Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tanne“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 510511
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Tanne. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 510–511. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tanne (Version vom 26.02.2023)

[510] Tanne (Picea Don., Abies Lk., hierzu Tafel „Tanne“), Gattung aus der Familie der Abietineen, meist hohe Bäume, deren Hauptäste in unregelmäßigen Quirlen und deren Nebenäste meist zweireihig stehen, mit einzeln stehenden, meist zweizeiligen, flachen, unterseits längs des Mittelnervs bläulichweiß gestreiften Nadeln, aufrechten Zapfen und nach der Reife von der Achse sich lösenden Zapfenschuppen. Die europäische Edeltanne (Weißtanne, P. pectinata Lam., Abies alba Mill., A. Picea L., A. pectinata Dec., A. excelsa Lk., P. Abies Dur., s. Tafel), einer der schönsten Waldbäume mit in der Jugend pyramidaler, im Alter fast walzenförmiger, unregelmäßiger, am Wipfel storchnestartig abgeplatteter Krone, wird im Schluß über 65 m hoch, hat zuerst olivenbraune, später weißgraue Rinde, behaarte, rauhe Zweige, an welchen die Nadeln nach zwei Seiten flach gestellt sind. Sie werden 2–3 cm lang und sind am obern Ende abgerundet und ausgerandet; die Blüten stehen fast nur in den obersten Verzweigungen des Wipfels an vorjährigen Trieben, die männlichen Blütenkätzchen sind viel länger als die der Fichte, die senkrecht aufgerichteten, 4–6 cm langen weiblichen Blütenzäpfchen gelbgrün, die aufrecht stehenden, 14–20 cm langen Zapfen länglich walzenförmig, hell grünlichbraun, ihre Deckschuppen lineal zungenförmig mit dem zwischen den Fruchtschuppen hervorragenden Teil rückwärts gebogen. Nach der Samenreife im Oktober, oft erst im April des folgenden Jahrs, löst sich der Zapfen ganz auf, und nur die spindelähnliche Achse bleibt am Trieb stehen. Die Samen sind dreikantig, geflügelt. Die T. hat eine ziemlich tief gehende Pfahlwurzel und unter der Oberfläche des Bodens verlaufende zahlreiche Nebenwurzeln. Die Keimpflanze besitzt gewöhnlich

[Ξ]

Tanne.
Tanne (Abies Picea).

1. Zweig mit männlichen Blütenkätzchen. – 2. Trieb mit weiblichen Blütenkätzchen. – 3. 4. Weibliche Deckschuppe mit der noch kleinen Samenschuppe von der Innen- und Außenseite, an ersterer unten die Samenschuppe mit den zwei Samenknospen. – 5. (und die Figur darüber) Die Samenschuppe in verschiedenen Entwickelungszuständen, wie 3 und 4 vergrößert. – 6. 7. Männliche Blütenkätzchen, als Knospe und vollkommen entwickelt (doppelte Größe). – 8. Staubgefäße. – 9. Nadel (doppelte Größe). – 10. Querschnitt derselben, ebenso. – 11. Keimpflänzchen. – 12. Stammknospe desselben mit abgeschnittenen Nadeln und Keimnadeln, vergrößert.

[511] 5–7 sehr große Keimnadeln; in der Jugend wächst die T. viel langsamer als die Fichte, vom 25. oder 30. Lebensjahr an beginnt aber ein fördersameres Wachstum, welches länger als bei irgend einem Waldbaum, mit Ausnahme der Eiche, anhält. Sie erreicht ein sehr hohes Alter. Im allgemeinen trägt sie später und seltener Früchte als die Fichte. Ihre Verbreitung ist auch viel beschränkter. Sie gehört als Waldbaum den höhern Stufen des mitteleuropäischen Berglandes (Riesengebirge, Erzgebirge, Böhmerwald, Bayrischer Wald, Fichtelgebirge, Frankenwald, Schwarzwald, Alb, Jura, Wasgenwald), den südwesteuropäischen (Burgund, Auvergne, Pyrenäen) und südosteuropäischen Gebirgslandschaften (Karpathen, Siebenbürgen, östlicher Balkan, thrakische Berglandschaft), meist in Höhen von 800–1200 m ü. M. im mittlern, von 1200–1900 m im südlichen Europa, an. Die T. meidet die aufgeschwemmten Bodenarten des Flachlandes und liebt vor allen den Verwitterungsboden des Urgebirges. Sie gedeiht nur im Bestandsschluß zur höchsten Vollkommenheit, da sie einen erheblichen Schirmdruck erträgt und in der Jugend des Schutzes durch Altstämme bedarf. Ausgedehnte Bestände bildet sie mit der Rotbuche zusammen, auch mit der Fichte; ihr ganzes Wuchsverhalten aber stempelt sie zum Betrieb in reinen Beständen mit höherm Umtrieb (140–150 Jahre). Die T. ist sturmfest und dem Schneebruch und Insektenschäden wenig unterworfen, Wildbeschädigungen aber sehr ausgesetzt. Man verjüngt die Tannenbestände am besten in dunkeln Samenschlägen; zur Neubegründung von solchen Beständen wendet man Schirmschläge an. Man pflückt die Zapfen im September; der Same bedarf des Ausklengens nicht, da derselbe von selbst ausfällt. Ein Hektoliter Zapfen wiegt 45 kg und ergibt etwa 3 kg gereinigten Samen (41/2 kg geflügelten Samen). Ein Kilogramm reinen Samens enthält 16,000 Körner. Zur Saat verwendet man pro Hektar 25 kg (Plätzesaat) bis 80 kg (Vollsaat) reinen Samen. Meist macht man Riefensaaten (0,5 m breit) mit 50 kg Samen pro Hektar. Im Saatkamp säet man 5 kg pro Ar. Der Same wird höchstens 0,8 cm tief mit Erde bedeckt. Frühjahrssaat ist wegen der Frostgefahr und des Mäusefraßes vorzuziehen. Saat- und Pflanzkämpe legt man in frostfreien Lagen, thunlichst in nicht zu geschlossenen alten Schirmbeständen an. Die zweijährigen Pflänzlinge werden umgepflanzt (verschult), im sechsjährigen Alter in die Bestände gepflanzt. Vielfach werden auch Wildlinge mit Ballen, fünf- bis sechsjährig, zur Vervollständigung der Kulturen verwendet. Man benutzt das sehr gleichmäßige und spaltbare Tannenholz wie Fichtenholz, außerdem namentlich zu Resonanzböden musikalischer Instrumente. Die T. liefert auch Harz und Terpentinöl, aber die Rinde ist zum Gerben nicht geeignet. A. venusta Dougl., in Kalifornien, mit brauner Rinde, weit herabhängenden untern und unregelmäßig abstehenden obern Ästen, zugespitzten Nadeln und dreilappigen, sehr lang zugespitzten Deckblättern, wird über 30 m hoch und bei uns als Zierpflanze kultiviert, ebenso A. amabilis Dougl., an der Westseite Nordamerikas, mit brauner Rinde, in der Jugend auf beiden Seiten bläulich gestreiften, zuletzt gleichmäßig grünen, an der Spitze oft ausgerandeten Nadeln und am Rand gezähnelten Deckblättern, über 60 m hoch werdend. P. balsamea Loud. (A. balsamea Mill., Balsamtanne), in Nordamerika, südlich bis Virginia, sehr verbreitet, mit schwärzlichgrauer Rinde, an der Spitze ausgerandeten, unterseits bläulichweiß gestreiften Nadeln, gezähnelten Deckblättern und violetten Zapfen, wird 15 m hoch und bildet eine pyramidale Krone; ihre Blätter und Zweige riechen gerieben sehr angenehm; sie liefert den Kanadabalsam. P. Nordmanniana Loud. (A. Nordmanniana Link.), im Kaukasus und im Pontischen Gebirge, 30 m hoher, meist vom Grund an regelmäßig mit Ästen besetzter Baum mit schwärzlichgrauer Rinde, ringsum gestellten, an der Spitze ausgerandeten, wenigstens am obern Teil gezähnelten und meist mit verlängerter Spitze versehenen Deckblättern und sehr großen, meist mit Harz stark bedeckten Zapfen, zählt zu den schönsten und höchsten Edeltannen, ist raschwüchsig und vollständig hart und wird daher vielfach als Zierpflanze kultiviert. P. Pinsapo Loud. (A. Pinsapo Boiss., spanische Edeltanne), in den Gebirgen des südlichen Spanien und Nordafrikas, ein 20–25 m hoher Baum mit grauschwärzlicher Rinde, ringsum stehenden, zugespitzten, gleichfarbigen oder unterseits schwach bläulichweiß gestreiften Nadeln, kurzen, gezähnelten und mit einer besondern Spitze versehenen Deckblättern und ziemlich großen, am obern Teil etwas eingedrückten Zapfen, hält in Norddeutschland in geschützten Lagen ziemlich gut aus. Amerikanische Edeltanne (P. nobilis Loud., A. nobilis Lindl.), 70 m hoher Baum Kaliforniens mit kastanienbraunem Stamm, fast ringsum gestellten, nach oben gekrümmten Nadeln, 16–18 cm langen Zapfen mit spatelförmigen, oben geschlitzt gezahnten und in eine schmal lanzettliche Spitze auslaufenden, sehr langen Deckschuppen, eine der schönsten Edeltannen, bildet in ihrem Vaterland große Wälder und ist in Norddeutschland vollkommen hart. Vgl. Schuberg, Die Weißtanne (Tübing. 1888).