Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Volksfeste“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 265
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Volksfeste. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 265. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Volksfeste (Version vom 02.04.2023)

[265] Volksfeste, Feste, an deren Feier sich das Volk in irgend einer Weise selbstthätig beteiligt und ihnen dadurch einen volkstümlichen Charakter verleiht. Zu den lokalen Volksfesten, deren Feier auf einzelne Landschaften oder Ortschaften beschränkt ist, kann man auch solche Feste der verschiedenen Genossenschaften und Stände rechnen, in denen sich die Eigentümlichkeit des Volkes in irgend einer Weise ausspricht, und die deshalb auch allgemeinere Teilnahme außerhalb des Kreises der eigentlichen Festgeber gefunden haben. Die verbreitetsten V. haben sich besonders an regelmäßig wiederkehrende Ereignisse und Erscheinungen in der äußern Natur angeknüpft. So gab bei den verschiedensten Völkern der Wechsel der Jahreszeiten, das Ende des Winters und der Anbruch des Frühlings, der Sonnenlauf (s. Maifest, Johannisfest und Julfest), die Saat, die Ernte, die Weinlese u. dgl. zu Festen Veranlassung. Mehr auf einzelne Völker, ja auf Teile derselben beschränkt sind die V. oder Nationalfeste, welche zum Andenken an bedeutende geschichtliche Ereignisse begangen werden, wie der Guy Fawkes’ Day in England, das Gedächtnisfest der Schlacht bei Leipzig, die Sedanfeier, die verschiedenen Konstitutions- und Unabhängigkeitsfeste, ferner diejenigen Feste, welche aus der Neigung des Volkes zu gewissen Thätigkeiten und Übungen hervorgegangen sind, wie die Kampfspiele der Alten, die Schwingfeste der Schweizer, die Stiergefechte der Spanier, die Wettrennen der Engländer, oder endlich auf gesellschaftlichen Einrichtungen beruhen, wie die Jahrmärkte, die Feste einzelner Zünfte und die aus dem Waffendienst der Bürger sich herschreibenden Vogel- und Scheibenschießen etc. Einen bedeutenden Einfluß hat auch die Religion auf die V. geäußert, und dieser war um so größer, je sinnlicher der Charakter der Religion war, je mehr sie das weltliche Leben des Volkes in ihr Gebiet zog, und je mehr sie durch bestimmte Satzungen oder auch durch ihre Geschichte und namentlich durch ihre Mythen Anhaltspunkte für festliche Feier bot. Dies ist der Grund, warum vornehmlich die heidnischen Religionen so reich an Festen waren, und warum die V. der christlichen Welt, die in mehr oder minder naher Beziehung zur Religion stehen, vornehmlich der katholischen und griechischen Kirche angehören, während die protestantische mehr bei einzelnen weltlichen Festen, um ihnen gleichsam die höhere Weihe zu erteilen, mitzuwirken pflegt. Am volkstümlichsten sind die Feste geworden, welche, aus heidnischer Zeit herrührend, von der Kirche bloß christliche Bedeutung erhielten, wie die ehemaligen Sonnenwend-, Herbst- und Frühlingsfeste, deren Gebräuche so tief im Volk wurzelten, daß sie sich bis jetzt erhalten haben. Bei mehreren christlichen Festen, wie Weihnachten und Ostern, ward sogar der Name früherer heidnischer Hoch- oder Festzeiten beibehalten, und manche Gedächtnistage von Heiligen und Kirchweihen, die wahre V. geworden sind, mögen absichtlich in Zeiten verlegt worden sein, welche schon vorher zu religiösen Feierlichkeiten bestimmt waren. Bei wenigen Völkern hat das Festwesen, das mit der Religion in inniger Verbindung stand, so das ganze Volksleben durchdrungen und ist zugleich Sache des Staats geworden wie bei den alten Griechen, wo es in den großen Nationalfesten der Olympischen, Pythischen, Isthmischen und Nemeischen Spiele seinen Gipfel erreichte. In gegenwärtiger Zeit haben viele frühere V. sich teils ganz verloren, weil der Anlaß, der sie hervorrief, weggefallen ist, teils sind sie farbloser und unbelebter geworden, namentlich bei solchen Völkern, bei denen eine gewisse konventionelle Scheu der Höhern und Gebildetern, mit ihrer Lebenslust öffentlich hervorzutreten, herrschend geworden ist. Zum Teil aber liegt auch die Ursache in einem mißverstandenen Eifer der Geistlichkeit und Polizei, Volksbelustigungen zu verbieten, weil sie hin und wieder zu Ausschreitungen führen, ohne zu bedenken, daß gerade V. das fruchtreichste Förderungsmittel der geselligen Tugenden und der sittlichen Bildung eines Volkes und ein mächtiger Hebel der Vaterlandsliebe sind. Mit Recht haben die Deutschen daher in neuerer Zeit eine Wiederbelebung der alten Schützen-, Sänger- und Turnerfeste angestrebt, um eine Annäherung der stammverwandten deutschen, österreichischen und schweizerischen Stämme zu befördern. Vgl. Reimann, Deutsche V. im 19. Jahrhundert (Weim. 1839); Brand, Popular antiquities (Lond. 1849, 3 Bde.); Montanus, Die deutschen V. etc. (Iserl. 1854–58, 2 Bde.); v. Reinsberg-Düringsfeld, Das festliche Jahr (Leipz. 1863); Lippert, Deutsche Festbräuche (Prag 1884). Vgl. Zunftgebräuche.