Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 15 (1889), Seite 280282
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Steinzeit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 280–282. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Steinzeit (Version vom 07.12.2024)

[280] Steinzeit (Steinzeitalter, hierzu Tafel „Kultur der Steinzeit“), der erste große Abschnitt der Prähistorie, in welchem der auf niedriger Kulturstufe befindliche Mensch den Gebrauch der Metalle noch nicht kannte und seine Geräte, Werkzeuge und Waffen aus Holz, Knochen, Horn, besonders aber aus Stein herstellte. Solche Steingeräte wurden früher als vom Himmel herabgefallene Blitzsteine oder Donnerkeile betrachtet, auch wegen ihrer Form Katzenzungen genannt. Im Gegensatz zur Metallzeit (s. d.) umfaßt die S. außerordentlich lange Zeiträume, innerhalb deren der Kulturfortschritt durch allmähliche Vervollkommnung der besagten Geräte sich zu erkennen gibt. Man unterscheidet die ältere S. oder paläolithische Periode und die jüngere S. oder neolithische Periode. In der ältern wurden die im allgemeinen sehr primitiven Steingeräte durch Zuhauen, bez. vermittelst des durch Schläge bewirkten Absplitterns geeigneter Stücke von größern Steinklumpen hergestellt, während Waffen und Geräte der jüngern S. durch Schleifen und Polieren ihre Form erhalten haben. Eine scharfe Grenze zwischen beiden Perioden läßt sich selbstverständlich nicht ziehen, und bezüglich einzelner Funde, wie der dänischen Küchenabfälle, ist es zweifelhaft, ob sie der paläo- oder der neolithischen Periode oder einer Übergangszeit angehören. Die ältere S. fällt im allgemeinen zusammen mit der diluvialen und eiszeitlichen Existenz des Menschengeschlechts, die jüngere S. mit der alluvialen und nacheiszeitlichen Existenz des Menschen. Das Zusammenfallen der ältern S. in Deutschland mit der Diluvialperiode erklärt sich nach Penck aus dem gegen Ende der Diluvialzeit stattgehabten klimatischen Wechsel (Abschmelzen der Gletscher), welcher Veränderungen in der Bewohnbarkeit gewisser Länderstrecken hervorrief, die ihrerseits wieder zu Wanderungen des vorgeschichtlichen Menschen Anstoß gaben, bei welchen im Besitz der neolithischen Kultur befindliche Volksstämme nach Europa gelangten und der paläolithischen Kultur den Untergang bereiteten. Die Fundstätten, welche über die Existenzbedingungen und Lebensweise des Menschen der ältern S. Aufschlüsse liefern, liegen in diluvialen Ablagerungen der Flußthäler und in den Kalkhöhlen Deutschlands, Belgiens, Frankreichs und Englands. Knochen des Höhlenbären und Höhlenlöwen, des Mammuts, Auerochsen, Hippopotamus, mehrerer Rhinozerosarten, des irischen Riesenhirsches u. a. werden mit körperlichen Überresten, Geräten und sonstigen

[Beilage]

[Ξ]

Kultur der Steinzeit.
Paläolithische Feuersteingeräte. Dolmen. Feuersteinäxte und Schleifsteine.
Feuersteinnucleus, Messer, Pfeilspitzen und Schaber.
Steinkreis.
Durchbohrte Steinhämmer.
Feuersteindolche, Lanzenspitze und Säge. Tumulus mit Grabkammern.

[281] Spuren des paläolithischen Menschen auf gemeinschaftlicher Lagerstätte angetroffen. Im Rheinthal und in Frankreich aufgefundene Moschusochsenschädel, die hin und wieder die Spuren menschlicher Thätigkeit erkennen lassen, sowie die in den Höhlen des Périgord, im Keßlerloch bei Thayingen (Kanton Schaffhausen) und anderwärts aufgefundenen bearbeiteten Renntiergeweihe beweisen, daß der paläolithische Mensch diese Gegenden zu einer Zeit bewohnt hat, wo das Klima Nord- und Mitteleuropas ein kälteres gewesen ist als heutzutage. Während die Funde von Taubach (unweit Weimar) andeuten, daß der Mensch der ältern S. das heutige Thüringen während der der letzten Vergletscherung vorausgehenden Interglazialepoche (zwischen zwei Vergletscherungen fallende wärmere Zwischenperiode) bewohnt hat, zeigen die Funde von der Schussenquelle (Oberschwaben), bestehend in einer nordische Moose enthaltenden, unmittelbar auf der Rheingletschermoräne gelegenen Kulturschicht, daß der Mensch hier während der letzten Vergletscherungsepoche lebte. Die Nahrung des paläolithischen Menschen bestand aus dem Fleisch der erwähnten Tiere und aus Fischen; auch das diluviale Pferd hat, wie die Funde zahlreicher, zur Gewinnung des Knochenmarks aufgeschlagener Pferdeknochen beweisen, als Nahrungsmittel des Menschen der ältern S. eine wichtige Rolle gespielt. Außer den Höhlen dienten ihm Erdgruben und aus Fellen hergerichtete Zelte als Wohnungen. Daß er die Felle des erlegten Wildes mit Hilfe von Tiersehnen zur Kleidung aneinander nähte, deuten die in diluvialen Höhlen gefundenen Knochennadeln an, welche durch langen Gebrauch abgenutzt sind. Man fand auch Stücke farbiger Erde zum Bemalen des Körpers und zum Teil höchst primitive Schmuckgegenstände (durchbohrte Tierzähne, welche, mit Darmsaiten zur Kette aneinander gereiht, getragen wurden, Knochen kleiner Tiere, Schneckengehäuse und Muscheln, Stücke Jet, Plättchen von Renntierhorn u. dgl.). Die in französischen Höhlen, im Keßlerloch und anderwärts aufgefundenen Gravierungen in Renntierhorn u. Mammutelfenbein und die aus diesem Material hergestellten Schnitzereien beweisen eine gewisse Begabung für bildnerische Thätigkeit. Als Material für die primitiven Geräte, welche in paläolithischen Fundstätten angetroffen werden, dienten vorzugsweise Feuersteinknollen, die den Gegenstand eines ausgedehnten Handelsverkehrs bildeten und zum Teil durch primitiven Bergbau (s. Schmutzgruben) gewonnen wurden. In der Nachbarschaft der Feuersteinlager entstanden auch jene Feuersteinwerkstätten, von wo aus die Umgebung mit Werkzeugen und Waffen versehen wurde. Solche Werkstätten wurden in Frankreich zu Pressigny le Grand, in Belgien auf dem rechten Ufer der Trouille, unweit Spiennes, aufgedeckt. Während für schneidende oder stechende Werkzeuge und Waffen Gesteinsarten, welche beim Behauen eine scharfe Kante liefern, wie Feuerstein, Jaspis, Quarz, Achat, Obsidian u. dgl., vorzugsweise Verwendung fanden, wurden Hämmer und Äxte aus Diorit, Porphyr, Basalt u. dgl. angefertigt. Daß die Bearbeitung des Rohmaterials in der nämlichen Weise stattfand, wie noch heutzutage die Eingebornen Australiens ihr Steingerät herstellen, indem sie nämlich gegen den zwischen den Füßen festgehaltenen Steinblock rasch aufeinander folgende Schläge führen, dies beweisen die an der Mehrzahl der paläolithischen Geräte und Waffen nachweisbaren Schlagmarken. Letztere lassen die von Menschenhand hergestellten Steinobjekte sicher von jenen Steinfragmenten unterscheiden, welche durch zufällige Zersplitterung ohne Mitwirkung des Menschen entstehen. Indem von den Feuersteinknollen messerförmige Späne oder Splitter abgesprengt werden, bleiben in der Regel jene charakteristisch geformten Steinkerne (nuclei, s. Tafel „Kultur der Steinzeit“) übrig. Arbeitssteine, ovale Steine mit Aushöhlungen an einer oder beiden Oberflächen, dienten als Hämmer oder Schnitzer. Die Schlagsteine (Schlagkugeln) zeigen auf den Rändern die Spuren der mit ihnen ausgeführten Schläge. Die Steinmesser (s. Tafel) sind dünne, zweischneidige, einer Barbierlanzette ähnelnde, länglich-ovale Splitter, die Schabsteine (s. Tafel) im allgemeinen von mehr unregelmäßiger Form. Sehr häufig finden sich in den ältern paläolithischen Fundstätten mandelförmige Steinäxte (s. Tafel), die wahrscheinlich vermittelst Tiersehnen an einem Holzstiel befestigt, aber auch als Meißel oder Pfrieme verwendet wurden. Steinobjekte von drei- oder viereckiger Form, die auf der einen Seite flach, auf der andern mehr oder weniger gewölbt, 21/2–51/2 Zoll lang, 11/2 bis 21/2 Zoll breit sind, und die eine wenn auch nicht scharfe, doch sehr starke Schneide besitzen, werden vorzugsweise in den Küchenabfallhaufen Dänemarks angetroffen und in der Regel als kleine Steinbeile bezeichnet, von Steenstrup aber als Angelschnurgewichte gedeutet. Von Schleudersteinen unterscheidet man einfache, roh bearbeitete Feuersteinstücke und runde, etwas abgeflachte, zierlich gearbeitete Scheiben. Aus Feuerstein hergestellte Sägen (s. Tafel) gehören in paläolithischen Fundstätten ebenfalls nicht zu den Seltenheiten. Die Pfeilspitzen (s. Tafel) der ältern Stadien der paläolithischen Zeit sind von plumper, dreieckiger Gestalt, später finden sich leichter und besser gearbeitete, rautenförmige, blattförmige oder mit Widerhaken versehene Stücke, und daß gegen das Ende der ältern S. eine bedeutende Vervollkommnung in der Herstellung der Geräte und Waffen stattgefunden hat, beweisen die kunstvoll gearbeiteten, meist lorbeerblattförmigen Dolch- und Speerspitzen (s. Tafel), wie sie in jüngern paläolithischen Fundstätten wiederholt angetroffen wurden. Ferner finden sich Speerspitzen und Harpunen aus Knochen, Renntier- und Hirschgeweih sowie eigentümlich geformte, aus dem nämlichen Material hergestellte und mit Gravierungen versehene Objekte, welche als Kommandostäbe (Abzeichen des Häuptlings etc.) bezeichnet werden. In Gemeinschaft mit paläolithischen Geräten werden in Deutschland und Belgien, aber nicht in Frankreich und England Scherben irdenen Geschirrs, die, mit der Hand geformt und an der Sonne getrocknet, nur geringe Kunstfertigkeit verraten, nicht selten angetroffen.

Die relativ hohe Entwickelungsstufe, welche der Mensch der jüngern S. im Vergleich zum paläolithischen Menschen einnimmt, äußert sich zunächst in der außerordentlich sorgfältigen und stellenweise einen nicht geringen Geschmack bekundenden Herstellung der Waffen und Werkzeuge, die zum Teil auch bedeutende Dimensionen aufweisen. So fanden sich z. B. in Skandinavien sorgfältig gearbeitete Steinäxte, welche 33 cm lang sind und in der Mitte eine Breite von 55–57 mm und eine Dicke von 35–38 mm aufweisen. Die neolithischen Feuersteingeräte sind nicht von Knollen abgeschlagene Steinsplitter, sondern von allen Seiten bearbeitete Steinstücke. Dieselben sind geschliffen oder mehr oder weniger sorgfältig gemuschelt, d. h. es sind aus dem Feuerstein Teilchen in muschelförmigem Bruch herausgehoben. Neben einfachen, beiderseits zur Schneide konvex sich zuschärfenden Axtblättern finden sich Steincelte, [282] d. h. von der Schneide nach hinten zu schmäler werdende Geräte, die als Messer, Hacken und Streitäxte dienten, sowie lange und schmale Instrumente mit einseitig flacher Schneide, die als Meißel oder Hobel bezeichnet werden; auch Hohlmeißel wurden angetroffen. Ferner finden sich steinerne Mörser und Handmühlen zum Zerreiben von Getreidekörnern. Die Schleifsteine (s. Tafel) bestehen gewöhnlich aus feinkörnigem Sandstein mit einer oder mehreren Schliffflächen. Als Hämmer (s. Tafel) werden Äxte bezeichnet, die statt der Schneide eine mehr oder weniger abgestumpfte Fläche tragen, während Hammeräxte an einem Ende die Schneide der Axt, am andern die Fläche des Hammers besitzen. Zur Befestigung des keilförmigen Steinbeils am hölzernen Stiel wurde es in einen Einschnitt an dem umgebogenen Ende eines krummen Holzgriffs gesteckt und mit kreuzweise umgelegten Riemen oder mit einer Schnur befestigt, oder man höhlte ein Stück Hirschhorn oder Renntiergeweih zu einer das Steingerät teilweise umfassenden Hülse aus, welche dann am dicken Ende einer Holzkeule oder eines Stockes befestigt wurde. Anderseits wurden die Steinäxte, um einen hölzernen Stiel hindurchzustecken, durchbohrt. Rau hat nachgewiesen, daß man das härteste Gestein mit einem hölzernen Stab oder einem cylinderförmigen Knochen, den man in schnelle Umdrehung versetzt, unter Anwendung von Sand und Wasser durchbohren kann. Auch ein zugespitztes Hirschhornstück oder ein an einem Holzstab angebrachter spitzer Feuerstein, der mit Hilfe einer an einem Bogen befestigten, sich auf- und abwickelnden Schnur in schnelle Umdrehung versetzt wurde, fand vielfach Verwendung. Zur Zerteilung eines großen Steinblocks bediente man sich einer an einem hin- und herschwingenden Baumast befestigten Feuersteinsäge, mit der man den Block von verschiedenen Seiten ansägte, während die übrigbleibende Verbindung mit dem Meißel durchgesprengt wurde. Besonderes Interesse knüpft sich an die aus Nephrit und Jadeit hergestellten Geräte, da die Herkunft des Materials mehr oder weniger zweifelhaft ist (vgl. Nephrit). Die aus Knochen und Horn hergestellten Objekte der jüngern S. bekunden zum Teil hervorragende technische Fertigkeit. Aus diesen Materialien hergestellte Angelhaken, Harpunen und Stechspeere für den Fischfang, ferner knöcherne Pfrieme, Meißel, Dolche, Pfeil- und Lanzenspitzen, aus Rippen des Hirsches oder der Kuh hergestellte Kämme zum Flachshecheln und ähnliche Objekte gehören nicht zu den Seltenheiten. Aus Holz gefertigte Gegenstände, wie Speerstangen, Bogen, Kämme aus Buchsbaumholz, aus einem Baumstamm ausgehöhlte Kähne u. dgl., haben sich ebenfalls hier und da erhalten. Die neolithischen Schmuckgegenstände zeichnen sich vor den paläolithischen durch größere Mannigfaltigkeit aus.

Die Fundstätten der jüngern S. sind über ganz Europa zerstreut, und auch außerhalb Europas werden dieselben häufig angetroffen; ganz besonders reich aber hat sich Skandinavien erwiesen. Außer den gewöhnlichen neolithischen Objekten finden sich im N. und O. Schwedens aus Schiefer hergestellte Altertümer, die man für Überreste der S. der Lappen hält und als arktische Steinkultur bezeichnet. Außerordentlich reich an neolithischen Fundstücken ist Rügen, von wo aus in prähistorischer Zeit ein großartiger Export von Feuersteingeräten stattfand. Außer in Höhlen, wohnte der neolithische Mensch auf im Wasser errichteten Pfahlgerüsten (s. Pfahlbauten). Im nördlichen Europa dienten ihm wohl während des Sommers aus Fellen hergestellte Zelte, im Winter vermutlich niedrige Hütten aus einem Gerüst von Walfischrippen und Holz, das mit Rasenstücken oder mit einer Lage Torf und darübergeschütteter Erde bedeckt wurde, als Wohnungen. Die Form der letzterwähnten Behausungen ist nach Sven Nilsson in den skandinavischen Ganggräbern nachgeahmt. Das Andenken seiner Toten ehrte der neolithische Mensch durch Aufwerfen von Grabhügeln (s. Gräber u. Tafel) sowie durch Errichtung von Dolmen und Steinsetzungen (s. d.). Ein besonders wichtiges Kennzeichen der neolithischen Kultur besteht darin, daß während dieses Abschnitts der Prähistorie der Mensch zuerst Tiere zähmt, daß ebensowohl die Anfänge der Viehzucht als diejenigen des Ackerbaues dieser Epoche angehören, daß der neolithische Mensch aus Pflanzenfasern rohe Gewebe und Gespinste herstellt, und daß derselbe, wie die Funde an Gefäßen und Gefäßscherben beweisen, in der Thonbildekunst bereits erhebliche Fortschritte gemacht hat. Vgl. Joly, Der Mensch vor der Zeit der Metalle (Leipz. 1880); de Nadaillac, Die ersten Menschen und die prähistorischen Zeiten (deutsch, Stuttg. 1884); Kinkelin, Die Urbewohner Deutschlands (Lindau 1882); Fischer, Betrachtungen über die Form der Steinbeile auf der ganzen Erde („Kosmos“, Bd. 10, S. 117); Tischler, Beiträge zur Kenntnis der S. in Ostpreußen etc. (Königsb. 1882–83, 2 Hefte); Montelius, Die Kultur Schwedens in vorchristlicher Zeit (deutsch, Berl. 1885); Maška, Der diluviale Mensch in Mähren (Neutitschein 1886); Rau, Drilling in stone without the use of metals (Washington 1869); Baier, Die Insel Rügen nach ihrer archäologischen Bedeutung (Strals. 1886).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 886
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[886] Steinzeit, Chronologie derselben, s. Anthropologenkongreß, S. 30.