Med. Topographie Gmuend:038
Franz Joseph Werfer Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd | |
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[72] und eine unverzeihliche Gleichgültigkeit gegen die die selbe fördernde und belebende Mittel ergriffen, während unsre Vernunft mit ihrem hellen aber unnützen Lichte prahlet; denn: Nur das Dunkel der Nacht enthüllt uns die höhern Welten, Mit der Aufklärung ohne gleichzeitige Herzensbildung ists daher nicht geholfen, und dem Ziele nicht näher gekommen; man hat doch wohl nicht bald so viel Wesens und Aufhebens mit der Volksaufklärung von der Wiege angefangen bis zum Grabe machen sehen und hören, als in unsern Tagen, und zu allem dem will man doch noch nirgends wahrhaft wohlthätige Früchten dieses Saamens weder im religiösen noch moralischen Gebiete des Menschen, wohin doch die Absicht geht und gehen soll, aufsproßen gesehen haben; vielmehr hatte man schon so manche wilde Auswüchse in ihrem Keim zu ersticken, um dieselbe nicht bald zu einen um sich fressenden und die bessere Menschennatur verderbenden Schaden emporschießen sehen zu müßen; denn des Menschen Herz ist eine gar zarte Pflanze höhern Bodens, die einer eben so vorsichtigen als schonenden Hand bedarf, um ihr nicht durch unzeitiges und unsanftes Betasten zu Gift zu werden. Weißlich setzten daher die alten Staatseinrichter die Kultur des Volkes in gute Sitten und nützliche Künsten; hatte das Volk gute Sitten und nützliche Künsten, hatte es die Begriffe und Tugenden, die zu seiner [73] Arbeit und dem genüglichen Wohlseyn seines Lebens hinreichen, so hatte es die Aufklärung, die ihm genug ist, gesetzt es wüßte sich auch keine Mondsfinsterniß zu erklären. Gegen anders Gläubige kann man den hiesigen Einwohnern nichts weniger als Unverträglichkeit und Abneigung zum Vorwurf machen, sondern sie leben vielmehr als gute Nachbarn und friedliebende Mitbürger liebvoll und aufrichtig mit solchen jetzt mehr als sonst in ihrer Mitte wohnenden; und überhaupt hat in Hinsicht auf Religion in dem letzten Jahrzehend die Freiheit und Duldsamkeit immer mehr über Hand genommen. Die moralische Denk- und Handlungsweise soll in neuern Zeiten, zumal unter jungen Leuten, in vielen freyer und lockerer geworden seyn, wozu mitunter das in den letzten bisherigen Kriegszeiten öftere Einkehren fremder Völker, und der unvermeidliche oft einladende Umgang mit denselben gar manches mögen beygetragen haben. Neue Moden, neue Sitten und neue der Sinnlichkeit schmeichelnde Grundsätze empfehlen sich durch ihren Reiz für junge unerfahrne Gemüther denselben gar bald; in den alten einheimischen Sitten und Gebräuchen sieht man bethört von Neuheitsreiz dann nur Albernheit und Lächerliches; dieselben anfangs weniger achtend vergißt man sie leicht und mit diesen auch bald und gerne die bisherige immer mehr lästig werdende Rigorosität der Väter Sitten, und weiß recht wohl seine Handlungsweiße mit einigen Scheingründen in Hinblick und Hinweisung auf die große Welt zu beschönigen und somit sich zu beruhigen. Das stille eingezogene Leben so mancher andrer wird als Pedanterie belacht; sich selbst findet man viel klüger |