MKL1888:Zeitungen
[847] Zeitungen, im allgemeinen periodische Druckerzeugnisse. Das Hauptmoment des Begriffs Z. ist die regelmäßige Wiederkehr. Die Jahresberichte wissenschaftlicher Institute fallen ebensogut unter diesen Begriff wie das dreimal am Tag erscheinende politische Journal. Im engern Sinn werden aber darunter litterarische Erzeugnisse verstanden, welche regelmäßig fortlaufend die Ereignisse des Tags oder eines längern Zeitraums auf politischem, religiösem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet melden und besprechen. Der Unterschied zwischen Z. und Zeitschriften, welchen man zu machen pflegt, beruht auf bloßer Gewohnheit und hat keinen tiefern Grund. Gewöhnlich pflegt man unter Z. die täglich erscheinenden und vorwiegend politischen Arten der Gattung zu verstehen, unter Zeitschriften diejenigen Arten, die wöchentlich, monatlich, viertel-, halb- und ganzjährlich erscheinen. Das Wort Zeitung ist die hochdeutsche Form für das niederdeutsche „Theiding“ oder „Theidung“, welches etwa „Nachricht“ bedeutet. Wenigstens erinnert es an die Tidindi, die Nachrichten, von denen schon im 13. Jahrh. die isländischen Sagas berichten. Noch im vorigen Jahrhundert wurde im gewöhnlichen Gespräch Zeitung gleichbedeutend mit Nachricht gebraucht.
Der Einfluß der öffentlichen Meinung, der erst dann in Wirksamkeit trat, als sie sich ihrer Macht bewußt ward, ist neuern Ursprungs. Er war bedingt von der Allgemeinheit der Bildung und von dem infolge der wachsenden Kultur sich geltend machenden Bedürfnis, so viele Kräfte wie möglich am Staatsleben teilnehmen zu lassen. Seine Entwickelung deckt sich völlig mit der Entwickelung populärer Einflüsse. Er erscheint nur da, wo in Rede oder Schrift der Menge ein Weg des Gedankenausdrucks gegeben ist; am geringsten war er im Mittelalter, wo die antike Beredsamkeit geschwunden und das moderne Schriftentum noch nicht gefunden war. Erst die reformatorischen Bewegungen der neuern Zeit schufen ihn neu und steigerten ihn. Von der politischen Kritik juristischer und fast noch mehr theologischer Kreise, die beinahe die beiden ersten Jahrhunderte der neuen Zeit beherrscht hat, ausgehend, wurde der Ausdruck der öffentlichen Meinung nach dem Dreißigjährigen [848] Krieg auch das Bedürfnis der untern Kreise. Erst seit dieser Zeit gewannen die Äußerungen derer, die nicht unmittelbar am politischen Leben beteiligt sind, einen größern Einfluß, und die Wechselbeziehungen der Massen zu dem Gang der politischen Ereignisse traten deutlicher hervor. Diese Entwickelung der öffentlichen Meinung ist zu ihrem großen Teil mit ein Werk der Z., die ihr selbst wiederum ihren Aufschwung verdanken. Darin liegt die Bedeutung der Z., daß sie sich aus Organen, welche der Verbreitung von Nachrichten über Thatsachen oder Ereignisse dienten, zu Trägern der öffentlichen Meinung umbildeten, indem sie den Stoff des Thatsächlichen der beurteilenden Besprechung unterzogen. So deckt sich ihre Geschichte mit der der öffentlichen Meinung.
Die Acta diurna (s. d.) der Römer wird man nicht zu den Z. in unserm Sinn rechnen dürfen; es fehlten ihnen alle Mittel jener raschen und regelmäßigen Verbreitung, die für den Begriff Z. wesentlich ist. Wenn sich in der trocknen Aufzählung von Thatsachen, die sie boten, ein Institut erkennen läßt, das einigermaßen an einen Staatsanzeiger erinnert, so sind sie doch von den allerersten Anfängen unsers Zeitungswesens durch einen Zeitraum von anderthalb Jahrtausenden geschieden. Keine Tradition greift auf sie zurück, und von einem historischen Zusammenhang kann nicht die Rede sein. Das Zeitungswesen ist eine freie Schöpfung der germanisch-romanischen Völker. Die ersten Spuren der Z. zeigten sich unmittelbar nach der Entdeckung der Neuen Welt. Die Auffindung Amerikas war ein Ereignis, dessen Bedeutung überall sofort gefühlt ward. Der Brief von 1493, in welchem Kolumbus dem königlichen Schatzmeister Rafael Sanchez die Thatsache schilderte, ward in fast alle Sprachen übersetzt und in zahllosen Exemplaren verbreitet. Er war wohl das erste Druckerzeugnis seiner Art, das rasche und allgemeine Verbreitung fand. Seitdem ergossen sich in den ersten Jahren des nächsten Jahrhunderts eine Menge „Zeyttungen“, „Newe Zeyttungen“, „Copeyen“ von Briefen über die Dinge, die mit jener Entdeckung zusammenhingen, teils im einzelnen, teils als Sammelwerke rasch über den Weltteil. Boten diese fliegenden Blätter, die nicht selten, um anzulocken, mit einem Bild in Holzschnitt versehen waren, nur kurze Beschreibungen, so traten schon in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts Gedanken in ihnen hervor. Die kirchlichen Reformbewegungen waren es, welche zuerst die rasche Verbreitung von Ideen erzeugten und förderten. Aber hier wie dort fehlte die Periodizität, welche hauptsächlich den Verbesserungen des Postwesens zu danken ist. Auch die Notizie scritte, die „geschriebenen Nachrichten“, welche etwas später die Republik Venedig an öffentlichen Orten auszustellen pflegte, können noch nicht als eigentliche Z. in unserm Sinn betrachtet werden, obwohl von dem Geld (gazeta), das man für die Erlaubnis, sie lesen zu dürfen, zahlen mußte, heute noch die Z. in französischer, spanischer und englischer Sprache genannt werden. Diese Notizen sind eher den römischen Acta verwandt. So kann man eigentlich erst seit dem 17. Jahrh. von einer regulären Presse reden; besonders in der zweiten Hälfte desselben, mehr noch zu Anfang des 18. Jahrh., bildete sich jener kontinuierliche Ideenumsatz aus, der seitdem, immer mehr wachsend, allmählich zu einer Weltmacht geworden ist.
Man nimmt an, daß gegenwärtig auf der ganzen Erde etwa 40,000 Zeitschriften erscheinen, zu deren Herstellung vielleicht an 100,000 Berufsjournalisten arbeiten, die Mitarbeiter und Reporter ungerechnet. Diese Z. verteilen sich nach einer 1889 angestellten Berechnung auf die einzelnen Erdteile etwa in folgender Weise: Europa: Deutschland 6000, Österreich-Ungarn ca. 1200, Schweiz ca. 450, Großbritannien ca. 4000, Frankreich ca. 4000, Italien 1400, Rußland ca. 800, Schweden 350, Norwegen (1876) 178, Dänemark ca. 250, Spanien ca. 850, Portugal ca. 250, Holland ca. 300, Belgien ca. 300, Türkei und Griechenland ca. 200. – Amerika: Nordamerika ca. 17,000, Mittel- und Südamerika ca. 1000. – Asien: Ostindien ca. 600, China ca. 50, Japan ca. 2000, Persien ca. 6. Übriges Asien ca. 10. – Afrika: ca. 300. – Australien: ca. 700. Danach käme auf der ganzen Erde 1 Zeitung auf ca. 82,600 Menschen.
Wie der internationale geistige Verkehr dadurch gewachsen ist, beweist die Thatsache, daß in Deutschland jetzt Z. in 36 verschiedenen Sprachen gelesen werden. Von diesen erscheinen in Deutschland selbst nur in 8 Sprachen Z.: in deutscher, französischer, englischer, polnischer, dänischer, wendischer, litauischer und hebräischer Sprache. Die größte Sprachverschiedenheit repräsentieren die Länder der österreichischen Monarchie, in welchen Z. in 13 verschiedenen Sprachen erscheinen: in deutscher, französischer, italienischer, polnischer, ungarischer, tschechischer, griechischer, romanischer, serbischer, slowakischer, kroatischer, ruthenischer und slowenischer Sprache. Außer den genannten bezieht man in Deutschland durch die kaiserliche Reichspost noch Z. in russischer, spanischer, portugiesischer, holländischer, schwedischer, neugriechischer, vlämischer, bulgarischer, lateinischer, rumänischer, romanischer, armenischer, finnischer, norwegischer, türkischer und persischer Sprache. Von allen diesen Z. haben die in französischer Sprache die größte internationale Verbreitung; auf sie folgen die englischen, dann die deutschen Z. Werden die ersten außer in Frankreich noch in 15 andern, die zweiten außer in England noch in 13 andern, so werden die letztern außer in Deutschland noch in 10 andern Staaten gelesen. Heusinger („Die Zeitungspreisliste der Reichspostverwaltung“, im „Archiv für Post und Telegraphie“, Maiheft 1878) hat ausgerechnet, daß in den 10 Jahren von 1868 bis 1878 mehr Z. durch die Post vertrieben worden sind als in den 40 Jahren vorher. Die Zahl der Verlagsorte, an denen deutsche Z. erscheinen, belief sich 1881 auf 1432. Ganz besonders ist die Zahl der durch die Post vertriebenen deutschen Z. und ihrer Verlagsorte in Österreich, in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten sehr erheblich gewachsen. Während in Österreich um 1828 an 6 Orten nur 26 Z. erschienen (10 davon in Wien), in der Schweiz an 3 Orten nur 10, in den Vereinigten Staaten gar keine, erschienen 1881 in Österreich an 85 Orten 434 (209 in Wien), in der Schweiz an 125 Orten 328, in den Vereinigten Staaten an 31 Orten 230, darunter über die Hälfte in New York, wobei jedoch nicht zu vergessen ist, daß hier nur die Zeitungslisten der deutschen Reichspost zu Grunde gelegt sind (Heusinger a. a. O.). Nicht ohne Interesse ist auch ein Blick auf die Erscheinungsweise der Z. In Großbritannien ist in dem genannten Zeitraum nicht eine einzige Zeitung mehr als sechsmal wöchentlich erschienen. Wie dies mit der strengen Feier des Sonntags in England zusammenhängt, so mag es in dem politisch erregten Naturell der Franzosen begründet sein, daß die Zahl der siebenmal wöchentlich erscheinenden Z. in Frankreich bei weitem die der wöchentlich sechsmal erscheinenden überwiegt. Von den deutschen Z. erschienen 1881: 36 in 12 wöchentlichen Nummern, acht 13mal wöchentlich, eine 14mal, vier [849] 18mal in der Woche. In der preußischen Monarchie erscheinen, wenn man von der Provinz Brandenburg (573 an 91 Verlagsorten), welche Berlin mit begreift, absieht, die meisten Z. in der Rheinprovinz, nämlich 390 an 130 Verlagsorten; die geringste Ziffer weist hier Westpreußen mit 74 Z. an 32 Verlagsorten auf. Dazwischen liegen der Reihenfolge nach Schlesien, Hessen-Nassau, Hannover, Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Pommern. Den großen Fortschritt in der Verbreitung des politischen Denkens und Interesses erkennt man in folgender Tabelle Heusingers. Nach der Kopfzahl der Bevölkerung gerechnet, kamen an Personen auf je eine Zeitung in deutscher Sprache in der:
1824 | 1850 | 1876 | |
1) Rheinprovinz | 47060 | 17430 | 9700 |
2) Prov. Brandenburg | 21120 | 10440 | 6480 |
3) „ Schlesien | 50280 | 25800 | 15600 |
4) „ Sachsen | 26700 | 15760 | 13400 |
5) „ Ost- und Westpreußen | 100770 | 37100 | 22230 |
6) „ Westfalen | 59230 | 18000 | 14700 |
7) „ Pommern | 65130 | 18450 | 14370 |
8) „ Posen | 346640 | 56520 | 34900 |
Spätere Berechnungen liegen nicht vor.
In Deutschland haben sich die politischen Z. hauptsächlich seit dem Ende der 40er Jahre vermehrt. Während 1823–47 nur 22 neue politische Z. entstanden, erschienen in den Jahren 1847–50 deren 66 neue. Ihre Zahl stieg bis 1871 auf 948 Stück, bis 1881 auf 2337. Aber nicht nur die Entwickelung des politischen Sinnes hatte Einfluß auf die Zunahme der Z., ganz besonders auch war es der Handel, welcher ihre Ausbreitung beförderte. Auch hierin datiert von 1850 ein neuer Aufschwung. Während bis 1850 in den Hauptplätzen des Verkehrs nur Kurszettel erschienen, hat sich seitdem eine Menge Organe entwickelt, die den finanziellen und merkantilen Interessen dienen. Nicht minder haben sich in gleichem Verhältnis die Modenzeitungen, die illustrierten und Unterhaltungsblätter gehoben, letztere wiederum in Deutschland ganz besonders seit 1871. Auch die Zahl der durch die Post vertriebenen Exemplare hat enorm zugenommen und zwar um das Fünffache in einem Zeitraum von 25 Jahren. Während in Preußen 1850 die Zahl der versendeten Nummern 29,591,000 betrug, belief sich dieselbe 1874 auf 153,494,000 Nummern. Und erst seit dieser Zeit etwa datiert sich wiederum der staunenerregende Umfang vieler Organe. Da war es nun von Wichtigkeit und ohne Zweifel von größtem Einfluß auf die Verbreitung der Z. überhaupt, daß 1849 der deutsche Postkongreß zu Dresden einheitliche Bestimmungen in der Richtung traf, daß die Gebühr vom Einkaufspreis der Z. ohne Rücksicht auf die Bogenzahl berechnet und im Verkehr mit den dem Deutsch-Österreichischen Postverein beigetretenen Staaten zwischen den bestellenden und absendenden Postanstalten zu gleichen Hälften geteilt wurde, ein Verfahren, das heute noch für den Verkehr der deutschen Reichspostanstalten mit den österreichischen, bayrischen, württembergischen und luxemburgischen Postanstalten zu Recht besteht. Auch trug es mit zur Verbreitung der Z. bei, daß seit 1848 die Gebührensätze insofern wesentlich ermäßigt wurden, als die Gebühr niemals 25 Proz. des Einkaufspreises übersteigen durfte. Dieses Maximum nun hat sich im Lauf der Jahre noch bedeutend verringert, und es hat sich schließlich eine Minimalgrenze von 40 Pf. jährlich für jede bezogene Zeitung ergeben. Einkaufspreise und Beförderungsgebühren haben sich gleichmäßig sehr vermindert, wenn auch nicht in dem Grade, den man anzunehmen geneigt sein möchte, ein Umstand, der bei näherer Betrachtung durch die erhöhten Herstellungs- und Betriebskosten erklärlich wird. Auch war es für Leser wie Verleger von nicht geringem Belang, daß die Postverwaltung die Zeitungsüberweisungen ins Werk setzte; ferner, daß sie seit 1871 auch die außergewöhnlichen Beilagen beförderte, seit 1874 sogar gegen das geringe Entgelt von 1/4 Pf. für das Exemplar. Einer der wichtigsten Fortschritte aber war es, als 1874 im Bereich des deutschen Postgebiets die Zeitungsstempelsteuer aufgehoben ward. Sie hatte seit 1822 für jede im Inland erscheinende politische Zeitung jährlich 1 Thlr. und für jede im Ausland erscheinende 1 Thlr. 10 Sgr. betragen und war 1852 auch auf die nichtpolitischen Blätter übertragen worden. Sie erfuhr im Lauf der Jahre verschiedene Modifikationen, bis sie endlich ganz verschwand, zugleich mit der Kautionspflicht der Verleger. Die Kaution, welche sich nach der Erscheinungsart der Zeitung und nach der Wohlhabenheit des Verlagsorts zu richten pflegte, war sehr lästig und meist nicht niedrig. Die Orte waren in vier Klassen geteilt, nach ihnen betrug seit 1851 die Kaution 5000, 3000, 2000 und 1000 Thlr.
In deutscher Sprache erscheinen nach der Zeitungspreisliste des kaiserlichen Postzeitungsamtes für 1890 auf der ganzen Erde 6978 Z. Die Gesamtzahl der in Deutschland publizierten Z. betrug 1889 etwa 6000, davon ca. 3000 politischen Charakters.
Die katholische Presse Deutschlands hat seit 1870 einen bedeutenden Aufschwung genommen. Damals nur durch 15 Z. repräsentiert, erscheinen heute ca. 300 katholische Organe in Deutschland, von denen sich 150 der Politik ausschließlich widmen. Von letztern entfallen auf Preußen allein ca. 100, auf Bayern nur 30. Von der Gesamtsumme fallen auf Preußen 150 katholische Organe, deren bedeutendstes die unter Windthorsts Auspizien 1871 in Berlin gegründete „Germania“ ist. Auf einen großen Leserkreis stützt sich die 1860 gegründete „Kölnische Volkszeitung“, das tonangebende Organ der rheinländischen Klerikalen. Von den klerikalen Blättern der übrigen deutschen Staaten, mit Ausnahme Bayerns, ist nur das „Mainzer Journal“ nennenswert. In Bayern selbst verdienen Erwähnung die „Augsburger Postzeitung“ und das von Sigl redigierte, auf einem extrem partikularistischen Standpunkt stehende und von der Parteidisziplin unabhängige „Bayrische Vaterland“. Von katholischen Blättern, welche den Charakter unsrer Revuen aufweisen, sind nur zwei zu nennen, die jesuitischen „Stimmen aus Maria-Laach“ (Freiburg i. Br., seit 1871) und die 1839 von Phillips und Görres gegründeten, jetzt von Jörg und Binder redigierten „Historisch-politischen Blätter“ (Münch.). Kritischen Inhalts sind der „Litterarische Handweiser“ (Münst., seit 1863) und die „Litterarische Rundschau“ (Freiburg, seit 1875). Parteigänger hat die klerikale Presse vor allem in Österreich, wo das „Vaterland“, das, in Wien erscheinend, in Format und Anordnung des Stoffes den großen Wiener Z. nachstrebt, neben dem „Linzer Volksblatt“ zu nennen ist. Nach Wörls „Weltrundschau über die katholische Presse zu Neujahr 1878“ (Würzb. 1878) erscheinen auf der Erde überhaupt 1062 Blätter katholischer Tendenz, von denen 937 auf Europa und 124 auf Amerika kommen.
In der Feindschaft gegen das Reich der klerikalen Presse gleichkommend, in der Rücksichtslosigkeit der Mittel sie noch überbietend, stand bis zum Erlaß des sogen. Sozialistengesetzes vom 21. Okt. 1878 die sozialdemokratische [850] Presse da. Ihre Hauptwirkungsstätten hatte sie in Sachsen, in der Rheinprovinz und in Württemberg. Sie ist erst ein Produkt der Zeit seit 1867 und der seitdem erwachten Kämpfe (vgl. Held, Die deutsche Arbeiterpresse der Gegenwart, Leipz. 1873). Eigentlich sozialdemokratische, bez. anarchistische Blätter erscheinen noch in England, der Schweiz und Nordamerika.
Naturgemäß findet auch die deutsche Journalistik in den Hauptstädten ihre Sammelpunkte. In Berlin erscheinen ca. 410 periodische Schriften, in Leipzig etwa 325, in Dresden 85, in München, Stuttgart und Breslau je ca. 70, in Hamburg gegen 50. Die erste wirkliche Zeitung war die Wochenzeitung Emmels, die seit 1615 in Frankfurt a. M. erschien und heute noch im „Frankfurter Journal“ fortlebt; doch sind zeitungsartige Unternehmungen vereinzelt schon früher aufgetaucht (nachweislich bis 1609). Die nächstältesten noch heute bestehenden deutschen Z. sind: die „Magdeburgische Zeitung“ (1628), die „Königsberger Hartungsche Zeitung“ (1648), die „Leipziger Zeitung“ (1660) und die „Augsburger Postzeitung“ (1686). Epochemachend war indes erst das Erscheinen der „Allgemeinen Zeitung“, seit 1799 in Augsburg, seit 1883 in München, welche bis in die Mitte der 70er Jahre das räumlich am weitesten verbreitete Blatt deutscher Zunge war, aber später durch die „Kölnische Zeitung“ überflügelt wurde. Unter den preußischen Z. sind neben der „Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung“, der „Nationalzeitung“, der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, der „Post“, der „Vossischen Zeitung“, dem „Berliner Tageblatt“ und der „Volkszeitung“, welche den verschiedenen Parteien dienen und in der Hauptstadt erscheinen (näheres s. im Artikel „Berlin“, S. 759), die „Kölnische Zeitung“, die „Magdeburgische Zeitung“ und die „Schlesische Zeitung“ (Breslau) durch Fülle des Inhalts hervorragend. Das amtliche Organ der Regierung ist allein der „Deutsche Reichs- und königlich preußische Staatsanzeiger“. In Bayern verdient außer der jetzt in München erscheinenden „Allgemeinen Zeitung“ und den dortigen „Neuesten Nachrichten“ nur noch die in Augsburg publizierte „Abendzeitung“ Erwähnung. Württemberg wird durch den „Schwäbischen Merkur“ vortrefflich vertreten. Sachsen besitzt seit dem Eingehen der „Konstitutionellen Zeitung“ außer der amtlichen „Leipziger Zeitung“ kein Tageblatt von politischer Bedeutung. Am verbreitetsten sind die „Dresdener Nachrichten“ und das „Leipziger Tageblatt“. Wenn man von der „Karlsruher Zeitung“ absieht, hat außerdem nur noch die Presse der Freien Städte in Deutschland Bedeutung. In Hamburg erscheinen der „Hamburger Korrespondent“ und die „Hamburger Nachrichten“ (beide mit Berliner Regierungskreisen in Verbindung stehend); in Bremen kommt die „Weserzeitung“ heraus, und ein großer Teil Süddeutschlands wird durch die Frankfurter Z. mit Nachrichten versorgt: das „Frankfurter Journal“, die „Frankfurter Zeitung“ und die „Frankfurter Presse“. Unter den Witzblättern politischen Inhalts steht der 1848 von Hofmann und Kalisch gegründete „Kladderadatsch“, unter den nichtpolitischen die in München erscheinenden „Fliegenden Blätter“ (1845 von Braun und Schneider gegründet) obenan. Nach ihnen sind die „Wespen“, der „Ulk“ und die „Lustigen Blätter“ (sämtlich in Berlin erscheinend) zu nennen. Unter den Unterhaltungsblättern steht die von Ernst Keil (s. d.) gegründete „Gartenlaube“, das einzige Blatt, das an Leserzahl mit den ausländischen Organen konkurrieren kann, voran. Ihr zunächst kommt die von Hallberger begründete illustrierte Wochenschrift „Über Land und Meer“ (Stuttg., seit 1859). Vortreffliche Leistungen artistischer Natur bietet J. J. Webers „Illustrierte Zeitung“ (Leipz., seit 1843). Eine besondere Abart dieser illustrierten Z., denen sich noch das „Daheim“, „Schorers Familienblatt“, „Zur guten Stunde“ u. a. anreihen, bilden die Modezeitungen, von denen die „Modenwelt“ (seit 1865), die „Illustrierte Frauenzeitung“ (seit 1874) u. der „Bazar“ (seit 1855), alle drei in Berlin erscheinend, die verbreitetsten sind. Dem Charakter der „Revue des Deux Mondes“ streben nach die von J. Rodenberg in Berlin geleitete „Deutsche Rundschau“ (seit 1874), die „Deutsche Revue“ (seit 1876), „Unsere Zeit“, P. Lindaus „Nord und Süd“, sämtlich Monatsschriften. Mehr der Unterhaltung sind die „Westermannschen Monatshefte“ (Braunschw., seit 1857) und „Vom Fels zum Meer“ (seit 1882) gewidmet. Von den politisch-litterarischen und kritischen Journalen ist neben den ältern „Grenzboten“ die seit 1872 erscheinende „Gegenwart“ zu nennen. Nationale und wissenschaftliche Interessen vertreten die „Preußischen Jahrbücher“. Ausgezeichnet ist die deutsche Journalistik auch durch eine Fülle der tüchtigsten fachwissenschaftlichen Zeitschriften. Die wichtigsten derselben sind bei den einzelnen Artikeln der betreffenden Wissenschaften angegeben. Über die Litteraturzeitungen s. d. Vgl. den offiziellen Zeitungskatalog (Preisliste) des deutschen Generalpostamtes; Hupfer, Die deutsche Presse (Forbach 1888, 2 Bde.); Sperling, Adreßbuch der deutschen Zeitschriften (Leipz. 1890); H. Wuttke, Die deutschen Zeitschriften (3. Aufl., das. 1875).
Großen Aufschwung hat auch seit 1848 die österreichische Presse genommen. Der Schwerpunkt des österreichisch-ungarischen Journalismus liegt in Cisleithanien, wo 1887: 1473, also etwa zwei Drittel der gesamten periodischen Schriften des Reichs, herausgegeben werden. Hiervon sind etwa 965 deutsch, 397 slawisch, 54 italienisch, 13 hebräisch, 9 französisch. Die meisten Blätter erscheinen in Niederösterreich, nämlich 629, dann in Böhmen, 332. Nach dem Inhalt sind unter den Blättern Österreichs 445 politische Z.; täglich erscheinen 100 Blätter. Die bedeutendsten politischen Z. erscheinen in Wien. Hiervon sind hervorzuheben: die „Neue Freie Presse“ (Organ der deutsch-liberalen Partei), die „Presse“ und das „Fremdenblatt“ (offiziös); die „Deutsche Zeitung“ (Organ der Deutschnationalen); die „Wiener Allgemeine Zeitung“, das „Neue Wiener Tagblatt“, das „Wiener Tagblatt“ (hauptsächlich Lokalblätter); das „Deutsche Volksblatt“ (antisemitisch); das „Vaterland“ (katholisch) etc. Amtsblatt ist die „Wiener Zeitung“ mit der „Wiener Abendpost“. In Prag sind die „Bohemia“ (deutsch-liberal), die „Politik“ (alttschechisches Parteiblatt) und die „Narodní Listy“ (jungtschechisches Organ) zu verzeichnen. Vgl. Winckler, Die periodische Presse Österreichs (Wien 1875). In Ungarn ist die deutsche Presse durch den „Pester Lloyd“ und zahlreiche kleinere Z. in Pest, Preßburg, Kaschau, Arad, Temesvár, Hermannstadt, Kronstadt u. a. O. vertreten. Unter den ungarischen politischen Z. sind „Pesti Napló“, „Hón“, „Nemzet“ und „Ellenör“ die bekanntesten. Die Zahl der juristischen, medizinischen und sonstigen fachwissenschaftlichen Zeitschriften in ungarischer Sprache hat in neuerer Zeit bedeutend zugenommen. 1888 erschienen in Ungarn 760 periodische Zeitschriften, darunter 94 politische (525 ungarische, 133 deutsche, 34 kroatische, 11 slowenische, 11 serbische, 15 rumänische etc.). – Es [851] hat seinen Grund in der republikanischen Verfassung, daß die Schweiz journalistisch mit am reichsten entwickelt ist. Die „Basler Nachrichten“, die „Neue Zürcher Zeitung“, die „Zürcher Post“, der Berner „Bund“, das „Journal de Genève“ und die „Gazette de Lausanne“ dürften die bedeutendsten Z. sein. In Tessin erscheinen überdies einige italienische, in Graubünden einige rätoromanische Blätter. 1885 erschienen 641 Z. und Zeitschriften, davon 421 in deutscher, 202 in französischer, 14 in italienischer, 3 in romanischer Sprache veröffentlicht werden. – Der Charakter der englischen Presse ist Gediegenheit, innerlich und äußerlich. Großbritannien zählt unter seinen ca. 4000 periodischen Schriften ca. 1800 Journale vorwiegend politischen und ca. 700 überwiegend nichtpolitischen Inhalts; letztere erscheinen fast ausschließlich in Form von Wochenblättern, Revuen oder „Magazines“. Tagesblätter gibt es 145, von denen die Hälfte in London erscheint, wo überhaupt gegen 1470 periodische Schriften herauskommen. Die „News Letters“, welche unter der Regierung Jakobs I. aufkamen, bilden den Anfang des englischen Journalismus; die Revolution machte aber in dieser Hinsicht keinen bedeutenden Eindruck, erst seit dem Ende des Jahrhunderts zeigte sich mehr und mehr ein Fortschritt, besonders seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die erste regelmäßige Zeitung, ein Wochenblatt, erschien im J. 1622. Die Beseitigung des Zeitungsstempels (1855) und der Papiersteuer (1861) verursachten die Gründung von zahlreichen neuen Z. Von den bedeutendern, jetzt noch bestehenden Blättern stammen nur wenige aus dem letzten Jahrhundert. Die „Times“, immer noch das einflußreichste Blatt, wurde 1788 gegründet, während der konservative „Standard“ das gediegenste der Pennyblätter, der vielgelesene „Telegraph“, die „Daily News“, das Hauptblatt der Manchesterleute, erst Schöpfungen der Neuzeit sind. Zahlreich sind auch die politischen Abendblätter, wie „Pall Mall Gazette“, „Globe“, „Echo“ und „Star“, letzteres ein radikal-irisches Blatt. Unter den Wochenblättern allgemeinern Inhalts nehmen die „Saturday Review“, „Observer“ und einige Arbeiterzeitungen, wie „Lloyd’s News“, einen hervorragenden Rang ein. „Punch“ behauptet noch immer den Vorrang unter den Witzblättern, während die illustrierte „Graphic“ der ältern „Illustrated London News“ den Rang streitig macht und das „Athenaeum“ an der Spitze der rein litterarischen Zeitschriften steht. Zahlreich und teilweise glänzend ausgestattet sind die monatlichen „Magazines“, welche der Mehrzahl nach der bloßen Unterhaltung dienen, teilweise aber im Dienste der Wissenschaft, der Kirche, der Kunst und andrer Interessen stehen. Ehrwürdig durch ihr Alter sind hier die „Edinburgh“, die „Westminster“ und die „Quarterly“ Reviews, mehr gelesen aber die „Fortnightly“ und das „Nineteenth Century“. Vgl. Duboc, Geschichte der englischen Presse (Hannov. 1873). – Von großer Wichtigkeit als klarster Ausdruck der bewegten Volksstimmung ist immer die französische Presse gewesen. Sie hat sowohl den Leitartikel als das Feuilleton eingeführt. Gegenwärtig erscheinen etwa 1300 Z. allein in Paris, darunter 60 politische Tageszeitungen. Die erste täglich erscheinende Zeitung war das „Journal de Paris“ (1777–1819); bedeutend älter ist aber die 1631 begründete legitimistische „Gazette de France“. Von den 750 Z., die während der Revolutionszeit auftauchten, bestehen mehrere noch fort, so der „Moniteur Universel“, der bis 1869 Amtsblatt war und gegenwärtig der orléanistischen Richtung dient, wie auch das verjüngte „Journal de Débats“, jetzt das Hauptorgan des linken Zentrums, welches sich unter allen Regierungen immer als ein Blatt ersten Ranges, namentlich in seiner Wirkung auf das Ausland, behauptet hat. Der „Constitutionnel“, 1815 gegründet, unter der Julimonarchie eine Macht und bis um die Mitte der 70er Jahre wegen seiner litterarischen und wissenschaftlichen Fachberichte geschätzt, ging seitdem in den Besitz von Spekulanten über und fristet als Soublatt ein kümmerliches Dasein, ähnlich der „Presse“, einer Schöpfung Girardins, welche gegenwärtig im Solde des Boulangismus steht. Der „Siècle“, früher als doktrinäres Oppositionsblatt vielgenannt, zehrt, obwohl nach modernen Anforderungen mit großen Geldopfern umgestaltet, nur noch von seinem alten Ruf. „Pays“ und „Autorité“, jahrelang Vorkämpfer des Bonapartismus, haben Ansehen und Einfluß verloren. Unstreitig das bedeutendste aller französischen Blätter ist der von Nefftzer in den letzten Jahren des Kaiserreichs gegründete „Temps“, welcher einer gemäßigt republikanischen Politik huldigt, die besten litterarischen Kräfte für sein Feuilleton und Fachberichte heranzieht und mit seinen gehaltvollen ausländischen Korrespondenzen in Frankreich einzig dasteht. Die „République française“, deren Gründer Gambetta war, ist das streitbarste Parteiblatt des Opportunismus, wie die „Justice“ (das Blatt Clémenceaus) dasjenige des regierungssüchtigen Radikalismus. Zur Bildung einer Durchschnittsmeinung in den Massen, namentlich in der Provinz, trägt das sehr geschickt bearbeitete „Petit Journal“, welches neulich die Erreichung seiner eine Million starken Auflage feierte, mächtig bei. Es fand eine Menge Nachahmer, und überdies suchten ihm die meisten radikalen und intransigenten Organe: „Lanterne“ und „Intransigeant“, „XIX. Siècle“ und „Bataille“, durch die Herabsetzung ihres Preises auf 5 Centimes Konkurrenz zu machen; ja sogar der geistig vornehme „Soleil“, der Moniteur des Grafen von Paris, bequemte sich zu dieser demokratischen Ermäßigung. „Univers“ und „Monde“ dienen einer verbissenen klerikalen Politik, letzterer je nach dem Winde, der vom Vatikan her weht, mehr zu Zugeständnissen an den Zeitgeist geneigt. „Figaro“, „Gaulois“, „Gil Blas“, „Événement“, „Voltaire“, die man unter der Bezeichnung „Boulevardblätter“ kennt, haben es mehr auf Unterhaltung, geistreiche oder prickelnde Behandlung der Tagesereignisse abgesehen; der „Figaro“ hat sich seit der Niederlage des Boulangismus zur konservativen Republik bekehrt, während der „Gaulois“ seine Liebedienerei mit Orléanismus und Imperialismus forttreibt. Außer dem seit 1814 bestehenden Annoncenblatt „Galignani’s Messenger“, das vielfach vortreffliche Nachrichten hat, werden in Paris noch zwei andre Blätter in englischer Sprache herausgegeben: „Paris Morning News“ und eine eigne Ausgabe des „New-York Herald“, die auf Kabeldienst beruht. Sonst brachte es trotz wiederholter Anstrengungen keine andre fremdsprachliche Zeitung zu nennenswertem Erfolg. Von den Zeitschriften sind zu erwähnen: die 1829 gegründete und seit 1831 regelmäßig zweimal monatlich erscheinende „Revue des Deux Mondes“, die deutschfeindliche „Nouvelle Revue“, die „Revue politique et littéraire“ (oder „Revue bleue“), die „Grande Revue“ welche Arsène Houssaye, die „Revue de Famille“, welche Jules Simon leitet, die mit der „Revue bleue“ in engerm Rahmen wetteifernden „Annales littéraires“, die „Revue illustrée“ und die „Illustration“, die unter [852] andern Daudet, Zola, Ferdinand Fabre zu Mitarbeitern haben, die kunstvoll ausgestattete „Revue des Lettres et des Arts“, die gediegene „Revue britannique“, die sich nicht allein, wie ihr Name vermuten ließe, mit englischen Dingen beschäftigt, der „Correspondant“, von ausgesprochen reaktionärer Färbung, aber vorzüglich redigiert, endlich die „Vie parisienne“, welche die Mitte hält zwischen der schöngeistigen Zeitschrift und dem Witzblatt, dessen Gattung durch den „Charivari“, das „Journal amusant“, den „Courrier français“ am besten vertreten ist. Die französische Provinzpresse lebt zumeist von der hauptstädtischen. An der Spitze der nicht zahlreichen Organe, die ein selbständiges Dasein führen, sind zu nennen: die „Gironde“ in Bordeaux mit der „Petite Gironde“, das „Journal du Havre“, der „Petit Marseillais“, „Le Sémaphore“ in Marseille, „Le Phare de la Loire“ in Nantes, „Le Salut public“ (klerikal) in Lyon. Vgl. „Annuaire de la Presse française“ (1889). – Sehr reichhaltig, wenn auch wenig bedeutend ist die italienische Presse. Besonders entwickelte sie sich, seitdem sie nach dem Regierungsantritt des vorletzten Papstes einen freiern Ton anschlagen durfte, worauf allerdings das Reaktionsjahr 1849 folgte. Seitdem hat sie vielfache Wandlungen erfahren. Von den bedeutendern Organen behaupten die Mailänder „Perseveranza“, der dortige „Secolo“, die in Rom erscheinenden „Opinione“, „Riforma“, „Fanfulla“, „Diritto“, „Osservatore Romano“ und „Voce della Verità“, letztere beide klerikal, und die „Gazzetta di Torino“ den hervorragendsten Rang. Unter den periodischen Zeitschriften zeichnet sich die „Rivista contemporanea“ aus. Die Gesamtzahl der italienischen Z. belief sich 1889 auf ca. 1450, darunter 450 politische. – In Spanien erschien seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Hofzeitung; hundert Jahre später erschienen in Madrid allein 48 Blätter, worunter 19 täglich. Die journalistische Bewegung war infolge des raschen Wechsels der Ereignisse und des regen politischen Sinnes der Nation eine sehr lebhafte. Gegenwärtig beziffert man die Zahl der spanischen Z. auf 850. Die politisch bedeutendsten sind die in Madrid erscheinenden „El Imparcial“ (liberal), „El Globo“ (Organ Castelars) und „La Epoca“ (konservativ). – In Portugal ist die Presse von geringer Bedeutung. Außer dem „Diario de Lisboa“, das die Regierung vertritt, und einigen Parteiblättern verschiedener Färbung ist kein Blatt zu verzeichnen, das auch nur das geringste lokale Interesse überschritte. In Portugal und in Spanien tritt, wie in Italien, die Thatsache merklich hervor, daß die südlichen Länder eine relativ größere Anzahl von Tagesblättern besitzen als die nördlichen. – Die frühzeitige hohe wirtschaftliche und politische Entwickelung der Niederlande war dem Gedeihen der Presse von jeher günstig. Einen großen Aufschwung hat sie aber erst nach Aufhebung des Zeitungsstempels 1869 genommen. Die Zahl der in Holland erscheinenden Z. beträgt gegenwärtig ca. 500. Seit dem 17. und 18. Jahrh. hatte fast jede Stadt einen Courant, der älteste unter ihnen der „Amsterdamsche Courant“, der noch besteht. Wie der Name sagt, sind diese Z. durchgängig aus Handelsnachrichten entstanden. Eine außerholländische Bedeutung haben diese Organe nicht mehr. – In Belgien hat sich mit der Gründung des Königreichs die Presse in französischem Sinn entwickelt. Das bedeutendste Organ war eine Zeitlang die liberale „Indépendance belge“, welche aber gegenwärtig für französische Interessen thätig ist. Die hervorragendsten belgischen Z. (etwa 60 täglich erscheinende politische Z.) sind zur Zeit die „Étoile belge“ und der „Précurseur d’Anvers“. In Antwerpen ist auch, soweit bis jetzt bekannt ist, die erste Zeitung im modernen Sinn (1605) erschienen. – Neuesten Datums ist die norwegische Presse, die erst in den 30er Jahren einigen Aufschwung nahm und ihre Hauptsitze in Christiania, Bergen und Drontheim hat, während die Anfänge der schwedischen Presse bis in die Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs hinein datieren. Außer dem lokalen „Stockholms Dagblad“ ist das bedeutendste Journal das „Aftonblad“, das verschiedene politische Wandlungen durchgemacht hat. Die Zahl der in Schweden erscheinenden Z. wird auf etwa 350 angegeben. – Die dänische Zeitungslitteratur (etwa 140 Z.) hat auch erst seit 1830 größere Fortschritte gemacht. Das Hauptblatt ist immer noch die in Kopenhagen seit 1749 erscheinende „Berlingske Tidende“, die ursprünglich in deutscher Sprache gedruckt ward. Kopenhagen ist der Hauptverlagsort, da nur hier politisches Leben existiert; die Provinzialpresse behilft sich vorwiegend mit Auszügen. – Von fremden periodischen Schriften konnten in Rußland laut Zeitungskatalog der Post für 1889 bezogen werden: 243 deutsche, 174 französische, 104 englische, 20 italienische, 10 griechische, 27 slawische, 10 schwedische, eine hebräische, zusammen 589. In den Zeitungskatalog wird jedes Blatt, zu welchem sich drei Abonnenten bei der Post melden, aufgenommen; verboten waren 1889 nur wenige Blätter, wie: „Vossische Zeitung“, „Neues Wiener Tageblatt“. Alle ausländischen Blätter unterliegen der Postzensur. Die inländische Presse steht unter strenger Aufsicht der Oberpreßverwaltung. In Petersburg und Moskau dürfen Blätter ohne Präventivzensur erscheinen, nachdem der Herausgeber 3000 Rubel Kaution hinterlegt hat. Nach dreimaliger Verwarnung erfolgt Suspendierung, worauf das Blatt nur mit Präventivzensur weiter erscheinen kann. Ein Komitee, bestehend aus den Ministern des Innern, der Justiz, des Unterrichts und des Kultus, kann jederzeit die vollständige Schließung eines Blattes verfügen. Die Oberpreßverwaltung ist berechtigt, den ohne Präventivzensur erscheinenden Z. Erwähnung und Erörterung jedes beliebigen Stoffs zu untersagen und sie mit Verbot des Einzelverkaufs und des Rechts der Aufnahme von Inseraten zu strafen. Sie verfährt hierbei mit voller administrativer Willkür, da eine Appellation an eine höhere Instanz nicht zulässig ist. Laut offiziellen Ausweises der Oberpreßverwaltung waren 1889 im russischen Reich 750 periodische Schriften (davon 83 in Finnland) konzessioniert, darunter 490 russisch, 76 polnisch, 49 deutsch, 10 esthnisch, 8 lettisch, 7 französisch, 6 armenisch, 4 hebräisch etc. Ferner waren darunter: 271 litterarisch-politische, 206 fachwissenschaftliche oder speziellen Inhalts, 81 geistliche, 24 illustrierte, 9 humoristische etc. Den humoristischen Blättern sind politische Stoffe fast gänzlich verboten. In Petersburg erscheinen 199, in Moskau 70, in Warschau 75. Das älteste der jetzt in Rußland existierenden Blätter ist die deutsche „St. Petersburger Zeitung“, die 1726 bei der Akademie der Wissenschaften zu erscheinen begann, worauf ihr im folgenden Jahr die „Peterbúrgskija Wjédomossti“ (russische „Petersburger Zeitung“) als russische Ausgabe folgten; das amtliche Regierungsblatt ist der „Prawitjelsstwjennyj Wjésstnik“ („Regierungsbote“), gegründet 1868. Das französische „Journal de St. Pétersbourg“, gegründet 1824, ist das Organ des Ministeriums des Auswärtigen der „Russkij Invalíd“ [853] („Russischer Invalide“), gegründet 1813, ist offizielles Organ des Kriegsministeriums, der „Wjésstnik finánssow“ („Finanzbote“), gegründet 1883, offizielles Organ des Finanzministeriums. Die beiden größten Tagesblätter sind: „Nówoje Wrémja“ („Neue Zeit“), gegründet 1868, das Organ der russischen Nationalisten, und „Nówossti“ („Neueste Nachrichten“), gegründet 1870, das Organ der liberalen Doktrinäre. Das konservative Element vertreten die „Peterbúrgskija Wjédomossti“, den panslawistischen Chauvinismus der „Swjet“ („Welt“), gegründet 1884. Alle diese Blätter erscheinen in Petersburg, wo auch zwei deutsche Tagesblätter: die bereits erwähnte „St. Petersburger Zeitung“ und der „St. Petersburger Herold“ (gegründet 1875), herausgegeben werden. In Moskau ist das bedeutendste Blatt die „Russkija Wjédomossti“ („Russische Zeitung“), gegründet 1871, während Katkows „Mosskówsskija Wjédomossti“ („Moskauer Zeitung“), gegründet 1755, nach dessen Tod alle Bedeutung eingebüßt haben. Unter den Provinzblättern steht obenan der in Kiew erscheinende „Kijewljanin“ („Der Kiewer“); der in Warschau herausgegebene „Warscháwsski Dnewnik“ („Warschauer Tageblatt“) ist ein halbamtliches Organ und wird in der Kanzlei des Generalgouverneurs zensiert. Das verbreitetste Unterhaltungsblatt ist die illustrierte Wochenschrift „Niwa“ („Das Feld“), im Format der „Gartenlaube“, 1889 begründet und herausgegeben von einem Deutschen, Adolf Marcks, und das gediegenste illustrierte Blatt die „Wssemirnaja Illustrázija“ („Allgemeine Illustrierte Zeitung“), gleichfalls seit 1868 von einem Deutschen, Hermann Hoppe, begründet und herausgegeben. Unter den Monatsschriften sind der „Wjésstnik Jewrópy“ („Europäischer Bote“), der Vertreter des westeuropäischen Liberalismus, und die „Rússkaja Sstariná“ („Russisches Altertum“) zu nennen. Den konservativen und nationalistischen Prinzipien dient die Revue „Rússkij Wéstnik“ („Russischer Bote“). Durchschnittlich kommt in Rußland ein politisches Tagesblatt auf 500,000 Einw. In Russisch-Polen erschienen 1889: 79 (Hauptorgan: „Kurjer Warszawski“ in Warschau), in Österreich etwa 115, in Preußen etwa 45 politische und nichtpolitische Z. in polnischer Sprache; die polnische Oppositionspresse hatte ihren hauptsächlichen Sitz im Ausland. Größere journalistische Thätigkeit entwickelte sich in Finnland, wo vor 25 Jahren schon 7 finnische und 10 schwedische Z. erschienen. – In Serbien erschienen 1886: 57 serbische Zeitschriften (darunter 17 politische), in Bulgarien 10 bulgarische Z., davon 8 in Sofia. – In Griechenland zählte man 1844: 20 periodische Blätter, unter ihnen 7 politische, die meist in Athen erschienen, 1877: 72, davon 51 politische, und 2 in französischer Sprache. – In Rumänien (Bukarest und Jassy) erschienen 1886: 102 Blätter, darunter 25 fachwissenschaftliche, dazu kommen 18 rumänische Zeitschriften (darunter 8 politische), die innerhalb der österreichischen Staaten erschienen. – In der Türkei ist die Presse vorwiegend in französischen Händen. Unter den 45 periodischen Blättern, die in Konstantinopel erscheinen, sind die verbreitetsten: in französischer Sprache „La Turquie“, „Levant Herald“ (französisch und englisch), „Stamboul“, „Phare du Bosphore“, „Moniteur Oriental“, in griechischer: „Neológos“, „Konstantinúpols“, „Byzantis“; in türkischer: „Tarîk“, „Seadet“, „Terdschumân-i Hakîkat“ und „Misân“, daneben einige Z. in armenischer Sprache; andre erscheinen in Alexandria, Beirut etc.
Was die übrigen Weltteile betrifft, so beschränkt sich das Zeitungswesen keineswegs mehr auf die europäischen Kolonien, wenigstens in Asien nicht, wo in China z. B. zu Peking ein amtliches Regierungsblatt, „King-Kao“, erscheint, welches amtliche Veränderungen, Verordnungen u. dgl. enthält. Einen großartigen Aufschwung hat die Zeitungspresse in Japan genommen. 1879 erschienen dort 266 Z. in japanischer Sprache, doch soll sich nach spätern Angaben (1886) ihre Zahl auf 2000 gesteigert haben. Von den chinesischen und japanischen Z. sind die „China Mail“, der „Japan Herald“ und der deutsche „Ostasiatische Lloyd“ zu nennen, die hauptsächlich eine Verbindung Europas mit diesen Ländern vermitteln. In Ägypten erscheinen schon seit einem halben Jahrhundert zu Kairo in türkischer und arabischer Sprache die „Ägyptischen Begebenheiten“. In Algerien erscheinen einige Tagesblätter in französischer und in französisch-arabischer Sprache zu Algier. In Afrika bringen außerdem das Kapland und die Nachbarkolonien die meisten Z. hervor, sie haben indes alle nur lokale Bedeutung. Am höchsten entwickelt ist die Presse in Ostindien, wo sie natürlich ganz nach englischem Muster eingerichtet ist. Wir nennen die „Calcutta Gazette“, die seit 1784 besteht, die „Bombay Times“, die „Times of India“, die „Madras Gazette“ als die gelesensten. Dabei gibt es in den Sprachen des Landes noch eine Menge Zeitschriften, deren Gesamtzahl auf 644 (darunter 244 in englischer Sprache) geschätzt wird. In Niederländisch-Indien zählte man 1889: 30 Blätter (9 in Batavia, 7 in Surabaja, 5 in Samarang, 2 in Padang und je eine in Cheribon, Tegal, Surakarta, Dschokdschokarta, Probolinggo, Makassar und Dili). Von den 30 Z. werden 21 in holländischer und 9 in malaiischer, bez. javanischer Sprache gedruckt. Ein reiches Preßleben entwickelt auch Australien, wo die Z. natürlich hauptsächlich in englischen Händen sich befinden. In Neusüdwales bestanden schon 1841: 29 Z., unter denen der „Sidney Herald“ heute noch die bedeutendste ist. In Adelaide allein erschienen schon 1851: 13 Z., darunter 2 deutsche; jetzt gibt es deren 25, von denen 3 täglich, die Mehrzahl wöchentlich erscheinen; darunter gibt es eine illustrierte Wochenschrift und 2 Witzblätter. Auch in Queensland erscheinen bereits 13 Z.
Die großartigsten Dimensionen hat das Zeitungswesen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika angenommen. Der Zeitungsreichtum dieses Landes wird von keinem Lande der Welt erreicht. In Einem Jahrhundert ist ihre Zahl von 37 auf 12,500 gestiegen. Am 25. Sept. 1690 erschienen zum ersten- und letztenmal die „Public Occurrences“, die sofort von der Regierung unterdrückt wurden. Mit den seit 1704 ebenfalls in Boston erscheinenden „News Letters“ hebt aber die Geschichte der amerikanischen Presse an. Ihr rasches Wachstum datiert vom Jahr 1750, in welchem in sämtlichen Kolonien erst 20 Z. erschienen. 1775 erschienen 35 Z., 1800: 150, 1885: 13,494 periodische Druckschriften, darunter 1183 täglich, 10,082 wöchentlich erscheinende, in einer Gesamtauflage von ca. 32 Mill. Nummern, wovon 3,6 Mill. auf Tagesblätter kamen. Von diesen Z. waren ca. 9000 politischen Inhalts, und 10,515 erschienen in englischer, 641 in deutscher, 41 in französischer, 26 in spanischer, 49 in skandinavischer, 3 in indianischer, 2 in chinesischer Sprache etc. Der Hauptverlagsort ist New York, wo es 25 große Tagesblätter gibt (über 100,000 Exemplare: „Herald“, „Daily News“, „World“, „Times“, „Morning Journal“, „Sun“ etc.). 1889 wurden 120 Z. von Negern herausgegeben [854] und redigiert. Vgl. Steiger, The periodical literature of the United States of America (New York 1873); Rowell, American Newspaper Directory (das. 1889). – In Mittel- und Südamerika erscheinen etwa 1000 Z., davon etwa 300 in Brasilien. Unter den zahlreichen Blättern der Hauptstadt sind das „Jornal do Commercio“ und die „Gazeta de Noticias“ die gelesensten. In Rio de Janeiro erscheint unter andern auch eine „Deutsche Allgemeine Zeitung“, in den Provinzen erscheinen noch 4 deutsche Z. – Vgl. übrigens die Artikel über die einzelnen Nationallitteraturen, in welchen auch Bezug auf die Zeitschriften genommen ist.