Der Flecken Durben Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Die Handelsstadt Liebau
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Grobin,

die nur 74 Häuser, 1 Kirche, 625 Einwohner, männlichen und weiblichen Geschlechts, und eine einzige, zum Theil schlecht, zum Theil gar nicht gepflasterte, Straße hat. Daher ist denn auch das Wappen der Stadt ein Kranich, der auf einem Fuße steht, und wie Arndt sich ausdrückt, einen Stein in der Pfote hält, ein wirklich redendes Wappen. Steht doch die Stadt selbst nur auf einem einzigen ungewöhnlich langen Beine! Nur wäre zu wünschen gewesen, der Kranich hätte den Stein fallen lassen, um einen mehr für das ungleiche Pflaster zu gewinnen. [72] Die mehresten Bewohner sind Handwerker, die für die benachbarte Handelsstadt Liebau und die umliegende Gegend arbeiten; man könnte Grobin für eine Vorstadt von Liebau halten. Besonders wohnen hier viele Huthmacher; beynahe aus dem dritten Hause ragt eine Stange heraus, an der ein blecherner Huth hängt. Wenn es schwer ist, viele Köpfe unter einen Huth zu bringen, so mag es hier, für so viel Hüthe Köpfe aufzufinden, eben auch nicht leicht seyn. Daher sieht man denn auch auf allen Märkten in Kurland die Grobinschen Huthmacher ihre Waare feil bieten. Früher war Grobin eine beträchtliche Stadt, und das nahe dabey gelegene Liebau lebte vom Handel, den jene trieb. Doch die Mutter steuerte hier die Tochter so reichlich aus, daß die erste in ihrem Alter verarmte, und nun umgekehrt von ihr Unterstützung empfängt.

In Grobin stand ehemals eine beträchtliche Burg der Kuren, von deren Königen einer hier residirt haben soll. Diese alte Burg ward durch den Heermeister Werner von Breithusen nach einer gewonnenen [73] Schlacht eingenommen und zerstört; daher denn auch, nach Arndt, das in der Folge erbaute Ritterschloß nicht von Diederich von Gröningen, im Jahre 1248, sondern später seine Entstehung erhalten haben dürfte. Doch auch dieß Ritterschloß ist mehrmals zerstört worden; dafür ruht es auch jezt desto länger, und wird, obgleich noch vor wenig Jahren eine Reparatur möglich war, nicht mehr bewohnt. Es zerfällt nach und nach ganz in Trümmer. Die Außenwände sind noch stark und gut, und vor 10 bis 12 Jahren habe ich selbst noch einzelne bewohnbare Gemächer und die Reste einer alten Rüstkammer dort angetroffen. Die Lage dieser Burg, deren Wälle und Gräben sich ziemlich erhalten haben, ist überaus angenehm, eben so die Aussicht nach Liebau, über den See hinweg. Gottsched, der Veteran der deutschen Poesie, rühmt in seinen Schriften ein seltenes Echo, das bey diesem Schloß einen ganzen Hexameter des Virgils

 
„Tityre tu patulae recubans sub tegmine fagi“

deutlich wiederholt hätte. Aber der Buche [74] weite Umschattung, in welcher die Echo weilte, hat aufgehört. Ein kleines Buchenwäldchen, das hier jenes Echo verstärkte, ist seitdem umgehauen und die Nymphe, die den Virgilschen Vers so gelehrig nachsprach, entflohn. Der Schloßplatz, auf welchem ehemals Ritter und Frauen umhergewandelt, ist zur Weide umgeschaffen worden. Ein mächtiger Stier, der aus einem Gemach des untern Stocks dieser alten lettischen Burg hervortrat, erinnerte mich an die gottesdienstlichen Gebräuche der alten Kuren, wo, wie die Chronik erzählt, bey den damaligen Opfern oft zwischen Menschen und Thieren das Loos entscheiden mußte[1]. Später aber, im Jahre 1440, hatte der Voigt zu Grobin, Goswin von Aschenberg, 16 Personen, welche, um den Orden zu verklagen, [75] nach Rom zogen, aufpassen und unter diesen auch einige Domherren mit gebundenen Händen und Füßen unter das Eis schieben lassen. Der christliche Voigt entschied hier bestimmter, als das heidnische Loos, und ließ nachher ein Schreiben an alle Bischöffe in Liefland ergehen, worin er dieß Blutopfer als „von Amteswegen vollzogen“ charakterisirte, und sich die solchergestalt geschehene Säkularisation nicht des Domkapitels, sondern der Domherren selbst zum großen Verdienst anrechnete. — Ein polnischer Heerführer Comorowsky hatte im Jahr 1659 hier ein anderes Unglück, und ihm wurden die genossenen gebrannten Wasser so schädlich, als den Domherren die Fluten der Lissa.[WS 1] — Nach einem Gastmahle, das die Chronik ein stattlich Banquet nennt, und das die Freude über den Sieg der polnischen Truppen veranstaltet hatte, fuhr er berauscht auf einem Leiterwagen in’s Lager zurück. Doch sein herabhängendes langes Halstuch gerieth in’s Wagenrad, und schnürte die brave Kriegsgurgel, die so eben für’s Vaterland das ihrige gethan, auf ewig zu.

[76] Von den kurischen Königen, deren einer, wie gesagt, hier residirt haben soll, erzählt Arndt dem Dionysius Fabrizius eine drollige Anekdote nach, die ich mit den eigenen Worten des alten Geschichtschreibers hersetze:

„Die Bremischen Kaufleute hatten bey ihrer vierten Ankunft den König der Liewen zu Gaste geladen, und ihm unter andern Gerichten auch zwey Heringe vorgesetzt. Der König habe die Heringe auf die Nachricht, daß es Seefische wären, beym Schwanze angefaßt, welches die Deutschen für ein glückliches Zeichen gehalten; daher die Liefländischen Bauern zu seiner Zeit noch einen Hering beym Schwanze angefaßt.“

Ich wette: im jetzigen Handel dieser Stadt, wo Heringe ein beträchtlicher Artikel sind, weiß man sie gewiß nun eben so gut, wie damals die Bremer Kaufleute, beym rechten Ende anzugreifen, ohne deshalb gerade ein glückliches Zeichen für den Flor der guten Stadt dabey vorauszusetzen!




  1. Arndts eigene Worte lauten (siehe Chronik erster Theil Seite 182. —) „Zu der Zeit befand sich eben im Tharbet der Priester Hartwich, den sie auf den besten Mastochsen setzten, weil er selbst eben so dick war; sie führten ihn zum Schlosse heraus, und erkundigten sich durch’s Loos um den Willen der Götter, wen sie von beyden erwählen sollten. Das Loos fiel auf den Ochsen und er ward augenblicklich geopfert.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In Vorlage fehlendes Satzzeichen korrigiert.