Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Welt“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 526527
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Welt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 526–527. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Welt (Version vom 11.08.2022)

[526] Welt (althochd. weralt, mittelhochd. werld), im allgemeinen Sprachgebrauch die Erde und das sie bewohnende Menschengeschlecht, daher Weltteile, Weltkunde, Weltgeschichte etc.; im philosophischen Sinn der Inbegriff alles Seienden, die existierenden Dinge in ihrer Totalität und daher Gegenstand der Kosmologie (s. d.); auch das Weltgebäude oder Weltall (Universum, Kosmos), die Gesamtheit der Weltkörper, d. h. aller Fixsterne, Planeten, Nebenplaneten und Kometen, die in ihrer Verbindung und Ordnung als ein Ganzes das Weltsystem bilden, unter welcher Bezeichnung man aber auch zugleich die verschiedenen Ansichten über eine solche Verbindung der Weltkörper, namentlich der Körper unsers Sonnensystems, begreift. Der Mehrzahl der Philosophen des klassischen Altertums galt der Kosmos für ein beseeltes Wesen, der ionischen, eleatischen, peripatetischen und stoischen Schule als die höchste Gottheit selbst. Den Platonikern war er dagegen ein erzeugtes Ebenbild des höchsten Gottes, ein Wunderwerk von Schönheit und Harmonie; Anaximander und die Epikureer nahmen eine Vielheit von Welten an. Mit dem Glauben an eine Beseelung des Kosmos hing die Vorstellung zusammen, die Teile und Glieder organischer Wesen in den Teilen und Gliedern des Kosmos wiederzufinden, eine Vorstellungsweise, die in späterer Zeit von Paracelsus u. a. dahin erneuert wurde, daß man die W. für einen menschlichen Organismus im großen (Makrokosmos), den Menschen für eine W. im kleinen (Mikrokosmos) erklärte, womit die Annahme von einem Einfluß der Bewegungen der Gestirne auf das Leben und die Schicksale der Menschen zusammenhing. Um die Bewegungen der Himmelskörper geometrisch zu erklären, dachte sich Eudoxos Sonne, Mond, die Planeten und die Fixsterne an selbständig beweglichen hohlen Kugeln befestigt, und aus dieser Theorie der homozentrischen Sphären (s. Eudoxos) entwickelte sich dann im Altertum die Idee, daß die Erde mit konzentrisch-kristallenen Kugelschalen umgeben sei, welche die Gestirne tragen und deren Bewegung erzeugen. Die Zahl dieser Sphären vermehrte man im Lauf der Jahrhunderte, bis im 16. Jahrh. Fracastoro deren 77 zählte. Tycho Brahe rechnete es sich zum besondern Verdienst an, durch seine Untersuchungen über die Kometen die Unmöglichkeit solider Sphären dargethan zu haben. Im Volksglauben erhielt sich diese Vorstellung sehr lange, trotzdem daß das Ptolemäische Weltsystem (vgl. Planeten, S. 108) die Himmelskörper frei im Weltraum schweben ließ. Dieses im spätern Altertum und im Mittelalter herrschende System wurde durch Kopernikus gestürzt, der im Altertum in Aristarchos (s. d. 1) einen Vorläufer hatte, dessen heliozentrisches System aber erst nach den Entdeckungen Galileis und den Arbeiten Keplers und Newtons allgemein herrschend wurde. Mit dem Sieg der neuen Theorie drängten sich zugleich Fragen auf, welche das Altertum nur berührt hatte, wie die, ob die W. vielleicht ohne Grenze sei und sich völlig ins Unendliche erstrecke, ob die andern Weltkörper außer unserm Erdball ebenfalls bewohnt seien. Die letztere glaubten aus Wahrscheinlichkeitsgründen besonders Fontenelle in den berühmten „Entretiens sur la pluralité des mondes“ (1686) und Kant in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755) bejahen zu müssen. Die von Mädler aufgestellte Theorie, einen Fixstern im Sternbild der Plejaden für den Zentralpunkt des Universums (Zentralsonne) anzusehen, um welchen unsre Sonne im Geleit ihrer Planeten und Kometen eine regelmäßige, der der Planeten um die Sonne entsprechende Bahn beschreibe, hat nicht durchzudringen vermocht. Die Ansicht von einer Beseelung des Weltalls ist durch Schelling: „Über die Weltseele“ (Jena 1798), und dann spezieller durch Fechner: „Zendavesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits“ (Leipz. 1851), erneuert worden.

Über die Entstehung des Weltgebäudes hat Kant im zweiten Teil seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (Königsb. 1755) eine Hypothese aufgestellt, deren erste Grundzüge sich bei Swedenborg („Principia rerum naturalium“, Dresd. u. Leipz. 1734) und ausführlicher bei Wright („An original theory or new hypothesis of the universe“, 1750) finden, und welche noch jetzt als in der Hauptsache zutreffend betrachtet wird. Kant handelt am angegebenen Ort „von dem ersten Zustand der Natur, der Bildung der Himmelskörper, den Ursachen ihrer Bewegung und der systematischen Beziehung derselben sowohl in dem Planetengebäude überhaupt als auch in Ansehung der ganzen Schöpfung“. Zwar schildert er nur die Entwickelung des Sonnensystems; man erkennt aber, daß andre ähnliche Systeme im Weltgebäude in ganz derselben Weise entstanden sein müssen. Eine wesentlich damit identische Hypothese hat 41 Jahre später Laplace am Schlusse seiner „Exposition du système du monde“ (Par. 1796) vorgetragen, und hauptsächlich dieser, übrigens weniger eingehenden Darstellung ist die Verbreitung der Kenntnis dieser kosmogonischen Hypothese zu verdanken, die man nicht selten mit Laplaces Namen belegt. Ihre Hauptgedanken sind folgende. Ursprünglich war die ganze Masse des Sonnensystems bei sehr hoher Temperatur in fein verteiltem, dunstförmigem Zustand in einem Raum verbreitet, der weit über die heutigen Bahnen der Planeten hinausging. Unter dem Einfluß der allgemeinen Massenanziehung bildete sich in dieser Dunstmasse ein dichterer Kern, der Embryo unsrer Sonne. Dieser Kern mit der ihn umgebenden Dunsthülle rotierte um eine Achse, und durch die Zentrifugalkraft erhielt die Hülle eine stark abgeplattete, der verlängerten Äquatorebene des Kerns sich anschließende Gestalt. Die Rotation erscheint bei Laplace als gegeben, während Kant sich bemüht, dieselbe als eine notwendige Folge des Spiels der zwischen den einzelnen Massenteilchen thätigen Attraktions- und Repulsionskräfte nachzuweisen. So wie nun in dem ursprünglich gleichförmigen Urstoff die Sonne durch Kondensation gebildet wurde, so entstanden nach Kant auch später um gewisse Attraktionszentren Massenanhäufungen, die sich dann loslösten und in derselben Richtung um den Kern laufen, in welcher dieser selbst rotiert. Laplace aber erinnert daran, daß infolge der allmählichen Erkaltung durch Ausstrahlung die platt gedrückte Dunsthülle sich zusammenziehen mußte, und daß sich nun in der Äquatorialebene ringförmige Zonen loslösten, aus denen sich an der jeweiligen Grenze der Dunsthülle oder Sonnenatmosphäre Planeten bildeten. Auf diese Weise erklären sich die Erscheinungen, daß alle Planeten in gleicher Richtung um die Sonne laufen, nämlich im Sinn der Sonnenrotation, daß ihre Ebenen nahezu kreisförmig und nur schwach gegen den Sonnenäquator geneigt sind. Daß die Bahnen nicht genaue Kreise sind, findet nach Kant seine Erklärung [527] darin, daß die Teilchen, welche sich zu einem Planeten zusammenballen, je nach ihrem ursprünglichen Abstand vom Kern der rotierenden Masse eine verschiedene Geschwindigkeit besitzen, daher die Tangentialgeschwindigkeit des aus diesen Teilchen gebildeten Planeten nicht genau die Größe erhält, die zur Entstehung einer kreisförmigen Bewegung nötig ist. Der Überschuß der Geschwindigkeit der von der Sonne entferntern Teilchen über die der nähern bewirkt auch die Rotation der Planeten um ihre Achse, die daher bei allen in gleicher Richtung erfolgt. Auch die Thatsache, daß die Planetenbahnen nicht genau in einer Ebene liegen, erklärt sich ungezwungen, wenn man bedenkt, daß die abgeplattete Dunstmasse eine gewisse Dicke besaß, innerhalb welcher es dem Zufall überlassen blieb, an welcher Stelle sich die zur Bildung eines Planeten günstigen Umstände vorfanden. Die von der Hauptmasse abgesonderten, um ihre Achsen rotierenden Planeten machten nun einen analogen Prozeß durch wie die ganze Masse; es sonderten sich von ihnen Ringe (beim Saturn) und Monde ab. Kant behandelt ausführlich die Bildung der Saturnringe aus der Atmosphäre des Planeten „vermittelst der von seinem Umschwung eingedrückten Bewegungen“ und berechnet auf Grund dieser Hypothese die Zeit seiner Achsendrehung, die er für den innern Ringrand gleich 10 Stunden findet (Herschel fand 1790: 101/2 Stunden). Auch das Zodiakallicht verdankt nach Kant seine Entstehung einem Ring, der sich in gleicher Weise von der bereits stark erkalteten und zusammengezogenen Sonnenatmosphäre abgesondert hat. Was endlich die Kometen betrifft, so denkt sich Kant, daß sie aus den feinsten und leichtesten Massenteilchen „in der obersten Gegend des Weltgebäudes“ gebildet sind. In seinen „Photometrischen Untersuchungen“ (1865) hat Zöllner versucht, sämtliche Erscheinungen, welche die Himmelskörper außer den Ortsveränderungen darbieten, auf Grund der Kantschen Hypothese zu erklären. – Unter W. versteht man endlich noch das Endliche und Kreatürliche im Gegensatz zum Unendlichen, Ewigen, zum Geist.