Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Loos
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Meine Bauschule
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 322–325
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Erstdruck in der Zeitschrift „Der Architekt“, Wiener Monatshefte für Bauwesen und dekorative Kunst, XIX. Jahrgang, Heft 10, Oktober 1913, S. 70/71. ÖNB-ANNO[H 1]
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung:
Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[322]
MEINE BAUSCHULE
(1913)

Es gibt kein größeres unglück, als zur untätigkeit verdammt zu sein.

Als ich vor fünfzehn jahren an professor Josef Hoffmann die bitte richtete, das sitzungszimmer Secession, einen raum, den ja sowieso niemand zu sehen bekommt und auf dessen ausstattung nur einige hundert kronen verwendet werden sollten, einrichten zu dürfen, wurde mir das rundweg abgeschlagen.

Als mir durch vermittlung Wilhe1m Exners gestattet wurde, im schneidermeisterkurse des technologischen museums vorträge zu halten, mußte ich diese auf veranlassung des damaligen sekretärs hofrat Adolf Vetter sofort einstellen.

Dieses zweite erlebnis war das schmerzlichere. Ich fühlte, daß ich meinen mitmenschen nicht nur durch das beispiel, sondern auch durch meine lehre etwas geben könne. Und der schmerz wurde zur qual, als ich es erleben mußte, daß meine beispiele, die nach und nach doch durch einige öffentliche arbeiten an das tageslicht kamen, von meinen künstlerischen gegnern in eine falsche lehre umgemünzt wurden.

Ein lichtstrahl in meinem leben! Einige Wagnerschüler, meiner meinung nach die besten, ersuchten mich, für die verwaiste lehrkanzel Otto Wagners zu kandidieren.

Selbstverständlich war ich von der erfolglosigkeit eines solchen beginnens überzeugt. Aber das vertrauen unserer besten jugend gab mir die kraft, meine eigene schule ins leben zu rufen.

Und so entstand die Adolf Loos-bauschule.

[323] An die stelle der auf unseren hochschulen gelehrten bauweise, die teils aus der adaptierung vergangener baustile auf unsere lebensbedürfnisse besteht, teils auf das suchen nach einem neuen stil gerichtet ist, will ich meine lehre setzen: die tradition.

Im anfange des neunzehnten jahrhunderts haben wir die tradition verlassen. Dort will ich wieder anknüpfen.

Unsere kultur baut sich auf der erkenntnis von der alles überragenden größe des klassischen altertums auf. Die technik unseres denkens und fühlens haben wir von den römern übernommen. Von den römern haben wir unser soziales empfinden und die zucht der seele.

Seitdem die menschheit die größe des klassischen altertums empfindet, verband die großen baumeister ein gedanke. Sie dachten: so wie ich baue, hätten die alten römer diese aufgabe auch gelöst. Diesen gedanken will ich meinen schülern einimpfen.

Das heute baue sich auf das gestern auf, so wie sich das gestern auf das vorgestern aufgebaut hat.

Nie war es anders – nie wird es anders sein. Es ist die wahrheit, die ich lehre. Infolge der falschen lehren, die alle schulen und die öffentlichkeit in beschlag genommen haben, werde ich den sieg der wahrheit nicht erleben. Ob meine schüler ihn erleben werden, hängt von ihrer kraft ab. Ich warne kraftlose, meine schüler zu werden. Ausgeschlossen aus der kameraderie, die sich durch bünde, vereine, kunstzeitschriften und die tagespresse die öffentlichkeit erobert hat, müssen sie ihre eigenen wege gehen. Staatsaufträge und lehrkanzeln kann es für sie nicht geben. Aber das bewußtsein, ihr leben den forderungen des tages geweiht zu haben, möge ihnen vollen ersatz für titel, orden und sinekuren bieten.

[324] Meine schüler teilen sich in ordentliche und außerordentliche hörer. Die ordentlichen hörer arbeiten in meiner baukanzlei, die außerordentlichen können meine vorträge anhören. Es bereitete mir eine große genugtuung, daß die hörer unserer beiden staatlichen bauschulen, der technischen hochschule und der akademie, ein starkes kontingent meiner zuhörerschaft lieferten. Drei gegenstände wurden gelehrt : das bauen von innen nach außen, kunstgeschichte und materialkunde. Die Schwarzwaldschen schulanstalten stellten mir ihre schulräume zur verfügung, wofür ich der leiterin, frau dr. Eugenie Schwarzwald, meinen und meiner hörer innigsten dank sage. Die anstalt hatte sicher sehr unter anfeindungen zu leiden. Der andrang jedoch war so groß, daß ich durch zwei schulsäle, die durch eine doppeltüre verbunden waren und von denen jeder vierzig personen faßte, durchsprechen mußte. Aus allen kreisen kamen hörer, gäste aus dem auslande, die sich zu kurzem aufenthalt in Wien befanden, wollten mich hören, und der arme student saß neben der prinzessin.

Ein lehrer unserer hochschule hat seinen schülern mitten im schuljahre den besuch meiner vorträge verboten. Ich bin ihm dafür dank schuldig. Die charaktervollen blieben, und von den andern hat er mich befreit.

Ordentliche hörer hatte ich nur drei. Einer hatte die höhere gewerbeschule absolviert, zwei waren einige semester an der technischen hochschule inskribiert gewesen, hatten aber keine bautechnischen vorkenntnisse. Meine methode ist es, sofort an einem projekt alle technischen und architektonischen details durchzunehmen. Die äußere gestaltung knüpft traditionell dort an, wo die wiener architekten die tradition verlassen haben. Es liegt in der [325] art der schule, daß die schüler ihre arbeiten vergleichen, daß einer vom andern lernt. Die projekte mußten von innen nach außen gestaltet werden, fußboden und decke (parketten und kassettenteilung) waren das primäre, die fassade das sekundäre. Auf genaue achsenausteilung, auf die richtige möblierung wurde das größte gewicht gelegt. Auf diese weise brachte ich meine schüler dazu, dreidimensional, im kubus zu denken. Wenige architekten können das heute; mit dem denken in der fläche scheint die erziehung des architekten heute abgeschlossen.

Ich werde im nächsten jahre meine bauschule ausgestalten. Es soll auch baumechanik und baukonstruktionslehre gelehrt werden, so daß absolvierte gymnasiasten und realschüler aufnahme finden können. Und schließlich wird in jedem jahr ein wiener bauwerk vollständig aufgenommen werden, ein bauwerk aus jener zeit, an die wir anzuknüpfen haben. Im nächsten jahre soll das hauptwerk Hohenbergs von Hetzendorf, das palais Pallavicini am Josefsplatz, die reihe beginnen.

Anmerkungen (H)

  1. [462] Dem aufsatz folgt nach einem abschlußstrich die charakteristische verwahrung der redaktion;
    „Getreu unserem prinzip, objektiv und unparteiisch eine gewissenhafte, umfassende chronik aller beachtenswerten baukünstlerischen bestrebungen zu geben, haben wir auch obigen ausführungen des herrn architekten Loos sowie den arbeiten seiner schüler gerne raum gewährt. Wir haben es bisher stets vermieden, daß in künstlerischen angelegenheiten das persönliche moment in einer form wie hier hervorgekehrt wird. Wir betonen daher, daß wir den ausführungen des Herrn Loos fernestehen und sie nur als conditia sine qua non aufnahmen. Über ihre richtigkeit mögen unsere leser an der hand der abbildungen selbst urteilen.
    Die redaktion.“

    Dem heft sind abbildungen nach arbeiten der folgenden schüler von Adolf Loos beigefügt: Paul Engelmann, H. von Wagner, Wilhelm Ebert. Außerdem enthält das heft eine tafel mit einem teil des konkurrenzprojekts von Adolf Loos für das kriegsministerium in Wien und eine farbige nach seinem „projekt für ein warenhaus in Alexandrien“, dessen original bis zu seinem lebensende in der wiener wohnung von Adolf Loos an der wand hing (heute historisches museum der stadt Wien).