Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Weinstock“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 502505
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Weinstock. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 502–505. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Weinstock (Version vom 21.12.2022)

[502] Weinstock (Rebe, Vitis L.), Gattung aus der Familie der Ampelideen, hoch klimmende Sträucher mit blattgegenständigen Ranken, einfachen, oft eckigen oder bandförmig gelappten Blättern, blattgegenständigen Rispen mit in Büscheln oder Döldchen vereinigten Blüten, 5–6 Blumenblättern, die beim Aufblühen sich vom Grund an trennen, an der Spitze zusammenhängen und als eine oben gewölbte, unten fünflappige Kappe abgeworfen werden. Die Frucht ist eine kugelrunde bis längliche Beere. Der echte W. (V. vinifera L., s. Tafel „Genußmittelpflanzen“), ein Strauch mit ästiger, starker, holziger, tief in die Erde eindringender Wurzel, holzigem, an andern Bäumen bis 10 und mehr Meter Höhe aufklimmendem oder flach niedergestrecktem, oft sehr dickem (1,7 m Umfang) Stamm mit graubräunlicher, abblätternder, faserig zerrissener Borke und zähem, biegsamem, porösem Holz. Die Zweige entwickeln sich als Langtriebe (Lotten) und Kurztriebe (Geizen). Erstere tragen nach zwei grundständigen Niederblättern bis gegen 40 zweizeilig abwechselnde, je einen Kurztrieb in der Achsel produzierende Laubblätter, so daß die untern Blätter keine Ranken gegenüber haben, dann aber je zwei rankentragende Knoten (oder statt der untern Ranken Blütenstände) mit einem rankenlosen wechseln. Die Blätter sind lang gestielt, rundlich herzförmig, buchtig fünf-, selten dreilappig, ungleich und grob gesägt, unterhalb weichhaarig, wollig oder [503] filzig, im Alter meist kahl, die Ranken gewöhnlich einmal gegabelt, die Blütenrispe aufrecht, die Blüten klein, gelblichgrün, wohlriechend, die Beeren kugelrund oder oval, bereift, grün, gelblich, rot bis schwarzblau, ein- bis viersamig, zuweilen samenlos (var. apyrena). Wahrscheinlich gibt es von jeder Rebenart männliche, weibliche, zwitterige und solche mit zwitterigen und männlichen Blüten. Wirklich beobachtet wurden diese vier Formen aber nur bei Vitis vinifera, von der die Kultursorten weiblich oder zwitterig und nur ausnahmsweise einzelne Stücke männlich sind. Die Fuchstraube (V. Labrusca L.), sehr stark wachsend, mit herzförmigen, oft drei- und fünflappigen, entfernt stachelspitzig gezahnten, unterseits grau- oder rostfarben filzigen Blättern, in kleinen Trauben stehenden Blüten und großen Beeren, wächst in den östlichen und mittlern Staaten Nordamerikas und wird in vielen Varietäten, auch in Europa, kultiviert (Catawba, Isabella etc., rote Kelter- und Tafeltrauben), namentlich auch zu Lauben- und Mauerbekleidungen benutzt. Die Sommerrebe (V. aestivalis Mchx.), mit breit herzförmigen, bisweilen drei- und fünflappigen, grob und ungleich gezahnten, unterseits graugrün filzigen Blättern, in großen Rispen stehenden Blüten, kleinen Beeren und an den jungen Trieben, Ranken und Blütenständen filzig, wächst in den südöstlichen Staaten Nordamerikas, in Mittel- und Südamerika und wird ebenfalls in mehreren Varietäten kultiviert. Ebenso die herzblätterige Rebe (V. cordifolia Mchx.), in Kanada, in den östlichen und mittlern Staaten Nordamerikas, mit herzförmigen, eingeschnitten gezahnten, auch dreilappigen, selten völlig unbehaarten, meist auf der Unterfläche, besonders auf den Nerven und Adern, etwas behaarten Blättern, lockerer, reichblütiger Rispe und kleinen Beeren, wird bei uns seit langer Zeit zu Lauben, zum Überziehen von Staketen etc. benutzt. Die rundblätterige Rebe (Fuchsrebe der südlichen Staaten, Büffelrebe, Winter-, Forsttraube, V. rotundifolia Mchx.), in Virginia, südwärts bis Florida, sehr stark wachsend, mit herzförmigen, selten drei- und fünflappigen, stumpf gezahnten, meist unbehaarten, glänzenden Blättern, in kleinen Rispen stehenden Blüten, liefert besonders Tafeltrauben mit sehr großen, aber wenig zahlreichen Beeren.

Die Heimat des Weinstocks ist nicht mit Sicherheit bekannt; wahrscheinlich stammt er aus den Ländern südlich vom Schwarzen und Kaspischen Meer, wurde aber frühzeitig sehr weit verbreitet; vielfach findet man ihn jetzt verwildert, so in Südspanien, bisweilen starke, baumartige Stämme bildend und hoch in die benachbarten Bäume steigend, im Donauthal von Wien bis in das Banat, in Siebenbürgen, am Bodensee, im Rheinthal bei Mannheim, Schwetzingen, Rastatt, Neuenburg (Var. silvestris Gmel., mit weniger zahlreichen Ranken, kleinern Blättern und Blüten). Er gedeiht in einer Region, deren mittlere Sommerwärme 20° und deren mittlere Wintertemperatur +5 bis 0° beträgt. In Europa läuft die nördliche Verbreitungslinie des Weinstocks von der Mündung der Loire (47,5°) zum Rhein (51°) und in Schlesien bis 52° nördl. Br. (einzelne Weinberge kommen noch bis 53° nördl. Br. vor), fällt dann rasch nach Süden und in Bessarabien auf 46°. In Norwegen reift die Traube an den Ufern des Sognefjords noch unter 61°. Die Äquatorialgrenze läuft ziemlich parallel mit dem 30.°, sinkt jedoch im Seeklima bis zum 10.°. In Nordamerika reicht der Weinbau bis 50° nördl. Br. In den Alpen steigt die Rebe zu Camperlongo in Piemont unter dem 45.–46.° bis 970 m Höhe, sonst aber erhebt sie sich durchschnittlich nicht über 530 m. In frühern Zeiten hat der W. unzweifelhaft ein größeres Verbreitungsgebiet besessen: man baute ihn in England und Norddeutschland, wo die Traube jetzt nur in sehr geschützter Lage und am Spalier kümmerlich reift, aber er ist in diesen nördlichen Lagen nicht etwa einer ungünstigen Klimaveränderung halber verschwunden, sondern weil dort bei den verbesserten Verkehrsmitteln die Kultur nicht mehr verlockend erscheint.

Der W. gedeiht auf sehr verschiedenartigem Boden, in vulkanischen Verwitterungsprodukten, in Thonschiefer, Lias, Keuper, Muschelkalk, in der Sandsteinformation, im Urgebirge und im angeschwemmten Land, fordert aber eine bestimmte physikalische Beschaffenheit des Bodens, wärme- und wasserbindende Kraft und namentlich eine geschützte, sonnige Lage. Er fordert wiederholte kräftige Düngung, am besten von Kompost mit Guano oder mit Superphosphat und Kali. Man pflanzt in den Weinbergen (die nicht immer Berge sind) und Gärten nach vorheriger Entwässerung des Untergrundes in Reihen, deren Entfernung sich nach dem Rebsatz (den anzupflanzenden Weingattungen), nach Behandlung wie nach Boden und Lage richtet. Früher pflanzte man möglichst viele Sorten durcheinander, heute strebt man nach Reinheit des Satzes und pflanzt entweder nur eine oder zwei harmonierende Sorten zusammen. In Deutschland kultiviert man in reinem Rebsatz fast nur zwitterblütige Sorten, in Ungarn in gemischtem Rebsatz neben zwitterblütigen sehr allgemein weibliche Sorten. Im Garten pflanzt man je nach Klima und Lage nur sicher reifende Sorten; spätreifende mit großen wertvollen Trauben werden zeitweise unter Fenstern an Mauern gezogen, nur wenige Sorten eignen sich zur Früherziehung, bez. Treiberei. Die Fortpflanzung des Weinstocks geschieht durch Augen, Schnittlinge von ein-, seltener zweijährigem Holz, Ableger, krautartige Stecklinge und Pfropfen. Man pflanzt meist im Frühjahr so tief, daß auch die bewurzelten Reben nur mit einem, höchstens zwei Augen über den Boden hervorsehen, und sucht die Wurzeln möglichst in die Tiefe zu leiten. Die weitere Behandlung des Weinstocks ist nach Klima, Lage, Sorte und Gebrauch sehr verschieden, sowohl im Berg als im Garten. Auf dem Stamm des Weinstocks steht die Rebe, und diese trägt die Rute, den diesjährigen fruchtbaren Trieb. Aus älterm Holz sich entwickelnde Wasserschosse sind in der Regel unfruchtbar. Die Rute besitzt in Abständen von 10–15 cm Knoten, und an dem untern Teil jedes Knotens sitzt ein Blatt mit gewöhnlich zwei Augen im Blattwinkel. Von diesen Augen treibt eins noch im Sommer aus, während das andre im nächsten Jahr die Tragrute mit 2–5 Trauben liefert. Der Geiz stärkt das schlafende Auge, wird er ausgebrochen, so treibt das schlafende Auge aus, und es bildet sich ein drittes Auge, welches aber nicht hinreichend erstarkt, um im nächsten Jahr eine fruchtbare Tragrute zu liefern. Dem Blatt gegenüber sitzt eine Ranke oder eine Traube. Die junge Rute beginnt mit 2–5 leeren oder nur mit schwachen Ranken besetzten Knoten, bringt dann eine oder zwei Trauben, darauf einen leeren Knoten und vielleicht noch zwei Trauben. Folgt auf eine Traube eine Ranke, so erscheint später keine Traube mehr. Die Ruten werden in angemessener Länge gekappt, und wenn nun der Geiz um so kräftiger treibt, so kappt man ihn ebenfalls, damit er Nebenruten treibt.

Durch die Kultur sind zahlreiche Varietäten entstanden, deren Nomenklatur ebenso wie die des Obstes sehr verworren ist, zumal eine und dieselbe Sorte im [504] eignen Land oft ein Dutzend Bezeichnungen hat. Ein ohne Berücksichtigung der Synonymen aufgestelltes Verzeichnis der Sorten umfaßt über 2000 Nummern; eine Sichtung führt auf etwa 350 Sorten, von denen jedoch nur 228 in den verschiedenen Rebschulen und Gärtnereien zu erhalten sind. Für den Weinbau sind die folgenden Sorten von Wichtigkeit.

(K. = Keltertraube, T. = Tafeltraube.)

Blaufränkische, blaue (Limberger), K. für Rotwein, wie Portugieser und mit dieser gemischt gebaut, besonders in Niederösterreich.

Blusard, blauer oder früher blauer (Poulsard), T., Frankreich.

Burgunder, blauer (Kläfner, blauer oder schwarzer), beste Rotweintraube für flache Hügellagen bei langem Schnitt und kräftigem Boden.

Burgunder, früher blauer (früher Kläfner, Augusttraube, Jakobitraube, Laurenzitraube), frühste blaue K. und T. für rauhere Gegenden; Deutschland und Österreich.

Burgunder, weißer (weißer Kläfner, echter oder früher weißer Burgunder), sehr edle Weißweintraube, selbst in geringen Bodenverhältnissen und höhern Lagen noch gedeihend, besonders zur Champagnerfabrikation; Deutschland, Österreich.

Damaszener, früher weißer (Malagatraube), T.

Damaszener, weißer Muskat (Muskat-Alexandriner), K. und T., verlangt langen Schnitt, sehr gute Lage und hohe Erziehungart.

Elbling, weißer (Weißalbe, weißer Sylvaner), äußerst tragbare K. für leichte Tischweine, in Deutschland sehr verbreitet, besonders für Massenproduktion.

Feigentraube, weiße (Sylvaner, weißer Muskat), T.

Gutedel, früher weißer (Diamant-, Perltraube), T.

Gutedel, geschlitztblätteriger grüner (Petersilientraube, spanische Traube), T.

Gutedel, halb geschlitztblätteriger grüner (große Petersilientraube, große spanische Traube), T.

Gutedel, königsroter (königlicher Gutedel), T.

Gutedel, roter, K. und T.

Gutedel, Muskat, weißer, T.

Gutedel, weißer Krach- (gelber oder weißer Gutedel), K. und T.

Imperialrebe, feigenblätterige weiße, T.

Kadarka, blaue Keltertraube in sehr warmen Lagen, Ungarn.

Kölner, blauer, K. und T., Steiermark.

Malvasier, früher weißer, T.

Mosler (Shipon, Zapfner, Furmint), K., Steiermark.

Müllerrebe, blaue (Meunier), K., Deutschland, Frankreich.

Muskateller, gelber oder grüner, K. und T. für warme, steile Lagen und kräftigen Boden.

Muskateller, roter und schwarzblauer, blauer, T.

Orléans, grüner oder gelber, T. und K., Deutschland.

Orangentraube, gelbe, T.

Ortlieber, gelber (Kniperle), Elsaß, sehr tragbare, gute K. für höhere Lagen und langen Schnitt.

Ortlieber, blauer, K., Steiermark.

Portugieser, blauer (Porto), Deutschland und Österreich, eine fast in allen Verhältnissen ertragreiche T. u. K. für Rotwein.

Portugieser, roter (Kralovina), Steiermark, K., sehr reich tragend für höhere Lagen.

Riesling, roter, K., Deutschland.

Riesling, weißer (Rheinriesling, Kleinriesling, Pfefferl), edelste und boukettreichste K. für trockne, warme Lagen, verlangt Spätlese.

Rotgipfler, weißer (Reifler), reich tragende, edle K., auch für höhere Lagen.

Ruländer, graurot (grauer und roter Kläfner), für guten Boden, flache Hügellagen und langen Schnitt empfehlenswerte früh reifende K., auch zur Champagnerfabrikation.

St.-Laurent, blauer, frühzeitige, reich tragende K. für mittlere Lagen zur Rotweinbereitung.

Seidentraube, gelbe oder grüne (Frühleipziger, früher Kienzheimer), T.

Steinschiller, roter (Rusitza), K., Ungarn, gibt in guten Lagen vielen, aber leichten Wein.

Sylvaner, grüner (Muska, Schönfeilner), selbst für ärmere Bodenarten und geringere höhere Lage noch eine gute, reich tragende K., verlangt langen Schnitt und gilt in rauhern Lagen auch als frühe T.

Traminer, roter, in gutem Boden mittlerer Lage und bei langem Schnitt eine sehr edle K.

Trollinger, blauer oder schwarzer (Fleischtraube, Frankenthaler, Schwarzwetscher), T. und K. mit bis 2 kg schweren Trauben, Deutschland.

Vanilletraube (geschlitztblätterige Basilikumtraube), T.

Veltliner, früher roter (rote Babotraube, früher roter Malvasier), K. und T., Niederösterreich.

Welscher, früher blauer, T. und K., Steiermark.

Welschriesling, weißer, für gute geschützte Gebirgslagen sehr tragbare und zur Erzeugung guter Tischweine geeignete K.

Zierfahndler, roter (roter Reifler, Gumpoldskirchner Spätrot), sehr ertragreiche, edle K. für warme Lagen und kurzen Schnitt.

Die Klassifikation und Beschreibung der Sorten bildet eine eigne Wissenschaft, die Ampelographie, welche durch die Namen Simon Rexas, Clemente, Prandu, Acerbi, Chevreul, Odart, Burger, Christ, v. Vest, Frege, Gock, Trummer, Bronner, Leonhardt, Fintelmann, Glubek, Metzger, v. Babo, Bernhardt und Mareck, Goethe, Oberlin, Lucas vertreten ist. Von den verschiedenen Systemen bringt z. B. das Babosche die Traubensorten in drei Abteilungen nach der Form der Beeren (rein ovale oder in Eiform länglich gezogene Beeren; kugelige, ins Längliche spielende; kugelförmige Beeren); die Unterabteilungen bestimmen sich nach der Behaarung der Blätter (filzig, wollig, zottig, fast kahl), die Sektionen nach der Form des Endzahns der Blätter. Oberlin nimmt drei Abteilungen an nach der Form der Beeren, ferner drei Klassen nach der Behaarung der Blätter und sechs Sektionen nach der Beschaffenheit der Stielbucht. Bronner hat drei Klassen nach der Beschaffenheit der Beeren und vier Ordnungen nach der Behaarung der Blätter. Zur Förderung der Ampelographie wurde 1873 auf dem internationalen Önologenkongreß in Wien eine internationale ampelographische Kommission gegründet, welche seitdem Jahresversammlungen gehalten und Berichte veröffentlicht hat.

Der W. ist vielerlei Gefahren ausgesetzt: im Frühjahr den Frösten, später auch andern nachteiligen Witterungsverhältnissen, dann zahlreichen Insekten, mehreren Rüsselkäfern, dem Mai- und Julikäfer, dem Eumolpus vitis, Rebenschneider (Lethrus cephalotes), dem Springwurmwickler (Tortrix Pilleriana), dem Traubenwickler (Heuwurm, Sauerwurm, T. ambiguella), dem Spinnwurm (Weinmotte, Sauerwurm, Grapholita botrana), mehreren Eulen, dem Ohrwurm, einer Milbe (Phytoptus vitis), einer Schildlaus (Dactylopius vitis), welche den weißen Traubenrost (Fumagina) erzeugt, und besonders der Reblaus (s. d.), dann auch Bienen, Wespen, Hornissen, Ameisen, Schnecken, Staren, Kramtsvögeln, Weindrosseln, Elstern, Rebhühnern, Sperlingen, Füchsen, Dachsen, Mardern, Wieseln und dem Hochwild, dann mehreren Pilzen, unter denen das Oïdium Tuckeri weitaus am gefährlichsten ist, endlich auch gewissen Krankheiten. So kommt es, daß oft Ein guter Ertrag den Ausfall vieler ungünstiger Jahre decken muß. In den letzten 100 Jahren hatten wir in Deutschland 38 gute Weinlesen, aber nur 11 eigentliche Hauptjahre, in welchen Qualität und Quantität gleich befriedigten. Die Zeit der Weinlese wird hier und da durch die Behörde festgesetzt, welche die Weinberge bei eintretender Reife der Trauben auch für die Eigentümer bis zum Beginn der Lese schließt. Letzterer fiel in den Jahren 1700–1865: 2mal auf 16. Sept., 84mal in die erste und 78mal in die zweite Hälfte des Oktobers und einmal auf 5. Nov. Die Ansichten über Frühlese und Spätlese sind geteilt. Jedenfalls sollte [505] man die völlige Reife sämtlicher Trauben abwarten, da mit dem fortschreitenden Reifungsprozeß der Zuckergehalt der Trauben wächst und der Säuregehalt abnimmt. Ein Nachreifen der abgeschnittenen Trauben, ähnlich dem des Obstes, findet nicht statt. Erhält die reife Beere bei längerm Hängen am Stock durch die Sonne eine lichte Bräunung („der Fuchs hat sie geleckt“), so nennt man sie edelreif und bei noch weiter vorgeschrittener Reifung, wobei schon eine gewisse Zersetzung beginnt, edelfaul. Möglichst später Lesung verdanken die Weine des Rheingaues, Tokays und der Gironde ihre vorzüglichen Eigenschaften; doch eignen sich nicht alle Traubensorten dazu. Man erntet die Trauben durch Abbrechen mit der Hand, durch Abschneiden mit dem Messer oder mit der Schere und benutzt für Tafeltrauben eine solche Schere, welche die abgeschnittene Traube festhält, nicht fallen läßt. Man benutzt die Trauben in erster Linie zur Bereitung von Wein, dann als Tafeltrauben, zur Traubenkur, getrocknet als Rosinen; den Most dickt man zu Traubensirup ein, welcher zur Weinbereitung und zum häuslichen Gebrauch dient; auch kocht man aus reifen Trauben Marmelade (raisiné, charlotte d’automne) und benutzt sie zu Traubenlikör. Die Traubenkerne geben fettes Öl und Gerbstoff. Das Weinlaub, welches beim Schnitte der Reben abfällt, dient als Viehfutter und Gründünger, das Holz zu Drechslerarbeiten, Pottaschebereitung und als Brennmaterial, die Reben liefern Spazierstöcke. Über Geschichte, Statistik und Litteratur s. Wein.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 978979
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[978] Weinstock. Die Zahl jener, welche gegen die Verheerungen der Phylloxera die Kultur der amerikanischen Reben befürworten, ist gegenüber jenen, welche die Reblaus mit Insekten tötenden Mitteln bekämpfen zu können vermeinen, in Zunahme begriffen. Ein Vertreter der ersten Richtung, Goethe in Baden bei Wien, kommt auf Grund von Züchtungs-, Vegetations- und Veredelungsversuchen seit 1885 mit Bezug auf die Wiederbelebung der Rebenkultur zu nachstehenden Schlußfolgerungen: 1) Die Züchtung und Veredelung widerständiger Reben bleibt das einzige Mittel für eine dauerhafte und lohnende Wiederbelebung der Rebenkultur. 2) Nur durch Veredelung auf widerständige amerikanische Unterlagen und deren Hybriden können wir unsre edlen Qualitätsweine erhalten und sogar noch verbessern. 3) Holzveredelung und Grünveredelung sind jetzt so weit ausgebildet, daß große Mengen veredelter Reben überall da erzogen werden können, wo neben passenden Arbeitskräften ausgewählte Unterlagen und Edelreben in genügender Zahl zur Verfügung stehen. 4) Durch solche schon veredelte widerständige Reben lassen sich Neuanlagen widerständiger Weingärten am sichersten und schnellsten ausführen, wenn die dazu nötigen Mittel vorhanden sind. 5) Für weniger bemittelte Weinbauer und alle diejenigen Weingegenden, wo das Vergraben der Reben gebräuchlich ist, kann die Weingartenanlage mit ausgewählten und passenden widerständigen Unterlagen empfohlen werden, welche erst im zweiten oder dritten Sommer nach der Pflanzung im Weingarten grünveredelt und im darauf folgenden Winter einmal vergrubt werden müssen, so daß im dritten oder vierten Jahr ein neuer widerständiger veredelter Weingarten entsteht, welcher reichlicher trägt und besseres Produkt liefert, als eine nicht veredelte Anlage von einheimischen Reben. Vgl. Goethe, Aus der biologischen Weinbau-Versuchsstation (Wien 1891).

Ein neuer Feind des Weinstocks hat sich in Algerien und Frankreich bemerkbar gemacht. Im J. 1878 beschrieb Künckel ein Insekt aus der Familie der Schildläuse, welches der Gattung Dactylopius nahe steht und als Rhizoecus falcifer Künck.[WS 1] bezeichnet wurde, weil es auf dem fünften und letzten Gliede vier sichelförmige Borsten trägt. Künckel fand das Insekt in den Gewächshäusern des Pariser Museums auf den Wurzeln von Palmen, 1883 aber in größerer Zahl in Sceau in Blätterrollen von Phormium. Letztere Exemplare waren 6 mm lang und besaßen Augen, während die auf den Wurzeln lebenden Tiere blind sind. In Algerien fand man auf der Wurzel von Weinstöcken, die unter denselben Erscheinungen wie bei der Reblaus abstarben, sehr zahlreich ein weißes, einer kleinen Assel ähnliches Insekt, welches als Rhizoecus falcifer erkannt wurde. Die Eier sind elliptisch, 0,319 zu 0,154 mm, das eben ausgeschlüpfte Junge 0,385 mm lang und 0,132 mm dick. Die Weibchen sind etwa 2 mm lang und 0,85 mm stark. Man hat nur Weibchen gefunden, doch muß der schlanken, mit Augen versehenen Form des Weibchens ein ebensolches Männchen mit Augen entsprechen. Der Rhizoecus würde somit als Zwitter unter der Erde und mit getrennten Geschlechtern über der Erde leben. Die mikroskopische Untersuchung der Würzelchen zeigte Anschwellungen, die von dem Stich des Insekts herrührten und durch übermäßiges Zuströmen des Saftes gebildet waren. Einzelne Rebsorten scheinen gegen Rhizoecus widerstandsfähiger zu sein als andre, denn man fand das Insekt auf Stöcken, die keine Anzeichen von Schwäche oder Absterben zeigten. Das Auftreten des Insekts in Gewächshäusern Europas und in Algerien gibt zu mannigfaltigen Betrachtungen Anlaß. Da man demselben auf verschiedenen Pflanzenarten begegnet ist, so ist man noch im Zweifel, ob es sich in den Gewächshäusern den Palmen angepaßt hat, oder ob es, nach Nordafrika eingeführt, ihm zusagende klimatische Verhältnisse vorfand und dort die Wurzeln des Rebstocks bevorzugte. Vielleicht aber ist der Norden Afrikas und der Ostrand des Mittelmeers überhaupt seine Heimat. Jedenfalls ist es mit den Pflanzen jener Gegenden in die Gewächshäuser Europas eingeführt worden. Ist es nun nicht wahrscheinlich, daß eine Gefahr für unsre heimatlichen Reben unmittelbar bevorsteht, da der Rhizoecus falcifer anscheinend besonders günstiger klimatischer Verhältnisse zu seiner Fortentwickelung bedarf, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß auch wir diesen unheimlichen Gast in unabsehbarer Zeit bei uns haben werden, da einige Exemplare im Norden Frankreichs gefunden sind und sich das Insekt allmählich dem Klima anpaßt. Durch die Auffindung des Rhizoecus ist eine Frage neu eröffnet, die man als abgeschlossen betrachtet hatte. Strabon erzählt von einem Schmarotzertier, das abwechselnd auf den Wurzeln und Schößlingen des Rebstockes lebe, und mehrere Forscher der Neuzeit haben seine Angaben auf die Reblaus bezogen. Dagegen fand Niedelsky 1869 auf Weinstöcken in der Krim ein Insekt, welches auch in Kleinasien und auf den Inseln des Archipels vorkommt. Dies Insekt, welches zur Gattung Dactylopius gehört, wurde nun für den von Strabon erwähnten Schmarotzer, der nicht wohl die Reblaus gewesen sein kann, gehalten. Nun ist aber erwiesen, daß Dactylopius vitis Nied. im Winter unter der Rinde des Stammes, [979] jedoch nie an den Wurzeln lebt, während Rhizoecus falcifer mit Vorliebe den Saft der tiefsten und zartesten Wurzelfasern aussaugt, wie er auch auf den kräftigen Wurzeln, die in der Nähe der Erdoberfläche verlaufen, zu finden ist. Man wird also annehmen müssen, daß Rhizoecus das Schmarotzertier der Alten ist. – In der Gegend von Perpignan ist man durch einen andern Rebfeind beunruhigt worden. Die Larve des Cebrio Fabricii, eines Käfers, welcher den Schnellkäfern nahe verwandt ist, zerstört die jungen Triebe des Weinstockes wie auch die jungen Kartoffelpflanzen. Der Käfer wurde schon vor Jahren bemerkt, aber stets nur vereinzelt, während er 1891 in größern Massen auftrat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Vorlage steht hier und im Folgenden (undeutlich) Rhizoccus statt Rhizoecus – vgl. Jules Künckel d’Herculais: Histoire de la Cochenille vivant sur les racines des Palmiers de la section des Seaforthia. In: Annales de la Société entomologique de France, Ser. 5, Band 8 (1878), S. 161 Biodiversity Heritage Library.