Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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der herrschenden Mode, und unter jeder Klasse trifft man nicht wenige, die den Putz sehr lieben, und wohl mag die Bemerkung Einiger nicht ganz unrichtig seyn; daß sich nämlich hier in Verhältniß gegen andere kleine Städte gar viele über ihren Stand, und manche wohl auch über ihr Vermögen kleiden und putzen.

Bey Hochzeiten und den gewöhnlichen Jahrtägen der Zünfte und andern öffentlichen Vergnügungen wird besonders von Wohlhabenden gut gelebt; auch der gemeine Mann machte vordem bey dergleichen Familienfesten mehr Aufwand, als in den letztern Jahren zu geschehen pflegt, und nicht selten war bey manchen jungen Ehepaar nach dem Hochzeittag alles rein verbraucht, und man mußte so zu sagen mit nichts zu haußen anfangen. Sonst ist hier bey Hochzeiten auch die Gewohnheit, daß nicht nur die Blutsverwandten, sondern auch Bekannte, Nachbarn, oder mit denen man sonst in komerzieller Hinsicht in Verbindung steht, dazu eingeladen werden. Auf eine solche Einladung pflegt man gewöhnlich den Brautleuten an ihrem Ehrentag eine Geldschankung zuzusenden, die mit der Versicherung angenommen wird, daß man es wieder wett machen wolle. Das Maximum solcher Schankungen ist gewöhnlich 2–3 fl. und das Minimum 24 Kr.

Kindbettschmäuße waren sonst hier nie gebräuchlich; nur ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee wird gewöhnlich nach der Taufe der Gevaterin und den übrigen zwey oder drey Weibern, die bey der Taufe waren, angeboten; erst seit acht und neun Jahren hält man bey etwas Vornehmen und Wohlhabenden

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und bey Honoratioren die sogenannte Kindbettvisiten, wobey natürlich nicht schlecht traktirt werden darf. Auch ists hier Gewohnheit, daß die Neugeborne zur Taufe, und die Brautpaaren zur ehelichen Einsegnung, wenn sichs ein wenig thun läßt, in die Kirche gefahren werden, was für erstere, besonders bey schlechter Witterung und im Winter nicht unzweckmäßig ist.

Auf Reinlichkeit und Bequemlichkeit der Bette und Liegerstätte wird durchgehends viel gehalten. Man hat gewöhnlich Federbette, die besonders bey vermöglichern Bürgersleuten oft so vollgepropft sind, daß sie in Krankheiten und für Kindbetterinen meistens zu warm und lästig, und daher zu sehr Schweiß erregend werden. Matrazen, welche die bequemste und gesundeste Ruhestätte geben, sind weniger im Gebrauch, und auch im wirklichen Fall wird gewöhnlich nicht unmittelbar darauf geschlafen. Bey der niedern und ärmern Volksklasse, welche sich letzterer Zeit her ziemlich vermehrt hat, herrscht aber auch hierinn großer Mangel mit Unreinlichkeit gepaart, und gar häufig macht ein Strohsack mit einem schlechten und schmutzigen Ueberbett im Sommer und Winter die ganze Liegerstätte dieser Menschen aus; und wenn noch Krankheiten bey ihnen einkehren, was auch bey dieser Menschenklasse immer leichter und häufiger zu geschehen pflegt, so fällt ihr Leiden doppelt schwer und hart auf sie, und des Arztes Kunst und Mühe scheitern gern und oft an ihnen. Die Wohn- und Schlafzimmer wohlhabender und großentheils auch mittlerer Bürger sind reinlich, hell und wohlbehalten, und in gar manchen Häusern ist der Möbel Luxus auch eine