder regelmäßig Klavierstunden bekomme. Der eifrige Herr Kapellmeister Riegel kommt fast regelmäßig zweimal die Woche zu mir und kultiviert meine Stimme. Sie werden denken, ich wolle Musikantin werden, weil ich gleich mit diesen Ereignissen meinen Brief beginne; allein es ist eben jetzt die erste Zeit, da in mir die Liebe und Begeisterung für Musik erwacht ist, und da ist es leicht begreiflich, daß ich gerne davon spreche. O welch edle, erhabene Kunst ist der Gesang! Er löst die Fesseln, die uns an das Gemeine, das Irdische ketten, und gibt uns einen Vorschmack von dem herrlichen Beruf, der in der Ewigkeit unser wartet. O wie beneidenswert sind doch diejenigen, denen der Himmel das Talent verliehen, diese Kunst zu erlernen, und denen er zugleich die Gabe geschenkt, sie zu Gottes Ehre anzuwenden; denn außerdem kann sie eben doch keine reinen Freuden gewähren. Doch genug hievon!

|  Wie ist es denn mit meinem Bleiben oder Nichtbleiben im Institut? Ich denke freilich mit Schrecken daran, oder mag eigentlich gar nicht daran denken, dasselbe Ostern schon, wenigstens teilweise, zu verlassen. Nur die französischen Stunden noch zu nehmen, will mir gar nicht einleuchten, da ich in andern Gegenständen eine längere Ausbildung ebenso nötig habe. Und wenn ich Geographie- und Geschichtsstunde noch nehme, so darf ich ehrenhalber auch die Religionsstunden nicht bei Seite setzen, und damit wäre dann, meiner Meinung nach, nicht so außerordentlich viel gewonnen. Vielleicht bietet sich später einmal noch eine Gelegenheit, das Kleidermachen zu lernen, das ich allerdings sehr gerne lernen möchte. Natürlich ist mir alles recht, was Sie über mich bestimmen. Nur meine ich, wenn ich mich einmal dem Berufe widmen soll, zu dem mich mein Herz treibt und in welchem ich einmal glücklich zu sein hoffe, dann wäre ein Sommersemester keine zu große Dreingabe.

 Doch wie gesagt, ich überlasse es ganz Ihrer elterlichen Entscheidung und bleibe in dankbarer Liebe

Ihre Therese.


An die Mutter.
Augsburg, den 18. März 1855

 Teuerste Mutter, ich bin soeben ganz allein mit den Kleinen zu Hause, da Ida diesen Nachmittag in die Kirche gegangen ist, und diese trauliche Stille will ich dazu verwenden, meine Gedanken, die ja in diesen Tagen immer bei Ihnen, beste Mutter, weilen, auszusprechen.

 Ach, welch ganz andere Gefühle als heuer erfüllten mein Herz im vorigen Jahre beim Herannahen des Palmsonntags: Freude, nichts als Freude sah ich vor mir, wenn ich an diesen Tag dachte, und jetzt! Ach, alles hat sich anders in einer Familie gestaltet, die ihr Haupt verloren hat! Doch der Tod unserer Lieben ist ja eigentlich kein Scheiden, sondern nur ein Vorangehen in die bessere Welt, und gewiß: je mehr teure Seelen man im Himmel weiß, desto stärker wird die Sehnsucht, desto heißer das Verlangen, ihnen bald, recht bald folgen zu dürfen. Dieser Trost allein kann den schmerzlichen Gedanken versüßen, daß uns mit dem Elternhaus auch der Sammelplatz entzogen ist...

Ihre Sie dankbar liebende Therese.


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An die Mutter.
Augsburg, den 13. Juni 1855

 Teure Mutter, ...ach, wie schön muß jetzt der Garten sein! Wie gerne möchte ich die Morgen- und Abendstündchen darin zubringen! Es geht einem ordentlich das Herz auf, wenn man in der jetzigen Jahreszeit in der freien Natur herumstreifen kann. Das habe ich neulich empfunden, als Herr Korhammer so freundlich war, mich zu einer Tagespartie einzuladen, die am Fronleichnamstag ausgeführt wurde. Wir waren schon um 3/46 Uhr auf den Beinen und gingen nach dem drei Stunden von hier entfernten Diedorf, wo wir den ganzen Tag sehr vergnügt zubrachten. Und der Heimweg, ach, der reizende Heimweg! Es kann gar keine schöneren Wälder geben als die, durch welche wir da gekommen sind. Ich hatte einen Strauß gepflückt, den ich fast nicht umfassen konnte. Bei solchen Partien will mich vorher immer die Zeit reuen, aber das ist wirklich dumm, denn man arbeitet nach einer solchen Unterbrechung wieder zehnmal leichter.

 Ach! der Gedanke, daß ich schon nach anderthalb Monaten das Institut verlassen soll, wird mir immer schwerer. Nur ein Vierteljahr wenn mir noch drein gegeben würde! Hätte ich doch die Zeit besser benützt!...

Ihre dankbare Therese.


An die Mutter.
Augsburg, den 1. Juli 1855

 Inniggeliebte Mutter, ich komme soeben von unserm Gärtchen, wo ich ein recht vergnügtes Stündchen zugebracht habe, indem ich nämlich in meiner englischen Bibel las, mit der mich neulich Herr Korhammer beglückte und die, in schön gepreßtes Leder gebunden und mit Goldschnitt verziert, fast die schönste Zierde meiner kleinen Bibliothek macht.

 ...Unser Examen ist heuer am 13. August (in sechs Wochen). Wie will ich diese wenigen Wochen noch benützen, um so viel als möglich noch von dem Unterricht im Institut zu profitieren! Ich fühle mich glücklich in dem Gedanken, einmal, und zwar recht bald, meinen eigenen Unterhalt verdienen zu können und dadurch einen Teil Ihrer Sorgen hinwegzunehmen. Freilich will es mir manchmal bitter scheinen, der Aussicht,| immer bei Ihnen zu sein, entsagen zu müssen; doch die Hoffnung auf ein ewiges, frohes Beisammensein wischt die Tränen, die ich über die Trennung vergieße, schnell hinweg. Und ein Vereinigungspunkt, auch bei persönlicher Entfernung, bleibt uns ja immer: das Gebet! O könnte ich doch eifriger, herzlicher beten, dann würde auch meine innere Freudigkeit immer mehr zunehmen!

 Ich bin mit herzlicher Liebe Ihre dankbare Tochter Therese.


An die Mutter.
Augsburg, den 19. August 1855

 Liebste Mutter, ...ich möchte im Französischen noch recht fest werden; denn wenn mein heißer Wunsch in betreff von Neuendettelsau in Erfüllung gehen sollte, könnte mir dies sehr nützlich sein. Herr Korhammer machte mir neulich den Vorschlag, Mariechen französische Stunden zu geben, dann würde er mir mehr Zeit zum Englischen widmen können. Ich war sehr erfreut darüber, denn ich wünschte mir schon längst eine Schülerin, an der ich mein Lehrtalent produzieren könnte, das unter der Leitung des lieben Fräulein Neuhofer sich doch etwas ausgebildet hat seit vorigem Jahr. Gestern sprach ich mit Herrn Kirchenrat über Neuendettelsau, und er sagte mir, ich solle Lehrdiakonissin werden. Ich wache und träume von Herrn Pfarrer Löhe...

 Leben Sie wohl, teure Mutter. Ich bin

Ihre dankbare Tochter Therese.



  1. Löhe, Von der weiblichen Einfalt. Verl. der Diakonissenanstalt Neuendettelsau.


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