Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wenden“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 530
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Wenden. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 530. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wenden (Version vom 04.02.2023)

[530] Wenden, ein Zweig der westslaw. Völkergruppe, welcher sich noch in der Lausitz erhalten hat (s. Deutschland, S. 817). Die Veneter, die der ältere Plinius und Tacitus erwähnen, und die letzterer von den Sarmaten abtrennt und irrtümlich den Germanen zuweist, weil sie Häuser bauten, Schilde trügen und im Kampf zu Fuß erfahren seien, werden gemeinhin mit den W. identifiziert. Ihre Wohnsitze verlegt man an die Ufer des Niemen und obern Dnjepr; doch erhellt sich das Dunkel, das über jenem Volk ruht, erst im 6. Jahrh., wo sich das Gebiet der W. bis zur Oder erstreckt. Fortan wird der Name W. Bezeichnung für alle Nordslawen. Diese sind im 6. Jahrh. in Böhmen eingedrungen und haben nördlich davon alle Lande auf dem rechten Elbufer, ja sogar das Land zwischen Elbe und Saale besetzt. Sie teilen sich in viele Stämme, von denen die an der untern Elbe wohnenden seit Karl d. Gr., die an der obern Elbe erst seit Heinrich I. mit den Germanen in Berührung kamen. Vom 10. bis zum Ende des 12. Jahrh. folgte eine Zeit blutiger Kämpfe, welche mit der Unterwerfung und Bekehrung der W. zum Christentum endeten. Obgleich sie innerhalb des deutschen Reichsverbandes eine Sonderstellung zum Teil unter eignen Fürsten (in Böhmen, Mecklenburg, Pommern, den Marken zwischen Elbe und Oder, Schlesien) behielten, vollzog sich doch die Germanisierung des Slawenlandes allmählich infolge der massenhaften Einwanderung der Deutschen. Am frühsten verschwand das slawische Element in den Maingegenden, wohin es seit dem 8. Jahrh. bei Gelegenheit der Grenzkriege Eingang gefunden hatte. (S. Slawen und Geschichte der einzelnen slawischen Länder.) Der Name W. bezieht sich später vornehmlich auf die Sorben und Liutizen, deren Nachkommen in der Lausitz noch wendische Sprache oder, wie im Altenburgischen (ca. 20,000 Köpfe), wenigstens wendische Sitte und Tracht bewahrt haben. Die Zahl der W. ist fortwährend im Abnehmen begriffen; sie beträgt (1889) in der sächsischen Oberlausitz 56,354, in der preußischen Oberlausitz 37,307, in der preußischen Niederlausitz 66,071 Seelen. Außerhalb der Lausitz wohnen in Sachsen 3402, in Preußen 1000, in der Fremde 3000 W. Wendisch sind im ganzen 105 Pfarrbezirke (in Preußen 72), 130 Kirchen (in Preußen 93), 763 Dörfer (in Preußen 353) und 14 Städte (in Preußen 10). Vgl. L. Giesebrecht, Wendische Geschichten aus den Jahren 780–1182 (Berl. 1841–43, 3 Bde.); R. Andree, Das Sprachgebiet der Lausitzer W. (Leipz. 1873); Derselbe, Wendische Wanderstudien (Stuttg. 1874); Veckenstedt, Wendische Sagen, Märchen etc. (Graz 1879); v. Schulenburg, Wendisches Volkstum (Berl. 1882); Mucke, Statistik der Lausitzer W. (Bautzen 1886). Weiteres s. Wendische Sprache.

Wenden, Kreisstadt in der russ. Ostseeprovinz Livland, an der Aa und der 1889 eröffneten Riga-Pskowschen Bahn, mit den großartigen Ruinen eines alten Ordensschlosses (1224 erbaut), der schönen Johanniskirche (mit Grabmälern mehrerer Heermeister) und (1885) 4333 Einw. (meist Deutsche). W. war einst Sitz des Land-, später Heermeisters der mit dem Deutschen Orden vereinigten Schwertbrüder und vom 14. bis 16. Jahrh. eine bedeutende Handelsstadt. Infolge der Belagerung und Einnahme der Stadt durch Iwan den Grausamen (1557), bei welcher sich die Besatzung mit sämtlichen Bewohnern der Burg in die Luft sprengte, verlor W. seine Bedeutung.