Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 16 (1890), Seite 427431
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Wasserrad. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 427–431. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wasserrad (Version vom 12.04.2022)

[427] Wasserrad (hierzu Tafel „Wasserräder“), Motor zur Ausnutzung einer Wasserkraft durch ein gleichförmiges rotierendes Schaufel- oder Zellenrad, welches, wenn auf horizontaler Welle sitzend, ein vertikales, wenn auf vertikaler Welle, ein horizontales W. genannt wird. Letzteres pflegt man auch Turbine zu nennen, während für ersteres die Bezeichnung W. schlechthin gebräuchlich ist. Streng ist diese Unterscheidung nicht, da auch Turbinen mit horizontaler Welle ausgeführt werden und auch andre Übergangsformen vorkommen. Von allen Wasserrädern verlangt man, daß sie die zu Gebote stehende, von Wassermenge und Gefälle abhängige Wasserkraft möglichst vollständig nutzbar machen und eventuell auch bei wechselndem Wasserstand gleich vorteilhaft arbeiten. Man versteht dabei unter Wassermenge das mehr oder weniger veränderliche Wasservolumen, welches pro Sekunde einen Querschnitt des Baches oder Flusses passiert, und welches man durch genaue Aufnahme eines Querprofils und der in demselben stattfindenden mittlern Stromgeschwindigkeit, d. h. Wasserweg pro Sekunde, ermittelt; unter Gefälle den Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasserspiegel, welche beide durch die nutzungsberechtigte Stromlänge bestimmt sind. Gibt man die Wassermenge in Litern durch die Zahl Q an, so wiegt dieselbe auch Q Kilogramm, und die mechanische Arbeit, welche sie verrichten kann, wenn das Gefälle H Meter beträgt, ist pro Sekunde Meterkilogramm oder Pferdekräfte. Hiernach würde eine Wassermenge von 500 Lit. bei 6 m Gefälle eine theoretische Arbeitsleistung von Pferdekräften verrichten können, wenn das W. so vollkommen wäre, diese ganze Arbeitsstärke nutzbar zu machen. Letzteres ist aber nie der Fall, sondern das Verhältnis der nutzbar gemachten zu der theoretischen Arbeitsstärke, d. h. der Wirkungsgrad des Wasserrades, ist immer ein echter Bruch, welcher zwischen 0,3 und 0,8 schwankt.

[Ξ]

Wasserräder.
Fig. 2. Oberschlächtiges Wasserrad. – Fig. 3. Rückenschlächtiges Wasserrad. – Fig. 4. Mittelschlächtiges Wasserrad. – Fig. 8. Unterschlächtiges Wasserrad, mit Schnurgerinne. – Fig. 9. Poncelet-Rad. – Fig. 10. Stoßrad. – Fig. 11. Fourneyron-Turbine. – Fig. 12. Schottische Turbine. – Fig. 15 u. 16. Partialturbine nach Girard. – Fig. 17. Henschel-Jonval-Turbine.

[Ξ]

Wasserräder.
Fig. 1. Wehr- und Mühlgrabenanlage. – Fig. 5. Halb-mittelschlächtiges Kropfrad. – Fig. 6. Sagebien-Rad. – Fig. 7. Zuppinger-Rad. – Fig. 13. Zuppingers Tangentialrad (Grundriß). – Fig. 14. Zuppingers Tangentialrad (Aufriß). – Fig. 18. Henschel-Jonval-Turbine. – Fig. 19. Girards Axialturbine.

[428] Der Grund dieser Erscheinung liegt einesteils in den Reibungswiderständen des Wassers in den Schaufeln und im Gerinne sowie in den Zapfenreibungen der Welle, andernteils in dem Umstand, daß das Wasser das Rad mit einer gewissen Geschwindigkeit verläßt, wodurch ein Teil von dessen Arbeitsfähigkeit unausgenutzt bleibt.

Bei vertikalen Wasserrädern unterscheidet man je nach der Stelle, an welcher das Wasser eintritt (Beaufschlagung), unter-, mittel-, rücken- und oberschlächtige und nach der Art der Wasserführung Wasserräder mit und ohne Gerinne. Die Wasserräder ohne Gerinne sind in einem freien Flußlauf aufgestellt, durch dessen Strömung sie umgetrieben werden. Hierbei geht natürlich viel Kraft durch seitliches Ausweichen des Wassers verloren, so daß die Nutzleistung eine sehr geringe ist. Um einen größern Nutzeffekt zu erzielen, konzentriert man das Gefälle des zum Betrieb benutzten Wasserlaufs möglichst auf einen Punkt, indem man das Wasser vor dem W. aufstaut und dann in einem Gerinne, d. h. einem an das W. möglichst dicht anschließenden, gemauerten oder gezimmerten Kanal, auf das W. wirken läßt. Dabei bringt man das Rad in einem sogen. Grundwerk in dem Flußlauf selbst an, wenn dessen Wasserlauf in allen Jahreszeiten nicht sehr variiert und ein bedeutendes Gefälle nicht erforderlich ist. Sonst legt man ein Wehr, d. h. einen Damm von bestimmter Höhe aus Holz oder Steinen, quer durch den Fluß etc. und zweigt vor demselben einen Graben (Mühlgraben, Obergraben) ab, dessen Sohle beinahe horizontal geführt wird, so daß man an einer geeigneten Stelle das Wasser auf das Rad herabfallen und von da durch einen andern nahezu horizontalen Graben (Untergraben) wieder in den Fluß gelangen lassen kann. Fig. 1 zeigt eine solche Wehr- und Mühlgrabenanlage. ab ist ein Fluß, c ein quer hineingebautes Wehr, d der Obergraben, e der Untergraben. Ist nun von a bis b ein gleichmäßiges Gefälle von 3 m, so hat man durch Anlegung der nahezu horizontalen Kanäle d und e beinahe das ganze Gefälle von 3 m an diejenige Stelle verlegt, wo sich das Rad der Mühle f befindet. Das Wehr c hat eine solche Höhe, daß so viel Wasser, als zum Mühlenbetrieb gebraucht wird, zurückgehalten, das überflüssige dagegen darüber fortgelassen wird.

Hinsichtlich der Art und Weise, wie das Wasser seine Arbeitskraft auf die Schaufeln eines Wasserrades überträgt, sind hauptsächlich zwei Richtungen zu unterscheiden: 1) Wirkung durch das Gewicht, wobei das Wasser, nachdem es zwischen die Schaufeln in die Zellen eines Wasserrades eingetreten ist, unter der Einwirkung der Schwerkraft niedersinkt und dabei das Rad mit herumnimmt; 2) Wirkung durch die lebendige Kraft, wobei das Wasser außerhalb des Wasserrades zum Fall gelangt und die dabei gewonnene lebendige Kraft entweder durch Stoß plötzlich oder durch stetigen Druck allmählich an die Radschaufeln abgibt. Die Stoßwirkung, hervorgerufen durch das Aufprallen eines Wasserstrahls auf eine zu ihm ganz oder nahezu senkrechte Schaufelfläche, gibt den geringsten Arbeitseffekt, weil durch den Stoß ein großer Teil der Kraft vernichtet wird; dagegen wird der Effekt bedeutend größer, wenn man dem Wasserstrahl durch Neigung oder, besser noch, durch Krümmung der Schaufeln Gelegenheit gibt, diese ohne Rückprall zu treffen und an ihnen unter allmählicher Arbeitsabgabe entlang zu strömen. Im allgemeinen ist bei vertikalen Rädern die Wirkung durch das Gewicht des Wassers die vorwiegende und auch vorteilhaftere.

Die oberschlächtigen Wasserräder (Fig. 2 rr) haben über ihrem Scheitel ein Gerinne o, aus welchem das Aufschlagwasser unter einer Spannschütze (Durchlaßschütze) cd hinweg in die obersten der kübelartig ausgebildeten Zellen s eintritt (Kufenräder, Zellenräder). Durch das Herabsinken des Wassers in diesen wird der größte Teil der Leistung dieser Wasserräder hervorgerufen, während die Arbeitsübertragung durch die lebendige Kraft des eintretenden Wasserstrahls ganz geringfügig ist. Die Schaufelform ist unter Berücksichtigung der infolge der Zentrifugalkraft nach dem Radäußern hin ansteigenden Wasseroberfläche in den Zellen so zu wählen, daß der Wasserausfluß an einer möglichst tiefen Stelle beginnt und erst in der Nähe des untersten Punktes aufhört. Solche oberschlächtige Wasserräder dürfen nicht ins Unterwasser eintauchen (waten), weil sie sonst Wasser schöpfen und somit an Effekt verlieren würden. Sie werden mit Vorteil bei großen Gefällen (bis 15 m) und geringen Wassermengen verwendet und haben einen Nutzeffekt bis 80 Proz. und darüber. – Die rückenschlächtigen Wasserräder (Fig. 3 rr) unterscheiden sich von den vorigen durch die Art der Beaufschlagung: die Eintrittsstelle des Wassers liegt zwischen Radscheitel und Radmittel, so daß die Radhöhe größer als das Gefälle ist; die Aufschlagrinne c liegt nicht über, sondern vor dem Rade; der Wasserzufluß erfolgt durch einen sogen. Kulisseneinlauf a, der mittels des Rades e durch die Schütze bd (Kulissenschützen) eingestellt werden kann. Sehr häufig werden diese Wasserräder ventiliert, d. h. die Zellen s laufen nach dem Radinnern hin in Kanäle aus, durch welche die Luft unbehindert von dem einströmenden Wasser entweichen kann. Der kreisförmige Teil kk des Gerinnes (sogen. Kropf) ist bei rückenschlächtigen Rädern nicht unbedingt erforderlich. Diese Wasserräder finden hauptsächlich da Verwendung, wo bei hohem Gefälle der Wasserstand im Ober- und Untergraben sehr veränderlich ist, weil sie in der Richtung umgehen, in welcher das Wasser abfließt, also das Waten im Unterwasser wenig Nachteil hat. – Die mittelschlächtigen Wasserräder (d. h. solche, bei denen das Wasser zwischen dem Radmittel und Radtiefsten einfließt) sind selten, wie die vorigen, Zellenräder, sondern meist Schaufelräder (Fig. 4, d. h. ihre Schaufeln bilden nach Art der Schaufelräder der Raddampfer keine Zellen zwischeneinander) und in letzterm Fall mit einem Kropfgerinne (Kropf) versehen, welches das Rad vom Wassereinlauf bis zum Radtiefsten derart umgibt, daß das Wasser erst bei letzterm austreten kann (Kropfräder). Bei den mäßigen Gefällen, für welche die mittelschlächtigen Wasserräder Verwendung finden, ist der Teil ihrer Leistung, welcher durch lebendige Kraft des Wassers, speziell durch Stoßwirkung hervorgebracht wird, ein verhältnismäßig größerer als bei den oberschlächtigen Wasserrädern und demgemäß ihr Nutzeffekt ein geringerer. Das Wasser wird hier entweder unter einer Spannschütze, über einer Überfallschütze oder durch eine Kulissenschütze eingelassen. Die mit Spannschützen eignen sich besonders für Gefälle bis 1,5 m und für Wassermengen, welche 2 cbm pro Sekunde nicht überschreiten; man erreicht mit ihnen einen Wirkungsgrad von 0,45–0,50; sie laufen schnell um, vertragen aber keine große Veränderlichkeit des Aufschlagwassers. Viel vorteilhafter sind die Kropfräder mit beweglichen Überfallschützen, bei denen das Wasser nicht unter, sondern über einer schnabelförmigen, gehörig abgerundeten und verlängerten Fläche in [429] das Rad strömt, dasselbe mit verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit erreicht und daher fast allein durch den Druck wirkt. Solche Räder geben einen Wirkungsgrad von 0,67 und eignen sich am besten für Gefälle von 1½–2½ m und Wassermengen von 0,3–2½ cbm. Hat man bei Gefällen von 2,5–4 m mit sehr veränderlichem Aufschlagwasser zu kämpfen, so sind für die vorteilhafte Verwendung des Wassers, namentlich wenn dessen Menge zwischen 1 und 2 cbm pro Stunde schwankt, diejenigen Kropfräder zu empfehlen, bei denen das Wasser mittels gekrümmter Leitschaufeln zugeführt wird (Kulisseneinlauf), wobei die Zahl der Durchflußöffnungen je nach den zuströmenden Wassermengen mit Hilfe einer Schütze geregelt werden kann. In Fig. 4 ist rr das Rad, ss sind Schaufeln, kk Kropf, a Kulisseneinlauf, durch Schützen bd mittels des Rades e regulierbar, c Gerinne. Der Wirkungsgrad dieser Räder läßt sich auf 70 Proz. bringen. – Einen Übergang zu den unterschlächtigen Wasserrädern bilden die halbmittelschlächtigen, deren in Fig. 5 eins mit Spannschützen abgebildet ist. Zu ihnen sind einige neuere Räder mit besonderer Schaufelform zu rechnen: Das Sagebien-Rad (Fig. 6) hat bei großem Durchmesser nur geringe Umfangsgeschwindigkeit, eine große Kranzbreite und Schaufelzahl. Das Oberwasser fließt in einem dicken Strom sehr langsam zu, so daß ein Stoßverlust beim Eintritt in das Rad fast ganz vermieden wird und das Gefälle beinahe ausschließlich als Druckgefälle zur Wirkung kommt. Der Wirkungsgrad ist demnach hoch (etwa 0,75, angeblich sogar über 0,9). Die Schaufeln können entweder gerade mit einem Knick am äußern Ende (s. Figur, links) oder krumm (s. Figur, rechts) ausgeführt werden. Das Zuppinger-Rad (Fig. 7) hat eine noch größere Kranzbreite. Die Schaufeln sind nach innen gerade und nach außen hin so gekrümmt, daß sie beim Austritt aus dem Wasser eine nahezu vertikale Lage haben. – Die unterschlächtigen Wasserräder werden durch die lebendige Kraft des Wassers, häufig mit reiner Stoßwirkung, getrieben, so daß sie einen durchschnittlich geringen Wirkungsgrad haben. Die ungünstigste Wirkung haben von ihnen die schon erwähnten Schiffmühlenräder, demnächst die Räder im geraden oder Schnurgerinne (Fig. 8). Die letztern werden nur durch den Wasserstoß in Umdrehung versetzt und lassen noch ein bedeutendes Wasserquantum unbenutzt durch den Zwischenraum zwischen Rad und Gerinne fortgehen (Wirkungsgrad nur 0,30–0,35). Sie werden nur bei geringen Gefällen von etwa 1 m verwendet. Etwas günstiger arbeiten diese Räder, wenn man unter ihnen eine schwache Krümmung ins Gerinne legt, in welchem sich immer gleichzeitig mehrere Schaufeln befinden (Fig. 9), wodurch der Wasserverlust vermindert wird. Zuweilen ist an solchen Rädern eine Vorrichtung (sogen. Pansterzeug, Pansterwerk) zum Heben und Senken derselben samt ihren Lagern je nach dem Stande des Unterwassers; man nennt diese Räder Pansterräder. Die Stellung der Schaufeln ist bei unterschlächtigen Wasserrädern vielfach eine radiale, doch sind auch sehr oft schräge oder geknickte Schaufeln zur Verminderung des Wasserstoßes in Gebrauch. Die vollkommensten unterschlächtigen Räder erhält man, wenn man die Schaufeln so krümmt, daß der eintretende Wasserstrahl, an der hohlen Seite derselben hinströmend, gegen sie drücken kann, ohne einen Stoß hervorzubringen. Solche Räder heißen nach ihrem Erfinder Poncelet-Räder. Sie sind bei kleinen Gefällen (unter 2 m) sehr empfehlenswert und haben einen Nutzeffekt von 55–65 Proz. Fig. 9 zeigt ein Poncelet-Rad rrr mit den krummen Schaufeln m und dem Gerinne abcd; f‌f ist eine Schütze, die mittels der an der Platte h sitzenden Lenkstangen gg und der Windevorrichtung ki in schräger Richtung so nahe wie möglich an das W. gestellt ist, durch welch letztere Einrichtung dem W. die nötige Wassermenge möglichst vorteilhaft zugeführt wird.

Nach dem Vorausgegangenen scheint es, als ob nur bei direkter Wirkung des Wassers durch sein Gewicht ein hoher Wirkungsgrad erzielt werden könne, während bei Benutzung der Stoßwirkung, bez. bei Übertragung der lebendigen Kraft des mit großer Geschwindigkeit ausströmenden Wassers auf ein W. starke Verluste unvermeidlich seien. Bei den vertikalen Wasserrädern trifft dies durchschnittlich zu; anders aber ist es bei den horizontalen Wasserrädern oder Turbinen, bei denen trotz vollständigen Ausschlusses der direkten Schwerkraftwirkung ein Wirkungsgrad von 75 oft erreicht wird. Hauptbedingung hierfür ist, daß dem Wasser durch die eigentümliche Form der Schaufeln seine meist sehr große Einströmungsgeschwindigkeit möglichst allmählich, d. h. ohne Stoß, und möglichst vollkommen entzogen werde. Früher benutzte man überall bei hohen Gefällen, zu deren besserer Verwendung keine Gelegenheit vorhanden war, die Stoßräder (Bordaschen Turbinen, Löffelräder, Kufenräder, Fig. 10). Diese haben gewöhnlich löffelartig gestaltete Schaufeln, gegen welche der Stoß eines Wasserstrahls wirkt, der durch einen rinnenförmigen Ausguß mit großer Geschwindigkeit zugeführt wird, und sind gewöhnlichen unterschlächtigen Wasserrädern gleichzustellen (30–35 Proz. Nutzeffekt), machen aber eine bedeutend höhere Zahl von Umläufen pro Minute als jene. Sie bilden den Übergang zu den eigentlichen Turbinen. Man unterscheidet zwei Hauptarten von Turbinen, nämlich Radialturbinen und Axialturbinen. Bei ersterer fließt das Wasser in der Richtung vom Zentrum nach außen oder umgekehrt, wonach man einen Unterschied zwischen Radialturbinen mit innerer und äußerer Beaufschlagung macht; bei den Axialturbinen fließt das Wasser in der Achsenrichtung durch das Rad. Eine andre Einteilung ist in der Art der Wasserwirkung begründet. Setzt man nämlich voraus, daß das Wasser gegen die Schaufeln in freien Strahlen geführt wird, d. h. in solchen, welche einen Überdruck über die Atmosphäre (hydraulische Pressung) nicht besitzen, indem der ganze Druck des Gefälles zur Geschwindigkeitserteilung benutzt ist, so erhält man eine Druck- oder Aktionsturbine. Wird dagegen das Wasser dem Laufrad mit einer geringern Geschwindigkeit zugeführt, als dem Gefälle entspricht (so daß es einen innern Überdruck hat), und wird der Rest ihm erst innerhalb des Laufrades erteilt, so spricht man von Überdruck- oder Reaktionsturbinen. Letztere unterscheiden sich von erstern auch dadurch, daß das Wasser bei ihnen die Räume zwischen den Schaufeln vollständig ausfüllt, während bei diesen der frei hindurchgehende Strahl leere oder tote Räume beläßt. Reaktionsturbinen können unbeschadet ihrer Wirkung sowohl unter Wasser als in freier Luft arbeiten, Aktionsturbinen dagegen nur vorteilhaft in freier Luft (also ohne ins Unterwasser einzutauchen). Eine dritte Einteilung endlich macht man danach, ob fortwährend sämtliche Schaufeln in Thätigkeit sind (Vollturbinen), oder ob nur je mehrere zusammen nacheinander zur Wirkung kommen (Partialturbinen). Letztere sind zweckmäßig nur als reine Aktionsturbinen auszuführen.

[430] Die Radialturbinen mit innerer Beaufschlagung (Fourneyron-Turbinen, Fig. 11) umschließen mit ihrem durch gekrümmte Schaufeln geteilten Kranz des eigentlichen Wasserrades (des Laufrades, Kreiselrades) b ein feststehendes Rad mit entgegengesetzt gekrümmten Schaufeln (Leit-, oder Leitschaufelapparat) s. Dieser hat ähnlich wie der Kulisseneinlauf der vertikalen Wasserräder den Zweck, dem Wasser, bevor es in das Laufrad tritt, eine bestimmte, der Wirkung günstige Richtung zu geben. Das Wasser tritt aus dem Gerinne in ein weites Rohr (Turbinenschacht), an dessen unterm Teil der Leitschaufelapparat angebracht ist, so daß das Wasser, diesen durchströmend, gegen die Schaufeln des Laufrades drückt und, während es durch letzteres hindurchfließt, dasselbe um die vertikale Welle dreht. w ist eine Art Ringschütze zur Regulierung des Wassereinlaufs. Die Radialturbinen mit äußerer Beaufschlagung (Francis-Turbinen) haben umgekehrt um das Laufrad herum einen Leitschaufelapparat, der mit dem Zuleitungsrohr in Verbindung steht. Zu den Radialturbinen gehören auch die Turbinen ohne Leitschaufelapparat (die Cadiatsche, die Whitelawschen oder schottischen Turbinen), welche als reine Reaktionsturbinen anzusehen sind. Fig. 12 zeigt eine schottische Turbine, die nichts weiter ist als ein verbessertes Segnersches Reaktionsrad. Sie besteht aus einem mit zwei (oder mehreren) gekrümmten Ausflußröhren aa versehenen Rad, welches vom Wasser unter Druck durchströmt wird. Indem dies nun unter Druck herausfließt, treibt die Reaktion, d. h. ein hierbei auftretender Druck gegen die der Ausflußöffnung gegenüberliegende Rohrwandung, das Rad in der dem Ausfluß entgegengesetzten Richtung um. Bei d legt sich das Laufrad dicht an die Innenwandung des Zuflußrohrs an. Die Radialturbinen können als Aktions- oder Reaktions-, als Voll- oder Partialturbinen ausgeführt werden (Fig. 11 war eine Vollturbine). Ihre Verwendung als Partialturbinen ist dann gerechtfertigt, wenn bei sehr starkem Gefälle nur wenig Wasser vorhanden ist, so daß es nur für eine Vollturbine von sehr geringem Durchmesser ausreichen würde und diese dem entsprechend eine unvorteilhaft große Anzahl Umdrehungen pro Minute machen müßte. Im übrigen ist die vorübergehende Verwendung von ursprünglich als Vollturbinen gedachten Turbinen das rationellste Mittel zur Kraftregulierung einerseits entsprechend der wechselnden Wassermenge, anderseits gemäß dem ungleichen Kraftbedarf der Arbeitsmaschinen. Die eigentlichen Partialturbinen werden als horizontale oder als vertikale Wasserräder ausgeführt. In Fig. 13 und 14 ist eine horizontale Partialturbine nach Art der Francis-Turbinen (das sogen. Zuppingersche Tangentialrad) abgebildet. Statt des ringsumlaufenden Leitschaufelapparats ist hier nur eine ungefähr tangential gegen den Laufradkranz gerichtete düsenartige Rohrmündung angebracht, deren Ausflußquerschnitt durch einen Schieber oder eine Schütze reguliert werden kann. Fig. 15 und 16 zeigen eine nach Art der Fourneyron-Turbinen innen beaufschlagte Partialturbine mit vertikalem Rad, an dessen innerer Peripherie ein aus sechs Schaufeln gebildeter Leitapparat angebracht ist. Nach Bedarf können einzelne der Durchflußöffnungen desselben durch einen kreisförmigen Schieber verschlossen werden. Das Laufrad zeigt die eigentümliche Erweiterung des Kranzes nach der Wasseraustrittsseite und die in den Seitenwänden angebrachten Luftöffnungen der Girard-Turbinen. Es soll hierdurch dem Wasser ein möglichst freier Durchgang zwischen den Schaufeln unter Vermeidung jedweder Erhöhung oder Erniedrigung des Luftdrucks in den toten Räumen verschafft werden.

Die Axialturbinen (Henschel-Jonval-Turbinen, Fig. 17) haben seitlich geschlossene, durch schraubenflächenartig gebogene Schaufeln in Zellen getrennte Radkränze an den Laufrädern und Leitapparaten und zwar in der Weise, daß die Schaufeln des erstern denen des letztern entgegengesetzt gekrümmt sind. Laufrad und Leitrad sind übereinander angebracht. Fig. 18 zeigt die ganze Anlage einer Henschel-Jonval-Turbine, bei welcher eine Regulierung in der Weise vorgenommen werden kann, daß einzelne der Öffnungen des Leitapparats durch Deckel, welche mittels Stangen und Stellschrauben zu bewegen sind, verschlossen werden können, so daß dann vorübergehend eine Partialturbine gebildet wird. Fig. 19 veranschaulicht eine Girardsche Axialturbine, welche von der vorigen hauptsächlich durch die schon bei Fig. 15 und 16 erwähnte Kranzerweiterung und die seitlichen Luftöffnungen unterschieden ist.

Die Turbinen besitzen einen großen Vorzug vor den vertikalen Wasserrädern, insofern sie sich bei fast allen Gefällen von 0,3–160 m anwenden lassen, während die vertikalen Wasserräder höchstens eine Wasserkraft von 16 m Gefälle aufzunehmen vermögen. Allerdings sind aber bei verschiedenen Gefällen die Wirkungsgrade der Turbinen verschieden, namentlich fallen dieselben bei kleinen Rädern und hohen Gefällen kleiner aus als bei mittlern und kleinen Gefällen. Auf der andern Seite läßt sich bei hohen Gefällen von 6–12 m von oberschlächtigen Rädern ein Wirkungsgrad erzielen, der bei Turbinen nicht erlangt werden kann. Sind die Gefälle klein, so geben die Turbinen in jedem Fall eine größere Nutzleistung als die unterschlächtigen Wasserräder. Die Turbinen haben ferner den Vorzug, daß sie bei verschiedenen Gefällen fast mit gleichem Wirkungsgrad arbeiten, und daß sie besonders bei Stauwasser in ihrem Gang nicht gestört werden. Veränderungen im Aufschlagquantum verursachen hingegen bei vertikalen Wasserrädern weit weniger Arbeitsverlust als bei horizontalen. Mit Ausnahme der unterschlächtigen und namentlich der Poncelet-Räder haben alle vertikalen Wasserräder meist nur Umfangsgeschwindigkeiten von 1,2–3,1 m; die Umfangsgeschwindigkeiten der Turbinen hingegen richten sich nach dem Gefälle und ergeben sich aus der Formel:

,

in welcher H die Gefällhöhe in Metern bedeutet mit meist viel höhern Werten; z. B.:

für H = 4 m wird v = 7,97 m,
H = 16 wird v = 15,95

Da sie überdies kleinere Halbmesser haben, so machen sie in der Regel auch viel mehr Umdrehungen als die Räder. In ökonomischer Hinsicht sind die Turbinen den vertikalen Wasserrädern wenigstens an die Seite zu stellen; bei hohen Gefällen aber und selbst bei mittlern und einem großen Aufschlagquantum sind dieselben sogar wegen ihrer Wohlfeilheit und Dauerhaftigkeit den vertikalen Rädern vorzuziehen. Dagegen erfordern die Turbinen durchaus reines Wasser, sie sind schwieriger zu konstruieren, und Reparaturen erfordern die Hilfe des Maschinenbauers.

Bei der großen Vollkommenheit, welche die Dampfmaschine erlangt hat, tritt sie mit dem W. in Konkurrenz, wenn über die Anlage eines solchen Beschluß gefaßt werden soll. Wegen der größern Zuverlässigkeit der Dampfmaschine wird der Vorteil nur dann auf seiten des Wasserrades liegen, wenn dessen Anschaffungs- [431] und kapitalisierte Betriebskosten wesentlich geringer ausfallen als der entsprechende Wert einer Dampfmaschinenanlage. In allen Fällen, in denen das Brennmaterial keinen hohen Wert hat, wie bei Schneidemühlen (Sägespänefeuerung), Eisenwerken, bei denen die Abhitze der Öfen zur Dampferzeugung verwendet werden kann, oder bei Kohlengruben, kann die Benutzung einer vielleicht vortrefflichen Wasserkraft unpraktisch sein, weil dann die nötige Kraft durch eine Dampfmaschine sicherer und billiger zu liefern ist, und weil man dann von Reparaturen, zu denen Wasserräder häufig Veranlassung geben, mehr verschont bleibt.

Geschichtliches. Der Erfinder der Wasserräder ist unbekannt, jedenfalls aber sind die Wasserräder schon uralt, denn historischen Nachrichten zufolge sind sie schon den alten Ägyptern, Assyrern und Chinesen bekannt gewesen. Die älteste Wassermühle, von welcher wir eine genaue Beschreibung besitzen, wird uns von Vitruv mitgeteilt. Sie existierte ungefähr zur Zeit um Christi Geburt. Alle diese ältesten Wasserräder waren unterschlächtig. Dieselben treten in Deutschland im 4. Jahrh. n. Chr. auf. Daselbst sollen auch die oberschlächtigen Wasserräder erfunden sein. Horizontale Wasserräder waren vor Jahrhunderten als Löffelräder schon bekannt, später wendete man Räder an, die einige Ähnlichkeit mit den Henschel-Jonval-Turbinen hatten, jedoch des Leitschaufelapparats entbehrten. Nachdem 1730 Daniel Bernoulli die Reaktionswirkung des Wassers bewiesen hatte, konstruierte Segner sein bekanntes Reaktionsrad. Euler behandelte um 1750 die Theorie desselben ausführlich, schlug zuerst vor, die Arme desselben zu krümmen, und war der Erfinder der Leitapparate. Eine eigentümliche Art horizontaler Wasserräder wurde von Monoury erfunden und von Carnot mit dem Namen Danaiden belegt. Der Name Turbine rührt von Burdin her, welcher 1824 ein horizontales W. seiner Erfindung so nannte. 1826 hatte die Société d’encouragement in Paris einen Preis von 6000 Frank auf die Herstellung von Turbinen ausgeschrieben. Die ersten Bewerbungen waren resultatlos, bis es erst 1833 dem französischen Zivilingenieur Fourneyron zu Besançon gelang, den Preis mit der nach ihm benannten Turbine zu erwerben, deren Theorie 1838 von Poncelet ermittelt wurde. 1837 erhielten Henschel u. Sohn in Kassel ein Patent auf ihre Axialturbinen, von denen die erste 1841 zu Holzminden in Thätigkeit kam. In demselben Jahr ließ sich Jonval eine ganz ähnliche Turbine in Frankreich patentieren. 1849 entstand die erste Turbine des amerikanischen Ingenieurs Francis mit äußerer Beaufschlagung (nach ihm benannt). Erst im 16. und 17. Jahrh. fing man an, über Wirkungsweise und Konstruktion der Wasserräder wissenschaftliche Untersuchungen anzustellen, die in unserm Jahrhundert (nach den Arbeiten von Redtenbacher, Weisbach u. a.) im allgemeinen als geschlossen betrachtet werden können. Vgl. außer den Lehrbüchern von Weisbach („Mechanik der Umtriebsmaschinen“) und Rühlmann: Redtenbacher, Theorie und Bau der Wasserräder (2. Aufl., Mannh. 1858); Derselbe, Theorie und Bau der Turbinen (2. Aufl., das. 1860); Meißner, Die Turbinen und Wasserräder (Jena 1878–82); Reiche, Die Gesetze des Turbinenbaues (Leipz. 1877); Fink, Theorie und Konstruktion der Brunnenanlagen etc. (2. Aufl., Berl. 1878); Bach, Die Wasserräder (Stuttg. 1886); Herrmann, Die graphische Theorie der Turbinen (Berl. 1887).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 818
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[818] Wasserrad. Zur bessern Ausnutzung der motorischen Kraft der Flachlandflüsse soll an Stelle der Schiffsmühlenräder die sogen. Hydrolokomobile von Nossian dienen. Diese besteht in der Hauptsache aus zwei hintereinander auf derselben Welle angeordneten und mit ihrer Achse in der Stromrichtung liegenden Rädern, welche nach Art der Henschel-Jonval-Turbinen mit entgegengesetzt schraubenförmigen Schaufeln versehen und zwischen zwei Pontons so gelagert sind, daß sie gemeinschaftlich nach Belieben gehoben oder gesenkt werden können. Das von der Strömung zuerst getroffene Rad steht fest und dient als Leitschaufelapparat, um das Wasser in passendem Winkel gegen die Schaufeln des zweiten Rades (Laufrad) zu führen. Die Schaufeln des Laufrades sind von einem Regulator derart verstellbar, daß sie die Laufradkanäle je nach der Kraftentnahme oder der Stromgeschwindigkeit mehr oder weniger öffnen und hierdurch für einen gleichmäßigen Gang gesorgt ist. Der Antrieb von Arbeitsmaschinen erfolgt direkt vom Umfang des Laufrades aus mittels Ketten, Seile etc. Dem Schiffsmühlenrad gegenüber hat dieser Motor vor allem den Vorzug, daß er die Geschwindigkeit der Wassermassen bis nahezu auf den Grund ausnutzt. Auch gestattet die größere Tourenzahl eine bequemere Kraftübertragung auf Arbeitsmaschinen. Die Hydrolokomotive soll Verwendung finden für elektrische Beleuchtung und Kraftübertragung unter Benutzung elektrischer Akkumulatoren, für den Betrieb von Mühlen, für landwirtschaftliche Zwecke (Bewässerung, Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen), für Flußregulierungen und Brückenbauten (Betrieb von Baggern, Rammen, Winden, Kränen), für die Flußschiffahrt beim Ein- und Ausladen etc. Mit der Flußgeschwindigkeit ändert sich natürlich die Leistung. Über die Leistungen und Dimensionen werden folgende Angaben gemacht:

Raddurch­messer in Metern Minimal­wasser­tiefe in Metern Fluß­geschwin­dig­keit in Metern pro Sekunde Leistung in Pferde­kräften Dimensionen der Pontons Gewicht
lang breit tief des Motors allein des Mo­tors mit Pontons
Meter
2 2,3 2 4,9 9 1 1,1 3200 5400
3 3,4 2 12 10 1,2 1,25 4200 7000
4 4,8 2 20 12 1,3 1,35 5300 8500
5 5,5 2 33 15 1,45 1,5 6500 10500
6 6,5 2 48 18 1,8 1,8 8000 13000


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 977
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[977] Wasserrad. Um Wasserräder im Falle der Not schnell abstellen zu können, wendet die Maschinenfabrik für Mühlenbau vormals Kappler in Berlin eine schwingende Schütze an, welche in erhobener Stellung durch eine Sperrklinke festgehalten wird und dem Wasser den Zutritt zum W. gestattet. Wird nun die plötzliche Abstellung des Wasserrades erforderlich, so braucht man nur an einem Kettenzug zu reißen, um die Sperrklinke auszulösen, worauf die Schütze sofort niederfällt und den Wasserzufluß abschneidet. – Zur Litteratur: Ludewig, Allgemeine Theorie der Turbinen (Berl. 1890).