Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Vertrag“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 164
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Vertrag. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 164. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Vertrag (Version vom 18.10.2021)

[164] Vertrag (Contractus, Kontrakt), die Übereinkunft zwischen zwei oder mehreren Personen (Kontrahenten, Paciszenten, Vertragschließenden) zur Gründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses. Das römische Recht unterschied den eigentlichen Kontrakt, die Knüpfung eines von beiden Seiten verbindlichen Rechtsverhältnisses in einer bestimmten Form und mit einer ebenso bestimmten Klagformel (contractus), von der bloßen Abrede (pactum), die keine Klage begründete. Nach heutigem Rechte dagegen versteht man unter V. jedes Rechtsgeschäft, dessen Grundlage die Willenseinigung zweier oder mehrerer Personen ist. Die einfachsten Vertragsverhältnisse sind diejenigen, welche durch eine von dem einen Teil geschehene Leistung, z. B. durch Einhändigung einer zurückzugebenden Sache, geschlossen werden. Dies sind die sogen. Realkontrakte, wozu z. B. das Darlehen, das Depositum, die Übergabe eines Faustpfandes etc. gehören. In andern Fällen wird das Verhältnis durch die bloße Vereinigung der Parteien, den Konsens, klagbar (Konsensualkontrakt, contractus consensualis). Solche Verträge sind schon nach römischem Rechte der Kauf, die Miete, die Societät, die Übernahme eines Auftrags und die Emphyteuse oder der Erbzins. Daneben gab es noch die Verpflichtung des unbenannten Kontrakts (Innominatkontrakt), der dadurch klagbar wurde, daß der eine Teil leistete und dadurch den andern zur versprochenen Gegenleistung verpflichtete. Dieselbe verbindende Kraft hatten auch die in gewisser feierlicher Form gegebene mündliche Zusage, die Stipulation (contractus verbalis) und die schriftliche Verpflichtung (contractus literalis oder chirographarius). Jetzt sind alle Verträge klagbar, und selbst einseitigen Zusagen und Verabredungen ist die Wirkung der klagbaren Verbindlichkeit beigelegt, z. B. Schenkungen, der Zusage einer Mitgift, Zinsversprechungen, der Hypothekenbestellung, der Anerkennung einer Schuld. Befugt zur Abschließung eines Vertrags ist jede rechts- und dispositionsfähige Person. Der Gegenstand des Vertrags muß ein physisch und rechtlich möglicher sein; zu etwas rechtlich Unmöglichem und Unsittlichem (causa turpis) kann sich niemand rechtsgültig verpflichten. Nichtig ist ferner jeder auf unbefugtem Zwang beruhende und ebenso derjenige V., dem ein wesentlicher Irrtum zu Grunde liegt, weil in diesem Fall keine wirkliche Willenseinigung vorhanden ist. Wie aber das Zustandekommen eines Vertrags die Willenseinigung der Kontrahenten voraussetzt, so kann auch die Wiederaufhebung eines solchen nicht einseitig, sondern nur durch übereinstimmenden Willensakt beider Teile erfolgen. Die Nichterfüllung des Vertrags von der einen Seite gibt jedoch dem andern Teil das Recht, auch seinerseits die Erfüllung zu verweigern. Einseitige Verträge (contractus unilaterales) nennt man solche, welche nur für den einen Teil Verpflichtungen erzeugen, wie das Darlehen, zweiseitige (contractus bilaterales) dagegen solche, welche für beide Teile Verbindlichkeiten begründen, mag dieses nun schon im Wesen des Vertrags begründet, wie beim Kauf, oder durch hinzukommende Möglichkeit bedingt sein, wie beim Leihvertrag. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sind die völkerrechtlichen Verträge (Staatsverträge, Traktate) von besonderer Bedeutung, wie Bündnis-, Friedens-, Handels-, Auslieferungsverträge u. dgl. Das Recht zum Abschluß von Staatsverträgen ist ein Ausfluß der Souveränität und steht deshalb dem Staatsoberhaupt zu, nur daß dasselbe in konstitutionellen Staaten in Ansehung gewisser Vertragsgegenstände an die Zustimmung der Stände geknüpft ist. So bedürfen z. B. nach der preußischen Verfassung Staatsverträge der Zustimmung der Kammern, sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staat Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden. Nach der deutschen Reichsverfassung (Art. 11) bedürfen Verträge mit fremden Staaten zu ihrem Abschluß der Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Reichstags, insoweit sie sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören.