MKL1888:Strandbildungen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Strandbildungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 17 (Supplement, 1890), Seite 777779
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Strandbildungen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 17, Seite 777–779. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Strandbildungen (Version vom 08.12.2024)

[777]  Strandbildungen (hierzu Tafel „Strandbildungen“). Die Herausbildung des Reliefs der Erdoberfläche in seinen kleinsten Zügen geht hauptsächlich durch die Wirkung der Atmosphärilien vor sich, unter denen das Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen die wichtigste Rolle spielt. Die Modellierung ist am wirksamsten auf dem Festland vermittels subaërischer Agenzien, am geringsten unter der mehr oder weniger tiefen Wasserhülle, während das Grenzgebiet zwischen Meer und Land, die Küste, eine Mittelstellung in dieser Hinsicht einnimmt. In jedem der drei Gebiete vollzieht sich der Prozeß der Reliefbildung auf dreifache Art, durch Erosion, Transport und Ablagerung. Bei der subaërischen Gestaltung sind die Agenzien der Erosion meteorischer Natur, nämlich Regen, Wasser und Frost. Das transportierende Agens ist fließendes Wasser, Bedingung der Ablagerung dagegen verminderte Strömungsgeschwindigkeit. Auf dem Seeboden liefern Strömungen das Agens des Transports, in sehr geringem Maß auch das der Erosion, die Ablagerung hat wie bei der subaërischen Modellierung abnehmende Stromgeschwindigkeit zur Vorbedingung. Bei der Herausschälung der horizontalen Gliederung des Festlandes geben die Wellen das erodierende Agens ab, beim Transport wirken Wellen und Strömungen gemeinschaftlich, Ablagerung vollzieht sich nur bei wachsender Wassertiefe. Auf dem festen Land überwiegt der Betrag der Erosion denjenigen der Ablagerung, umgekehrt ist unter den stehenden Gewässern die Erosion fast gleich Null und werden die Unebenheiten des Bodens durch ungleiche Ablagerung hervorgerufen; in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Formen unterscheiden sich Festland und Seeboden am stärksten, die Gestaltung der Küste zeigt entsprechend der Wirkung der erodierenden und ablagernden Faktoren die charakteristischen Züge des Festlandes und des Seebodens in sich vereinigt. Der Verlauf des Prozesses in seinen Einzelheiten entzieht sich wegen der schützenden Wasserhülle der direkten Beobachtung, nur dort, wo infolge von Klimaänderungen der Seeboden bloßgelegt ist, kann man die einzelnen Stadien des Prozesses verfolgen. Das geschieht am besten in dem Becken der beiden mächtigen Binnenseen, welche seit der Eiszeit verschwunden sind, des Lahontan- und Bonnevillesees. Das Agens der litoralen Erosion ist die Welle. Läuft die Welle eine senkrecht abfallende Uferböschung hinan, so wird sie reflektiert, dabei erhebt sich der Wellenkamm je nach der Stärke des Anpralles zu bedeutender Höhe und lösen sich beträchtliche Wassermengen vom Wellenkamm los: das ist die sogen. Klippenbrandung. Beim Auflaufen der Welle auf einen flach ansteigenden Strand verringert sich die Wellenlänge, die Wellenhöhe wird dagegen vergrößert. Die Überhöhung des Wellenkammes nimmt beständig in der Richtung auf den Strand hin zu, so daß schließlich der Kamm überschlägt und die Welle brandet. Beim Branden erreicht die Geschwindigkeit der überschlagenden Wasserteilchen ihren höchsten Wert, daher ist auch gerade im Augenblick der Brandung die mechanische Wirkung der Welle am größten. Das Aufschlagen der Welle auf den Strand veranlaßt für den Augenblick eine Anhäufung von Wasser vor dem Ufer, das dadurch gestörte Gleichgewicht wird durch einen seewärts gerichteten Rückstrom des überflüssigen Wassers, der sich nahe am Boden bildet, wiederhergestellt. Diese Unter- oder Rückströmung, von den Küstenbewohnern der Ostsee der „Sog“ (das Saugen) genannt, ist stark genug, um lose Gegenstände mit sich zu schleppen. Trotz des unter Umständen ungeheuern Horizontaldrucks der Wellen ist die erosive Wirkung des reinen Wassers auf festen Fels sehr gering; nur vermittelst des wohl nie fehlenden Gesteinsmaterials vermag die brandende Welle festes Gestein anzugreifen und zu zerstören. Das Erosionsprodukt dient einerseits wieder als Projektil gegen die Uferwand, anderseits wird es bei diesem Vorgang selbst zerkleinert und

[Beilage]

[Ξ]

Strandbildungen.
Fig. 1. Hakenförmige Landzunge in der Grand Traverse-Bai des Michigansees.
Fig. 2. Barre zwischen Empire und Sleeping Bear Bluffs am Michigansee.
Fig. 3. Landzunge aus Geröll an der Au Train-Insel im Obern See.
Fig. 4. Der Schafsfelsen. Steilküste am Großen Salzsee.

[778] dann durch den Rückstrom den größern Tiefen zugeführt (vgl. Abrasion, Bd. 17). Das Resultat dieses Vorganges ist, falls das Ufer aus anstehendem Fels besteht, die Herausbildung einer Steilküste; Fig. 4 der Tafel veranschaulicht eine solche von den Ufern des Großen Salzsees in Nordamerika. Die vertikale Ausdehnung, innerhalb welcher die Brandungswelle erodieren kann, ist nach oben durch die Horizontale der Höhe des Wellenkammes begrenzt, nach unten reicht sie nicht viel tiefer als das Wellenthal. Hat die Welle in ihrem Bereich eine Zeitlang gewirkt, so entsteht längs der Wasserlinie eine rinnenförmige Hohlkehle, während die höhern Teile des Ufers darüber hinwegragen. Die unterhöhlte Felswand verliert endlich ihre Unterstützung und bricht stückweise ab. Die notwendige Ergänzung einer Steilküste bildet eine ebene Fläche am Fuß derselben, die fast horizontal ist und sich seewärts ganz allmählich senkt; in ihren landwärts gelegenen Teilen ist diese Terrasse mit Gerölle bedeckt, ihre Breite hängt von der Ausdehnung der litoralen Erosion ab. Weiches Gestein wie Sand und Kies oder Thon und Kreidegestein verhält sich der Brandungswelle gegenüber ganz anders. Lockere Sand- und Kiesmassen kommen in der Natur nur in ziemlich flachen Böschungen vor. Läuft die Welle eine solche Böschung hinauf, so führt sie große Sandmassen mit sich, beim Abfließen werden

Fig. 1. Strandbildung bei weichem Gestein.

dieselben aber samt den neuen oberhalb des mittlern Niveaus abgerissenen Körnern zurückgeschwemmt und unterhalb ihrer frühern Lage abgelagert. Den Transport besorgt die Rückströmung bis zu der Stelle, wo der Rückfluß einer neuen Welle begegnet, hier erfolgt die Ablagerung mit einer seewärts ziemlich steilen Böschung. Dieser Böschung entspricht im Niveau der Wellenwirkung eine Aushöhlung des Strandes, das Aufwerfen eines Walles oberhalb dieser Strandhöhlung erfolgt nur bei sehr flacher Anfangsböschung. Der Strand nimmt schließlich nach Verlauf einiger Zeit eine Gestalt an, wie sie Textfig. 1 darstellt. Beim litoralen Transport wirken also Wellen und Strömungen zusammen. Die durch die Wellenbewegung allein hervorgerufene Strömung des Wassers ist aber zu schwach, um schwereres Material zu transportieren, das geschieht vielmehr durch den Küstenstrom. Durch die Wellen, welche genau senkrecht auf den Strand auflaufen, werden die Sand- und Kieskörner nur vor- und rückwärts geschoben und verändern ihren Platz nur seewärts. Ein solcher Strom tritt aber wohl nur selten ein, meistens ist die Wellenbewegung schräg gegen das Ufer gerichtet. Beim Rückstrom werden alsdann die Wasserteilchen nichtm derselben Richtung zurückgeführt, sondern sie schlagen eine dem Strand parallele Bahn ein. Infolgedessen werden die Geschiebemassen nicht nur abwechselnd auf- und abwärts getrieben, sondern erleiden auch eine horizontale Verschiebung dem Strand entlang. Für die Erzeugung des Küstenstroms sind in erster Linie die vorherrschenden Winde maßgebend, in einzelnen Fällen können Stürme mit auflandiger Richtung einen starken Küstenstrom und dadurch bedeutende Massenverschiebungen von Sanden erzeugen. Die vorherrschende Richtung des Küstenstroms kann man häufig aus der Beschaffenheit der sogen. Wandersande erschließen, die auf weite Strecken fortgeschwemmt werden. Das bekannteste Beispiel liefert die französische Kanalküste: die aus dem Kreidegestade ausgewaschenen Feuersteinknollen wandern östlich der Küste entlang und werden dabei immer mehr abgerieben,

Fig. 2. Ablagerung von Driftmaterial.

so daß bei Dünkirchen das harte Flintgestein schon fast ganz zu Sand zerrieben ist. Soweit wie dieses Driftmaterial ausgebreitet ist, reicht das Gebiet des Strandes, dessen untere Grenze unter dem Wasser liegt, während der obere Rand gewöhnlich etwas über das Niveau des Wassers bei ruhigem Seespiegel herausragt; die Böschung ist ziemlich flach und zeigt im Profil S-förmige Gestalt, d. h. landwärts konvex nach oben, seewärts konkav (Textfig. 2). Brechen sich die Wellen infolge sehr geringer Neigung des Seebodens schon in größerer Entfernung vom Wasserrand, so folgt der Transport des Driftmaterials der Linie des Brechers, es bildet sich eine Barre parallel der Küste, aus der mit der Zeit eine Nehrung sich aufbaut. Dadurch wird ein Meeresteil von der freien Verbindung mit dem offenen Meer abgeschnitten und es entsteht ein Haff oder eine Lagune. Bei dieser litoralen Ablagerung ist zunehmende Tiefe des Wassers die Vorbedingung. Die Gebilde, welche aus der Ablagerung des der Küste entstammenden Geschiebematerials hervorgehen, kann man im allgemeinen als Dämme bezeichnen, im einzelnen führen sie jedoch ihrer Gestalt entsprechende Namen. Besitzt der Küstenstrom eine größere Gewalt, so folgt er nur dem allgemeinen Verlauf der Festlandsumrisse, ohne sich um die vielfach gewundenen Linien der Küste zu kümmern. Dabei tritt der Strom streckenweise in tieferes Wasser und ist genötigt, die Geröllmassen, welche er in der Nähe der Küste mitschleppte, fallen zu lassen. Behält der Küstenstrom seine Richtung, und schwenkt die Küstenlinie von der Stromrichtung ab, so nimmt der aufgeworfene Damm die Gestalt einer Landzunge, einer Barre oder eines Hakens an, im andern Fall entsteht vor der Küste eine Terrasse. Bildet z. B. die Küstenlinie eine Bucht, so ist das Wasser zwischen den beiden divergierenden Richtungen der Küste und des Stroms verhältnismäßig ruhig, das Gerölle folgt aber nicht der Küstenlinie, sondern dem Zug des Stroms und baut in dem Maß, wie immer neues Material durch die Strömung herbeigeschafft wird, einen Damm zwischen der Bucht und dem offenen Meer auf, der durch fortgesetztes Aufschütten immer weiter ins Wasser vorgeschoben wird. Ist der Aufbau bis nahe an die Wasseroberfläche gediehen, so vertritt der Damm die Stelle der Küste und unterliegt fortan denselben Einwirkungen (Fig. 3 der Tafel). Treffen Strom und Küste auf der andern Seite der Bucht wieder zusammen, so wird die letztere [779] schließlich vom offenen Meer völlig abgeschnitten, wenn die Landzunge[WS 1] ebenfalls den Anschluß an das gegenüberliegende Ufer erreicht hat; sie führt in diesem Fall den Namen Barre oder Nehrung. Die Barre hat alle charakteristischen Eigentümlichkeiten einer Landzunge und zeigt im Querprofil eine unebene Oberfläche mit ziemlich steiler Böschung auf beiden Seiten. Eine solche Barre verbindet entweder eine Insel mit dem Festland, oder mit einer andern Insel, oder, wie oben angenommen, die beiden Endpunkte einer Bucht. Fig. 2 der Tafel zeigt einen Teil der Ostküste des Michigansees: der Absturz an der linken Seite im Hintergrund stellt die Steilküste von Sleeping Bear Bluffs dar, rechts schließt sich bewaldetes Ufer an, das gleichfalls steil abfällt. Eine Barre verbindet diese Küste mit dem Land im Vordergrund

Fig. 3a. Querschnitt.
Fig. 3 und 3a. Barrenbildung.

und trennt dadurch das Haff rechts von dem See zur Linken. Sinkt der Seespiegel im Lauf der Zeit, so können sich mehrere derartige Barren bilden, von denen die jüngere stets in tieferm Niveau liegt als die nächst ältere (Textfig. 3 und 3a). Eine ähnliche Erscheinung kennt man von den deutschen Küsten, wo bei flacher Böschung des Strandes sich seewärts vor dem Ufer unter dem Wasser mehrere parallele Rücken erheben, deren Höhe mit der Entfernung vom Ufer abnimmt. Oft liegen vier oder fünf solcher sogen. Riffe hintereinander, welche die Annäherung an die Küste selbst für kleinere Fahrzeuge unmöglich machen. Die Richtung des Küstenstroms ist nicht immer dieselbe; greift an Stelle des vorherrschenden Windes für kürzere oder längere Zeit ein andrer Wind durch, so hat auch dieser eine nun allerdings anders verlaufende Strömung zur Folge. Geht ein solcher Strom um das Ende einer Landzunge herum, so setzt sich an dasselbe eine Fortsetzung unter einem beliebigen Winkel, aus der sich allmählich ein Haken herausbildet (Fig. 1 der Tafel). Eine Landzunge entsteht auch in dem Fall, daß der Strom sich von der Küste abwendet, falls derselbe seine anfängliche Geschwindigkeit beibehält; ist das nicht der Fall, sondern tritt bei größerm Querschnitt

Fig. 4. Terrassenbildung.

des Stroms eine geringere Geschwindigkeit ein, so bildet sich vor der Küste eine Terrasse. Von der Strömungsgeschwindigkeit hängt nämlich die Tragfähigkeit des Wassers ab; verringert sich erstere, so tritt an der betreffenden Stelle eine Anhäufung des bisher mitgeschleppten Materials ein, indem der Überschuß zu Boden sinkt. Die Ablagerung geht vor der Küste vor sich und erstreckt sich immer weiter in den See hinein. Die Oberfläche dieser vom Wasser aufgebauten Terrasse ist uneben, indem sich ein Rücken an den andern anschließt (Textfig. 4). An jeder Küste gibt es gewisse Punkte, die der Erosion unterliegen, an andern Stellen wird das erodierte Material abgelagert, während die Zwischenräume von den dem Transport eigentümlichen Gebilden eingenommen werden. Der Prozeß des Transports vollzieht sich nur da, wo ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen der Menge des Driftmaterials einerseits und der Tragfähigkeit der Wellen und Strömungen anderseits besteht. Sobald dieses Verhältnis gestört wird, indem entweder der Küstenstrom eine Verstärkung erfährt oder durch zu starke Zufuhr von Geschieben verlangsamt wird, tritt sofort Erosion oder Ablagerung ein. Derjenige Faktor, der am meisten störend den Gleichgewichtszustand beeinflußt, ist der Küstenstrom. Im allgemeinen herrscht die Tendenz vor zu erodieren an vorspringenden Küstenpunkten und abzulagern in Buchten, das Resultat ist die Herstellung einer gleichmäßig verlaufenden Küstenlinie. Vgl. O. Krümmel, Handbuch der Ozeanographie, Bd. 2 (Stuttg. 1887); F. v. Richthofen, Führer für Forschungsreisende (Berl. 1886).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Landzuge