Malerische Wanderungen durch Kurland/Appricken

Privatgut Ilgen, Dubnalcken, Zierau Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Alschwangen
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[125]
Appricken.

An einem so heitern Sommertage, als je einer mit ätherblauem Ephemeren-Flügel über die grüne Erde geschwebt, und mit sanftem Hauche Blatt und Blume begrüßt, gelangte ich nach Appricken. Hier lebt der lettische Naturdichter Indrick, der sein unverkennbares poetisches Talent, rein gediegen aus der Hand der Natur erhalten, die [126] in ihm auch als würdige Meisterin der Kunst erscheint. Ohne Anweisung und seit seiner Jugend blind, singt er mehrentheils nach eigenen Melodieen gereimte Lieder, die er gedichtet, und denen es selten an Sylbenmaaß, doch nie an poetischem Werthe fehlt. — Schon in seinem Gesichte liegt ein Ausdruck, der für ihn interessirt; es ist so ruhig und heiter. Doch sieht man es ihm an, daß mehr als das gewöhnliche äußere Leben die stillen und sanften Züge darin bewegt. Von allen, die ihn näher kennen, wird er als ein moralisch guter Jüngling geliebt; doch ihn und sein Leben zeichnet am besten ein Gedicht, das er über seinen eigenen Zustand entworfen, und das in einer dem Sinne mehr, als den Worten nach, treuen Übersetzung wie ich hoffe, den Leser interessiren wird.

In meiner dunklen Kammer
Hab ich der Noth genug.
Der kennt nicht meinen Jammer,
Den nie das Elend schlug.
Wie mühsam nicht zu irren,
Sich meine Pfade wirren;
In Freude und in Schmerz
Mich leitet nur mein Herz.

[127]

Doch wenn ich traurig klagte,
Kein Kummer weint sich weg;
Mir Jammernden, mir tagte
Doch nie der dunkla Steg,
Umsonst ahn’ ich die Helle;
Nur finster bleibt die Stelle.
So hab’ ich Tag und Nacht
Gleich dunkel durchgewacht.

Doch laß nur Gott regieren
Und leiten dein Geschick,
Willst du es nicht verlieren
Dein ärmlich kleines Glück;
Im Sonnenstrahl erglühen
Die Keime, und sie blühen,
Auch mir, — der Sonne Schein
Bringt so auch mir Gedeihn.

Die Arbeit zu vollenden
Bedarf ich nimmer Licht,
Und doch mißlingt den Händen
Der Lohn der Mühe nicht,
Von hellem Schein umfunkelt,
Von Finsterniß umdunkelt,
Gleich, wird bey Tag und Nacht
Mein Tagewerk vollbracht.

[128]

Wärs nicht von Gott gegeben
Dies feinere Gefühl,
Und meines Geist’s Bestreben,
Wo wäre dann mein Ziel?
Mein Leben würde schwinden,
Ich nirgend Rettung finden;
Ich irrte dann umher
Kein Plätzchen fänd ich mehr.

Zur Schule hinzugehen,
Des Unterrichtes Licht
In Büchern klug verstehen,
Vermag ich Armer nicht.
Doch will in andern Dingen
Es besser mir gelingen,
Und diese kenne ich
Und das beruhigt mich.

Mein Buch lebt mir im Herzen,
In meinem Geist allein,
In meines Dunkels Schmerzen
Nur lesbar mir allein.
So bin ich nicht verlassen,
Kann Freude noch umfassen
Und was mein Geist ersah,
Ist freudig mir so nah.

[129]

Auf jedes Baumes Zweigen
Das Blatt erfühle ich,
Und Frühlings-Blüthen steigen
Süß duftend auch für mich,
Und weiß ich auch nicht welche
Die schönste Blüth — die Kelche
An süssen Düften reich,
Im Dunkeln blühn sie gleich. —

Die Hand kann ihn nicht reichen
Den Weg — doch tröstend gab
Ihn mühsam zu durchschleichen
Mir die Natur den Stab.
Da find ich meine Stege
Auch auf verworrnem Wege,
Wenn gleich mit Noth und Müh,
Doch unterscheid ich sie.

Herr Elverfeldt, Pastor zu Appricken, hat das Verdienst, zuerst das Talent des Naturdichters Indrick entdeckt zu haben, und es macht dem Herzen und Kopfe dieses würdigen Mannes gleiche Ehre, daß in seiner durch seinen Unterricht gebildeten Gemeine es auch nur möglich werden konnte, daß der in Indrick erwachte Genius, sich nicht in rauhen, unvernehmlichen Tönen verlor, [130] sondern sich in Wort und Sinn ergoß, und nicht regellos seine sanfte Stinme erschallen läßt. Überhaupt verrathen die zu den ansehnlichen Apprickenschen Gütern gehörigen Bauern, eine gewisse Bildung, die in unserm noch vom Gewebe der Leibeigenschaft umflorten Vaterlande, nur da gedeihen kann, wo so, wie hier! und Gottlob in den meh- resten Gütern die Gutsherrschaft die Rechte der Menschheit höher, als eigene Berechtigungen schützt, wo der Lette sich selbst zu achten aufgemuntert und angewiesen wird, und nur so Gefühl für alles Gute und Schöne in ihm entkeimen kann.