Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Romān“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 915918
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Romān. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 915–918. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Rom%C4%81n (Version vom 18.11.2024)

[915] Romān, ursprünglich bei den roman. Völkern des Mittelalters auf dem Boden des ehemaligen römischen Reichs jede größere erdichtete oder doch dichterisch ausgeschmückte Profanerzählung, so genannt, weil sie im Gegensatz zu der (im Lateinischen als der Schul- und Kirchensprache abgefaßten) geschichtlichen Chronik und Heldensage einerseits, der biblischen Geschichte und der kirchlichen Legende anderseits in der Volkssprache (lingua romana) abgefaßt ward. Dieser Name ging dann allmählich auf die gesamte heute so benannte und beliebte epische Dichtgattung über. Das Charakteristische der letztern liegt im ästhetischen Sinn darin, daß sie, im Gegensatz zum Epos (s. d.) und zum Märchen (s. d.), nur ein natürliches Geschehen, dieses aber, im Gegensatz zur Erzählung (s. d.), unter dem Schein des Wunderbaren darstellt. Von der Novelle (s. d.), welche dasselbe thut, unterscheidet sich der R. dadurch, daß jene nur eine einzige (ebendarum um ihrer „Neuheit“ willen ausgesuchte) Begebenheit, dieser dagegen eine ganze Reihe in der Zeit aufeinander folgender Begebenheiten umfaßt, welche untereinander wohl (episch) durch die Einheit der Person, aber nicht eben (dramatisch) durch die Einheit der Handlung zusammenhängen müssen. Der Träger derselben (der „Held“ des Romans) hat mit den Helden des Epos, des Märchens und der Erzählung die Abhängigkeit seiner Schicksale von Mächten, die nicht seinem Willen unterworfen sind, gemein, unterscheidet sich aber dadurch von denselben, daß die beherrschenden Mächte im Epos nicht nur übernatürlich scheinende, sondern wirklich übernatürliche, im Märchen widernatürliche, aber natürlich scheinende, in der Erzählung nicht nur natürliche, sondern auch als solche erkennbare, im R. dagegen zwar durchaus natürliche, aber mit dem Schleier des Geheimnisses und daher übernatürlich scheinende sind. Der R. ist daher, was die Annahme göttlicher Führung betrifft, der Antipode des Epos, was dagegen den Schein einer solchen und den mystischen Reiz des geheimnisvoll Wunderbaren betrifft, dessen nächster Verwandter: das wahre „Epos des Unglaubens“. Während das Epos daher solchen Bildungsstufen und Zeitaltern angehört, in welchen der Glaube an die Existenz einer überweltlichen Macht und an die Möglichkeit des Eingreifens einer Götterwelt oder der Gottheit in menschliche Schicksale lebendig und die Einmischung derselben natürlich ist, sagt der R. als epische Kunstgattung solchen Kulturstufen und Zeiten zu, bei welchen durch (wahre oder vermeintliche) Bildung und Aufklärung der Glaube an Übernatürliches (gänzlich oder doch in Bezug auf gewisse Kreise [916] von Erscheinungen, z. B. der Liebesleidenschaft) geschwunden, der Reiz des Übernatürlichen und die Sehnsucht nach demselben aber geblieben ist, und dessen künstlich erneuerter Schein daher wohlgefällig fesselt. Lebensverwickelungen, welche den Schein einer übernatürlichen Schickung erwecken, werden daher wohl „romanhaft“, eine Gemütsstimmung, welche am Schein der Existenz eines Übernatürlichen Vergnügen findet, wird „romantisch“ genannt. Die Weltanschauung, die dem R., der nur natürliche Ursachen des Verlaufs menschlicher Dinge gestattet, zu Grunde liegt, ist durchaus nüchtern (philosophisch), jene, welche dem Epos, das Übernatürliches zuläßt, zu Grunde liegt, gehoben (theologisch). Jener betrachtet alle Begebenheiten, die er erzählt, wie das Drama (s. d.), als unter dem Kausalgesetz, das Epos dagegen, kraft seines religiösen Standpunktes, als unter dem Willen einer höhern Macht stehend. Das Verhältnis des Helden des Epos zu der sein Schicksal leitenden Macht ist das eines Menschen zur Gottheit, eines Niedern zum Höhern, eines Dieners zum Herrn (oder Herrin: Achilleus und Pallas, Odysseus und Athene). Das gleiche Verhältnis des Helden des Romans kann nur das eines Menschen zu sich selbst (seinem Naturell, seiner beherrschenden Leidenschaft) oder zu der ihn umgebenden Natur- und Menschenwelt sein. Aus dem letztern Umstand entspringt die Einteilung der Romane in Charakter- und Situationsromane, je nachdem die natürliche Ursache der Schicksale des Helden in dessen persönlichem (angebornem oder erworbenem) Naturell oder in dessen äußerer natürlicher oder Menschenumgebung gelegen vorgestellt wird. Jener kann psychologisch heißen, wenn er das Schicksal des Helden aus dessen Abhängigkeit von seiner Gesamtanlage, pathologisch, wenn er dasselbe aus dessen Beherrschtsein durch einen einzelnen Charakterzug (eine Leidenschaft, z. B. die Liebe: Liebesroman) zu erklären sucht. Der Situationsroman verlegt den Grund der Lebensereignisse entweder in die Natur (Einfluß der Natur auf Rousseaus „Neue Heloise“, Goethes „Werther“) oder in die Gesellschaft, innerhalb deren er den Helden denkt (Gesellschaftsroman, sozialer R.). Je nachdem die Situation, welche das Schicksal des Helden macht, als unabhängig von ihm gegeben oder mit Rücksicht auf ihn durch andre (irdische Vorsehung) künstlich veranstaltet angenommen wird, zerfällt derselbe in zwei Klassen. Zu der erstern gehören der Reiseroman, welcher den Lebenslauf des Helden unter dem Einfluß der örtlichen Natur, und der geschichtliche R., welcher denselben unter dem Einfluß einer bestimmten Zeit- und Kulturepoche, zu der letztern der pädagogische R. („Wilhelm Meister“), welcher ihn unter dem Einfluß eines im geheimen thätigen, erziehenden Menschenbundes („Unsichtbare Loge“, „Ritter vom Geist“) schildert. Noch sind von den Romanen mit einfacher Begebenheitsreihe (und einem einzigen Helden) die Romane mit zwei- und mehrfacher Reihe von Begebenheiten (zwei und mehreren Helden) zu unterscheiden, welche entweder, wie in dem von Gutzkow so genannten „R. des Nebeneinander“, parallel („Ritter vom Geist“, Heyses „Kinder der Welt“) oder (wie in Freytags „Ahnen“) nacheinander (in verschiedenen Generationen) ablaufen. Sollen jedoch die Teile des Romans dabei nicht (in einen Novellencyklus, wie Steffens’ „Vier Norweger“) auseinander fallen, so müssen die verschiedenen Helden untereinander entweder durch ein geistiges (wie in den „Rittern vom Geist“) oder durch ein Blutband (wie in den „Ahnen“) zusammenhängen. Hinsichtlich der sprachliche Form kann der R. seiner Eposnatur halber ebensogut in gebundener (Becks und Schacks „Romane in Versen“) wie seiner nüchternen Grundansicht halber in ungebundener Rede abgefaßt sein; letztere ist bei weitem die vorwiegende. Während das Epos, dessen waltende Macht eine Götterwelt ist, einen Heros (Achilleus, Odysseus, Rama, Rustem etc.) zum Helden hat, muß der R., dessen waltende Macht eine berückende Leidenschaft, der Einfluß des Ortes, der Zeit oder gar einer geheimen Gesellschaft ist, einen „Romanhelden“ (oder Heldin) wählen, der sich von solchen beherrschen läßt. Diese menschliche Schwäche sowie der durchaus dem Kreis der natürlichen Dinge entnommene Charakter der wirkenden Ursachen befähigen den R. wie keine andre epische Dichtungsart (die Novelle ausgenommen), das Bild einer Welt wie die unsre (Welt des modernen Bewußtseins) gewürzt und belebt durch den Schein des Wunderbaren und mit dem Reiz der Spannung auf die natürliche Lösung des Rätsels zu entwerfen. Wie daher einst das religiöse Bewußtsein das Bild der realen (seienden) wie das der idealen (sein sollenden) Welt episch in die Form des Epos, so faßt das moderne Bewußtsein beide in die Form des Romans, welcher dadurch eine lehrhafte Tendenz annimmt und auf das Gebiet der sogen. didaktischen Poesie (theoretische wie praktische Belehrung in Romanform) übertritt. In dieser Gestalt, welche den verschiedensten stofflichen Inhalt bequem aufzunehmen vermag, ist der R. die gesuchteste und beliebteste Dichtgattung geworden, hat aber über dem mehr oder minder schwerfälligen Gehalt nicht selten den Reiz der poetischen Form eingebüßt. Eine Einteilung desselben vom stofflichen Gesichtspunkt aus zu geben, ist ein hoffnungsloses Beginnen. Unterscheiden lassen sich allenfalls der realistische R., der die wirkliche Welt naturhistorisch (mit größter Treue, ohne Neid und ohne Gunst) schildert, und dessen Ausartung, der naturalistische R., das Schlechte in der bestehenden Welt nicht nur schonungslos schildert, sondern mit Vorliebe sucht (Zola), und der moralische oder Idealroman, der das Bild einer vollkommensten Welt ohne Rücksicht auf deren Realität ausmalt. Zu jener Gattung gehört nicht nur der sogen. historische Kultur- und zeitgenössische Sittenroman, deren ersterer die Menschheit irgend einer Kultur- und Bildungsstufe, deren letzterer seine (des Romanschriftstellers) Gegenwart mit minutiöser Sorgfalt porträtiert, sondern auch das sogen. Zukunftsbild oder das Romanidyll und der philosophische R., deren erstes das Bild der Welt ausmalt, wie es (der Ansicht des Autors nach) einst sein wird, während der andre den ewig gleichen Kern der Welt und des Menschen darzustellen sich vorsetzt. Zu dieser Gattung gehören die zahlreichen Tugend- und Fürstenspiegel sowie die Staatsutopien, Gesellschaftsikarien in Romanform, welche dazu bestimmt sind, dem Einzelnen und der Gesamtheit als Beispiel vorzuleuchten. Wie durch die beiden vorgenannten Gattungen das unterrichtende, so betritt der R. als moralisierender oder Tendenzroman das erziehende Gebiet, wobei er entweder (optimistisch) an die Möglichkeit des Gelingens des Besserungswerkes glaubt oder (pessimistisch) dessen Unmöglichkeit einsieht. Im erstern Fall sucht er strafend (satirischer R.) oder spottend (komischer R.) auf die Menschheit zu wirken; im letztern Fall gesellt sich zu dem an die Stelle des Zorns oder Spottes über die andern tretenden Mitleid mit deren Schwächen der Spott über sich selbst, dessen Thorheit das Unmögliche für möglich hielt (humoristischer [917] R.). Aus der Einteilung nach dem Stand, Beruf etc. des Helden entspringen die Bezeichnungen: Ritter-, Räuber-, Schäfer-, Bauern-, Soldaten-, Seemanns-, Künstlerromane etc.

[Geschichtliches.] Der R. findet sich bei allen Völkern: im Orient bei Chinesen, Japanern, Arabern und Persern (Nisamis „Medschnun und Leila“, Dschamis „Jussuf und Suleika“); bei den Griechen, wo ihm die sogen. Milesischen Märchen (Liebesgeschichten des Aristeides von Milet um 160 v. Chr.) als Vorläufer dienten, wie in der römischen Kaiserzeit. Iamblichos (2. Jahrh. n. Chr.) schrieb die Liebesgeschichte der Rhodane und des Simonis, Achilleus Tatios (4. Jahrh.) jene des Klitophon und der Leukippe in blumenreichem, Longos das Urbild aller Schäferromane, „Daphnis und Chloe“, in anmutigem, Xenophon von Ephesos und Chariton von Aphrodisias Novellen in einfachem Stil. Der erste wirkliche und kunstreiche R. des Altertums ist Heliodoros’ (aus Emesa) „Geschichte des Theagenes und der Charikleia“, die von Cervantes und Tasso benutzt und von Calderon auf die Bühne gebracht worden ist. Vgl. Rohde, Der griechische R. und seine Vorläufer (Leipz. 1876). Aus der römischen Litteratur gehören des Petronius schmutziges, aber als Sittenbild der Neronischen Zeit interessantes „Satirikon“ und des L. Apulejus (130 n. Chr.) „Goldener Esel“ oder „Metamorphosen“ hierher, welches unter anderm die Geschichte Amors und der Psyche enthält, nach welcher Raffael seine Fresken in der Farnesina zu Rom entworfen hat. Das christliche Mittelalter setzte der trocknen Chronik und der biblischen Wunder- wie der wunderbaren Heiligengeschichte die erdichtete (oder dichterisch ausgeschmückte) und profane, aber gleichfalls wunderbare Historie entgegen, die, wie erwähnt, von der Sprache derjenigen Völker, bei denen sie zuerst auftrat (lingua romana), den Namen R. empfing. Neben „Romanen in Versen“, unter denen sich Hartmanns von Aue „Armer Heinrich“, Rudolfs von Ems „Guter Gerhard von Köln“ und die nordfranzösische Liebesgeschichte von „Aucassin und Nicollette“ (13. Jahrh.) auszeichnen, kommen die schlüpfrigen Contes und Fabliaux der französischen wandernden Minstrels und Jongleure (die Vorläufer der Novellen des Boccaccio und der Königin von Navarra) sowie die derben Schwänke der deutschen Hofnarren und fahrenden Sänger (Neidhart Fuchs, Pfaff von Kahlenberg, Wernher des Garteners Dorfgeschichte „Meier Helmprecht“), die Vorläufer der Schelmen- und Spitzbubenromane, auf, an welche sich die gespreizten allegorischen („Roman de la rose“, 13. Jahrh.) und die phantastischen Ritterromane (des Vasco da Lobeira „Amadis von Gallien“ im 14. Jahrh. und dessen zahllose Fortsetzer und Nachahmer, darunter Kaiser Max mit seinem „Weißkunig“ und „Theuerdank“) anschließen, während die anmutige Darstellung des wirklichen Lebens in kunstvoller Prosa in Boccaccio („Decamerone“), Don Juan Manuel („Graf Lucanor“) und deren Nachahmern (Chaucer in England, Margarete von Valois in Frankreich) ihre Meister fand. Mit der unübertroffenen Satire auf die Ritterromane, dem „Don Quichotte“ (zuerst 1605) des Cervantes, beginnt die kunstmäßige Vollendung des Romans in Spanien in humoristischer Gestalt, während Mendoza (gest. 1575) durch seinen „Lazarillo de Tormes“, Quevedo (gest. 1645) durch seinen „Großen Schelm“ („Gran tacaño“), Guevara durch seinen „Hinkenden Teufel“ die Gattung der komischen „Schelmen- und Spitzbubenromane“ begründeten, die später in Frankreich (Scarrons „Roman comique“), England (Fieldings „Tom Jones“) und Deutschland („Simplicissimus“ von Grimmelshausen) nachgeahmt wurden. Rabelais (gest. 1553) verpflanzte den satirischen R. („Gargantua und Pantagruel“) nach Frankreich, Fischart in ungeschlachter Bearbeitung nach Deutschland. In Italien führte Sannazaro durch seine „Arcadia“ (1502) den Schäferroman des Longos wieder ein, der sich von da aus nach Spanien (Cervantes’ „Galatea“), England (Philipp Sidneys „Arcadia“), Frankreich (d’Urfés „Astraea“) und Deutschland (Romane der Pegnitzschäfer) verbreitete. Das affektierte Römertum unter Ludwig XIV. brachte in Frankreich die langen Bändereihen des politisch-galanten Romans der Scudéry und des Calprenède hervor, die den Versailler Hof in römischer und orientalischer Maske darstellten und vom Herzog Anton Ulrich von Braunschweig („Herkuladiskus und Herkuladiska“), Ziegler („Die asiatische Banise“), Lohenstein u. a. in Deutschland kopiert wurden. Mit dem Beginn des 18. Jahrh. erfand in England Daniel Defoe („Robinson Crusoe“) den Reiseroman mit pädagogisch-didaktischer Tendenz und rief dadurch namentlich in Deutschland eine Unzahl „Robinsonaden“ mit und ohne Tendenz hervor, von welchen „Die Insel Felsenburg“ und Campes „Robinson“ die bedeutendsten sind. Zu gleicher Zeit zeichneten sich ebendaselbst Swift („Gullivers Reisen“) im Fach des satirischen, Fielding und Smollet in dem des komischen Romans aus; Richardson (dessen „Clarisse“ von Rousseau in der „Neuen Heloise“, von Goethe im „Werther“ nachgeahmt wurde) schuf den sentimentalen, Goldsmith („Landprediger von Wakefield“) den humoristischen Familienroman, während Sternes sentimental-humoristische „Reise“ und „Tristram Shandy“ das Vorbild nicht nur aller spätern englischen (Dickens, Thackeray u. a.), sondern auch der deutschen humoristischen Romanschriftsteller (Hippel, Jean Paul) geworden sind. Der sentimentale R. fand in Frankreich außer Rousseau in Marivaux und Prévost d’Exiles („Manon Lescaut“), das frivole Sittenbild in Crébillon („Le sopha“), Diderot („Les bijoux indiscrets“, „La religieuse“), der satirische R. in Voltaire („Candide“, „L’ingénu“) glänzende Vertretung. In Deutschland bemächtigte sich, dem Geiste der Nation entsprechend, der Romanform vorherrschend die didaktische Tendenz, aus welcher der philosophische R. (Jacobis „Woldemar“ und „Allwills Briefsammlung“), der Kunstroman (Heinses „Ardinghello“ und „Hildegard von Hohenthal“, Tiecks „Ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und „Sternbalds Wanderungen“), der pädagogische R. (Goethes „Wilhelm Meister“, Gutzkows „Söhne Pestalozzis“), der politische und soziale Tendenzroman (die Romane des Jungen Deutschland, Gutzkows „Wally“ und „Ritter vom Geist“, Spielhagens „Hammer und Amboß“ und „In Reih’ und Glied“, Auerbachs „Landhaus am Rhein“, Freytags „Soll und Haben“ u. a.) hervorgegangen sind. Der Schotte Walter Scott wurde durch seine „Waverleynovellen“ der Schöpfer und das Muster des historischen Romans und als solches in Italien von Manzoni („Promessi sposi“), d’Azeglio („L’assedio di Firenze“), Cantù („Margherita Pusterla“) u. a., in Frankreich von Victor Hugo („Notre Dame“, „1793“), A. de Vigny („Cinq-Mars“) u. a., in Deutschland am besten von Wilibald Alexis („Roland von Berlin“, „Isegrimm“) und außerdem von Spindler („Der Jude“, „Der Invalide“), König („Die Klubbisten in Mainz“, „König Jérômes Karneval“), Henriette Paalzow („St. [918] Roche“, „Thomas Thyrnau“), Karoline Pichler („Die Schweden vor Prag“), W. Hauff („Lichtenstein“), Rehfues („Scipio Cicala“), Tieck („Aufruhr in den Cevennen“, „Vittoria Accorombona“), Laube („Der deutsche Krieg“) u. v. a. teilweise mit Glück nachgeahmt, aber von keinem erreicht. Der Amerikaner Fenimore Cooper schuf den transatlantischen R., in welchem sich neben ihm seine Landsleute Washington Irving und Bret Harte sowie die Deutschen Sealsfield (Postl) und Gerstäcker hervorthaten. Der Seeroman wurde von Engländern (Marryat u. a.) erfunden und gepflegt. Den Räuberroman bildeten nach dem Vorgang Vulpius’ („Rinaldo Rinaldini“) die vergessenen Cramer und Spieß, den Ritterroman unter den Neuern am glücklichsten de la Motte Fouqué, den phantastischen R. die romantische Schule (A. v. Arnims „Gräfin Dolores“, Kl. Brentanos „Godwi“, E. T. A. Hoffmanns „Phantasiestücke“) aus. Der soziale R., dessen Thema die Ehe ausmacht, ist in raffiniertester Weise von F. v. Schlegel („Lucinde“), am kunstvollsten und tragischten von Goethe („Wahlverwandtschaften“), in geistreichster, aber tumultuarischer und revolutionärer Weise seit der Julirevolution in den Ehebruchromanen der George Sand und ihrer französischen und deutschen Nachahmer behandelt worden. Den sozialistischen R., dessen Thema die Gesellschaftsverbesserung ist, haben außer George Sand in großartigem Umfang E. Sue („Geheimnisse von Paris“), der ältere A. Dumas („Graf von Monte Cristo“) und der jüngere A. Dumas („Affaire Clémenceau“) u. a. in Frankreich, Spielhagen in Deutschland, die Humoristen Boz (Dickens), Thackeray u. a. in England kultiviert, während die fast unübersehbare Menge der Sittenromane sich damit begnügt, die wirklichen Sitten der Gesellschaft zu schildern (Balzac, Mérimée, Feuillet, Cherbuliez, Daudet, Flaubert, Zola u. a. in Frankreich; Bulwer, George Eliot, Charl. Bronté, James, Miß Yonge, Trollope, Lady Blessington u. a. in England; Hackländer, Schücking, O. Müller, E. Höfer, Fanny Lewald, K. Frenzel etc. in Deutschland). Der Familien- und Gouvernantenroman hat seine Hauptstätte in England, außerdem auch in Schweden (Fr. Bremer, Sophie Schwartz) und in den Romanen der „Gartenlaube“ (E. Marlitts „Goldelse“). Als eine Abart des historischen hat sich in jüngster Zeit der archäologische R. („Last days of Pompeji“ von Bulwer, „Hypatia“ von Kingsley, „Salammbô“ von Flaubert, „Eine ägyptische Königstochter“ und andere von Ebers, „Aspasia“ von Hamerling etc.), als moderner Schäferroman dagegen die „Dorfgeschichte“ aufgethan (Immermanns unübertroffener „Oberhof“, J. Gotthelfs „Uli“, Auerbachs „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, Ranks und M. Meyrs Dorfgeschichten aus dem Böhmerwald und aus dem Ries). Der schlüpfrige R. des 18. Jahrh. hat in den Grisettenromanen Paul de Kocks und seiner Nachahmer inner- und außerhalb Frankreichs, der spanische Schelmen- und Verbrecherroman in den beliebten Sensations- und Kriminalromanen seine Fortsetzer (in England: Wilkie Collins, Braddon; in Amerika: Poe; in Deutschland: Temme u. a.) gefunden. Der humoristische R. ist durch Dickens und Thackeray in England auf seine höchste Höhe gehoben, in Deutschland durch Immermann („Münchhausen“), Goltz („Ein deutscher Kleinstädter in Ägypten“), vor allen durch den plattdeutschen Dialektschriftsteller Fritz Reuter („Olle Kamellen“) mit Glück erneuert worden. Gegenwärtig stehen K. Gutzkow, H. Laube, G. Freytag, Fr. Spielhagen, K. Frenzel in Deutschland, A. Dumas Sohn, Victor Hugo, V. Cherbuliez, O. Feuillet, A. Daudet, E. Zola in Frankreich, Mrs. George Eliot, A. Trollope, Wilkie Collins, Miß Yonge, Mrs. und Miß Braddon in England, Turgenjew, Dostojewskij, L. v. Tolstoi in Rußland als Romanschriftsteller in erster Reihe. Vgl. O. L. B. Wolff, Geschichte des Romans (2. Aufl., Jena 1850); Keiter, Versuch einer Theorie des Romans (Paderb. 1876); Bobertag, Geschichte des Romans in Deutschland bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts (Bresl. 1876–84, 2 Bde.); Spielhagen, Beiträge zur Theorie und Technik des Romans (Leipz. 1883); Körting, Geschichte des französischen Romans im 17. Jahrhundert (Oppeln 1886–87, 2 Bde.).