Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Schnepfe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 586587
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Wiktionary: Schnepfe
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Schnepfe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 586–587. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Schnepfe (Version vom 29.09.2021)

[586] Schnepfe (Scolopax L.), Gattung aus der Ordnung der Stelzvögel und der Familie der Schnepfen (Scolopacidae), meist kleinere Vögel mit gedrungenem Leib, mittelgroßem, seitlich zusammengedrücktem, hochstirnigem Kopf, sehr weit nach oben und hinten stehenden Augen, langem, geradem, dünnem, stumpfschneidigem, weichem, mit nervenreicher Haut überzogenem und als Tastorgan dienendem Schnabel, kurzen, breiten, ziemlich gewölbten, stumpfspitzigen Flügeln, niederm, weichem, stämmigem, bis auf die Ferse befiedertem Fuß mit langer Mittelzehe und kurzem Schwanz. Sie bewohnen feuchte, sumpfige Orte, leben meist paarweise, im Winter in großen Gesellschaften, sind vorzugsweise Nacht- oder Dämmerungsvögel, suchen ihre Nahrung, die aus Kerbtieren besteht, mit dem Schnabel tastend, in lockerer Erde, laufen gut, fliegen vortrefflich, nisten meist auf dem Boden und legen vier Eier, welche beide Geschlechter bebrüten. Die S. (Wald-, Holz-, Bergschnepfe, Scolopax rusticola L., s. Tafel „Watvögel I“), 32 cm lang, 58 cm breit, mit grauem Vorderkopf, braun und gelb gestreiftem Ober- und Hinterkopf, übrigens rotbraun, graugelb und schwarz gebändert und gefleckt, an der Kehle weißlich, unterseits graugelblich und braun gewellt, Schwingen braun, Steuerfedern schwarz, beide rostfarben gefleckt; das Auge ist braun, Schnabel und Fuß sind grau. Sie bewohnt ganz Europa, Nord- und Mittelasien, geht auf dem Zug bis Nordwestafrika und Indien, weilt bei uns von März bis Oktober. Die S. bevorzugt Laub- und Nadelwaldungen mit feuchtem, weichem Boden, in welchem sie nach Regenwürmern, Schnecken und Insektenlarven bohren kann. Sie ist höchst furchtsam und scheu, dabei klug und listig, hält sich am Tag stets verborgen und streicht nur in der Dämmerung umher. Sie nistet in Deutschland nur vereinzelt (in den Mittelgebirgen und in Norddeutschland) und legt vier braunrote oder gelbliche, dunkel gefleckte Eier (s. Tafel „Eier II“) in ein kunstloses Nest hinter einen Busch, einen alten Stock etc. In günstigen Jahren brütet sie zweimal. In der Gefangenschaft wird sie leicht zahm. Zur nahe verwandten Gattung Sumpfschnepfe (Gallinago Leach), charakterisiert durch den verhältnismäßig langen Schnabel, mit mittellangen, über die Ferse nackten Füßen, langen Zehen, langem, gekrümmtem Nagel an der Hinterzehe und sehr stark ausgeschnittenen Flügeln, gehört die Mittelschnepfe (Doppel-, Pfuhlschnepfe, G. major Bp.), 28 cm lang, 55 cm breit, am Oberkopf bräunlichschwarz, braungelb gestreift, oberseits braunschwarz, heller gefleckt und gestreift, am Bürzel braunschwarz, rostrot gefleckt, unterseits weißlich mit dunkelbraunen, dreieckigen Flecken, die Schwingen braun, vor der Spitze grauweiß gesäumt, der Schwanz rostrot, schwarz gebändert, weiß gesäumt, findet sich im Norden Europas und Asiens, durchwandert ganz Afrika und Asien, durchzieht Deutschland im Mai und September und brütet auch vereinzelt bei uns. Sie lebt in Sümpfen und Mooren auf ziemlich trocknem Boden, ist wenig gesellig, findet sich aber oft mit ihresgleichen zusammen. Sie brütet Ende Mai oder im Juni; Nest und Eier gleichen denen der Haarschnepfe. Ihr Fleisch ist das köstlichste aller Schnepfen. Die Haarschnepfe (Heer-, Moor-, Bruchschnepfe, Bekassine, G. gallinaria Gray), 29 cm lang, 45 cm breit, oberseits braunschwarz mit breitem, rostgelbem Streifen, welcher längs der Kopfmitte verläuft, und vier rostgelben Streifen auf Rücken und Schultern, auf der Unterseite weiß, auf dem Vorderhals grau und hier, auf der Oberbrust und an den Seiten braun gefleckt, bewohnt Europa und einen großen Teil Asiens, besonders den Norden, geht im Winter bis 10° nördl. Br., durchzieht Deutschland vom Februar bis April und vom August bis Oktober und verweilt einzeln auch im Winter bei uns, lebt in Sümpfen und Brüchern, erscheint oft massenhaft, ohne besonders gesellig zu sein, ist auch viel am Tag thätig, läuft schneller als die Verwandten, fliegt und schwimmt trefflich, ist scheu und furchtsam, aber doch bewegungslustiger als andre Arten. Sie nährt sich von kleinen Wassertieren und wird bei reichlichem Futter ungemein fett. In der Begattungszeit treiben die Männchen allerlei Flugkünste und erzeugen durch ungemein schnelle, zitternde Bewegung der Spitzen der Schwanzfedern einen dem Meckern der Ziege ähnlichen Ton (daher Himmelsziege). Die Haarschnepfe nistet im Riedgras, wo oft die Nester nahe bei einander stehen, und legt im April und Mai vier grünlich olivengelbe, grau, braun und schwarz gefleckte Eier (s. Tafel „Eier II“). Ihr Fleisch ist schmackhafter als das der Waldschnepfe. Für die Gefangenschaft eignet sie sich wenig. Die Moorschnepfe (stumme Schnepfe, G. Gallinula Gray), 16 cm lang, 39 cm breit, am [587] Kopf, Zügel und unter den Wangen braun, mit zwei rostgelben Streifen über und unter dem Auge, schwarzblauen Mantelfedern mit vier rostgelben Hauptstreifen, an den Seiten grau, bräunlich gewellt und gefleckt, übrigens weiß, Schwung- und Steuerfedern schwarz, letztere rostgelb eingefaßt, findet sich in Rußland und Westsibirien, geht bis Indien und Nordafrika, erscheint bei uns mit der Haarschnepfe, ist aber seltener und brütet auch weniger häufig bei uns. Die Eier sind denen der Bekassine ähnlich, aber kleiner und glattschaliger.

[Jagd.] Die Waldschnepfe wird auf dem Zug (Schnepfenstrich), auf der Suche und beim Suhlen geschossen, auch in Laufdohnen gefangen. Mit dem Eintritt warmer Frühjahrswitterung erscheinen die Waldschnepfen zuerst spärlich, dann häufiger, bis der Durchzug gewöhnlich im ersten Drittel des Aprils, wenn die Frösche zu quaken beginnen, beendet ist und nur noch die wenigen hier brütenden Exemplare zurückbleiben, die später um Johannis in ähnlicher Weise des Abends wieder laut streichen. Man hat den bekannten Jägerspruch für die Zugzeit:

Reminiscere – Gewehr in die Höh’,
Okuli – da kommt sie,
Lätare – ist das Wahre,
Judika – ist sie auch noch da,
Palmarum – Tralarum!

Selbstverständlich ist derselbe nicht immer zutreffend, da Ostern sehr verschieden fällt. Die Ankunft der Bachstelze, des roten Milans etc. zeigt auch die der Waldschnepfe an. Zuerst erscheinen gewöhnlich kleine Exemplare derselben (Blaufüße, Spitzköpfe, Dornschnepfen), später folgen die größern „Eulenköpfe“. Hoffmann hält die erstern für Vögel, die unter ungünstigen Verhältnissen erwachsen sind, und für junge, im ersten Lebensjahr stehende, noch nicht fortpflanzungsfähige Männchen. An warmen Frühjahrsabenden zieht oder streicht die S. in langsamem, wiegendem Flug über junge Kulturen, Bruch- und Schlagflächen etc., wobei sie den Balzlaut „quarr, quarr – psik – psik“ ab und zu hören läßt. An windigen und kalten Abenden streicht sie schnell und stumm oder doch nur puitzend. Der Abendzug beginnt mit Eintritt der Dämmerung und dauert etwa bis zum Erscheinen der ersten Sterne. Zwar streicht die S. auch des Morgens, sobald der Tag graut, aber nur kurze Zeit und meist nicht laut. Die Suche wird mit einem ruhigen und kurz zu führenden Vorstehhund, dem man zweckmäßig ein Klingelhalsband umhängt, weil man ihn oft im Gebüsch nicht zu sehen vermag, im Frühjahr in feuchten, im Herbst in trocknen Jungholzbeständen geübt. Die S. hat besondere Lieblingsplätze, an welchen man sie vorzugsweise findet, sie vermeidet festen, graswüchsigen Boden, auf dem sie nicht stechen (mit dem in die Erde gebohrten Schnabel nach Würmern suchen) kann. Bei anhaltender Dürre fällt sie gern bei kleinen Wassertümpeln ein, um dort zu baden und zu stechen, und wird hier leicht auf dem Anstand erlegt. Um sie in Laufdohnen zu fangen, kehrt man in solchen Schonungen, in denen sie gern zu liegen pflegt, schmale gras- und unkrautreine Steige und stellt auf denselben aus schwachen Gerten gefertigte, mit Schlingen von Pferdehaar versehene Bügel, in welchen sie beim Durchkriechen hängen bleibt (s. Laufdohne). Auf solchen Revieren, wo im Frühjahr und Herbst die Waldschnepfen häufig einfallen, veranstaltet man auch wohl zur Erlegung derselben Treibjagden. Die übrigen Schnepfenarten werden zur Zugzeit im Frühjahr und Herbst auf Bruchflächen mit dem Vorstehhund gesucht und geschossen. Die Pfuhlschnepfe ist im ganzen selten, sie liebt mehr mäßig nasse Brücher, hält den Hund gut aus und fällt selbst nach einem Fehlschuß bald wieder ein. Die Bekassine und die Stummschnepfe ziehen durchbrüchige, sumpfige Brücher vor; erstere liegt weit weniger fest als letztere, läßt beim Auffliegen den Laut „etsch, etsch“ hören und zieht meist weit fort, ehe sie wieder einfällt, während die Stummschnepfe oft so aushält, daß man fast darauf treten kann, bis sie ohne Laut auffliegt und auch nur kurze Strecken fortstreicht. Sämtliche Schnepfenarten liefern sehr schmackhaften und von Feinschmeckern hochgeschätzten Braten; bei dem überaus schnellen Flug, besonders der Bekassine, gelingt es jedoch nur sehr gewandten Flugschützen, sie mit einiger Sicherheit, ohne viele Fehlschüsse zu erlegen. Aus den fein gehackten, in Butter gedünsteten Eingeweiden, Magen, Leber etc. wird der sogen. Schnepfendreck bereitet, welchen man, auf geröstete Weißbrotscheiben gestrichen, genießt. Neben dem Schnepfendreck schätzen Feinschmecker besonders den Kopf der S. – Die Herbstschnepfe ist fleischiger, zarter und wohlschmeckender als die magere Frühlingsschnepfe, der man jedoch einen besonders pikanten Geschmack nachrühmt. Vgl. Hoffmann, Die Waldschnepfe (2. Aufl., Stuttg. 1887); v. Thüngen, Die Waldschnepfe (Würzb. 1879).