MKL1888:Schneeverwehungen
[731] ✽ Schneeverwehungen. Die großen S. der letzten Winter haben so umfangreiche und das gesamte Kulturleben beeinflussende Unterbrechungen des Eisenbahnbetriebes zur Folge gehabt, daß naturgemäß der Frage nach Anlagen zur Verhütung von S. und nach Mitteln zur Beseitigung von Schneeanhäufungen, welche durch eine lange Reihe schneearmer Jahre als unwesentlich vernachlässigt waren, nunmehr eine erneute lebhafte Beachtung geschenkt wurde. Am sichersten und besten wäre es jedenfalls, die S. durch geeignete Mittel überall vollkommen zu verhüten; jedoch würde eine allgemeine Durchführung und Unterhaltung diesbezüglicher Schutzvorrichtungen gegenüber der Wegräumung der Schneemassen in jedem einzelnen, zum Glück nicht allzu häufig eintretenden Fall einer Verwehung so erhebliche Mehrkosten verursachen, daß dadurch der Vorteil der gänzlichen Beseitigung der Betriebsstörungen zu teuer erkauft würde. In welchem Umfang die vorbeugenden Mittel anzuwenden und wann die Mittel zur Beseitigung vorteilhafter sind, wird immer einerseits nach der Wichtigkeit der betreffenden Bahnstrecke zu beurteilen sein, anderseits aber von dem Grade der Vervollkommnung der Vorrichtungen zur Schneeräumung abhängen. Kann ein langer Einschnitt auch bei schwerem Schneetreiben mit Sicherheit durch Schneeräumung mittels geeigneter Maschinen in dem für den Hauptbetrieb erforderlichen Umfang, etwa mit Unterbrechungen, die höchstens nach Stunden zählen, schneefrei gehalten werden, so tritt naturgemäß die Frage der Anlage von Schneewehren in ein andres Stadium, als wenn die Schneemassen durch Handschaufeln oder günstigsten Falls durch einen Schneepflug beseitigt werden müssen, wozu eine sehr viel längere und im voraus nicht zu bestimmende Zeit verbraucht wird. Um die mit S. verbundenen Übelstände zu mildern, wird von vielen Seiten auch dringend empfohlen, von den Wetterwarten an die Eisenbahnverwaltungen Schneewarnungen erteilen zu lassen, nach Analogie der Sturmwarnungen für die Seeküsten. Ist man vorher gewarnt, so kann man den Schneewehen mit größerm Erfolg entgegentreten, man kann die Streckenarbeiter geeignet disponieren und vermehren, an besonders gefährdeten Stellen provisorische Schutzvorrichtungen anbringen, die Züge und Stationen mit Lebensmitteln versehen etc.
Die mit Schnee erfüllte Luft verhält sich ähnlich wie Wasser, welches Sinkstoffe enthält. Solange keine Verminderung der Geschwindigkeit eintritt, wird der Schnee fortgetrieben, ohne besondere Ansammlungen, S., zu bilden. Wo jedoch durch irgend eine Ursache die Geschwindigkeit der Luft vermindert wird, findet Schneeablagerung statt. Man kann daher die Bahn auf zwei Arten vom Schnee frei halten, indem man entweder neben ihr künstlich Ablagerungsstellen schafft, oder Anlagen herstellt, welche die Luft derartig leiten, daß eine Verminderung ihrer Geschwindigkeit auf dem Bahnplanum nicht eintritt. Die erstern Anlagen sind zur Zeit die verbreitetern. Die gefährlichen Stellen der Bahnen für S. sind die Einschnitte, d. h. diejenigen Stellen, wo die Bahn tiefer liegt als das zu beiden Seiten sich anschließende Terrain, und die Anschnitte, welche nur auf einer Seite von höher gelegenem Terrain begrenzt sind, weil bei beiden hinter der windseitigen Böschung sich eine ruhende Luftschicht bildet, welche eine Schneeablagerung auf der Bahn zur Folge hat (Fig. 1 u. 2, S. 732). Ein niedriger Einschnitt wird bei einer Windrichtung, die in einem rechten oder nicht allzu spitzen Winkel auf die Bahnlinie trifft, von der Windseite her allmählich verweht, wobei indes zum Schluß die Oberfläche nicht eben wird, sondern eine Vertiefung behält, welche nicht in der Mitte des Einschnittes, [732] sondern von der Windseite weg, etwas aus der Mitte verschoben ist. Die verbleibenden Schneeböschungen betragen 1 : 6 bis 1 : 10, und hierauf gründet sich die Möglichkeit, S. durch Abflachen der Böschungen zu vermeiden. Für das Verwehen von Einschnitten kommt wesentlich in Betracht, ob die Bahnlinie in einem stark eingeschnittenen Thal oder im flachen Land liegt. Im erstern Fall bildet sich leicht durch die Brechung des Windes an den Thalwänden ein der Thalrichtung paralleler Windstrom, welcher die Einschnitte frei fegt. Gefährdet sind dann immer Einschnitte, welche bei Krümmungen der Bahnlinie nahezu normal zur Thalrichtung oder einem Seitenthal gegenüberliegen, weil an solchen Stellen die Luftgeschwindigkeit verringert wird. Bei tiefern Einschnitten (4 m und mehr) im Hügel-, bez. Flachland tritt vollständiges Verwehen fast nie ein. Die windseitige Schneeböschung rückt zwar nach der Mittellinie hin allmählich vor, wenn der Wind nahezu senkrecht zum Einschnitt steht, endigt aber nach der Bahnseite in einer mehr oder weniger vorgeschobenen, fast senkrechten Wand
Fig. 1. Schneeablagerung in Einschnitten. | |
Fig. 2. Schneeablagerung in Anschnitten. | |
mit überhängendem Kopf (Fig. 1). Das gänzliche Zuschneien wird hier dadurch verhindert, daß der gegen die leeseitige Böschung auftreffende Wind seitwärts gebrochen wird und so eine Windströmung längs der Bahn erzeugt. Im Gegensatz dazu schneit ein Anschnitt, dessen höher gelegenes Terrain auf der Windseite liegt, vollständig in Form eines Dreiecks zu, weil hier die Längsströmung nicht auftreten kann (Fig. 2).
Die Mittel zur Verhütung der S. bestehen aus Schneewehren (Dämmen, Mauern, hölzernen Wänden von alten Schwellen, Bretterzäunen, Flechtzäunen, transportabeln Hürden, lebendigen Hecken), aber auch aus vollständigen schuppenförmigen Überbauen von Balken und Brettern. Diese Überbaue sind bestimmt, den Schnee von allen Seiten abzuhalten und event. einen Tunnel im Schnee herzustellen. Die Schneewehren (Wände, Zäune etc.) werden an den gefährdeten Stellen längs der Oberkante der Einschnitte, bez. Anschnitte so aufgestellt, daß sie bei der erfahrungsmäßig stärksten Schnee herbeibringenden Windrichtung Schutz gewähren. Nach der Art der Aufstellung tann man zwei Arten von Schneewehren unterscheiden: solche, die nur den Schnee auffangen, und solche, die ihn teils auffangen, im wesentlichen jedoch von der Bahnlinie ableiten. Die erstern werden in der Regel an Stellen angebracht, wo die gefährliche Windrichtung senkrecht zur Bahnlinie ist, und laufen parallel zur Bahn, also senkrecht zur Windrichtung. Sie müssen in gehöriger Entfernung von der Bahnmittellinie angebracht sein und selbst die gehörige Höhe haben. Bei starkem Schneefall kann auch ein einziges Wehr unzureichend sein, so daß man deren mehrere in paralleler Linie und geeignetem Abstand voneinander anbringen muß. Die andre Art Wehre wird an Stellen angewendet, wo die Windrichtung mit der Linie einen spitzen Winkel bildet. Sie sind schwierig anzubringen und erfordern oft längere Beobachtungen und Versuche, bevor die gewünschte Wirkung erreicht ist. Sie werden im Gegensatz zu der erstern Art meist ganz nahe der Bahn angeordnet und zwar entweder parallel derselben oder kulissenförmig. Einschnitte, welche verschiedenen gefährlichen Windrichtungen ausgesetzt sind, können durch gleichzeitige Anwendung von Parallel- und Kulissenzäunen geschützt werden. Zu den Vorrichtungen, welche die Schneemassen ableiten sollen, gehört auch der Schneeschirm von Howie (Fig. 3). Auf beiden
Fig. 3. Schneeschirm von Howie. | |
Seiten eines Einschnittes sind mittels Böcke parallel zu den Böschungen Bretterwände angebracht. Durch diese wird der Wind so abgelenkt, daß er nur durch den Einschnitt hindurchweht und so diesen von Schnee rein erhält. Der Howiesche Schneeschirm ist in Amerika und Norwegen in Anwendung und soll sich da bei eingeleisigen Bahnen sehr gut bewährt haben.
Das gebräuchlichste Werkzeug zur Beseitigung der S. ist zur Zeit der Schneepflug, besonders in Amerika. Der Schneepflug besteht im wesentlichen aus zwei vorn spitz zusammenlaufenden symmetrisch angeordneten Pflugscharen, welche den Schnee nach beiden Seiten hin aufwärts drängen. Das gebräuchliche Verfahren mit demselben besteht darin, daß man den Pflug vor eine oder, falls das nicht ausreicht, vor mehrere Lokomotiven spannt und damit in die Schneewehe hineinfährt in der Absicht, den Pflug durch die lebendige Kraft der nachfolgenden Lokomotiven hindurchzutreiben. Bei großer Geschwindigkeit wirft der Pflug den Schnee auf- und seitwärts, geringe
Fig. 4. Schematischer Vertikalschnitt. | |
Fig. 5. Schematischer Horizontalschnitt. Fig. 4 u. 5. Lesliescher Dampf-Schneeschaufelapparat. | |
Mengen desselben wenige Meter über den Rand des Bahnplanums hinwegschleudernd. Sobald jedoch die Geschwindigkeit infolge der widerstehenden Schneemassen nachläßt, wird der Schnee zu beiden Seiten zu senkrechten Mauern aufgetürmt. Oft genug kommt es dabei vor, daß Pflug und Lokomotive vollständig im Schnee begraben werden und ausgeschaufelt werden müssen. Auch wird häufig da, wo die Verwehung auf einer Seite der Bahn stärker ist, der Pflug nach der entgegengesetzten Seite abgetrieben und reißt so die Lokomotive aus dem Geleise. Ebenso kann hart gefrorner oder scharf zusammengetriebener Schnee bewirken, daß der Pflug auf den Schnee aufsteigt und so gleichfalls eine Entgleisung herbeiführt. Wo der Schnee [733] auf längern Strecken sehr fest gepackt liegt, ist der Schneepflug machtlos. Hier muß das Ausschaufeln von Hand Platz greifen, wobei event. die Arbeiter in zwei bis drei Reihen übereinander stehen müssen, um den Schnee hoch genug werfen zu können. Naturgemäß ist ein auf diese Weise ausgeschaufelter Einschnitt sehr schnell wieder verschneit, da die Breite desselben behufs Zeitersparnis thunlichst knapp gewählt wird. Statt der reinen Handschaufelung wird in Amerika überall, wo die Umstände es erlauben, ein recht empfehlenswertes Verfahren angewendet. Der zu entfernende Schneestreifen wird durch beiderseitig bis zum Bahnplanum ausgeschaufelte, möglichst schmale Gräben seitlich abgelöst und durch Quergräben in Blöcke zerlegt, welche einzeln mit Hilfe umgeschlungener Seile an eine Lokomotive gehängt und von dieser sowohl von ihrem Lager abgeschert, als auch dahin geschleift werden, wo eine bequeme seitliche Entfernung vom Bahnplanum (etwa durch Umkippen und Abstürzen) erfolgen kann. Aber auch dieses Verfahren ist in Amerika auf vielen Bahnen durch die Einführung des Leslieschen Dampf-Schneeschaufelapparats verdrängt (Fig. 4–6). Derselbe besteht im wesentlichen aus einem Schneid- od. Fräseapparat und aus einem Wurfapparat, welche hintereinander auf einer starken Welle sitzen, die auf einem Wagen parallel zu den Schienen angeordnet und mittels einer besondern Maschine in Umdrehung versetzt wird, während ein dem Eindringen des Schneeschauflers entsprechendes Vorrücken durch eine dahintergespannte Lokomotive erfolgt (Fig. 6). Der Wurfapparat ist nach Art einer Zentrifugalpumpe eingerichtet u. sitzt in Form eines Schaufelrades A in einem cylindrischen Kasten B mit einer schräg nach oben gerichteten Wurföffnung C, deren Richtung sich, je nachdem der Schnee nach rechts oder links entfernt werden soll, ebenso wie die Drehungsrichtung des Rades A abändern läßt. D ist die Betriebswelle. Auf der Rückseite ist das Rad durch eine volle Blechscheibe E vollkommen geschlossen, auf der vordern Seite aber nur teilweise von dem Schneidapparat verdeckt; derselbe besteht aus zwei konzentrisch angeordneten Ringen von zweischneidigen Messern F, deren jedes einen stumpfwinkeligen Querschnitt hat und mit dem Scheitel dieses stumpfen Winkels an einer radial zur Betriebswelle D gelagerten Achse befestigt ist. Je nach der Drehrichtung des Apparats werden sich die Messer mit einem Schenkel des stumpfen Winkels gegen das Schaufelrad A legen, während der andre Schenkel schräg aus der Vorderfläche desselben hervorsteht, zugleich eine Lücke zwischen sich und dem benachbarten Messer lassend (Fig. 5 u. 6). Der ganze Apparat schneidet nun nach Art eines Fräsekopfes in den Schnee hinein, treibt vermöge der schrägen Messerflächen den losgelösten Schnee durch die Zwischenräume zwischen den Messern dem Schaufelrad A zu und wird durch dieses mit Hilfe der Zentrifugalkraft seitlich im Bogen fortgeschleudert. Bei umgekehrter Drehung legen sich die Messer selbstthätig in die entsprechende Stellung um. Der cylindrische Kasten B erweitert sich nach vorn allmählich in eine viereckig begrenzte, scharf geränderte Öffnung, welche dem Querschnitt der abzuschneidenden Schneemasse entspricht und mit Hilfe ihrer schrägen Wandungen dem Messerrad die außerhalb seines Umfanges liegenden Schneemassen zuführt. Das Schaufelrad hat 2,75 m Durchmesser, seine Welle wird von einer Zwillingsmaschine betrieben, die von einem nach Art der Lokomotivkessel gebauten Dampfkessel gespeist wird. Schaufelapparat, Maschine und Dampfkessel sind auf einem besonders solid gebauten achträderigen Wagen
Fig. 6. Lesliescher Dampf-Schneeschaufelapparat. | |
angebracht, auf dem der erste Führer (Lotse) steht, welcher teils durch Signale den übrigen Führern des Schauflers und der schiebenden Lokomotive Anweisungen gibt, teils die Auswurföffnung sowie einen Eisbrecher und Räumer zum Säubern der Schienen zu überwachen hat. Letztere treten in Wirkung, wenn die Hauptmasse des Schnees durch den Schaufler beseitigt ist. Der Eisbrecher ist ein kräftiges Stahlblech, welches vor dem ersten Räderpaar in 13 mm Abstand von der Schienenoberkante angebracht ist. Der Räumer entfernt den Schnee zu beiden Seiten der Schienen bis auf 30 cm Entfernung. Eisbrecher und Räumer müssen bei Weichen oder Kreuzungen angehoben werden. Die richtige Bemessung der Drehungs- und Vorschubgeschwindigkeit ist die Hauptaufgabe des Lotsen. Von derselben hängt wesentlich der Erfolg der ganzen Schneeräumung ab. Die Wurfweite des Schauflers beträgt 30–100 m. In dieser großen Wurfweite sowie besonders in der Sicherheit, mit der [734] selbst S. von großer Höhe und steinharter Beschaffenheit überwunden werden sollen, bestehen die großen Vorzüge des Leslieschen Schneeschauflers, dessen Prüfung in Deutschland nach dem, was von seinen Leistungen in Amerika verlautet, sehr wünschenswert erscheint. In der folgenden Tabelle sind die Leistungen desselben bei steinharter Schneebeschaffenheit angegeben:
Länge des Durchschnitts Meter |
Mittlere Schneehöhe über Schienenoberkante Meter |
Zeit Minuten |
Geschwindigkeit Kilometer pro Stunde |
405 | 1,5 | 21 | 1,16 |
432 | 1 | 11 | 2,36 |
216 | 1,2–1,8 | 13 | 1,00 |
432 | 2,85 | 112 | 0,23 |
375 | 1,35 | 15 | 1,50 |
426 | 1,0–1,5 | 13 | 1,97 |
378 | 0,6–1,3 | 10 | 2,27 |
12 | 1,8 | 15 | 0,05 |
486 | 1,0–2,0 | 45 | 0,65 |
324 | 1,5–2,0 | 10 | 1,93 |
486 | 1,2–2,4 | 27 | 1,80 |
324 | 2,1–3,0 | 31 | 0,62 |
540 | 1,5–2,4 | 10 | 2,03 |
216 | 1,5–2,7 | 18 | 0,72 |
432 | 1,0–2,1 | 7 | 3,70 |
Wo der Schnee mäßig locker liegt, kann der Schaufler im allgemeinen 3–3,6 m tiefen Schnee mit einer Geschwindigkeit von 3–5 km pro Stunde beseitigen. Zum Vergleich diene ferner die Angabe, daß der Schaufler eine hart gefrorne Schneeverwehung von 240 m Länge und 0,6–2,5 m Schneetiefe in 50 Min. freilegte, zu deren Durchführung mit dem Schneepflug unter gleichen Bedingungen früher 11 Stunden Arbeitszeit und außerdem die Hilfsleistung von 35 Handschauflern erforderlich waren. Der Erfinder E. Leslie zu Orangeville in Kanada hat die Rotary Steam Snow Shovel Company gegründet, welche die Maschinen in den Cooke Lokomotive Works of Paterson in New York bauen läßt.