Meißen (Die Gartenlaube 52/1861)

Textdaten
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Autor: Fr. Steger
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Titel: Meißen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 822-823
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Albrechtsburg in Meißen.

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Meißen

(Mit Abbildung.)

Ehe die Elbe in das weite norddeutsche Flachland hinaustritt, durcheilt sie, die Tochter des Riesengebirgs, noch einmal eine mit vielen landschaftlichen Reizen geschmückte Gegend. In einer nicht fernen Zeit, die dem Lieblichen vor dem Pittoresken den Vorzug gab, nannte man dieses Gebiet das sächsische Paradies. An der Elbe hin erstreckt es sich von Dresden bis zum Schloß Hirschstein nahe bei Riesa, und Meißen ist etwa sein Mittelpunkt. In großen Zügen angelegt ist diese Gegend nicht, wohl aber bietet sie den anmuthigsten Wechsel von Rebhügeln, deren jeder sein weißes Winzerhäuschen oder sein anspruchsvolleres Lusthaus trägt, sonnigen Felsenhöhen, frisch belaubten Bergen, reichen Fluren und schluchtähnlich eingeschnittenen Thälern. Mit einem Wort, sie ist heiter, und es ist wohl glaublich, daß Karl V., als er sie nach der Mühlberger Schlacht vom Erkerfenster des Meißener Bischofsthurmes überblickte, den Ausspruch gethan habe, er werde lebhaft an Italien erinnert.

Schöne Ruinen erheben sich hier über den Elbufern nicht. In den langen Kämpfen, die vom zehnten Jahrhundert an zwischen den Sorben und den deutschen Rittern stattfanden, waren halbe Maßregeln nicht in Gebrauch. Eroberte man eine Burg, so zerstörte man sie bis auf den Grund. Die Sorben bewohnten das rechte Ufer, die Deutschen das linke. Die Goldkuppe ist die letzte Erinnerung an die slavische Zeit. Wenige von denen, welche sie besteigen, um unter dem Schatten ihrer ehrwürdigen Linde der weiten Aussicht zu genießen, werden sich bewußt sein, in welch’ naher Verwandtschaft dieser künstliche runde Berg, einst ein Heiligthum der Slaven, mit jenen merkwürdigen Mohillen oder Kurganen steht, die von den ukrainischen bis zu den innerasiatischen Steppen verfolgt werden können. In den Ortsnamen hat sich das Slavische besser erhalten, Okrilla, Zscheila, Korbitz, Jesseritz, Pröda, Jahna, lauter Dörfer der Meißener Umgegend, verrathen am Klange, wer sie getauft hat. Auch ein Gewerbe nennt sich noch mit slavischem Namen: die Schiffszieher heißen Bomätschen. Sie sind eine Staffage der Elbufer, die am besten aus einer gewissen Entfernung betrachtet wird. Zu zwanzig und dreißig an ein langes Seil gespannt, um Takt schreitend und alle zugleich den Stock aufsetzend, der sie bei ihrer schweren, von einem nicht unmelodischen Gesange begleiteten Arbeit unterstützt, werden sie Jedem gefallen, der ihnen auf dem Leinpfade nicht in den Wurf kommt. Sie hassen jeden Spaziergänger, und vor Crinolinen hat Niemand weniger Respect, als sie.

Auf dem linken Elbufer haben fünf deutsche Burgen, Hirschstein, das Meißener Schloß, Siebeneichen, Scharfenberg und Gauernitz den Angriffen der Feinde und den langsameren Einwirkungen der Zeit Trotz geboten. Alle gewähren malerische Ansichten, das Innere ist bloß beim Meißener Schloß bedeutend. Meister Arnold von Westphalen, der auch das Torgauer Schloß errichtete, hat es in den Jahren 1471–1483 erbaut. Die Zeit der ausgehenden Gothik, in welche der Bau dieser Albrechtsburg fällt, verräth sich darin, daß die sternförmigen Bogen der Fenster nach unten gesenkt sind. In allen übrigen Formen zeigt sich der reinste gothische Styl in seiner ganzen Pracht und Mannigfaltigkeit. Fünf der sechs hohen Stockwerke steigen in Wölbungen übereinander auf und setzen der äußern Luft keine eigentlichen Wände entgegen, sondern massige Pfeiler, zwischen denen Fenster von ungewöhnlicher Breite eingeschlossen sind. Von diesen Außenpfeilern und von den Mittelpfeilern der Zimmer gehen Bogenspannungen aus, durch deren geistreiche Combinirung die verschiedensten Sterne, Kreuze, Netze und Fächer entstehen. In allen Theilen des großartigen Baues sind die prächtigsten Beispiele von Steinornamentik wie spielend ausgestreut. Alle Deckenwölbungen, die der schmalsten Gänge und der kleinsten Cabinete nicht ausgeschlossen, alle inneren Gliederungen der Thür - und Fenstergewände sind von unvergleichlicher Schönheit. Ein Meisterwerk ist der Haupttreppenthurm mit seiner [823] um eine hohe Spirale laufenden Wendeltreppe und mit seinen offenen Spitzbogenhallen. An diesem Thurme hat die beabsichtigte Restauration des Schlosses ihren Anfang genommen. Sind die Arbeiten vollendet, so wird die Meißener Albrechtsburg eben so viel Besucher anziehen, wie die alte Burg des deutschen Ordens an der Nogat.

Neben dem Schlosse steht das zweite architektonische Prachtstück Meißens, der Dom. Er ist ebenso alt und vielleicht noch älter, als der gothische Styl. Obgleich es nämlich feststeht, daß der gegenwärtige Bau im Ganzen aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts herrührt, ist es zweifelhaft, ob nicht am Unterbau des hohen Chors Reste einer älteren Kirche des zehnten Jahrhunderts enthalten sind. Einst war der Dom das Ziel zahlreicher Wallfahrten, die den Gebeinen des in seinem Schiff begrabenen heiligen Benno galten. Damals wurde an sechsundfunfzig Altären Tag und Nacht ununterbrochen Messe gelesen, wozu zweihundert Capitularen, Meßpriester, Bicarien und Capellane kaum ausreichten. Die Mauerflächen waren von Wandmalereien bedeckt, und das Licht der Altarkerzen funkelte auf silbernen und goldenen, mit Juwelen beseelen Gefäßen. Der Mensch und die Natur haben diesem alten Glanze übel mitgespielt. Im Innern hat zuerst die Reformation, dann der Krieg reinen Tisch gemacht; am Aeußern haben Stürme und Blitze ihre Riesenkraft versucht, leider mit Erfolg, denn die beiden westlichen Thürme sind einmal vom Sturm, ein anderes Mal vom Blitz zerstört und nach der zweiten Katastrophe nicht wieder hergestellt worden. Zum Glück ist die Architektur der Kirche selbst unverletzt geblieben, und ihre Herrlichkeit reiht diesen Dom den schönsten Denkmälern der altdeutschen Kunst an.

Der Dom, die Albrechtsburg und der ehemalige bischöfliche Palast verleihen dem Meißner Schloßberge seinen imposanten Charakter. Im Verhältniß zu diesen stolzen Gebäudemassen ist der Berg fast zu klein und erscheint viel niedriger, als er ist. Von der Schönheit der Stadt wird man keinen hohen Begriff bekommen, wenn man Lessing’s Vergleich kennt: „ein Gericht voll Krebse in einer grünen Schüssel.“ Am wenigsten vortheilhaft zeigt sich Meißen von der Flußseite. Die besseren Gebäude hat man dem Ufer nicht anvertrauen mögen, denn die Elbe hat ihre bösen Tage, an denen sie ihre hochangeschwollenen Wogen über die Dämme des Leinpfades hinüberwirft und mit centerschweren Eisschollen an die Häuser pocht.

Im Thale der hier mündenden Triebisch, zieht sich Meißen eine Strecke aufwärts. Der landschaftliche Reiz dieses Thals concentrirt sich am Buschbade, das seit Jahren kein Bad mehr ist, aber durch die von Dr. Herz geleitete Heilanstalt für Blödsinnige, die dorthin verlegt wurde, der leidenden Menschheit viel wichtigere Dienste leistet, als früher. Das moderne Fabrikwesen findet seine Repräsentanten näher an der Stadt, wo eine große Eisengießerei, eine Fabrik von Zündern und eine Gasanstalt, die weit besseres Gas liefert als die Leipziger, nahe bei einander liegen. Auch das neue Gebäude der aus der Albrechtsburg verwiesenen Porcellanfabrik wird in diesem Industriewinkelchen des Triebischthales erbaut. Ihr Porcellan machen die Meißener geltend, wenn sie wegen ihres Weines verhöhnt werden. In der That ist der gute Ruf des Porcellans ein eben so wohlverdienter, wie der schlechte der Meißner Traube ein unverdienter. Das älteste Porcellan Europa’s, ist es hinsichtlich der Masse noch heute das schönste. Die Geschichte seines Erfinders Böttger ist allgemein bekannt; von Kändler, der die Fabrik zur höchsten Blüthe gebracht hat, wissen Wenige. Von 1732 an hat dieser geniale Bildhauer unzählige Gruppen, Figuren mit verzierte Geschirre, die getreuesten Abbilder der Roccocozeit, gearbeitet. Die Meißener Fabrik besitzt Kändler’sche Modelle zu Hunderten, und sie sind ihr größter Schatz. Die nach ihnen gefertigten Geschirre sind ihre gangbarsten Artikel, doch ist auch nicht zu verkennen, daß die Existenz der Fabrik in Frage kommt, wenn die Vorliebe der Vornehmen für das Rococco einmal aufhört. Maler und Former haben sich ganz in diesen Styl hineingelebt.

Trotz seiner Merkwürdigkeiten wurde Meißen bis auf die neueste Zeit wenig besucht. So lohnend eine Elbfahrt von Riesa nach Dresden ist, wurden die eleganten Dampfschiffe der sächsischen Gesellschaft schwach benutzt. Seit der Vollendung der neuen Zweigbahn der Leipzig-Dresdner Hauptbahn hat sich der volle Strom der Reisenden auch nach Meißen gewendet. Diese wenigen Zeilen tragen vielleicht dazu bei, auf einen lange vernachlässigten schönen Punkt im Herzen Deutschlands aufmerksam zu machen.

Fr. Steger.