MKL1888:Straßeneisenbahnen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Straßeneisenbahnen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 376378
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Straßeneisenbahnen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 376–378. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Stra%C3%9Feneisenbahnen (Version vom 06.01.2023)

[376] Straßeneisenbahnen (engl. Tramways, Trambahnen, von Tram = Schiene mit vorspringendem Rand, Grubenschiene), Schienenwege, welche 1793 von J. Burns und Outram in Derbyshire statt auf hölzerne Lang- und Querschwellen auf Steinblöcke gelegt wurden (daher auch Outram ways genannt), u. auf denen Wagen zur Beförderung von Passagieren oder Gütern meist mittels Pferde (Pferdebahnen) oder Maschinen mit geringerer Geschwindigkeit als auf der Eisenbahn fortbewegt werden. Die Möglichkeit der Rentabilität derartiger Bahnen beruht auf der Thatsache, daß die Transportarbeit, welche ein Pferd auf den S. zu verrichten im stande ist, d. h. Anzahl der Menschen mal Kilometer täglich, wegen der verminderten Reibung eine wesentlich größere ist als auf Chaussee oder Steinpflaster, und daß daher die Straßeneisenbahn trotz billiger Fahrpreise die nicht geringen Anlagekosten durch Betriebsersparnisse zu verzinsen vermag. Bei diesen Bahnen, deren lebhafte Entwickelung erst dem letzten Jahrzehnt angehört, haben die eigenartigen Verhältnisse auch viele eigenartige, von den Lokomotivbahnen wesentlich abweichende Oberbausysteme veranlaßt. Am häufigsten wendet man Schienen an, welche mit dem Straßenpflaster genau in gleicher Höhe liegen, also den Verkehr des übrigen Fuhrwerkes nicht stören und mit einer schmalen Rinne versehen sind, worin die Spurkränze der Räder laufen. Übereinstimmend mit den Lokomotivbahnen, ist die Spurweite der S. in Europa fast allgemein 1,435 m. Bei eingeleisigen Bahnen sind sogen. Weichen in gewissen Zwischenräumen vorhanden, d. h. kurze Strecken Nebengeleise, in welches einer von zwei sich begegnenden Wagen einbiegen kann, um den andern vorüber zu lassen. Die Schienen bestehen in der Regel aus einer Hauptschiene, worauf der Radkranz läuft, und einer durch die Spurrinne von ersterer getrennten Gegenschiene, welche den Zweck hat, die Spurrinne gegen das Straßenmaterial zu begrenzen, um sie leichter reinigen zu können. In Kurven bleibt bei der äußern Schiene die Spurrinne weg, so daß der Wagen nur innen geführt ist, da sich sonst die Räder festklemmen würden. In Fig. 1 ist a die Hauptschiene,

Fig. 1. Fig. 2.
Berlin-Charlottenburger Schiene.

b die Gegenschiene der zuerst für die Berlin-Charlottenburger Pferdebahn angewendeten Schiene, die später durch die leichtere (Fig. 2) ersetzt wurde. Beide waren auf die durch Querschwellen getragenen hölzernen Langschwellen geschraubt, was den Nachteil hatte, daß das Regenwasser leicht durch die Schraubenlöcher in das Innere des Holzes drang und rasch Fäulnis veranlaßte. Um dies zu vermeiden, hat man mancherlei andre Befestigungsmittel der Schienen vorgeschlagen und angewendet, z. B. schmiedeeiserne Bügel unter die Schiene genietet, welche die Langschwelle umgreifen und seitlich an dieselbe festgenagelt (Pariser Linie Pont de Courbevoie-Suresnes) oder festgekeilt sind.

In den Vereinigten Staaten sind die S. sehr entwickelt. Die Straßen haben daselbst meist sehr wenig Wölbung, was für die Anlage der Geleise vorteilhaft ist. Die Schienen ruhen auf fichtenen Langschwellen, die wiederum auf meistens eichenen Querschwellen befestigt sind und zu beiden Seiten um 0,3 m das Geleise überragen dürfen. Der Abstand derselben wechselt zwischen 1 und 1,8 m und sinkt auf 0,6 m, wenn die Langschwellen ganz wegbleiben. Sie sind auf geschlagene Steine gelagert; die ganze Bahn wird sorgfältig drainiert (trocken gelegt). Die Geleisebreite beträgt 1,59 m. In den Kurven ist die äußere Schiene flach, die innere aber mit einer hohen Gegenschiene versehen, um die Fortbewegung in gerader Linie, Entgleisung, zu verhüten. In Wien, wo die S. seit 1868 bestehen, 1874 bereits eine Länge von 50 km doppelgeleisiger Strecke besaßen und 34 Mill. Passagiere [377] während des Ausstellungsjahrs 1873 beförderten, liegen die Schienen bei 1,455 m Spurweite auf eichenen Langschwellen von 237 mm im Quadrat und diese auf Querschwellen, die in Schotter gebettet sind. Die Vergänglichkeit der Holzschwellen, durch welche Betriebsstörungen und bedeutende Reparaturkosten erwachsen, hat neuerdings zur Anwendung eiserner Langschwellen oder zur direkten Lagerung der Schienen auf das Straßenmaterial geführt. Im letztern Fall (Stuttgart-Berg-Kannstätter Pferdebahn) müssen die Schienen eine beträchtliche Breite erhalten, um den Druck auf eine genügend große Grundfläche zu verteilen. Einige Systeme besitzen den großen Vorzug, daß die Wagen die Schienen beliebig verlassen können, um entgegenkommenden Wagen auszuweichen. Man hat dies durch schwach ausgehöhlte Schienen und entsprechend abgerundete Radkränze, ferner durch eine dritte Schiene erreicht, in die ein fünftes kleineres Rad als Leitrad eingreift, während die vier Wagenräder mit gewöhnlichen Radkränzen auf flachen Schienen laufen (Perambulatorsystem). Das Leitrad kann mittels eines Trittes vom Kutscher gehoben werden, worauf der Wagen im stande ist, aus dem Geleise abzulenken. Erspart wird die dritte Schiene auf der Berliner Linie Alexanderplatz-Weißensee, indem hier die vier Laufräder der Wagen ohne Spurkränze auf den Schienen laufen und anfangs nur durch ein fünftes, auf der linken Schiene laufendes kleines Spurrad, welches, am vordern Ende des Wagens an einem Hebel sitzend, ebenfalls durch einen Fußtritt vom Kutscher ein- und ausgelegt werden konnte, auf dem Geleise gehalten wurden. Nach etwa halbjährigem Betrieb brachte man zur größern Sicherheit des Geleisehaltens zwei an einem gemeinschaftlichen Hebel sitzende Spurräder an. Dieses System gestattet den Pferdebahnbetrieb in den engsten Straßen, da nur ein einziges Geleise notwendig ist, indem zum Ausweichen je ein Wagen durch Aushebung der Spurräder das Geleise verläßt, bis der andre vorbei ist. Die Schiene besteht hier aus zwei gleichen, ebenen Laufflächen von ca. 40 mm Breite, mit einem Zwischenraum von 30 mm für die Spur. Es ist zu erwarten, daß dieses System eine bedeutende Zukunft hat, namentlich weil das hier benutzte Schienensystem den Wagenverkehr nicht im geringsten stört. Neuerdings wird vielfach auf den Straßenbahnen die Betriebskraft der Pferde durch Dampfkraft ersetzt. Man benutzt Lokomotiven von 15–100 effektiven Pferdekräften mit Rauchverbrennungs- und Kondensationsvorrichtungen und möglichst ruhigem Gang, um die Passagiere und Fußgänger nicht zu belästigen und Pferde nicht scheu zu machen. Solche Dampfstraßenbahnen sind besonders in Oberitalien in beträchtlicher Ausdehnung vorhanden und vermitteln den Personen- und Güterverkehr zwischen Ortschaften abseits der Eisenbahnen. Auch feuerlose Lokomotiven sind für S. benutzt worden, ebenso Dampfwagen, bei welchen die Dampfmaschine in dem für die Personenbeförderung bestimmten Wagen angebracht ist (s. Lokomotive, S. 890).

Ein in Amerika mehrfach in Anwendung befindliches Straßenbahnsystem mit Dampfbetrieb (Taubahnen, Kabel-, Seilbahnen) benutzt stationäre Dampfmaschinen und zur Übertragung der Zugkraft auf die Wagen ein unter dem Straßenplanum laufendes Stahldrahtseil ohne Ende. Die Bahn selbst ist eine zweigeleisige, und die beiden Seiltrümer sind so gelegt, daß das eine fortwährend nach derselben Richtung hinlaufende Trum unter dem einen Geleise, das andre in entgegengesetzter Richtung bewegte unter dem zweiten Geleise bleibt, entsprechend dem Lauf der hin- und hergehenden Wagen. Damit das Seil weder den sonstigen Wagenverkehr behindert, noch selbst einer Beschädigung oder Beschmutzung ausgesetzt ist, zugleich aber die Ankuppelung der Wagen gestattet, liegt unter jedem Geleise ein Rohr unter dem Straßenplanum, in welchem zahlreiche um horizontale Achsen drehbare Leitrollen zur Aufnahme des etwa 25 mm starken Seils dienen. An den beiden Enden der ganzen Strecke wird das Seil aus einem Geleise in das andre durch horizontale Wenderollen von 2,4 m Durchmesser übergeleitet. Die Röhren sind auf ihre ganze Länge an der Oberseite geschlitzt, um eine Verbindung zwischen Wagen und Seil zu ermöglichen, und zwar ist der Schlitz so viel von der Rohrmitte entfernt angebracht, daß einerseits kein Schmutz auf das Seil und die Leitrollen fallen und anderseits ein vom Wagen durch den Schlitz hinabreichender Kuppelungsarm den an den Gefällewechseln über dem Seil befindlichen Ablenkungsrollen ausweichen kann. Eine von dem Wagen herabreichende Stahlschiene wird mittels einer an ihrem untern Ende angebrachten, vom Führerstand des Wagens aus mittels Hebels zu handhabenden Seilklemme mit dem Seil verkuppelt. Diese Klammer hat die Form einer Zange und ist mit zwei das Seil erfassenden Klemmbacken aus weichem Gußeisen versehen. Das Anhalten und Weiterfahren an den Haltestellen erfolgt durchaus stoßfrei und wird von dem Kondukteur durch Lösen und Schließen der Klemme besorgt. Die Betriebsmaschine ist ungefähr in der Mitte der ganzen Bahnstrecke aufgestellt und liegt seitwärts von der Bahn, so daß an dieser Stelle eine rechtwinkelige Ablenkung des dem nächstliegenden Geleise angehörigen Seiltrums erfolgen muß, um das Seil nach der Betriebsscheibe hinzuleiten. Dieser Ablenkung des Seils kann die Seilklemme aber nicht folgen und muß daher kurz vor der Ablenkungsstelle gelöst und gleich hinterher wieder angeschlossen werden, während der Wagen infolge seines Beharrungsvermögens die kurze dazwischenliegende Strecke frei durchfährt. Ein ähnliches Manöver muß bei Kurven gemacht werden, und damit hier die bedeutend längere Strecke ohne Seilantrieb sicher durchfahren werden kann, sind die Geleise vor der Kurve etwas ansteigend ausgeführt, um in der Kurve eine zur sichern Weiterbeförderung des Wagens erforderliche Neigung zu erhalten. Für den Betrieb wird nicht jeder Wagen einzeln an das Seil angeschlossen, sondern man fährt mit einem kleinen Zug von zwei gewöhnlichen Straßenbahnwagen und einem davor befindlichen Kuppelungswagen, welch letzterer aber außer dem Kondukteur noch Passagiere aufnimmt. Auf der Hängebrücke zwischen New York und Brooklyn wird eine Taubahn mit einem 38 mm dicken, 3492 m langen Drahtseil betrieben. Dasselbe wird mit 15 km Geschwindigkeit in der Stunde täglich 20 Stunden lang in Betrieb erhalten. 10–20 Wagen werden gleichzeitig angehängt, ihr Gewicht beträgt durchschnittlich je 10 Tonnen. Die Wagen folgen in Zeitabständen von 0,6–1,2 Minuten, so daß täglich 1200 ganze Reisen (hin und zurück) ausgeführt werden. Über Elektrische Eisenbahnen s. d.

Vgl. Clark, Tramways, their construction and working (Lond. 1878; deutsch von Uhland, Leipz. 1880, 2 Bde.); „Die Straßen- und Zahnradbahnen“ (Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, Supplementband 8, Wiesb. 1882); „Zeitschrift für das gesamte Lokal- und Straßenbahnwesen“ (das., seit 1881); „Zeitschrift für Transportwesen und [378] Straßenbau“ (Berl., seit 1884); v. Lindheim, Die Straßenbahnen, Statistisches etc. (Wien 1888); Huber, Das Tramwayrecht (Zürich 1889).