Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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und aller auch der gebildesten Völker und Nationen als der Egyptier, Phönizier, Griechen und Römer u. a. m. uns die Lehre giebt, für sich nie zur Erkenntniß des wahren Gottes und des Menschen einzig wahren und ewigen Bestimmung führen können; daß sie wenig Trost in der Gegenwart, und nie wahre Beruhigung und tröstliche Hoffnung für ein jenseitiges besseres Leben, was doch dem Menschen, dem guten wenigst, vor allen Noth ist, zu geben vermögen: was dagegen mit Liebe giebt und nur allein in Wahrheit geben kann, der feste, zuversichtliche Glaube an die Divinität der dem Herzen und der Vernunft gleich zusprechenden, unabänderlichen revelirten Wahrheiten; an die dieselben beurkundenden Aussprüche und Thaten Jesu und ein denselben entsprechender gerechter frommer Wandel reinen Sinnes – Religion – die nicht des Verstandes, nur des Herzens Sache ist; denn sonst würde wohl der kleinste Theil das Reich der Himmel schauen. – Dieß ist und bleibt, so unveränderlich jenes ist, eben so unveränderlich und unumstößlich, man mag dagegen sagen, gesagt haben, und noch sagen, was man da will, alles dieses kann die Herzen zwar irre, nie aber besser und offner für das Göttliche machen; denn man glaube ja nicht, das religiöse Gefühl im Menschen – Religion – den Saamen alles Guten – durch das verständlich und begreiflich machen wollen der nur zu beglaubenden Facten und Wahrheiten – ein Hauptgetrieb und Hauptgeschäft unsrer Weisheits- und Aufklärungsapostel – fördern und beleben zu können: ja man sieht vielmehr bey nur einigen Umblick in die Nähe und Ferne, daß, seitdem man die Lehren des

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Christenthums überall mit Beseitigung alles Wunderglaubens auf eine ganz natürliche Weise darzustellen und zu erläutern suchte, – so wie man selbst hie und da anfängt die biblische Geschichte für die Jugend auf eine recht profane Weise darzustellen, statt auf das Göttliche in derselben mit Kraft und Eifer hinzuweisen, – daß gerade seit dieser Zeit auch ein wahrhaft religiöser Sinn unter den Christen immer mehr auf eine recht sichtbare Art abgenommen habe; daß das Christenthum zum Gegenstand kalter und unfruchtbarer Speculation geworden, und sich nach und nach alles Gefühl für das Heilige und Göttliche verloren habe; denn es liegt nun einmal in der Natur des Menschen, sich durch Irdisches und Natürliches unbefriedigt zu fühlen, das Gemüth strebt vielmehr nach etwas Höhern, Unbegreiflichen, und sucht sich darinn zu nähren, zu stärken und zu erwärmen, und wenn man ihm dieses nimmt, so wird alsdann auch jeder bessere Trieb in ihm getödtet und die haltbarsten Stützen eines religiös-sittlichen Lebens sind ihm geraubt. Man mag sich daher auch noch so viele Mühe geben, unsre religiöse Begriffe mehr zu sichten, zu läutern und in ihre Bestandtheile aufzulösen, wie man es bis auf unsere Tage herab zu thun nie unterlassen hat, dieß alles wird von wenig oder keinen Nutzen seyn, wenn man dieselben dem Menschen Herzen nicht zugleich auch theurer und interessanter zu machen weiß und sucht: man hat die Menschen dadurch freylich soweit vorwärts gebracht, daß sie die Religions- und Sittenwahrheiten heller sehen, aber nicht soweit, daß sie dieselben wärmer fühlen, vielmehr hat das Herz von Tausenden eine tödtliche Kälte gegen Religion,